Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 189/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 310/11 ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Vollstreckung aus einem Urteil des Sozialgerichts.
I. Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem mit der Berufung angefochtenen Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 6. Juni 2011 wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat dem Antragsgegner die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Gründe:
I.
In dem derzeit im Senat anhängigen Berufungsverfahren (Az.: L 2 U 311/11) ist streitig, ob ein beidseitiger Tinnitus weitere Folge der Berufskrankheit nach Nummer 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) ist und dem Kläger und Berufungsbeklagten wegen der Folgen der Berufskrankheit ab 1. Januar 2006 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. zu bewilligen ist.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2010 erkannte die Beklagte und Berufungsklägerin bei dem Kläger, der als Landmaschinenmechaniker tätig war, das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV an, lehnte jedoch einen Rentenanspruch hieraus ab. Auf die berufliche Exposition sei lediglich eine geringgradige Innenohrschwerhörigkeit im Hochtonbereich zurückzuführen, nicht jedoch der Anteil der Schwerhörigkeit, der nach dem 31. Dezember 2005 entstanden sei, sowie Ohrgeräusche (Tinnitus). Der Beklagte lag hierbei ein von ihr beauftragtes Gutachten des HNO-Arztes Dr. K. vom 15. Juni 2009 vor, der allerdings die Gesamt-MdE auf 20 v.H., höchstens 25 v.H. einschätzte. Der Sachverständige vertrat die Ansicht, dass für die gesamte, durch beruflichen Lärm bedingte MdE auch der Tinnitus zu berücksichtigen sei. Allerdings lägen auch berufsfremde Faktoren wie Hörstürze und starke psychische Belastungen als Auslöser für die Schwerhörigkeit und den Tinnitus vor.
Das Sozialgericht hat u.a. ein Gutachten des HNO-Arztes Dr. F. vom 22. November 2010 eingeholt. Bei dem Kläger sei von einer multikausalen Schwerhörigkeit auszugehen. Im Vordergrund stehe jedoch die berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit. Als natürlichen Krankheitsverlauf müssten die beiden Hörsturzereignisse eingestuft werden. Hinzu komme eine ausgeprägte psychosomatische Problematik und Belastung. Die MdE betrage auf HNO-ärztlichem Fachgebiet insgesamt 35 v.H., wobei auf die berufliche Exposition ein Anteil von 25 bis 30 v.H. entfalle. Unter Berücksichtigung der neurologischen Beeinträchtigungen sei die Gesamt-MdE auf 40 v.H. einzuschätzen.
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des beratenden HNO-Arztes Dr. Z. vom 21. Januar 2011 den Klageanspruch abgelehnt, der insbesondere die Ansicht vertreten hat, dass der Tinnitus im Rahmen eines Hörsturzes entstanden sei. Die Hörverschlechterung links gegenüber rechts sei nicht Folge der Berufskrankheit. Bei Anwendung der Symmetrieregel ergebe sich ein beruflich bedingter Hörverlust beidseits von 30 % und somit eine MdE von nur 15 v.H., bei Anwendung der Vorschadensregelung sogar nur von 10 v.H. Dr. F. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 2. März 2011 an dem Ergebnis seiner HNO-fachärztlichen Einschätzung festgehalten. Dr. Z. ist in einer weiteren Stellungnahme vom 29. März 2011 ebenfalls bei seiner Einschätzung verblieben.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 6. Juni 2011 unter Abänderung der streitgegenständlichen Bescheide festgestellt, dass der beidseitige Tinnitus des Klägers ebenfalls Folge seiner Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV sei, und die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen der Berufskrankheit ab 1. Januar 2006 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu bewilligen. Es hat sich hierbei vor allem auf das Gutachten des Dr. F. gestützt. Allerdings sei die MdE auf lediglich 20 v.H. einzuschätzen, da neben dem Tinnitus nur die bereits anerkannte geringgradige Innenohrschwerhörigkeit als berufsbedingt zu berücksichtigen sei. Anders als Dr. F. dies beurteilt habe, liege nicht nur eine geringe, sondern eine deutliche Asymmetrie der Schwerhörigkeit vor.
Zur Begründung der hiergegen eingelegten Berufung hat die Beklagte vorgebracht, dass sich weder das Sozialgericht noch Dr. F. mit der Frage auseinander gesetzt hätten, in welcher Weise aufgrund des Hörsturzes Anfang der 90er Jahre und aufgrund der Asymmetrie ein Vorschaden zu berücksichtigen sei. Der Tinnitus habe sich in engem, auch zeitlichem Zusammenhang mit beruflichen Konflikten mit Vorgesetzten und beruflichen Veränderungen der persönlichen Arbeitsumgebung ganz erheblich verschlechtert. Der Krankheitsverlauf des Tinnitus im Zusammenhang mit den beiden Hörstürzen und psychischen beruflichen Belastungen sowie mit einer erheblichen Verschlimmerung nach dem Ende der gefährdenden Lärmbelastung spreche nachdrücklich gegen eine berufliche Ursache. Schließlich sei zumindest ein Verschlimmerungsanteil durch den zweiten Hörsturz und die psychischen beruflichen Belastungen nicht hinreichend wahrscheinlich beruflich verursacht.
Zugleich hat die Beklagte und Antragstellerin mit Schriftsatz vom 13. Juli 2011 aus diesen Gründen die Aussetzung der Vollstreckung aus dem Urteil beantragt.
Eine Stellungnahme des Klägers und Antragsgegners ist hierzu innerhalb der Frist nicht eingegangen. Auch eine Berufungserwiderung wurde noch nicht eingereicht.
II.
Nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens sind die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts vom 6. Juni 2011 nicht erfüllt. Der nach § 199 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Antrag ist nicht begründet. Bei pflichtgemäßer Abwägung der Interessen beider Beteiligter ist ein nicht zu ersetzender Nachteil der Beklagten infolge der Zahlung der Rente als Urteilsrente nicht zu begründen.
Gemäß § 154 Abs. 2 SGG hat die von der Beklagten als Versicherungsträger eingelegte Berufung nur insoweit aufschiebende Wirkung, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteil nachgezahlt werden sollen. Für die Zeit nach Erlass des Urteils hat ein hierzu verurteilter Versicherungsträger die Rente, sog. Urteilsrente, zu zahlen. Wird das Ersturteil auf Berufung oder Revision aufgehoben, hat der Kläger die vorläufigen Zahlungen wieder zurückzuerstatten. Nach § 199 Abs. 2 SGG kann der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats die Vollstreckung aus dem Urteil durch einstweilige Anordnung aussetzen, soweit die Berufung - gemäß § 154 Abs. 2 SGG - keine aufschiebende Wirkung hat.
Die Entscheidung nach § 199 Abs. 2 SGG stellt eine Ermessensentscheidung (BSG vom 05.09.2001, Az.: B 3 KR 47/01 R) dar. In welcher Weise das Ermessen ausgeübt wird, wird dabei nicht näher definiert. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 06.08.1999 - Az.: B 4 RA 25/98 B) sind über § 198 Abs. 1 SGG die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Vollstreckung heranzuziehen. Insbesondere ist § 719 Abs. 1 in Verbindung mit § 707 ZPO zu beachten. Danach ordnet das Gericht die Einstellung der Zwangsvollstreckung an, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und zwar ggf. auch dann, wenn ein überwiegendes Interesse des Gläubigers dem entgegen steht. Der Vollstreckungsschuldner, hier die Beklagte, muss darlegen und glaubhaft machen, dass ihm durch die Vollstreckung ein nicht zu ersetzender Nachteil entstehen würde, wenn auch ein überwiegendes Interesse des Vollstreckungsgläubigers, hier des Klägers, der Aussetzung entgegen steht. Ein nicht zu ersetzender Nachteil liegt nur vor, wenn der durch die Vollstreckung eingetretene Schaden nachträglich nicht mehr rückgängig gemacht und nicht ausgeglichen werden kann (BSG, a.a.O.). Im Rahmen der Ermessensausübung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs mit zu berücksichtigen (Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 199 Rdnr. 8 m.w.N.).
Auch wenn der Senat unterstellen würde, dass aus finanziellen Gründen nach gegenwärtiger Sichtweise eine Rückforderung der vorläufig geleisteten Urteilsrente bei Erfolg der Berufung schwierig für die Beklagten ist, muss davon ausgegangen werden, dass dem Gesetzgeber derartige Schwierigkeiten bekannt gewesen waren und er gleichwohl diese Rechtsfolge in Kauf nahm. Hinzu kommt, dass nach der gegenwärtigen Gutachtenslage der Erfolg der Berufung zumindest ungewiss ist. Nicht nur der vom Sozialgericht gehörte Sachverständige Dr. F. kam nämlich zu dem Ergebnis, dass der Tinnitus wesentlich durch die berufsbedingte Exposition verursacht wurde, sondern auch der von der Beklagten im Verwaltungsverfahren gehörte Dr. K ... Dieser hatte ebenfalls ausdrücklich festgestellt, dass für die gesamte, durch beruflichen Lärm bedingte MdE auch der Tinnitus zu berücksichtigen ist. Dabei befasste sich, entgegen der Darlegung der Antragsstellerin, Dr. F. in seinem Gutachten und den ergänzenden Stellungnahmen auch mit der Asymmetrie des Tonschwellenaudiogramms. Auch Dr. F. sah und berücksichtigte mit seiner Einschätzung einer multikausalen Schwerhörigkeit die außerberuflichen Ursachen für die HNO-ärztlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen. Bei seiner Einschätzung stützte er sich auf Fachliteratur sowie das Königsteiner Merkblatt. Er hat sich in zwei ergänzenden Stellungnahmen auch eingehend mit der abweichenden Beurteilung des Dr. Z. auseinander gesetzt. Im Übrigen berücksichtigte auch Dr. K. in seinem Gutachten berufsfremde Faktoren wie die Hörstürze und starke psychische Belastungen als Auslöser für die Schwerhörigkeit und den Tinnitus.
Schließlich ist das Sozialgericht in seinem Urteil bei der Bewertung gerade der Asymmetrie nicht Dr. F., sondern der Ansicht des Dr. Z. gefolgt und hat dementsprechend die MdE deutlich niedriger als Dr. F. bewertet; das Sozialgericht steht dabei im Einklang mit dem Gutachten des Dr. K ... Auch hat es sich mit der Argumentation der Beklagten befasst, dass die Ohrgeräusche auf außerberuflichen Faktoren wie den Hörstürzen oder psychischen Belastungen beruhen - auch wenn es dann gemäß der Theorie der wesentlichen Bedingung im Ergebnis die wesentliche Ursache in der beruflichen Lärmexposition gesehen hat. Insoweit geht die Begründung des Antrags auf Aussetzung der Vollstreckung ins Leere.
Die Interessen des Antragsgegners an der laufenden Zahlung der Rente als Urteilsrente sind daher derzeit als höherwertig als die der Antragstellerin einzuschätzen. Der Senat kann dabei offen lassen, ob bei Berufungen, die nach § 154 Abs. 2 SGG keine aufschiebende Wirkung haben, die Aussetzung nur in Ausnahmefällen, nämlich wenn das Rechtsmittel offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat (BSGE 12, 138), auszusprechen ist.
Dem Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem mit der Berufung angefochtenen Urteil war daher nicht zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar; sie kann aber jederzeit aufgehoben werden (§ 199 Abs. 2 S. 3 SGG).
II. Die Antragstellerin hat dem Antragsgegner die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Gründe:
I.
In dem derzeit im Senat anhängigen Berufungsverfahren (Az.: L 2 U 311/11) ist streitig, ob ein beidseitiger Tinnitus weitere Folge der Berufskrankheit nach Nummer 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) ist und dem Kläger und Berufungsbeklagten wegen der Folgen der Berufskrankheit ab 1. Januar 2006 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. zu bewilligen ist.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2010 erkannte die Beklagte und Berufungsklägerin bei dem Kläger, der als Landmaschinenmechaniker tätig war, das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV an, lehnte jedoch einen Rentenanspruch hieraus ab. Auf die berufliche Exposition sei lediglich eine geringgradige Innenohrschwerhörigkeit im Hochtonbereich zurückzuführen, nicht jedoch der Anteil der Schwerhörigkeit, der nach dem 31. Dezember 2005 entstanden sei, sowie Ohrgeräusche (Tinnitus). Der Beklagte lag hierbei ein von ihr beauftragtes Gutachten des HNO-Arztes Dr. K. vom 15. Juni 2009 vor, der allerdings die Gesamt-MdE auf 20 v.H., höchstens 25 v.H. einschätzte. Der Sachverständige vertrat die Ansicht, dass für die gesamte, durch beruflichen Lärm bedingte MdE auch der Tinnitus zu berücksichtigen sei. Allerdings lägen auch berufsfremde Faktoren wie Hörstürze und starke psychische Belastungen als Auslöser für die Schwerhörigkeit und den Tinnitus vor.
Das Sozialgericht hat u.a. ein Gutachten des HNO-Arztes Dr. F. vom 22. November 2010 eingeholt. Bei dem Kläger sei von einer multikausalen Schwerhörigkeit auszugehen. Im Vordergrund stehe jedoch die berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit. Als natürlichen Krankheitsverlauf müssten die beiden Hörsturzereignisse eingestuft werden. Hinzu komme eine ausgeprägte psychosomatische Problematik und Belastung. Die MdE betrage auf HNO-ärztlichem Fachgebiet insgesamt 35 v.H., wobei auf die berufliche Exposition ein Anteil von 25 bis 30 v.H. entfalle. Unter Berücksichtigung der neurologischen Beeinträchtigungen sei die Gesamt-MdE auf 40 v.H. einzuschätzen.
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des beratenden HNO-Arztes Dr. Z. vom 21. Januar 2011 den Klageanspruch abgelehnt, der insbesondere die Ansicht vertreten hat, dass der Tinnitus im Rahmen eines Hörsturzes entstanden sei. Die Hörverschlechterung links gegenüber rechts sei nicht Folge der Berufskrankheit. Bei Anwendung der Symmetrieregel ergebe sich ein beruflich bedingter Hörverlust beidseits von 30 % und somit eine MdE von nur 15 v.H., bei Anwendung der Vorschadensregelung sogar nur von 10 v.H. Dr. F. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 2. März 2011 an dem Ergebnis seiner HNO-fachärztlichen Einschätzung festgehalten. Dr. Z. ist in einer weiteren Stellungnahme vom 29. März 2011 ebenfalls bei seiner Einschätzung verblieben.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 6. Juni 2011 unter Abänderung der streitgegenständlichen Bescheide festgestellt, dass der beidseitige Tinnitus des Klägers ebenfalls Folge seiner Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV sei, und die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen der Berufskrankheit ab 1. Januar 2006 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu bewilligen. Es hat sich hierbei vor allem auf das Gutachten des Dr. F. gestützt. Allerdings sei die MdE auf lediglich 20 v.H. einzuschätzen, da neben dem Tinnitus nur die bereits anerkannte geringgradige Innenohrschwerhörigkeit als berufsbedingt zu berücksichtigen sei. Anders als Dr. F. dies beurteilt habe, liege nicht nur eine geringe, sondern eine deutliche Asymmetrie der Schwerhörigkeit vor.
Zur Begründung der hiergegen eingelegten Berufung hat die Beklagte vorgebracht, dass sich weder das Sozialgericht noch Dr. F. mit der Frage auseinander gesetzt hätten, in welcher Weise aufgrund des Hörsturzes Anfang der 90er Jahre und aufgrund der Asymmetrie ein Vorschaden zu berücksichtigen sei. Der Tinnitus habe sich in engem, auch zeitlichem Zusammenhang mit beruflichen Konflikten mit Vorgesetzten und beruflichen Veränderungen der persönlichen Arbeitsumgebung ganz erheblich verschlechtert. Der Krankheitsverlauf des Tinnitus im Zusammenhang mit den beiden Hörstürzen und psychischen beruflichen Belastungen sowie mit einer erheblichen Verschlimmerung nach dem Ende der gefährdenden Lärmbelastung spreche nachdrücklich gegen eine berufliche Ursache. Schließlich sei zumindest ein Verschlimmerungsanteil durch den zweiten Hörsturz und die psychischen beruflichen Belastungen nicht hinreichend wahrscheinlich beruflich verursacht.
Zugleich hat die Beklagte und Antragstellerin mit Schriftsatz vom 13. Juli 2011 aus diesen Gründen die Aussetzung der Vollstreckung aus dem Urteil beantragt.
Eine Stellungnahme des Klägers und Antragsgegners ist hierzu innerhalb der Frist nicht eingegangen. Auch eine Berufungserwiderung wurde noch nicht eingereicht.
II.
Nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens sind die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts vom 6. Juni 2011 nicht erfüllt. Der nach § 199 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Antrag ist nicht begründet. Bei pflichtgemäßer Abwägung der Interessen beider Beteiligter ist ein nicht zu ersetzender Nachteil der Beklagten infolge der Zahlung der Rente als Urteilsrente nicht zu begründen.
Gemäß § 154 Abs. 2 SGG hat die von der Beklagten als Versicherungsträger eingelegte Berufung nur insoweit aufschiebende Wirkung, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteil nachgezahlt werden sollen. Für die Zeit nach Erlass des Urteils hat ein hierzu verurteilter Versicherungsträger die Rente, sog. Urteilsrente, zu zahlen. Wird das Ersturteil auf Berufung oder Revision aufgehoben, hat der Kläger die vorläufigen Zahlungen wieder zurückzuerstatten. Nach § 199 Abs. 2 SGG kann der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats die Vollstreckung aus dem Urteil durch einstweilige Anordnung aussetzen, soweit die Berufung - gemäß § 154 Abs. 2 SGG - keine aufschiebende Wirkung hat.
Die Entscheidung nach § 199 Abs. 2 SGG stellt eine Ermessensentscheidung (BSG vom 05.09.2001, Az.: B 3 KR 47/01 R) dar. In welcher Weise das Ermessen ausgeübt wird, wird dabei nicht näher definiert. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 06.08.1999 - Az.: B 4 RA 25/98 B) sind über § 198 Abs. 1 SGG die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Vollstreckung heranzuziehen. Insbesondere ist § 719 Abs. 1 in Verbindung mit § 707 ZPO zu beachten. Danach ordnet das Gericht die Einstellung der Zwangsvollstreckung an, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und zwar ggf. auch dann, wenn ein überwiegendes Interesse des Gläubigers dem entgegen steht. Der Vollstreckungsschuldner, hier die Beklagte, muss darlegen und glaubhaft machen, dass ihm durch die Vollstreckung ein nicht zu ersetzender Nachteil entstehen würde, wenn auch ein überwiegendes Interesse des Vollstreckungsgläubigers, hier des Klägers, der Aussetzung entgegen steht. Ein nicht zu ersetzender Nachteil liegt nur vor, wenn der durch die Vollstreckung eingetretene Schaden nachträglich nicht mehr rückgängig gemacht und nicht ausgeglichen werden kann (BSG, a.a.O.). Im Rahmen der Ermessensausübung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs mit zu berücksichtigen (Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 199 Rdnr. 8 m.w.N.).
Auch wenn der Senat unterstellen würde, dass aus finanziellen Gründen nach gegenwärtiger Sichtweise eine Rückforderung der vorläufig geleisteten Urteilsrente bei Erfolg der Berufung schwierig für die Beklagten ist, muss davon ausgegangen werden, dass dem Gesetzgeber derartige Schwierigkeiten bekannt gewesen waren und er gleichwohl diese Rechtsfolge in Kauf nahm. Hinzu kommt, dass nach der gegenwärtigen Gutachtenslage der Erfolg der Berufung zumindest ungewiss ist. Nicht nur der vom Sozialgericht gehörte Sachverständige Dr. F. kam nämlich zu dem Ergebnis, dass der Tinnitus wesentlich durch die berufsbedingte Exposition verursacht wurde, sondern auch der von der Beklagten im Verwaltungsverfahren gehörte Dr. K ... Dieser hatte ebenfalls ausdrücklich festgestellt, dass für die gesamte, durch beruflichen Lärm bedingte MdE auch der Tinnitus zu berücksichtigen ist. Dabei befasste sich, entgegen der Darlegung der Antragsstellerin, Dr. F. in seinem Gutachten und den ergänzenden Stellungnahmen auch mit der Asymmetrie des Tonschwellenaudiogramms. Auch Dr. F. sah und berücksichtigte mit seiner Einschätzung einer multikausalen Schwerhörigkeit die außerberuflichen Ursachen für die HNO-ärztlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen. Bei seiner Einschätzung stützte er sich auf Fachliteratur sowie das Königsteiner Merkblatt. Er hat sich in zwei ergänzenden Stellungnahmen auch eingehend mit der abweichenden Beurteilung des Dr. Z. auseinander gesetzt. Im Übrigen berücksichtigte auch Dr. K. in seinem Gutachten berufsfremde Faktoren wie die Hörstürze und starke psychische Belastungen als Auslöser für die Schwerhörigkeit und den Tinnitus.
Schließlich ist das Sozialgericht in seinem Urteil bei der Bewertung gerade der Asymmetrie nicht Dr. F., sondern der Ansicht des Dr. Z. gefolgt und hat dementsprechend die MdE deutlich niedriger als Dr. F. bewertet; das Sozialgericht steht dabei im Einklang mit dem Gutachten des Dr. K ... Auch hat es sich mit der Argumentation der Beklagten befasst, dass die Ohrgeräusche auf außerberuflichen Faktoren wie den Hörstürzen oder psychischen Belastungen beruhen - auch wenn es dann gemäß der Theorie der wesentlichen Bedingung im Ergebnis die wesentliche Ursache in der beruflichen Lärmexposition gesehen hat. Insoweit geht die Begründung des Antrags auf Aussetzung der Vollstreckung ins Leere.
Die Interessen des Antragsgegners an der laufenden Zahlung der Rente als Urteilsrente sind daher derzeit als höherwertig als die der Antragstellerin einzuschätzen. Der Senat kann dabei offen lassen, ob bei Berufungen, die nach § 154 Abs. 2 SGG keine aufschiebende Wirkung haben, die Aussetzung nur in Ausnahmefällen, nämlich wenn das Rechtsmittel offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat (BSGE 12, 138), auszusprechen ist.
Dem Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem mit der Berufung angefochtenen Urteil war daher nicht zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar; sie kann aber jederzeit aufgehoben werden (§ 199 Abs. 2 S. 3 SGG).
Rechtskraft
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