L 4 KR 149/11 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 KR 220/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 149/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
wegen einstweiliger Anordnung
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1) wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 28. Februar 2011 dahingehend abgeändert, dass der Antragsgegner zu 2) vorläufig verpflichtet wird, dem Antragsteller ab Antragstellung die Kosten der häuslichen Krankenpflege im Rahmen von vertragsärztlichen Verordnungen für das Setzen der Insulininjektionen (viermal täglich, siebenmal wöchentlich) nebst Bestimmung des Blutzuckers (viermal täglich, siebenmal wöchentlich) im Wohnheim der Lebenshilfe A-Stadt e.V., A.-Str. A-Stadt, bis zum Abschluss des sozialgerichtlichen Klageverfahrens zu erbringen.

II. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt J. G., B-Straße, A-Stadt, beigeordnet.

III. Der Antragsgegner zu 2) trägt die Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

I.
Zwischen den Beteiligten ist die vorläufige Übernahme von Leistungen der häuslichen Krankenpflege (Behandlungspflege) für Blutzuckermessungen und Injektionen streitig.

Der 1942 geborene Antragsteller (Ast), Versicherter bei der Antragsgegnerin zu 1) - Ag zu 1 -, ist in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen nach § 43a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) untergebracht. Die Lebenshilfe A-Stadt e.V. ist Träger der Einrichtung. Die Kosten der Unterbringung trägt der Antragsgegner zu 2) im Rahmen der Eingliederungshilfe (§§ 54 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Der Ast leidet unter anderem an insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ II.

Gemäß ärztlicher Verordnung wurde die Kostenübernahme von häuslicher Krankenpflege in Form von Blutzuckermessungen viermal täglich, siebenmal wöchentlich und Injektionen einmal täglich, siebenmal wöchentlich beantragt. Mit Bescheid vom 26.11.2010 lehnte die Ag zu 1) die beantragte Kostenübernahme für Blutzuckermessungen und Injektionen ab, da die Kosten der medizinischen Behandlungspflege bereits in der Aufenthaltsabgeltung nach § 43a SGB XI beinhaltet seien.

Der dagegen erhobene Widerspruch wurde vom Betreuer des Ast damit begründet, die Kosten für die Blutzuckermessung und Injektionsgabe seien nicht durch die Aufenthaltsabgeltung abgegolten. Nach § 237 Abs.2 Satz 3 SGB V seien für Versicherte in zugelassenen Pflegeeinrichtungen im Sinne des § 43 SGB XI nur ausnahmsweise bei besonders hohem Bedarf an medizinischer Behandlungspflege die Kosten von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen. Hier handle es sich jedoch nicht um eine Pflegeeinrichtung im Sinne des § 43 SGB XI, sondern um eine vollstationäre Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen gemäß § 43a SGB XI. Das LSG Hamburg habe in seinem Beschluss vom 12.11.2009 - L 1 B 202/09 ER KR - entschieden, dass Versicherte auch Anspruch auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 Abs.2 Satz 1 SGB V hätten, wenn sie in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe lebten. Eine stationäre Wohneinrichtung sei dann ein geeigneter Ort im Sinne des § 37 Abs.2 Satz 1 SGB V, wenn der Versicherte keinen Anspruch auf Behandlungspflege gegen den Einrichtungsträger habe. Der Ast habe gegen den Träger der Einrichtung - Lebenshilfe A-Stadt e.V. - nach den bestehenden Leistungsvereinbarungen und dem Wohnheimvertrag keinen solchen Anspruch auf Behandlungspflege. Daher habe die Ag zu 1) die Kosten für die beantragten Blutzuckermessungen und Injektionen von derzeit monatlich ca. 1.200,00 EUR zu tragen.

Die vorangegangenen Anträge für die Zeiträume 26.09.2010 bis 31.12.2010 und 07.10.2010 bis 31.12.2010 wurden von der Ag zu 1) mit Widerspruchsbescheiden vom 02.02.2011 zurückgewiesen. Die dagegen erhobenen Klagen sind beim Sozialgericht München (SG) unter den Aktenzeichen S 29 KR 222/11 und S 29 KR 223/11 anhängig.

Mit Schriftsatz vom 24.02.2011 beantragte der Bevollmächtigte des Ast unter Vorlage diverser Unterlagen den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Ag zu 1) und der Ag zu 2) seien zu verpflichten, im Wege der einstweiligen Anordnung, vorläufig die Kosten für viermal täglich Blutzuckermessung, siebenmal wöchentlich und viermal täglich Insulininjektionen, siebenmal wöchentlich zu übernehmen.

Mit Beschluss vom 28.02.2011 hat das SG die Ag zu 1) einstweilen verpflichtet, dem Ast ab Antragstellung die Kosten der häuslichen Krankenpflege im Rahmen der vertragsärztlichen Verordnung über das Setzen der Insulininjektionen nebst Bestimmung des Blutzuckers gemäß vertragsärztlicher Verordnung im Wohnheim der Lebenshilfe A-Stadt e.V. zu erbringen. Im Übrigen hat es den Antrag abgewiesen.

Nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens sei unter Beachtung der ärztlichen Verordnungen davon auszugehen, dass der Ast die verordneten Maßnahmen der Behandlungspflege wegen seines Diabetes bedürfe, sie jedoch nicht selber durchführen könne. Im Übrigen sei nicht erkennbar, dass der Ag zu 2) auf Grund der geschlossenen Verträge oder sonstiger Rechtsgrundlagen dazu verpflichtet wäre, dem Ast Behandlungspflege zu leisten. Eine Verpflichtung ergebe sich jedoch für die Ag zu 1) auch aus ihrer materiellen Leistungsträgerschaft aus § 37 Abs.2 SGB V. Danach würden Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort die Behandlungspflege erhalten, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich sei. Die Einrichtung, in der sich der Ast aufhalte, sei ein sonstiger geeigneter Ort in diesem Sinne. Einrichtungen, in denen behinderte Menschen Eingliederungshilfe gewährt werde, könnten eine betreute Wohnform im Sinne des Gesetzes sein, wenn - wie hier - durch den Aufenthalt nicht ein Anspruch auf Leistungen der Behandlungspflege begründet werde (LSG Hamburg, Beschluss vom 12.11.2009, L 1 B 202/09 ER KR, juris, Rn.16 ff. und vorhergehend SG Hamburg, Beschluss vom 12.05.2009, S 2 KR 445/09 ER, juris, Rn.9 ff.). Diese Leistung sei auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Pflegekasse der Ag zu 1) bereits eine pauschale Vergütung gemäß § 43a SGB XI geleistet habe. Der dort geregelte Ausschluss des Anspruchs gelte nur für Leistungen nach dem SGB XI und nicht für Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V (LSG Hamburg a.a.O., Rn.23; vgl. auch Kassler-Kommentar, § 43a SGB V, Rn.3, wo vom Ausschluss anderer Leistungen des SGB XI gesprochen werde und Leistungen der Krankenversicherung grundsätzlich auch bei Aufenthalten in einer Einrichtung im Sinne des §§ 43a SGB XI wie selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden - ebenda Rn.3a). Jedenfalls aber könne man dem SG Hamburg bzw. dem LSG Hamburg folgen, dass dies dann gelte, wenn die Einrichtung, in der sich der behinderte Mensch befindet, - wie hier - nicht verpflichtet ist, die medizinische Behandlungspflege zu übernehmen. Die Vorschrift des § 43a SGB XI solle in Anbetracht der neuen Regelung des § 71 Abs.4 SGB XI, wonach Einrichtungen mit der Zweckrichtung der sozialen Eingliederung Behinderter nicht als Pflegeinrichtungen anerkannt

werden können, eine pauschale Abgeltung der Pflegekosten ermöglichen, die in derartigen Einrichtungen üblicherweise anfallen (vgl. mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien, Kassler-Kommentar, § 43a SGB XI Rn.2), wie auch schon die betragsmäßig relativ geringe Begrenzung der Höhe nach in § 43a S.2 SGB XI deutlich zeige. Behandlungspflege unüblichen Ausmaßes - wie er bei dem Ast durch die Häufigkeit der Blutzuckermessungen und der Injektionen sieben Tage in der Woche hier unschwer auszumachen sei - könne demnach keinesfalls von einer Ausschlusswirkung durch Zahlungen einer Pauschale ausgegangen werden. Da somit im Rahmen der summarischen Erkenntnisgewinnung ein Erfolg des Ast in der Hauptsache wahrscheinlich sei, komme dem Anordnungsgrund nur periphere Bedeutung zu. Aber auch ein solcher Grund liege vor, denn - ausgehend von den ärztlichen Verordnungen - seien die häufigen Blutzuckermessungen und Injektionen am Tag dringend erforderlich, um die Diabetes-Erkrankung des Ast unter Kontrolle zu halten. Es könne ihm nicht zugemutet werden, bei einem bestehenden Anspruch auf Behandlungspflege bis zur Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, ob sich ein Träger finde, der diese notwendigen Maßnahmen durchführe.

Gegen den Beschluss des SG München vom 28.02.2011, der Ag zu 1) am 01.03.2011 zugegangen, richtet sich die am 30.03.2011 beim SG München und am 06.04.2011 beim LSG eingegangene Beschwerde. Unstreitig bedürfe der Ast der Versorgung mit diversen pflegerischen Leistungen. Deshalb erhalte er von der Pflegekasse bei der Ag zu 1) Leistungen nach § 43a SGB XI. Zu diesen vom Ast benötigten Pflegeleistungen gehörten auch Leistungen der medizinischen Behandlungspflege, nämlich das Blutzuckermessen und die Insulininjektionen, jeweils in der Frequenz viermal täglich, siebenmal wöchentlich. Bei dieser Versorgung handle es sich jedoch nicht um häusliche Krankenpflege im Sinne des § 37 Abs.2 SGB V. Eine Verpflichtung zur Leistung durch die Ag zu 1) bestehe nicht, weil die Behandlungspflege weder im häuslichen Umfeld an einem dem häuslichen Umfeld gleichgestellten Ort erbracht werde. Sie sei damit keine häusliche Krankenpflege.

Vorliegend werde die Versorgung zwar durch einen Pflegedienst erbracht, der auch mit der Ag zu 1) ambulant Versorgungen abrechnen könne, jedoch erfolge die Versorgung in einer stationären Einrichtung, die nicht den Charakter einer allgemein betreuten Wohnform habe. Damit sei das Wohnheim der Lebenshilfe kein geeigneter Ort im Sinne des § 37 Abs.2 SGB V. Der Gesetzgeber habe gerade Bewohnern von stationären bzw. teilstationären Einrichtungen, welche auch Pflege zur Verfügung stellen, keinen Anspruch auf häusliche Krankenpflege geben wollen, da diese schon durch den Anspruch auf stationäre Versorgung die notwendigen Leistungen erhalten (Verbot der Doppelversorgung). Dieser eindeutige Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck werde vom SG München und der zitierten Entscheidung des LSG Hamburg falsch interpretiert. Auch handle es sich dort nur um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, wobei der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht bekannt sei.

Die Wohnform vollstationäres Wohnheim der Behindertenhilfe sei mit der Wohnform vollstationäres Pflegeheim eher als mit einem eigenen Haushalt vergleichbar. Hierzu habe das BSG in Bestätigung der Entscheidung des Bay. LSG vom 14.12.2006, L 4 KR 202/04 festgestellt, dass sich die Verpflichtung eines Pflegeheims, Behandlungspflege zu leisten, bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergebe, nämlich aus § 43 Abs.2 SGB XI. Derselbe gesetzliche Wortlaut bestehe jedoch auch für Einrichtungen der Behindertenhilfe, die Leistungen nach § 43a SGB XI erbringen. Warum bei gleichem Gesetzeswortlaut eine andere Interpretation möglich oder gar zwingend sein sollte, erschließe sich nicht.

Der Interpretation, dass Wohnheime geeignete Orte im Sinne des § 37 Abs.2 SGB V sein können, sei auch das LSG Niedersachsen-Bremen in seiner Entscheidung vom 24.03.2009 - L 8 SO 1/07 - mit überzeugenden Argumenten entgegengetreten. Insbesondere habe das LSG Niedersachsen-Bremen die Entscheidung des BSG vom 01.09.2005 - B 3 KR 19/04 R - zutreffend angewandt. Das LSG Niedersachsen-Bremen komme zu dem Ergebnis, dass auch die Neufassung der Vorschrift ab 01.04.2007, durch die eine Ausweitung des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege an sonst geeigneten Orten erfolgt sei, nicht dazu führen, dass nunmehr auch in stationären Einrichtungen wie Wohnheimen auf Leistungen der ambulanten Versorgung Anspruch bestünde. In der Entscheidung setze sich das LSG Niedersachsen-Bremen ausführlich mit der Gesetzessystematik und der Entwicklung des Haushaltsbegriffs durch die Rechtsprechung und dem Gesetzgeber auseinander. Das LSG Niedersachsen-Bremen sehe darüber hinaus einen Leistungsanspruch hinsichtlich der Behandlungspflegeleistung auf der Grundlage des § 53 Abs.1 SGB XII i.V.m. § 55 Satz 1 SGB XII. Kostenträger wäre dann der Ag zu 2). Die Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen sei mit der Revision angegriffen, die beim BSG unter dem Aktenzeichen B 8 SO 16/09 R anhängig sei.

Diese Rechtslage verkenne das SG München, wenn es ohne weitere Begründung behaupte, es sei nicht erkennbar, dass der Ag zu 2) auf Grund geschlossener Verträge oder sonstiger Rechtsgrundlagen verpflichtet wäre, dem Ast Behandlungspflege zu leisten. Diese Verpflichtung ergebe sich aus den vorgenannten Rechtsvorschriften. Nicht nachvollziehbar sei, wie das SG München aus der Kommentierung im Kassler-Kommentar zu § 43a SGB XI schließen könne, dass dort die Einbeziehung von Behandlungspflegemaßnahmen in den Abgeltungsbereich der Monatspauschale ausgeschlossen wäre. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die bei einem Aufenthalt in einer Einrichtung im Sinne des § 43a SGB XI nicht ausgeschlossen sind, seien zum Beispiel Hilfsmittel nach § 33 SGB V. Ausdrücklich von dem Abgeltungsbereich der Pauschale umfasst seien Aufwendungen der medizinischen Behandlungspflege (Kassler-Kommentar § 43a SGB XI, Rn.8).

Die Ag zu 1) beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts München vom 28.02.2011 aufzuheben und den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ihr gegenüber abzuweisen.

Der Bevollmächtigte des Ast beantragt,

die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 28.02.2011 zurückzuweisen und dem Ast für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt J. G., B-Straße, A-Stadt beizuordnen.

Der Ag zu 2) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sowohl der Bevollmächtigte des Ast als auch der Ag zu 2) halten den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Unter anderem führte der Ag zu 2) aus, aus der gesetzgeberischen Ausgestaltung der §§ 41 bis 43a SGB XI ergebe sich bereits, dass die medizinische Behandlungspflege nicht nach den gesetzlichen Bestimmungen im Sinne des § 1 Abs.6 HKP-Richtlinien geschuldet sei. Während in den §§ 41 bis 43 SGB XI die medizinische

Behandlungspflege ausdrücklich als Leistungsgegenstand der Pflege aufgeführt sei, werde in § 43a SGB XI zwar pauschal auf § 43 Abs.2 SGB XI verwiesen, die Behandlungspflege aber nicht ausdrücklich als Teil der Pflege genannt. Dies wäre indes zu erwarten gewesen, da die medizinische Behandlungspflege keinen originären Bestandteil der Pflegeleistungen darstelle und es dem Willen des Gesetzgebers beim Inkrafttreten des Pflegeversicherungsgesetzes entsprach, die Behandlungspflege nicht dauerhaft als Teil der Pflege auszugestalten. Die Einbeziehung der Behandlungspflege in die allgemeinen Pflegeleistungen und die sich daraus ergebende Leistungspflicht der Pflegeheime gemäß § 43 SGB XI gelte daher gegenüber den Behindertenhilfeeinrichtungen nicht. Es hätte vielmehr einer gesonderten Nennung der medizinischen Behandlungspflege bedurft, habe der Gesetzgeber diese anspruchsbegründend als Teil der letztlich von der Eingliederungshilfe zu tragenden Leistung ansehen wollen. Der Ast habe bereits durch Vorlage mehrerer Unterlagen glaubhaft gemacht, dass er gegenüber der Einrichtung weder einen Anspruch auf Erbringung des streitgegenständlichen qualifizierten Bedarfs habe, noch vom vorhandenen Personal erbracht werden könne. Der geltend gemachte Bedarf sei daher von der Ag zu 1) nach § 37 Abs.2 Satz 1 SGB V zu gewähren. Der Wortlaut des § 37 Abs.2 Satz 1 SGB V i.V.m. § 1 Abs.6 HKP-Richtlinie gebiete keine einschränkende Auslegung im Sinne der Ag zu 1). Für eine teleologische Reduktion sei gerade auch bei einer nur summarischen Prüfung und vor dem Gebot der versichertenfreundlichen Auslegung kein Raum. Die Entscheidung des SG München sei somit nicht zu beanstanden.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten sowie der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Ag zu 1) gegen den Beschluss des SG München vom 28.02.2011 ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und erweist sich als begründet. Zu Unrecht hat das SG München im angefochtenen Beschluss vom 28.02.2011 die Ag zu 1) einstweilig verpflichtet, dem Ast ab Antragstellung die Kosten der häuslichen Krankenpflege wie Blutzuckermessungen und Injektionen zu erbringen.

Nach § 37 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird, oder wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Nach § 43a Satz 1 SGB XI übernimmt die Pflegekasse für Pflegebedürftige in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen, in der die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im Vordergrund des Einrichtungszwecks stehen, zur Abgeltung der in § 42 Abs.2 genannten Aufwendungen (pflegebedingte Aufwendungen, Aufwendungen der sozialen Betreuung sowie Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege) 10 v.H. des nach § 75 Abs.3 SGB XII vereinbarten Heimentgelts. Die Aufwendungen der Pflegekasse dürfen im Einzelnen je Kalendermonat 265,00 EUR nicht überschreiten.

Unstreitig benötigt der Ast die Versorgung mit verschiedenen pflegerischen Leistungen. Deshalb erhält er auch von der Pflegekasse der Ag zu 1) Leistungen gemäß § 43 SGB XI, die gegenüber dem Heim abgegolten werden (§ 43a SGB XI). Zu den Pflegeleistungen gehören auch Leistungen der medizinischen Behandlungspflege, wie Blutzuckermessungen und Insulininjektionen, jeweils viermal täglich, siebenmal wöchentlich. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um häusliche Krankenpflege im Sinne des § 37 Abs.2 SGB V. Eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht gegeben, da die Behandlungspflege weder im häuslichen oder familiären Umfeld noch an einem dem häuslichen oder familiären Umfeld gleichgestellten Ort erbracht wird. Denn hier wird die Versorgung in einer stationären Einrichtung erbracht, die nicht den Charakter einer allgemein betreuten Wohnform aufweist. Die Wohnform "vollstationäres Wohnheim der Behindertenhilfe" ist mit der Wohnform "vollstationäres Pflegeheim" eher als mit einem eigenen Haushalt vergleichbar. In diesem Zusammenhang wird auf die Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen vom 24.03.2009 - L 8 SO 1/07 - in Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 01.09.2005 - B 3 KR 19/04 R - verwiesen. Danach führt auch die Neufassung des § 37 Abs.2 SGB V ab 01.04.2007, durch die eine Ausweitung des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege an sonst geeigneten Worten erfolgt ist, nicht dazu, dass nunmehr auch in stationären Einrichtungen - wie Wohnheimen - Anspruch auf Leistungen der ambulanten Versorgung besteht. Nach der genannten Entscheidung bezieht sich der Begriff "sonst geeignete Orte" nur auf besondere Wohnformen, die dem betreuten Wohnen in Flexibilität und Ähnlichkeit einem eigenen Haushalt nahekommen. Stationäre Einrichtungen mit einer dort geschuldeten Rundumversorgung entsprechen diesem Leitbild nicht. Deshalb ist das Wohnheim der Lebenshilfe A-Stadt e.V. kein geeigneter Ort im Sinne des § 37 Abs.2 Satz 1 SGB V, weshalb dann auch die beantragte Leistung keine häusliche Krankenpflege darstellt.

Nach § 43a SGB XI ist eine Kostenübernahme der Krankenkasse für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V für Personen, die in vollstationären Einrichtungen untergebracht sind, nicht möglich. Denn diese sind bereits mit den Entgelten der Sozialhilfeträger abschließend abgegolten. Hierfür werden von den Pflegekassen 10 v.H. der Aufwendungen, maximal 256,00 EUR im Monat, an die Sozialhilfeträger erstattet. Mit dieser Leistung werden alle in § 43 Abs.2 SGB XI genannten Aufwendungen, wozu auch Blutzuckermessung und Injektionen gehören, abgegolten.

Nachdem die Ag zu 1) dementsprechend nicht vorläufig zu verpflichten war, ist nach Auffassung des Senats nach summarischer Prüfung vielmehr der Ag zu 2) vorläufig zu verpflichten. Der Senat hält insoweit die Ausführungen des LSG Niedersachsen-Bremen für überzeugend, dass hier ein Leistungsanspruch hinsichtlich der Behandlungspflegeleistung auf der Grundlage des § 53 Abs.1 SGB XII i.V.m. § 55 Satz 1 SGB XII besteht. Der Kostenträger hierfür ist aber der Ag zu 2). Der Senat verkennt bei seiner Entscheidung nicht, dass die Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen mit der Revision angegriffen wurde, die beim BSG unter dem Aktenzeichen B 8 SO 16/09 R anhängig ist. Es ist jedoch zu bedenken, dass zum jetzigen Zeitpunkt lediglich eine summarische Prüfung stattzufinden hat. Nach jetziger Auffassung des Senats sprechen aus den obigen Gründen mehr Gründe dafür, dass die Ag zu 1) nicht zu verpflichten ist. Von daher vermögen die Ausführungen des Ag zu 2) den Senat nicht zu überzeugen, ebenso wenig die Ausführungen des Bevollmächtigten des Ast.

Demgemäß war auf die Beschwerde der Ag zu 1) der angefochtene Beschluss abzuändern.

Der Ast hat Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) gemäß § 73a SGG i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO). Nach § 119 Abs.1 Satz 1 ZPO ist die Erfolgsaussicht (hier) nicht zu prüfen. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung für den Kläger und die nicht einfache Rechtslage ist auch die Anwaltsbeiordnung auf der Grundlage des § 121 ZPO gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.

Die Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG) und ergeht bezüglich der PKH kostenfrei.
Rechtskraft
Aus
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