L 9 U 3551/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 3910/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3551/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob beim Kläger eine wesentliche Verschlimmerung eingetreten ist und ihm deswegen eine höhere Verletztenrente zusteht.

Der 1951 geborene Kläger wurde am 17.1.1984 als Beifahrer bei einem Zusammenstoß mit einem Pkw schwer verletzt, als er bei seiner Tätigkeit als Verkaufsfahrer in sein neues Aufgabengebiet eingeführt werden sollte. Hierbei zog er sich ein Schädel-Hirn-Trauma 3. Grades mit Hirnquetschungsblutungen und generalisierter Hirnschwellung, klinisch mit Koma und flüchtigem Mittelhirnsyndrom, einen knöchernen Patellarsehnenabriss links, multiple Schnittwunden im Gesicht sowie eine Peronaeusläsion links zu. Er wurde vom 17.1. bis 25.2.1984 in der Unfallchirurgischen Klinik Schwenningen stationär behandelt (Arztbrief von PD Dr. H. vom 8.3.1984). Vom 20.3. bis 17.4.1984 wurde er in den Kliniken Schmieder in Geislingen stationär behandelt (Bericht vom 19.4.1984).

Mit Bescheid vom 13.12.1985 gewährte die Beklagte dem Kläger vom 24.5.1985 bis 31.10.1985 eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. und ab 1.11.1985 um 20 v.H.

Zur Rentennachprüfung ließ die Beklagte den Kläger von PD Dr. H. und Oberarzt Dr. S. gutachterlich untersuchen. Diese stellten beim Kläger im Gutachten vom 2.2.1987 als Unfallfolgen eine Kraftminderung des linken Beines infolge Muskelverschmächtigung am linken Oberschenkel, einen Patellaschiebeschmerz, ein hinkendes Gangbild sowie glaubhafte subjektive Beschwerden fest, verneinten eine Besserung im Vergleich zum Gutachten vom 18.11.1985 und schätzten die MdE auf 20 v.H.

In einem weiteren Rentengutachten vom 27.4.1988 führten PD Dr. H. und Oberarzt Dr. J. aus, gegenüber den früheren Befunden (Gutachten vom 18.11.1985) sei eine geringe Befundänderung im Sinne einer Verschlechterung eingetreten. Es fänden sich ein vermehrter Bewegungsschmerz der Kniescheibe, ein deutliches Gelenkreiben und Knarren. Röntgenologisch finde sich eine vermehrte Sklerosierung der retropatellaren Gelenkfläche bei noch normal weitem Gelenkspalt sowie eine angedeutete mediale Gonarthrose. Die Unfallfolgen (reizlose Narbenbildung am linken Kniegelenk, druckschmerzhafte Kniescheibe und Ansatz der Kniescheibensehne am Schienbeinkopf, Gelenkreiben bei Beugung und Streckung bei eingeschränkter Beweglichkeit des Kniegelenks, Bewegungsschmerz der Kniescheibe, Muskelverschmächtigung des linken Ober- und Unterschenkels) bedingten eine MdE um 20 v.H. Wegen der jetzt wieder aufgetretenen Kopfschmerzen und Schwindelerscheinungen schlugen sie eine neurologische Zusatzbegutachtung vor.

Aufgrund der daraufhin in den Kliniken Schmieder durchgeführten Begutachtung führte Dr. N., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, im Gutachten vom 30.8.1988 aus, die vom Kläger geklagten Kopfschmerzen, die Schwindelerscheinungen, die vermehrte Reizbarkeit und die Akalkulie nach dem Unfall, besonders mit Beschwerdeverstärkung bei Wetterwechsel und unter psychischer Anspannung am Arbeitsplatz, seien in Zusammensicht mit der allgemeinen Verlangsamung, der sowohl am Arbeitsplatz als auch im privaten Leben zum Tragen kommenden Alkalkulie als Ausdruck einer persistierenden Enzephalopathie im Rahmen der Unfallfolgen anzusehen. Hinzu komme von neurologischer Seite die inkomplett ausgebildete, den Kläger nur geringgradig behindernde Peronaeusparese links. Die Beweglichkeitsminderung im linken Kniegelenk müsse von chirurgisch-orthopädischer Seite beurteilt werden. Es müsse von einer bleibenden erhöhten Empfindlichkeit des Gehirns und Belastungsminderung auf neurologisch-psychiatrischer Ebene ausgegangen werden, welche unter Stressbelastung (Arbeitsplatz, Umweltgeräusche) ihre Betonung finde. Die MdE auf nervenärztlichem Gebiet betrage 40 v.H.

Die Beklagte holte dazu eine beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 10.10.1988 ein, der ausführte, die im Gutachten von Dr. N. genannten Unfallfolgen seien anzuerkennen. Die Einschätzung der MdE erscheine angesichts einer tatsächlichen Teilleistungsfähigkeit und medikamentöser Ansprechbarkeit des Klägers überhöht. Empfohlen werde eine MdE um 30 v.H.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 22.11.1988 schätzte der Orthopäde Dr. S. die Gesamt-MdE ab 20.4.1988 (gutachterliche Untersuchung) mit 40 v.H. ein.

Mit Bescheid vom 28.12.1988 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 20.4.1988 eine Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H. Als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannte sie: "Kopfschmerzen, Schwindelerscheinungen, vermehrte Reizbarkeit und Minderbelastbarkeit, Einschränkung der Beweglichkeit im linken Kniegelenk mit Druckschmerzhaftigkeit und Gefühlsempfindungsstörungen in diesem Bereich, Minderung der Muskulatur des linken Ober- und Unterschenkels".

Einen Verschlimmerungsantrag des Klägers vom 30.6.2004 lehnte die Beklagte nach Einholung von Gutachten bei PD Dr. T., Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, vom 12.10.2004 (nebst ergänzender Stellungnahme vom 26.1.2005) und Dr. B., Direktor der Klinik für Neurologie, vom 26.11.2004 (Zusatzgutachten) sowie einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. Schifferer vom 21.2.2005 mit Bescheid vom 3.3.2005 ab. Dieser Bescheid wurde bindend.

Am 8.1.2008 beantragte der Kläger (mit Schreiben vom 3.1.2008) die Neufeststellung der Rente. Er trug vor, seit seinem Unfall leide er unter Schwindel, Migräne und starken Schmerzen im linken Knie, die mal stärker und mal ein wenig schwächer ausgeprägt seien. Wegen dieser Schmerzen werde er seit längerem von Dr. A. behandelt und sei auch zu einer Untersuchung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BG-Klinik) T. einbestellt worden.

Die Beklagte zog daraufhin Befundberichte der BG-Klinik vom 13.12.2007 und 26.2.2008 sowie von Dr. Ames vom 17.1.2008 bei und ließ den Kläger auf chirurgischem und neurologischem Gebiet begutachten.

Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der BG-Klinik T., führte in dem zusammen mit Dr. L. erstatteten Gutachten vom 8.5.2008 aus, eine wesentliche Änderung sei seit dem Gutachten vom 29.1.1988 nicht eingetreten. Die in früheren Gutachten angeführte Fußheberparese sei nicht mehr nachweisbar. Stattdessen habe die Retropatellararthrose im linken Knie in den letzten 20 Jahren etwas zugenommen. Die MdE betrage 20 v.H.

Prof. Dr. St. gelangte im Gutachten vom 26.5.2008 unter Mitberücksichtigung eines psychologischen Zusatzgutachtens zum Ergebnis, als Unfallfolge auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet liege beim Kläger ein leicht ausgeprägtes Psychosyndrom im Sinne einer Wesensänderung vor. Die vom Kläger angegebenen Kopfschmerzen kämen nunmehr 24 Jahre nach dem Unfall nicht mehr als Narbenkopfschmerzen in Betracht. Bei den anerkannten Unfallfolgen sei insofern eine Besserung eingetreten, als eine Peronaeuslähmung nicht mehr nachweisbar sei. Inwiefern hinsichtlich des organischen Psychosyndroms eine Besserung eingetreten sei, lasse sich nicht beurteilen, da beim maßgeblichen Vorgutachten keine psychologische Befunderhebung durchgeführt worden sei. Ein Vergleich sei somit nicht möglich. Die Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet bedingten eine MdE um 20 v.H.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 14.7.2008 schätzte Prof. Dr. W. die MdE insgesamt auf 40 v.H.

Mit Bescheid vom 24.7.2008 lehnte die Beklagte eine Neufeststellung der Rente - gestützt auf die Gutachten von Prof. Dr. W. und Prof. Dr. St. - ab, da sich die dem Bescheid vom 28.12.1988 zu Grunde liegenden Verhältnisse nicht wesentlich geändert hätten.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte nach Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen (Unterlagen des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. P., Arztbriefe der Neurologen und Psychiater Dr. M. vom 3.4.1991 und Dr. Feiner vom 4.12.2003 sowie des Radiologen Dr. K. vom 8.11.2007) mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2008 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 5.11.2008 Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen erhoben, mit der er (zuletzt) die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 50 v.H. begehrt hat. Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG Gutachten auf orthopädischem und neurologisch-psychiatrischem Gebiet eingeholt.

PD Dr. L., Direktor der Klinik für Orthopädie am Schwarzwald-Baar-Klinikum, ist im Gutachten vom 20.10.2009 zum Ergebnis gelangt, die Funktion und Leistungsfähigkeit sowie Funktionseinschränkung des linken Knies habe sich im Vergleich zum Vorgutachten vom 27.2.1988 nicht wesentlich verändert. Die Funktion des Nervus peronaeus habe sich verbessert; die motorische Lähmung habe sich komplett zurückgebildet. Eine Erhöhung der MdE auf orthopädischem Gebiet sei nicht zu rechtfertigen. Bei stabiler psychiatrischer und neurologischer Situation ergebe sich auch keine Erhöhung der Gesamt-MdE.

Dr. G., Arzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie, Psychotherapie und Innere Medizin, hat im Gutachten vom 9.2.2010 ausgeführt, hinsichtlich der Peronaeusläsion habe sich im Vergleich zum Gutachten von Dr. N. vom 30.8.1988 die Peronaeusparese etwas gebessert. So könne nunmehr eine Fußheberlähmung oder eine Zehenheberlähmung links nicht mehr festgestellt werden. Der Hackengang und der Hackenstand könnten mühelos durchgeführt werden. Hinsichtlich der motorischen Funktion sei eine Verbesserung der Peronaeusläsion eingetreten. Auffallend sei jedoch, dass Dr. N. im Gutachten vom 30.8.1988 keine Sensibilitätsstörungen beschreibe, die vom Nervenarzt Dr. K. in seinem Befund von 27.9.1984 und im Gutachten vom 25.10.1985 sowie vom Orthopäden Dr. S. im Gutachten von 22.11.1988 beschrieben worden seien. Als Unfallfolgen lägen ein Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma 1/1984 mit leichtem hirnorganischen Psychosyndrom und leichter Wesensveränderung sowie eine sensible Störung des Nervus peronaeus superficialis mit ausgeprägter Dysästhesie im Versorgungsgebiet dieses Nerven vor. Unfallunabhängig bestehe eine beginnende sensible periphere Polyneuropathie. Im Vergleich zur Vorbegutachtung von Dr. N. könne er seitens des hirnorganischen Psychosyndroms keine wesentliche Verschlimmerung feststellen. Allerdings müsse die sensible Störung im Peronaeus-Bereich links hervorgehoben werden, die Dr. N. nicht beschrieben habe. Er schätze die MdE hierfür auf 15 v.H., die MdE aufgrund des hirnorganischen Psychosyndroms auf 20 v.H. und die MdE auf seinem Fachgebiet auf 30 v.H. sowie unter Mitberücksichtigung der MdE auf orthopädisch-unfallchirurgischem Gebiet auf 50 v.H.

Prof. Dr. St. hat dazu unter dem 22.3.2010 ausgeführt, bezüglich der Peronaeusschädigung habe sich die motorische Lähmung zurückgebildet, so dass eine Verbesserung der Unfallfolgen eingetreten sei. Subjektive Beschwerden im Versorgungsgebiet des Nervus peronaeus seien von Anfang an als Unfallfolgen anerkannt worden, wie sich aus den Bescheiden vom 13.12.1985 und 28.12.1988 ergebe. Der komplette Ausfall des Nervus peronaeus sei nach der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger et al. 2009) mit einer MdE um 20 v.H. zu bewerten. Die Beeinträchtigungen des Klägers blieben weit dahinter zurück, so dass die MdE weit unterhalb von 20 v.H. liege. Ferner sei bei der Einschätzung der Teil-MdE auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet sowie bei der Bewertung der Gesamt-MdE eine integrierende Berechnung vorzunehmen und keine Addition.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 20.4.2010 hat Dr. G. ausgeführt, es sei zwar richtig, dass sich bezüglich der Peronaeusschädigung der motorische Anteil gebessert habe, nicht jedoch der sensible. Selbst wenn man für die sensible Schädigung des Nervus peronaeus lediglich eine MdE von 10 v.H. einsetzen würde, so ergebe sich eine MdE von 30 v.H. auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet. Er verbleibe deswegen bei seiner Einschätzung.

In einer weiteren Stellungnahme vom 17.5.2010 hat Prof. Dr. St. ausgeführt, die von Dr. G. beschriebene Gefühlsstörung handbreit oberhalb der Kniescheibe mit Ausstrahlung in den gesamten Unterschenkel, die Hyperpathie in der Mitte des Unterschenkels links lateral mit Ausbreitung über den gesamten Fußrücken einschließlich der Fußsohle entspreche nicht dem Versorgungsgebiet des Nervus peronaeus. Eine Objektivierung der sensiblen Nervus-peronaeus-Schädigung sei von Dr. G. durch elektrophysiologische Untersuchungen nicht erfolgt. Zusammenfassend ergäben sich aus den Ausführungen von Dr. G. keine neuen Gesichtspunkte.

Mit Urteil vom 24.6.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht eine Erhöhung der Verletztenrente im Wege der Neufeststellung abgelehnt. Der durch den Unfall vom 17.1.1984 ausgelöste Entschädigungsanspruch des Klägers sei zuletzt durch den Bescheid vom 28.12.1988 geregelt worden, womit dem Kläger eine Dauerrente nach einer MdE um 40 v.H. bewilligt worden sei. Die hierfür maßgeblichen gesundheitlichen Verhältnisse seien betreffend das unfallchirurgische Fachgebiet im Gutachten des PD Dr. H. vom 27.4.1988 und betreffend das nervenärztliche Fachgebiet im Gutachten des Dr. N. vom 30.8.1988 beschrieben worden. Was das unfallchirurgische Fachgebiet anbelange, hätten Prof. Dr. W. und Dr. L. im Gutachten vom 8.5.2008 eine wesentliche Änderung der für die Höhe der Rente maßgeblichen Verhältnisse nicht festgestellt. Auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet sei Prof. Dr. St. im Gutachten vom 26.5.2008 unter Einbeziehung des psychologischen Zusatzgutachtens zum Ergebnis gekommen, hinsichtlich der anerkannten Unfallfolgen sei insoweit eine Besserung eingetreten, als die Peronaeuslähmung nicht mehr nachweisbar sei. Soweit Dr. G. bei seiner Untersuchung eine unfallbedingte ausgeprägte sensible Störung im Versorgungsgebiet des Nervus peronaeus superficialis links festgestellt und mit einer MdE um 15 v.H. bewertet habe, vertrete Prof. Dr. St. die Auffassung, dass das von Dr. G. als gefühlsgestört angegebene Gebiet nicht dem Versorgungsgebiet des Nervus peronaeus entspreche. Dem Antrag des Klägers, ein weiteres Gutachten gem. § 109 SGG zur Feststellung einer weiterbestehenden Nervus peronaeus-Schädigung einzuholen, müsse das SG nicht folgen. Das SG unterstelle nämlich zu Gunsten des Klägers, dass bei ihm weiterhin eine Peronaeusschädigung mit einer Teil-MdE von 10 bis 15 v.H. vorliege. Unter Berücksichtigung des hirnorganischen Psychosyndroms mit einer Teil-MdE um 20 v.H. ergebe sich für das neurologisch-psychiatrische Gebiet keine höhere Teil-MdE als 30 v.H., wie von Dr. B. in der Stellungnahme vom 10.10.1988 angenommen. Unter Berücksichtigung der auf unfallchirurgischem Fachgebiet bestehenden Teil-MdE von 20 v.H. verbleibe es bei einer Gesamt-MdE von 40 v.H. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 5.7.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29.7.2010 Berufung eingelegt und vorgetragen, den Ausführungen im Urteil des SG könne nicht zugestimmt werden. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. G. sei aufgrund der deutlich verschlechterten Situation im Bereich des linken Beines eine wesentliche Verschlimmerung von mehr als 5 v.H. eingetreten. Zusammen mit der nach wie vor nicht gänzlich verschwundenen motorischen Nervenschädigung im Bereich des linken Beines sei hierfür eine Teil-MdE gegeben, die sich mit der orthopädischen Beeinträchtigung im Bereich des linken Kniegelenks nur rudimentär überschneide. Insgesamt sei die Beeinträchtigung stärker als bei der letzten Feststellung und rechtfertige eine Gesamt-MdE um 50 v.H.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Juni 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Januar 1984 ab dem 3. Januar 2008 nach einer MdE um 50 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuW.n.

Sie erwidert, sie halte das Urteil für zutreffend. Der Kläger stütze seine Berufung ausschließlich auf das nach § 109 SGG erstellte Gutachten von Dr. G ... Dem Gutachten könne weder hinsichtlich der MdE-Einschätzung auf seinem Fachgebiet noch bezüglich der von ihm vorgenommenen additiven Einschätzung der Gesamt-MdE gefolgt werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten, das SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf eine höhere Verletztenrente als nach einer MdE um 40 v.H. hat.

Rechtsgrundlage für die Neufeststellung der Rente ist § 48 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Nach dieser Vorschrift ist ein Anspruch auf Rente neu festzustellen, wenn in den für seine letzte Feststellungen maßgebend gewesenen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine solche liegt bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit vor, wenn sie mehr als 5 vom Hundert beträgt und sie - bei Rente auf unbestimmte Zeit - länger als drei Monate andauert (§ 73 Abs. 3 SGB VII). Ob eine wesentliche Änderung vorliegt, ist durch einen Vergleich der zum Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Verwaltungsaktes maßgeblichen Befunde mit denjenigen zu ermitteln, die zum Zeitpunkt der geltend gemachten Änderung vorliegen (BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18). Die wesentliche Änderung muss mit Wahrscheinlichkeit auf den erlittenen Arbeitsunfall wesentlich zurückzuführen sein und darf nicht durch andere, vom Arbeitsunfall unabhängige Umstände verursacht worden sein. Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit reicht nicht (ständige Rechtsprechung BSGE 19, 52; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass seit Erlass des Bescheides vom 28.12.1988 eine wesentliche Verschlimmerung in den Unfallfolgen nicht eingetreten ist und dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.1.1984 deswegen keine höhere Rente als nach einer MdE um 40 v.H. zusteht.

Maßgebliche Vergleichsgrundlage sind die Befunde, die dem letzten bindend gewordenen Bescheid, dem Bescheid vom 28.12.1988, mit dem die Dauerrente von 20 v.H. auf 40 v.H. erhöht worden war, zugrunde lagen. Diese sind in dem unfallchirurgischen Rentengutachten von PD Dr. H. und Dr. J. von 27.4.1988 und dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Dr. N. vom 30.8.1988 enthalten.

Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. H. und Dr. J. klagte der Kläger über zunehmende Kopfschmerzen seit ca. einem halben Jahr, zeitweise Schwindelerscheinungen, ein Spannungsgefühl, einen zeitweise stechenden Schmerz und ein Unsicherheitsgefühl im linken Kniegelenk, über Schwierigkeiten und Beschwerden bei Treppabgehen und Schmerzen beim plötzlichen Aufstehen nach längerem Sitzen sowie beim Gehen auf unebenem Boden. Neben näher beschriebenen Narben stellten die Gutachter eine deutliche Muskelverschmächtigung am linken Ober- und Unterschenkel (20 cm oberhalb des inneren Kniegelenkspalts um 4 cm; 15 cm unterhalb des inneren Gelenksspaltes um 1,5 cm), geringfügig verstrichene Gelenkkonturen, einen deutlichen Patellaschiebeschmerz, ein positives Zohlenzeichen, ein feinsandiges Gelenkreiben und Knarren im Femeropatellargelenk bei Beugung und Streckung, eine endgradige Einschränkung der Beweglichkeit im linken Kniegelenk (15° bzw. 5°), einen Druckschmerz an der Außenseite der Kniescheibe, im Bereich der unteren Patellapols und der Tuberositas tibiae sowie Sensibilitätsstörungen an der Außenseite des Kniegelenks im Sinne von Hyper- und Dysästhesien fest. Diesen Befund bewerteten sie mit einer MdE um 20 v.H.

Gegenüber Dr. N. gab der Kläger an, er fühle sich bei der Arbeit gehäuft durch Kopfweh und Schwindelerleben beeinträchtigt und das Brummen der Maschinen am Arbeitsplatz setze sich in seinem Kopf fort. Er benötige häufige Pausen und müsse beim Laufen aufpassen, um nicht über Unebenheiten im Boden zu stolpern. Der Gutachter stellte beim Kläger deutliche trophische Störungen bei verstrichenem Muskelrelief aufgrund von Inaktivitätsatrophien am linken Ober- und Unterschenkel, eine Minderung der groben Kraftentfaltung diskret im linken Ober- und Unterschenkelbereich bei deutlicher Peronaeusparese links mit Fußheberschwäche und Zehenheberschwäche links fest. Der Hackenstand war links nicht möglich. Das Aufrichten aus der Hocke war wegen Schmerzen im linken Knie nur mühsam möglich. Bei schnellem Gehen zeigte sich eine diskrete Schonhaltung des linken Knies. Dr. N. sah die vom Kläger angegebenen Kopfschmerzen, Schwindelerscheinungen, die vermehrte Reizbarkeit und die Akalkulie, besonders mit Beschwerdeverstärkung bei Wetterwechsel und unter psychischer Anspannung am Arbeitsplatz, als Unfallfolgen im Rahmen einer persistierenden Enzephalopathie an und schätzte die MdE - unter Einbeziehung der inkomplett ausgebildeten, den Kläger nur geringgradig behindernden Peronaeusparese links - auf nervenärztlichem Gebiet auf 40 v.H. Dieser MdE-Einschätzung folgte die Beklagte jedoch nicht, sondern schloss sich der MdE-Einschätzung von Dr. B. (MdE 30 v.H.) für die Unfallfolgen auf nervenärztlichem Gebiet an. Ausgehend von einer MdE um 30 v.H. auf nervenärztlichem Gebiet und einer MdE um 20 v.H. auf unfallchirurgischem/orthopädischem Gebiet bewertete Dr. S. die Gesamt-MdE auf 40 v.H. Hierauf basierte der Bescheid vom 28.12.1988.

Im Vergleich zu den oben genannten von PD Dr. H. und Dr. J. sowie Dr. N. erhobenen Befunden ist keine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung eingetreten, sondern vielmehr eine Besserung im Hinblick auf die Peronaeuslähmung. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund der Gutachten von Prof. Dr. W. vom 8.5.2008 (nebst ergänzender Stellungnahme vom 14.7.2008) und Prof. Dr. St. vom 26.5.2008 (nebst Stellungnahmen vom 22.3. und 17.5.2010), die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, sowie des Gutachtens von PD Dr. L. vom 20.10.2009. Der hiervon abweichenden Beurteilung von Dr. G. im Gutachten vom 9.2.2010 (nebst ergänzender Stellungnahme vom 20.4.2010) vermag sich der Senat dagegen nicht anzuschließen. Aus seinen Ausführungen ist schon nicht zu entnehmen, dass - unter Berücksichtigung der Besserung hinsichtlich der motorischen Funktion der Peronaeusläsion - eine wesentliche Verschlimmerung eingetreten ist, und dass die von ihm mit einer gesonderten Teil-MdE bewerteten Sensibilitätsstörungen erst nach Erlass des maßgebenden Bescheides vom 28.12.1988 aufgetreten sind.

Bei der gutachterlichen Beurteilung durch Prof. Dr. W. hat der Kläger starke Schmerzen im linken Knie, die beim Gehen zunehmen, sowie Anlaufbeschwerden im linken Knie nach längerem Sitzen sowie ständige Beschwerden beim Treppauf- und -abgehen angegeben. Neben Narben hat Prof. Dr. W. am linken Knie ein Streckdefizit von 15° und ein Beugedefizit von 5° bzw. 10° im Seitenvergleich sowie eine Muskelschwäche im Bereich des linken Oberschenkels (20 cm oberhalb des inneren Kniegelenkspalts von 4 cm) festgestellt. Die Zehenheberfunktion war regelrecht; die Fußheberparese war nicht mehr vorhanden. Für den Senat nachvollziehbar ist er angesichts dessen zum Ergebnis gelangt, dass eine wesentliche Änderung in den maßgeblichen Verhältnissen nicht eingetreten ist. Die Fußheberparese war nicht mehr nachweisbar, dagegen hat die Retropatellararthrose im linken Knie in den letzten 20 Jahren etwas zugenommen. Diese Beurteilung wurde durch das auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG bei PD Dr. L. eingeholte Gutachten bestätigt. Auch dieser hat eine wesentliche Verschlimmerung verneint und ausgeführt, es sei eine Verbesserung der Funktion des Nervus peronaeus festzustellen. Die motorische Lähmung habe sich komplett zurückgebildet. Es verbleibe eine dauerhafte schmerzhafte Dysästhesie im Verlauf des Nervus peronaeus.

Auf nervenärztlichem Gebiet ist ebenfalls keine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung eingetreten, wie Prof. Dr. St. nachvollziehbar ausgeführt hat. Er hat ein leicht ausgeprägtes organisches Psychosyndrom im Sinne einer Wesensänderung beim Kläger festgestellt und - ebenso wie zuvor Prof. Dr. W. und PD Dr. L. - ausgeführt, dass eine Besserung insoweit eingetreten sei, als die Peronaeusläsion nicht mehr nachweisbar sei. Die MdE für das leicht ausgeprägte organische Psychosyndrom hat er mit 20 v.H. eingeschätzt und ausgeführt, eine Besserung sei insoweit nicht feststellbar, da beim maßgeblichen Vorgutachten keine psychologische Befunderhebung durchgeführt worden sei. Bezüglich des organischen Psychosyndroms hat auch der gem. § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. G. keine wesentliche Verschlimmerung festgestellt. Soweit er aufgrund der von ihm festgestellten Sensibilitätsstörungen eine zusätzliche Teil-MdE von 15 v.H. bzw. von 10 v.H. annimmt und die Gesamt-MdE auf 50 v.H. einschätzt, ist seine Beurteilung nicht überzeugend. Zum einen hat er schon nicht dargelegt, dass die Sensibilitätsstörungen seit Erlass des Bescheides vom 28.12.1988 neu aufgetreten sind, zumal schon in diesem Bescheid Druckschmerzhaftigkeit und Gefühlsempfindungsstörungen im Bereich des linken Knies berücksichtigt wurden. Zum anderen hat er darüber hinaus nicht festgestellt - bei unterstelltem Neuauftritt der Sensibilitätsstörungen -, dass diese gravierender sind als die Besserung durch den Wegfall der motorischen Einschränkungen aufgrund der Peronaeusparese. Da damit schon eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen nicht nachgewiesen ist, kommt eine höhere Gesamt-MdE von vornherein nicht in Betracht.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved