L 10 U 2610/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 245/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2610/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 07.04.2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2006 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 10.10.2005 ein Arbeitsunfall war.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Arbeitsunfalls streitig.

Der am 1955 geborene Kläger ist bei der Firma B. Haarkosmetik GmbH und Co KG (im Folgenden: Firma B. ) als Lagerist beschäftigt. Am 10.10.2005 gegen 9.00 Uhr hob er aus einem Regal aus ca. zwei Meter Höhe eine 12-Liter Kiste mit Shampoo und verspürte dabei in der linken Schulter einen ziehenden Schmerz.

Am 18.10.2005 stellte sich der Kläger bei dem Allgemeinarzt Dr. L. vor und klagte über Schmerzen in der linken Schulter und am rechten Ellenbogen. Dr. L. bescheinigte Arbeitsunfähigkeit und veranlasste die Vorstellung bei dem Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. W. , den der Kläger noch am selben Tag aufsuchte. Die von Dr. W. durchgeführte Röntgenuntersuchung erbrachte keinen krankhaften Befund. Bei der klinischen Untersuchung gab der Kläger Schmerzen beim Heben des Armes über die Horizontale an; im Bereich der linken Schulter fand Dr. W. u.a. die proximale Bizepssehne unterhalb des Deltamuskelrandes druckempfindlich, ohne dass ein Hinweis auf eine Ruptur vorlag. Dr. W. ging von einer Überlastung der Bizepssehne aus (Arztbrief vom 18.10.2005). Wegen fortbestehender Schmerzen suchte der Kläger in der Folgezeit mehrmals Dr. L. und dann erneut Dr. W. auf, der eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Schulter veranlasste, die am 04.11.2005 durchgeführt wurde und Zeichen einer Teilruptur der Supraspinatussehne zeigte. Deshalb wurde der Kläger am 14.02.2006 in der Orthopädischen Klinik Markgröningen operativ mittels arthroskopischer Naht behandelt.

Im Juni 2006 ging bei der Beklagten der vom Kläger unter dem 23.02.2006 ausgefüllte Unfallfragebogen der A. - Die Gesundheitskasse L.-B. ein, in dem der Kläger angegeben hatte, am 10.10.2005 einen Arbeitsunfall erlitten zu haben, als er aus zwei Meter Höhe eine 12-Liter Kiste mit Shampoo herunter lupfte und dabei in der linken Schulter einen ziehenden Schmerz verspürte.

Im August 2006 beantragte der Kläger das Ereignis vom 10.10.2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm wegen der Supraspinatussehnenruptur Verletztenrente zu gewähren. Er führte aus, als Lagerarbeiter beim Herunterheben einer schweren Kiste eine Supraspinatussehnenruptur erlitten zu haben.

Mit Bescheid vom 19.10.2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 10.10.2005 als Arbeitsunfall ab und führte zur Begründung aus, der Hergang des angeschuldigten Ereignisses sei nicht geeignet gewesen, eine Verletzung an der Schulter hervorzurufen. Bei dem geschilderten Mechanismus habe es sich um eine übliche muskuläre willentlich geführte Verrichtung gehandelt, die nicht über die Belastung des alltäglichen Lebens hinaus gegangen sei. Die Verletzung sei lediglich gelegentlich der versicherten Tätigkeit aufgetreten. Ursächlich hierfür seien die bereits vorbestehenden degenerativen Veränderungen im Bereich der rechten Schulter gewesen. Dies ergebe sich aus dem MRT-Befund vom 04.11.2005. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er habe die Kiste, die sich oben in einem Lagerregal befunden habe, mit einem Gewicht von ca. 12 kg über den Kopf heruntergehoben. Dabei handele sich um seine ständige Tätigkeit bei seinem Arbeitgeber. Eine solche Arbeit, wie das Überkopfheben von schweren Gegenständen übe er im alltäglichen Leben nicht willentlich ständig aus. Die in Rede stehende Ruptur habe er sich daher aufgrund seiner betrieblichen Tätigkeit zugezogen. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2006 wurde der Widerspruch mit der weiteren Begründung zurückgewiesen, bei dem geschilderten Hergang fehle es bereits an einem Unfallereignis, da seinen Schilderungen eine etwaige Fehlgängigkeit nicht zu entnehmen sei.

Am 15.01.2007 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben. Er hat den Ablauf des Ereignisses - wie zuvor - geschildert und unter Wiederholung auch seiner weiteren Ausführungen im Widerspruchsverfahren an seinem Begehren festgehalten.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG das Gutachten des Orthopäden Dr. L. aufgrund Untersuchung vom 21.06.2007 erhoben. Diesem gegenüber hat der Kläger das Ereignis dahingehend geschildert, dass er eine Kiste mit 12 Literflaschen Shampoo aus zwei Meter Höhe habe herab heben wollen, wobei ihm diese aus den Händen gerutscht sei und er, um ein Herabfallen der Kiste zu vermeiden, eine abrupte Oberkörperdrehung nach rechts durchgeführt habe, wodurch die Last der Kiste plötzlich ganz stark den linken Arm belastet habe und er mit diesem kräftig habe zupacken müssen. Er habe dabei einen Stich mit einem Rissgefühl in der linken Schulter verspürt. Der Sachverständige hat eine außergewöhnliche Belastung des linken Schultergelenks durch das Herabstürzen der ausgerutschten Kiste angenommen, die zu einer Verletzung der Sehne geführt habe. Ohne ungewöhnliche äußere Einflussnahme, quasi im Alltag wäre die Verletzung der Sehne nicht eingetreten. Seine Beurteilung sei nur dann anders, wenn die Beschwerden in der linken Schulter beim störungsfreien Herabheben der Kiste aufgetreten wären. Das SG hat darüber hinaus das Gutachten des Arztes für Orthopädie Prof. Dr. C. aufgrund Untersuchung des Klägers am 18.03.2008 eingeholt. Prof. Dr. C. hat als Unfallfolge eine folgenlos ausgeheilte Zerrung und Prellung der linken Schulter angenommen und ist davon ausgegangen, dass der Unfallmechanismus, wie ihn der Kläger zuvor schon bei dem Sachverständigen Dr. L. beschrieben habe, nicht geeignet gewesen sei, eine traumatisch bedingte Rotatorenmanschettenruptur herbeizuführen. Verantwortlich für die nachgewiesene Läsion sei vielmehr die Vorschädigung (Schultergelenksarthrose mit Einengung des Raumes unter dem Schulterdach).

Mit Urteil vom 07.04.2009 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, zur Annahme eines Arbeitsunfalls fehle es bereits an dem Erfordernis eines von außen auf den Körper des Klägers wirkenden plötzlichen und ungewollten Ereignisses. Es habe vielmehr ein durch die Willens- und Kraftanstrengung des Klägers inneres und von diesem gesteuertes Geschehen vorgelegen, das eine Einwirkung von außen gerade ausgeschlossen habe. Der erstmals gegenüber Dr. L. geschilderte Geschehensablauf sei nicht bewiesen, weshalb von dem bei Beginn des Verfahrens geschilderten Ereignisablauf und daher von einer kontrollierten Hebesituation auszugehen sei.

Gegen das ihm am 08.05.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.06.2009 Berufung eingelegt und geltend gemacht, den Unfallhergang gegenüber den Sachverständigen zutreffend geschildert zu haben. Er sei erstmals von Dr. L. um eine genaue Schilderung gebeten worden. Eine ausführliche Beschreibung habe die Beklagte nie gefordert. Auch der Personalleiter seines Arbeitgebers L. sei zu keinem Zeitpunkt angehört worden. Dieser könne den Arbeitsunfall bestätigen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 07.04.2009 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheides vom 19.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2006 festzustellen, dass das Ereignis vom 10.10.2005 ein Arbeitsunfall war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Der Senat hat Dr. L. schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört und eine Auskunft bei dem Praxisnachfolger des Dr. W. , dem Facharzt für Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Sch. , eingeholt. Ferner hat der Senat schriftliche Auskünfte des früheren Personalleiters der Firma B. L. eingeholt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 153 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig; die Berufung ist auch begründet.

Das SG hätte die Klage nicht abweisen dürfen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 19.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2006 ist rechtswidrig, soweit die Beklagte es abgelehnt hat, das Ereignis vom 10.10.2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Denn als der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Firma B. eine 12-Liter Kiste aus einer Höhe von ca. zwei Meter aus einem Regal heben wollte und dabei einen Schmerz verspürte, erlitt er einen Arbeitsunfall. Das Urteil des SG ist daher ebenso wie die angefochtenen Bescheide aufzuheben und antragsgemäß das Vorliegen eines Arbeitsunfalls festzustellen.

Rechtsgrundlage für die gerichtliche Feststellung, dass das angeschuldigte Ereignis ein Arbeitsunfall ist, ist § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Danach ist die gerichtliche Feststellung, dass ein Unfall ein Arbeitsunfall ist, nach ständiger Rechtsprechung (s. u.a. BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2) zulässig, auch wenn dies durch die Formulierung der genannten Regelung nicht ausdrücklich bestimmt ist.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII (zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt) ist danach in der Regel erforderlich (BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 11/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr.14), dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zum Unfallereignis geführt hat und letzteres einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine Krankheitsanlage war von überragender Bedeutung, wenn sie so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die Verursachung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen verursacht hätte. War die Krankheitsanlage von überragender Bedeutung, so ist die versicherte naturwissenschaftliche Ursache nicht als wesentlich anzusehen und scheidet als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts aus. Sie ist dann bloß eine so genannte Gelegenheitsursache.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Ereignis vom 10.10.2005 entgegen der Auffassung der Beklagten als Unfall zu bewerten, und zwar auch als Arbeitsunfall, weil es - was zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist - bei einer versicherten Tätigkeit eintrat. Unabhängig davon, wie sich das Ereignis im Einzelnen darstellte, ob sich beim Kläger die Schmerzen beim schlichten Herunterheben der Kiste plötzlich einstellten oder beim Nachfassen, als die Kiste herunterzufallen drohte, traten in ursächlichem Zusammenhang mit diesem Hebevorgang beim Kläger in der linken Schulter Schmerzen auf. Dass der Kläger bei diesem Ereignis am 10.10.2005 Schmerzen verspürte, ergibt sich aus sämtlichen Schilderungen des Klägers. Entsprechendes gab er gegenüber den behandelnden Ärzten Dr. L. und Dr. W. ebenso an, wie gegenüber seiner Krankenkasse in deren von ihm am 23.02.2006 unterzeichneten Unfallfragebogen. Auch der ehemalige Personalleiters L. der Firma B. hat in seiner dem Senat erteilten schriftlichen Auskunft von beim Kläger seinerzeit bei einem Hebevorgang aufgetretenen Schmerzen berichtet, weshalb der damalige Sicherheitsbeauftragte auch einen Unfallbericht erstellt habe. Das in Rede stehende Ereignis mit dem Ablauf, wie es zunächst vom Kläger im Unfallfragebogen dokumentiert und auch noch bis zum Beginn des Klageverfahrens geschildert wurde, wird als solches auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

Solche durch äußere Umstände zumindest mit hervorgerufene Schmerzzustände genügen für die Bejahung eines Gesundheitsschadens und damit eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung des Senats seit dem Urteil vom 15.03.2007, L 10 U 353/04). Hinsichtlich der für einen Arbeitsunfall erforderlichen äußeren Einwirkung auf den Körper ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. oder eine durch betriebliche Einflüsse hervorgerufene krankhafte Störung im Körperinneren genügen (vgl. BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R). Denn das Merkmal der äußeren Einwirkung dient lediglich der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden allein aufgrund innerer Ursachen, wie beispielsweise Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, und vorsätzlichen Selbstschädigungen. Dem entsprechend genügt für die Bejahung einer äußeren Einwirkung auch das hier in Rede stehende bloße Herunterheben der 12-Liter Kiste aus einem Regal in zwei Meter Höhe mit der damit verbundenen Belastung der linken Schulter. Dass es sich hierbei um einen willentlich gesteuerten Bewegungsablauf unter muskulärer Anspannung handelt, ist nicht von Bedeutung. Eine Fehlgängigkeit, wie dies von der Beklagten gefordert wird, bspw. durch ein schnelles Nachfassen, um ein Abrutschen der Kiste zu verhindern, ist nicht erforderlich.

Eine andere Beurteilung rechtfertigt insbesondere nicht die Entscheidung des BSG vom 12.04.2005 (a.a.O.). Soweit die Beklagte aus dieser Entscheidung abzuleiten versucht, dass ein Unfallereignis nur dann angenommen werden könne, wenn die vom Kläger heruntergehobene Kiste angefroren gewesen wäre, oder sich am Regal verhakt hätte und deshalb eine außergewöhnliche Kraftanstrengung erforderlich gewesen wäre, verkennt sie, dass das BSG für das Vorliegen einer äußeren Einwirkung gerade keine Fehlgängigkeit im Sinne eines besonderen oder ungewöhnlichen Geschehens verlangt hat, also auch keine außergewöhnliche Kraftanstrengung (auch wenn diese im entschiedenen Fall vorlag). In der genannten Entscheidung hat es vielmehr gerade deutlich gemacht, dass das Merkmal der äußeren Einwirkung lediglich der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund innerer Ursache sowie vorsätzlichen Selbstschädigungen dient. Entsprechend dem vom BSG entschiedenen Fall war auch vorliegend mit dem Hebevorgang in Bezug auf die 12-Liter Kiste eine äußere Kraftanstrengung verbunden, die der Kläger den Gegenkräften der Kiste entgegen setzte. Dies reicht für die Annahme einer äußeren Einwirkung auf den Körper des Klägers aus. Eine Fehlgängigkeit oder das Wirken einer zusätzlichen Kraft - wie in dem vom BSG entschiedenen Fall, in dem der vom dortigen Kläger anzuhebende Stein angefroren war - ist nicht erforderlich.

Was den anlässlich des Hebevorgangs eingetreten Gesundheitsschaden anbelangt, wofür - wie ausgeführt - auch der Eintritt eines Schmerzzustandes ausreichend ist, kann der Senat offen lassen, ob der beim Kläger aufgetretene Schmerz Ausdruck der von ihm angeschuldigten Supraspinatussehnenruptur ist, wie sie am 04.11.2005 dann kernspintomographisch nachgewiesen wurde. Denn auch ein bei dem Ereignis aufgetretener Schmerz anderer Ursache ist für die Annahme eines Gesundheitserstschadens und damit die Bejahung eines Unfalls im unfallversicherungsrechtlichen Sinn ausreichend. So geht der Senat im Hinblick auf die Ausführungen des Dr. W. in seinem Arztbrief vom 18.10.2005 davon aus, dass sich der beim Herunterheben der Kiste beim Kläger aufgetretene Schmerz jedenfalls als Überlastungsschmerz der Bizepssehne darstellte und unabhängig davon, ob es auch zu einer Supraspinatussehnenruptur kam, jedenfalls dadurch ein Gesundheitserstschaden auftrat, der die Anerkennung eines Arbeitsunfalls rechtfertigt. Dr. W. fand anlässlich seiner Untersuchung am 18.10.2005 bei einer Schmerzhaftigkeit beim Heben des linken Armes über die Horizontale nämlich auch die proximale Bizepssehne unterhalb des Deltamuskelrandes druckschmerzhaftig, ohne dass er einen Hinweis auf eine Ruptur fand, so dass es für den Senat durchaus schlüssig und nachvollziehbar ist, dass er von einer Überlastung der Bizepssehne ausging und den vom Kläger geklagten Schmerz als Überlastungsschmerz interpretierte.

Nichts anderes gilt, wenn man mit dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. C. von einer folgenlos ausgeheilten Prellung/Zerrung ausgeht. Denn auch dann lag ein Gesundheitserstschaden vor, was für die Bejahung eines Unfalls - wie dargelegt - ausreicht.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt dem Ereignis auch nicht die Qualität eines "alltäglichen Ereignisses" in dem Sinn zu, dass dann ein ursächlicher Zusammenhang nach der Theorie der wesentlichen Bedingung für jegliche Gesundheitsstörungen - und damit auch für die hier maßgeblichen Schmerzzustände im Bereich der Bizepssehne - zu verneinen wäre. Denn das Herabheben einer ca. 12 kg schweren Kiste aus einer Höhe von zwei Metern ist keine geringe Belastung, für die nach der Kausalitätslehre kein Unfallversicherungsschutz besteht (vgl. hierzu ausführlich Urteil des Senats vom 15.10.2009, L 10 U 2011/09, juris). Es kommt daher auch nicht darauf an, ob es sich für den Kläger um eine im Beruf häufige oder gar alltäglich vorkommende Verrichtung handelte (Urteil des Senats vom 15.10.2009, a.a.O.).

Damit ist unabhängig davon, ob das Ereignis vom 10.10.2005 auch zu einer Supraspinatussehnenruptur führte, festzustellen, dass der Kläger jedenfalls einen Arbeitsunfall erlitt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
Saved