L 9 R 3312/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1626/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3312/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 11. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der 1951 geborene Kläger war nach einer Buchdruckerlehre bis 2003 als Buch- bzw. Offsetdrucker versicherungspflichtig beschäftigt. Er bezieht seit dem 1. April 2004 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (Bescheid vom 4. Februar 2005), inzwischen auch ohne Befristung (Bescheid vom 11. Februar 2010). Nach der Bewilligung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit und der Einstufung durch das Arbeitsamts als nicht vermittelbar arbeitete er noch im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung ("auf 400,- EUR Basis") als Lkw-Fahrer.

Grundlage der Rentenbewilligung war u. a. ein Heilverfahren-Entlassungsbericht (HV-EB) der Reha-Klinik Ü. vom 11. Januar 2005 (Funktionell noch unbefriedigendes Ergebnis nach Neurolyse bei Sulcus-ulnaris-Syndrom links, noch leichte Parästhesien und Kraftminderung nach CTS-OP beidseits, rezidivierendes pseudoradikuläres Lumbalsyndrom bei muskuloligamentärer Insuffizienz, Anpassungsreaktion; Leistungsvermögen als Offsetdrucker unter drei Stunden, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr möglich).

Ein Antrag auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 28. September 2006 blieb nach Einholung eines Gutachtens des Dr. F. vom 21. November 2006 (rezidivierende supraventrikuläre Tachykardien, Z. n. Katherterablation 08/2006, chronisch rezidivierender LWS-Schmerz mit Lumboischalgie rechts bei WS-Fehlstatik, freie Gelenkkörper und mäßige Arthrose des rechten Ellenbogengelenks mit rezidivierenden Blockierungserscheinungen, Z. n. Sulcus-ulnaris-OP linkes Ellenbogengelenk 10/2004; leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung - ohne besondere WS-Belastungen wie WS-Zwangs- und Fehlhaltungen, häufiges Bücken, regelmäßiges Heben und Tragen von Lasten über 15 kg, hohe Belastung der Arme, insbesondere der Ellenbogengelenke, regelmäßige Armvorhaltetätigkeiten, häufiges Heben und Tragen sowie Überkopfarbeiten - seien sechs Stunden und mehr möglich) erfolglos (Bescheid vom 28. November 2006 und Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2007).

Die deswegen beim Sozialgericht Konstanz (SG) am 7. November 2007 erhobene Klage (S 8 R 3037/07) nahm der Kläger nach erfolgter Anhörung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen am 25. Februar 2008 zurück. Nachdem der Kläger im November 2008 einen cerebralen Insult mit Hemiparese rechts erlitten hatte, erfolgte vom 3. bis 24. Dezember 2008 eine Maßnahme zur medizinische Rehabilitation in der Schlossklinik Bad B ... Gemäß dem HV-EB vom 13. Januar 2009 wurden eine gut rückgebildete Hemiparese rechts, eine diskrete Restaphasie nach Mediateilinfarkt links, eine intermittierende absolute Arrhythmie sowie ein Z. n. Ablation eines WPW-Syndroms diagnostiziert und der Kläger für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr leistungsfähig erachtet.

Den weiteren Rentenantrag des Klägers vom 30. Dezember 2008 lehnte die Beklagte - gestützt auf den HV-EB vom 13. Januar 2009 - mit Bescheid vom 21. Januar 2009 und Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2009 ab, da der Kläger noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten könne.

Deswegen hat der Kläger am 15. Juni 2009 Klage beim SG erhoben und geltend gemacht, er könne keine leichten oder gar mittelschweren Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne zeitliche Einschränkung verrichten. Unter allgemein betriebsüblichen Bedingungen könne er nicht arbeiten. Hierzu hat er u. a. Berichte der Ergotherapeutinnen K. vom 21. Juli 2009 und Steinbach vom 13. Dezember 2009 vorgelegt.

Das SG hat die behandelnde Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Sie hat am 24. Juli 2009 über die Behandlung des Mediateilinfarkts links berichtet und ausgeführt, die von ihr erhobenen Befunde stimmten mit denen im HV-EB überein und sie schließe sich auch der Beurteilung des Leistungsvermögens in diesem Bericht an. Die für Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit maßgebenden Leiden lägen auf neurologischem Fachgebiet. Ferner hat das SG Auskünfte des Orthopäden Dr. E. eingeholt. Dieser hat am 27. Juli 2009 mitgeteilt, auf orthopädischem Fachgebiet ergäben sich keine relevanten Veränderungen in den Befunden gegenüber seinem Bericht im vorrangegangenen Klageverfahren. Der Kardiologe Dr. T. hat am 20. August 2009 mitgeteilt, seit Dezember 2007 habe sich der Kläger am 7. November 2008 sowie am 3. März 2009 vorgestellt. Am 20. November 2008 sei ein Apoplex bei Mediateilinfarkt bei intermittierenden Vorhofflimmern aufgetreten und seitdem erfolge wieder eine Antikoagulation mit Marcumar. Einer erneuten Ablation des Vorhofflimmerns habe sich der Kläger trotz ausgeprägter Beschwerdesymptomatik zunächst nicht unterziehen wollen und eine empfohlene kurzfristige Kontrolle im Mai des Jahres habe er nicht wahrgenommen.

Die Beklagte hat hierzu Stellungnahmen von Dr. B. vom 12. Oktober 2009 und 22. Januar 2010 vorgelegt. Er ist in Auswertung der vorgelegten ärztlichen Äußerungen zum Ergebnis gelangt, eine quantitative Leistungseinschränkung hinsichtlicher leichter Tätigkeiten lasse sich den ärztlichen Äußerungen und Befund nicht nachvollziehbar entnehmen. Neue medizinische Gesichtspunkte ergäben sich nicht.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein Sachverständigengutachten des Kardiologen Dr. M. vom 12. April 2010 eingeholt. Bei der Untersuchung ist eine Ergometerbelastung bis 100 Watt und mindestens 1 Minute bis 125 Watt erfolgt, worauf die Belastungsmessung wegen Erschöpfung und vom Kläger angegebener Beinschwäche rechts abgebrochen worden ist. Eine Angina pectoris, sonstige thorakale Beschwerden oder eine wesentliche Dyspnoe hat sich dabei nicht ergeben. Im EKG haben sich keine Ischämiezeichen gezeigt und keine Herzrhythmusstörungen. Dr. M. hat die Diagnosen leichte kardiopulmonale Einschränkung mit geringer Belastungsdyspnoe, am ehesten als Folge eines Trainingsmangels (am ehesten rückführbar auf den Rückgang der körperlichen Aktivität durch die geringe Restparese nach Schlaganfall vom November 2008), Hinweis für eine geringe restriktive Ventilationsstörung mit pulmovaskulär bedingter Hyperventilation, paroxysmales Vorhofflimmern/-flattern, Z. n. linkshemisphärischem cerebralem Insult mit weitgehend rückgebildeter, noch diskreter Resthemiparese der rechten Körperhälfte und gestörter Feinmotorik der rechten Hand, Z. n. erfolgreicher Katheterablation einer linksposterioren akzessorischen Leitungsbahn im August 2006 bei verborgenem WPW-Syndrom mit häufigen orthodromen AV-Reentry-Tachykardien, arterielle Hypertonie, chronisches LWS-Syndrom mit Bandscheibenprotrusion im Bereich der HWS, Osteochondrosis dissecans und Arthrose des rechten Ellenbogengelenks, Z. n. operativer Dekompression des Nervus medianis links bei Sulcus-ulnaris-Syndrom im linken Ellenbogengelenk vom November 2004, mäßige Gonarthrose rechts, geringe Coxarthrose beidseits, Z. n. operativer Therapie eines CTS des linken sowie des rechten Handgelenks im Jahr 2003, Refluxösophagitis 2004, aktuell ohne Symptome, sowie Z. n. Sigmaresektion 1996 benannt. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Gesundheitsstörungen könne der Kläger sitzende Tätigkeiten mit gelegentlichem Stehen oder Gehen sowie leichte körperliche Belastungen in Form von Handarbeit, z. B. leichte Montagetätigkeiten - ohne Akkord- und Fließbandarbeiten sowie Tätigkeiten in Wechsel- oder Nachtschicht - vollschichtig verrichten. Damit könne der Kläger leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig ausüben. Der Kläger könne auch arbeitstäglich viermal eine Wegstrecke von über 500 Metern in jeweils höchstens 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und sei in der Lage, mit einem Kraftfahrzeug mehrfach am Tage zu fahren, wobei größere Strecken von etwa 20 km vermieden werden sollten. Der Kläger könne auch auf ebenen Wegstrecken Fahrrad fahren, doch sollten hier wegen der Folgen des Schlaganfalls größere Anstrengungen wie größere Wegstrecken und ungünstige Witterungsbedingungen sowie ungewohnte Bedingungen städtischen Verkehrs in Stoßzeiten vermieden werden. Die Restbeschwerden nach dem Schlaganfall könnten sich in den nächsten Jahren unter Fortsetzung der ergotherapeutischen Behandlung bessern, was zu einem teilweisen Wegfall der Einschränkung beim Fahrradfahren führen könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten verwiesen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11. Juni 2010 abgewiesen. Die - näher dargelegten - Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung seien nicht erfüllt. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Gesundheitsstörungen und aller vorliegenden ärztlichen Äußerungen, insbesondere auch des Gutachtens des Dr. M. und dem HV-EB bestehe keine weitere Einschränkung des Leistungsvermögens, die die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung begründen würde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Gerichtsbescheid verwiesen.

Gegen den am 23. Juni 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. Juli 2010 Berufung eingelegt. Sein Bevollmächtigter trägt vor, der Kläger halte den angefochtenen Gerichtsbescheid für rechtswidrig und sei der nachhaltigen Auffassung, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein zu können. Die Entscheidung des SG sei für den Kläger nicht nachvollziehbar. Insbesondere sei der im November 2008 erlittene Schlaganfall nicht ausreichend gewürdigt. Die Aussage der Dr. W. beruhe auf einer einzigen Untersuchung. Ferner bestünden weiter Herzrhythmusstörungen. Hierzu hat der Kläger noch eine schriftliche Äußerung der Ergotherapeutin S. vom 25. März 2011 vorgelegt (Z. n. Apoplex, Hemiparese rechts, der Kläger komme immer zuverlässig und motiviert in die Therapie, klage über zunehmende Schmerzen beim Gehen im rechten Bein, Fuß und Hüfte, die nach kurzer Zeit aufträten und bei längeren Gehstrecken stark zunähmen, weswegen es ihm nicht mehr möglich sei, einen längeren Spaziergang zu machen, der Kläger könne das Gezeigte gut in den Alltag umsetzen, eine Fortführung der Therapie sei aus ergotherapeutischer Sicht sinnvoll, um eine Verschlechterung des Krankheitsbildes aufzuhalten).

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 11. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Mai 2009 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Aus dem Berufungsvorbringen ergebe sich nichts wesentlich Neues. Sie bezieht sich auf ihre vorgelegten Akten und den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente - § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil er zumindest leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten kann. Der Senat schließt sich dem unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren und der vorgelegten Unterlagen nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend ist anzumerken, dass sich für den Senat bereits aus dem HV-EB vom Januar 2009 ergibt, dass der im November 2008 erlittene Schlaganfall keine Folgen hinterlassen hat, die einer leichten Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entgegenstehen. Der Kläger ist in fortlaufender ergotherapeutischer Behandlung, was auch zu einer Besserung führt. Dies ergibt sich auch aus dem Ergebnis der Untersuchung des Kardiologen Dr. M. in seinem auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholten Sachverständigengutachten. Danach sind wesentliche Einschränkungen, die leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes entgegenstehen, auch auf neurologischem Fachgebiet nicht ersichtlich. Auch die vom SG gehörte Neurologin Dr. W. hat sich ausdrücklich den Befunden und Schlussfolgerungen im HV-EB vom Januar 2009 angeschlossen und auch der Orthopäde Dr. E. hat keine relevante Befundänderung erkennen können. Im Übrigen bestehen auch auf kardiologischem Fachgebiet keine Einschränkungen, die leichten beruflichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes entgegenstünden oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbeeinträchtigung bedingten, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich machen könnten. So ist der Kläger bei der Untersuchung bei Dr. M. bis 125 Watt belastet worden. Die Belastungsmessung wurde ohne relevanten kardiologischen Befund abgebrochen. Belastungen bis 100 Watt entsprechen nicht nur leichten beruflichen Tätigkeiten sondern zumindest mitteschweren beruflichen Tätigkeiten, so dass auch auf kardiologischem Fachgebiet eine wesentliche Leistungsminderung nicht feststellbar ist.

Da das SG somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, weist der Senat die Berufung zurück. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved