L 2 U 546/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 91/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 546/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 246/11 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
- Pentachlorphenol und Lindan sind unterschiedlichen BK-Nummern zuzuordnen. Lindan gehört zu den BK-Nr. 1302 und 1310, Pentachlorphenol zur BK-Nr. 1310.
- Formaldehyd ist der BK Nr. 5101 zuzuordnen.
- Ein MCS-Syndrom ist nicht als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. September 2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Berufskrankheit.

Mit Schreiben vom 24.05.1994 zeigte die Hautärztin und Allergologin Dr.J., T., der Beklagten an, dass bei der Klägerin gesundheitliche Probleme infolge von Gelenk- und Muskelschmerzen sowie Schwindel, Sehstörungen und Lymphknotenschwellungen aufgetreten seien, die möglicherweise auf eine toxische Belastung gegenüber den Stoffen Pentachlorphenol, Lindan und Formaldehyd am Arbeitsplatz der Klägerin zurückzuführen seien. Diese sei als Verwaltungsangestellte des Landratsamtes B. tätig. Der Beklagte führte daraufhin ein Feststellungsverfahren durch.

Mit Bescheid vom 28.08.1996 lehnte der Beklagte die Entschädigung der geltend gemachten Beschwerden gemäß § 551 Abs.1 und 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ab, da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den aufgetretenen Beschwerden und der beruflichen Tätigkeit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei und auch keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für eine Bezeichnung einer der genannten Erkrankungen als Berufskrankheit vorlägen. Insbesondere habe anhand der Untersuchungen im biologischen Material bzw. durch Messungen in der Raumluft eine gesundheitsgefährdende Belastung gegenüber den Stoffen von Formaldehyd, Pentachlorphenol (PCP) bzw. Lindan nicht nachgewiesen werden können.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde eine weitere arbeitsplatzanalytische Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 07.04.1997 eingeholt. Danach zeigten die Messergebnisse der Landesgewerbeanstalt Bayern vom 21.01.1997 die Einhaltung der Richtwerte des Bundesgesundheitsamtes für PCP und Lindan. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.1997 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der im Anschluss daran beim Sozialgericht München geführte Rechtsstreit (Az.: S 20 U 601/97) wurde durch Klagerücknahmeerklärung vom 10.08.1999 beendet.

Mit Schreiben vom 21.07.2000 wurde eine Überprüfung des Bescheides vom 28.08.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.1997 gemäß § 44 des Zehnten Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) beantragt. Schon aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen der toxischen Belastung durch die im Landratsamt B. bestehenden Innenraumschadstoffe und den aufgetretenen gesundheitlichen Leiden der Klägerin sowie dem Auftreten von für eine solche Belastung typischen Reaktionen sei der kausale Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit zu begründen. Ferner seien die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen auch im Hinblick auf die Ziffern 1302 sowie 1310 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) zu prüfen.

Das Landratsamt B. übersandte die Messergebnisse des Instituts für Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit und Emissionsschutz Dr.A. vom 16.06.1993 hinsichtlich einer Überprüfung der PCP- und Lindanbelastung. Des Weiteren wurde die Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin bei der DAK eingeholt. In seiner gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 01.02.2002 führte der Facharzt für Arbeitsmedizin Dr.H. aus, dass keine neueren Erkenntnisse über das Vorliegen einer Berufskrankheit Nrn.1310 oder 1302 vorlägen, um die haftungsausfüllende Kausalität belegen zu können. Die Klägerin habe sich bereits ab 1987 in stationär-psychosomatischer Behandlung befunden. Es spreche Vieles dafür, dass die geklagten Beschwerden im Rahmen einer psychosomatischen Erkrankung zu werten seien und auch dementsprechend therapeutisch angegangen werden sollten. Am 17.05.2002 erging Bescheid des Beklagten, mit dem festgestellt wurde, dass die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides vom 28.08.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.1997 nicht vorlägen.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde damit begründet, dass für die Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen einer Berufskrankheit nur die Messergebnisse für den Zeitraum bis 1996 herangezogen werden könnten, da zwischenzeitlich umfangreiche Sanierungen durchgeführt worden seien. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2003 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 12.02.2003 Klage beim Sozialgericht München (SG) (Az.: S 24 U 90/03). Parallel hierzu wurde in dem Verfahren S 9 U 454/99, dessen Streitgegenstand eine BK Nr. 5101 war, ermittelt.

In diesem Verfahren wurde ein Gutachten des Internisten Wolfgang M. vom 19.03.2003 eingeholt. Dieser lehnte eine BK Nr. 5101 ab. Bei der Klägerin liege kein schweres manifestes organisches Leiden vor, aber ein komplexes Krankheitsbild, das wohl vor allem auf einer psychovegetativen Erschöpfungssymptomatik beruhe. Das SG zog in dem Verfahren auch einen Befundbericht der Klinik St.I. vom 19.07.1989 bei, des Weiteren des Bezirksklinikum G. vom Oktober 1992. Anschließend erstellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.M. am 18.07.2004 ein nervenärztliches Gutachten nach Untersuchung. Bei der Klägerin stehe eine schwere neurotische Persönlichkeitsentwicklung mit einer Somatisierungsstörung im Vordergrund, die bereits 1992 im Rahmen eines dreimonatigen stationären Aufenthaltes im Bezirkskrankenhaus G. ausführlich beschrieben worden sei. Eine BK Nr.1302/1310 der Anlage zur BKV vom 13.10.1997 liege nicht vor.

In dem Verfahren S 24 U 90/03 holte das Sozialgericht München ein Gutachten auf arbeitsmedizinischem Fachgebiet vom 09.10.2004 bei Prof.Dr.N. ein. Zusammenfassend kam dieser zum Ergebnis, dass die Klägerin im Zeitraum von 1980 bis 1995 in den Büroräumen des Landratsamtes B. R. zwar stark erhöhten PCP- und Lindankonzentrationen im oberflächlichen Holz ausgesetzt war, jedoch keine erhöhten Werte in der Raumluft gemessen worden waren. Ein Biomonitoring bei der Klägerin im Jahre 1994 habe keine erhöhte Belastung ergeben. Die bei der Klägerin bereits ab den 70-er Jahren bestehende Beschwerdesymptomatik mit Schwächegefühl, Kollapszuständen, Infektneigung und Wirbelsäulenschmerzen habe sich im Laufe der 80-er Jahre weiter verstärkt. Hinzu gekommen seien eine Migräneerkrankung sowie im weiteren Verlauf Symptome einer multiplen Chemikaliensensitivität. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand bestehe kein Kausalzusammenhang zwischen einer Lindan- und PCP-Exposition, die bei der Klägerin nicht zu einer erhöhten Konzentration im Körper geführt habe, so dass eine Anerkennung als BK Nrn. 1302 bzw. 1310 nicht erfolgen könne. Die Ursache der Beschwerden der Klägerin liege in einem MCS-Syndrom, alternativ wäre an ein Fibromyalgiesyndrom oder ein Chronic-Fatigue-Syndrom zu denken.

In dem Verfahren S 9 U 454/99 wurde ein Gutachten auf umweltmedizinischem Fachgebiet bei Prof.Dr.H. eingeholt. Dieser kam am 15.07.2005 zum Ergebnis, dass bei der Klägerin vermehrte Entzündungszeichen sowie eine Verminderung der Abwehrlage nachzuweisen seien, ebenso wie eine vermehrte Infektanfälligkeit bei erhöhter Pentachlorphenol- und Lindanbelastung und eine mittelgradige Encephalopathie. Es lägen somit zusammenfassend bei der Klägerin krankhafte Befunde im Sinn der BK Nrn. 1302 bzw. 1310 vor.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 23.03.2006 nahm Prof.Dr.N. zu dem Gutachten des Prof.Dr.H. Stellung. Er schloss sich dessen Ausführungen nicht an.

Mit Urteil vom 08.09.2009 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung berief es sich auf die Gutachten des Dr.M., des Dr.M. und des Prof.Dr.N ...

Hiergegen hat die Klägerin am 18.12.2009 Berufung eingelegt. Diese hat sie am 06.09.2010 begründet und sich hierbei auf das Gutachten des Prof.Dr.H. berufen.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.09.2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2003 aufzuheben und festzustellen, dass bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach den Ziffern 1302 und 1310 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt, und den Beklagten zu verurteilen, hieraus die gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Es besteht kein Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 28.08.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.1997 gemäß § 44 SGB X.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK nach § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. Nrn. 1302, 1310 der Anlage 1 zur BKV sowie nach § 551 Abs. 2 RVO.

Das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.09.2009 ist nicht zu beanstanden.

Der Anspruch der Klägerin ist noch nach den Vorschriften der RVO zu beurteilen, da eine etwaige BK vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten wäre (Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, §§ 212, 214 Abs. 3SGB VII in Verbindung mit § 580 RVO).

Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall eine BK. BK´en sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer in den §§ 539, 540 und 543 bis 547 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Die Bundesregierung ist durch § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Das Recht der BK´en beruht auf dem in der gesetzlichen Unfallversicherung allgemein geltenden Verursachungsprinzip. Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist daher zum einen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK in der Person des Versicherten gegeben sein müssen, zum anderen, dass das typische Krankheitsbild dieser BK vorliegen muss und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist.

Eine BK nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV liegt bei der Klägerin nicht vor. Darunter fallen Erkrankungen durch Halogen-Kohlenwasserstoff. Diese stellen Verbindungen von Kohlenwasserstoff mit Fluor, Chlor, Brom und Jod dar (Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung M 1302, S. 11). Hexachlorcyclohexan (Lindan), dem die Klägerin ausgesetzt war, gehört zur BK Nr. 1302.

Das von der Klägerin für ihre Gesundheitsstörungen angeschuldigte Formaldehyd ist dagegen kein Halogen-Kohlenwasserstoff, da es sich hierbei um eine Verbindung aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff handelt. Eine hierbei mögliche BK nach Nr. 5101 der Anlage zur BKV ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. PCP ist hingegen unter der BK Nr. 1310 eingeordnet (Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl-, und Alkylaryloxide). Eine Belastung mit Lindan (HCH) ist grundsätzlich von den BK´en Nrn. 1302 und 1310 erfasst (vgl. auch BayLSG vom 17.09.2003, Az.: L 17 U 365/98 und vom 30.05.2006,
Az.: L 17 U 275/03).

Prof.Dr.N. führt in seinem überzeugenden Gutachten vom 09.10.2004 für das Sozialgericht aus, dass bei einem Biomonitoring für keinen der beiden Stoffe bei der Klägerin eine erhöhte Belastung nachgewiesen worden ist. Die von der Klägerin geäußerten Beschwerden bestanden zum Großteil schon vor dem Zeitraum der möglichen Exposition ab 1980. Nach 1980 ist nach Angaben der Klägerin eine menstruationsabhängige Migräne aufgetreten. Im weiteren Verlauf stand eine Verstärkung des schon ab ca. 1970 vorhandenen Erschöpfungszustandes und hypotoner Kreislaufregulation mit Kollapszuständen im Vordergrund. Auch nach Tätigkeitsende ist es zu keiner Besserung der Beschwerdesymptomatik gekommen. Insgesamt entspricht das komplexe Beschwerdebild der Klägerin nicht einer chronischen Intoxikation durch Hexachlorcyclohexan (Lindan) oder Pentachlorphenol.

Gefahrenquellen sind gemäß dem vom Senat ergänzend herangezogenen Merkblatt zur BK Nr. 1302 (Bek. Des BMA vom 29.03.1987, BABl. 6/1985) das Herstellen, Abfüllen, Verpacken, Transportieren und Anwenden der genannten chemischen Verbindungen. Die Klägerin war jedoch bei der Büroarbeit in dieser unmittelbaren Form weder Lindan noch PCP ausgesetzt.

Darüber hinaus lässt sich die von Prof.Dr.H. bei der Klägerin diagnostizierte Encephalopathie nicht nachvollziehen. So hat bereits der Sachverständige und Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.M. in seinen Gutachten vom 18.07.2004 ausgeführt, dass bei der Klägerin eine schwere Somatisierungsstörung, ausgeprägte neurotische Primärpersönlichkeit mit histrionischem Persönlichkeitsanteil und eine einfache Migräne vorliegt. Das EEG, EMG und die Neurographie gaben keinen Hinweis für eine peripher neurogene Schädigung oder zerebrale Funktionsstörungen. Eine Enzephalopathie ist damit nicht nachgewiesen, so dss eine BK Nr. 1302 der Anlage zur BKV ausscheidet.

Aber auch eine BK nach Nr. 1310 - Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide - liegt bei der Klägerin nicht vor. Hierzu gehören, wie dargelegt, sowohl PCP als auch Lindan. Allerdings sind nach dem Merkblatt zur BK Nr. 1310 (Bek. des BMA vom 10.07.1979, BABl. 7/8/1979) zum einen chronische Vergiftungen bei PCP-Belastungen wissenschaftlich nicht erwiesen.

Den Nachweis einer Pentachlorphenolbelastung der Klägerin begründete Prof.Dr.H. mit aktenkundigen Laborbefunden. Zum einen lag eine PCP-Bestimmung im Stuhl vor, die auch Prof.Dr.N. bei der Begutachtung berücksichtigte. Zum zweiten existiert eine PCP-Bestimmung im Serum aus dem Jahr 1991, in der ein Wert von 30 Mikrogramm pro Liter angegeben war. Dies hatte Prof.Dr.H. als eindeutig erhöhten Wert eingestuft. Nach Auffassung von Prof.Dr.N. war der bei der Klägerin gemessene Wert zwar relativ hoch, jedoch nicht als eindeutig pathologisch zu bewerten.

Prof.Dr.N. vermutet bei der Klägerin neben einer starken psychovegetativen Erschöpfung ein MCS-Syndrom. Dies ist eine erworbene Störung, die durch rezidivierende Symptome an mehreren Organsystemen charakterisiert ist. Die Symptome werden auf eine Vielzahl chemisch nicht verwandter Verbindungen in Dosen, die unterhalb von Konzentrationen liegen, welche in der Allgemeinbevölkerung Gesundheitsstörungen hervorrufen können, bezogen. Laut Prof.Dr.N. kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch eine unterschwellige Exposition gegenüber Lindan und PCP zur Auslösung der MCS-Symptomatik bei der Klägerin geführt haben könnte. Nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen könne dieser Zusammenhang jedoch nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit bejaht werden.

Auch eine Anerkennung einer MCS-Erkrankung über die Öffnungsklausel nach § 551 Abs. 2 RVO (jetzt § 9 Abs. 2 SGB VII) als sogenannte Quasi-BK ist nicht möglich, da dieser Leistungsfall zum einen nicht streitgegenständlich ist, zum anderen die folgenden Voraussetzungen nicht erfüllt sind:
1. Die Erkrankte muss einer Personengruppe angehören, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist.
2. Die besonderen Einwirkungen müssen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft generell geeignet sein, eine bestimmte Erkrankung zu verursachen. Diese Eignung muss anhand einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und einer langfristigen zeitlichen Überwachung derartiger Krankheitsbilder nachgewiesen sein.
3. Die Erkenntnisse müssen neu sein.
4. Der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der gefährdenden Tätigkeit muss im konkreten Fall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststehen (zum Ganzen z.B. BayLSG vom 12.01.2005, Az.: L 2 U 66/03; vom 18.10.2007, Az.: L 3 U 267/93).

Auch das Gutachten des Prof.Dr.H. vom 15.07.2005 kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Dieser hat bei der Klägerin vermehrte Entzündungszeichen mit Verringerung der Abwehrlage als nachgewiesen angesehen sowie eine vermehrte Infektanfälligkeit bei erhöhter Pentachlorphenol- und Lindanbelastung und eine mittelgradige Encephalopathie. Er begründete dies damit, dass ausgeprägte Pentachlorphenol- und Lindanbelastungen von Holz- und Staubproben nachgewiesen worden seien. Diese Diagnose wird von Prof.Dr.N. in Frage gestellt. Laut seiner Einschätzung ist bei der Klägerin lediglich pathologisch eine leichte Verminderung der suppressor-zytotoxischen T-Lymphozyten
CD 8. Aus der wissenschaftlichen Literatur ist laut Prof.Dr.N. nicht bekannt, dass eine isolierte geringfügige Erniedrigung der CD 8 T-Lymphozyten zu einer klinischen relevanten Beeinträchtigung des Immunsystems und zu dem Beschwerdebild führen könnte.

Der Bescheid der Beklagten vom 26.08.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.1997 entspricht damit der Rechtslage. Eine Aufhebung gemäß § 44 SGB X wurde zu Recht abgelehnt.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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