L 11 AS 639/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 19 AS 356/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 639/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine isolierte Entscheidung über einen weiteren Bedarf an Unterkunftskosten ist neben der eigentlichen Bewilligungsentscheidung bezüglich des Arbeitslosengeldes II nicht zulässig. Hierfür gibt es keine Rechtsgrundlage.
2. Eine Klage auf höhere Unterkunftskosten, die sich nicht auch gegen den Bescheid über die laufende Bewilligung von Alg II richtet, als Elementenfeststellungsklage unzulässig.
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 31.07.2009 dahingehend abgeändert, dass der Bescheid des Beklagten vom 06.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides W3843/08 vom 11.02.2009 aufgehoben wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Gewährung von Kosten der Unterkunft im Hinblick auf die Anmietung eines Lagerraums und die hierfür anfallende Kaution.

Der 1960 geborene Kläger bezieht seit 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten. Auf seinen Fortzahlungsantrag vom 28.10.2008 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 06.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides W3842/08 vom 11.02.2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 28.04.2009 und 02.07.2009 Alg II für die Zeit 01.11.2008 bis 31.04.2009 in Höhe von monatlich 627,12 EUR (351 EUR Regelleistung zzgl 276,12 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung). Eine dagegen gerichtete Klage auf höhere Leistungen für die Unterkunftskosten blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Nürnberg - SG - vom 31.07.2009, Az S 19 AS 357/09; Beschluss des Senats vom 03.12.2009, Az L 11 AS 621/09 NZB).

Dem Fortzahlungsantrag war ein Schreiben vom 28.10.2008 beigefügt, womit der Kläger ergänzend die Nachzahlung von rückständigen Unterkunftskosten in Höhe von 3,60 EUR, die Bewilligung von Leistungen in Höhe von monatlich 193,73 EUR für die Anmietung eines ca 9,9 qm großen Lagerraums zur Auslagerung von Akten, Büchern und Zeitschriften und die Übernahme einer diesbezüglich anfallenden Kaution in Höhe von 242,16 EUR beantragte. Er sei von der Stadt A. aufgefordert worden, die in die von ihr gestellte Unterkunft eingebrachten Papiermengen zu reduzieren. Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.11.2008 ab. Es handle sich weder um einen unabweisbaren Bedarf noch um angemessene Kosten zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Entscheidung beruhe auf §§ 22, 23 SGB II.

Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, er müsse in seinem Appartement auf 31 qm umfangreiche Druckerzeugnisse, Akten und Kopien hiervon, Bekleidung und sonstigen Hausrat unterbringen. Er sei mehrmals aufgefordert worden, die Papiermenge zu reduzieren. Ein förmlicher Bescheid liege noch nicht vor. In seiner eigenen Person würden keine Gefahren begründet sein, da er Nichtraucher sei und keinen Alkohol trinke. Die Sachen würden zur Lebensführung, zur Vorbereitung und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und als Teil des notwendigen Haushalts benötigt. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2009 zurück.

Dagegen hat der Kläger beim SG Klage erhoben. Es würden derzeit in seiner Unterkunft insbesondere Aktenbestände aus diversen Rechtssachen aufbewahrt, die unverzichtbar und durch die geforderte Reduzierung gefährdet seien. Im Hinblick auf die Literatur, die der Kläger für die spätere Fortführung der Erwerbstätigkeit benötige, hat er ein Verzeichnis vorgelegt.

Mit Urteil vom 31.07.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe zwar entschieden, dass grundsätzlich ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen Lagerraum in Betracht komme, wenn der angemietete Wohnraum so klein sei, dass er zur Unterbringung von persönlichen Gegenständen nicht ausreiche. Die Unterkunft des Klägers verfüge jedoch über 31 qm und sei nicht derart klein, dass es sich nur um ein "Dach über dem Kopf" handele. Ein Großteil der Unterlagen würden weder den persönlichen Grundbedürfnissen des Klägers dienen noch dem Wohnen. Die Papiermengen seien das Ergebnis einer Sammelleidenschaft und der Neigung, zahllose Gerichtsverfahren anzustrengen. Es bestehe die Möglichkeit, Bibliotheken zu nutzen oder durch den Umzug in eine andere angemessene Wohnung entsprechenden Platz zu schaffen. Insofern gebe es auch keinen Anspruch auf eine Kautionsübernahme. Hinsichtlich der Generalterminsvollmacht des Sitzungsvertreters genüge es, wenn sich das Gericht von der zu den Generalakten des Gerichts gereichten Vollmacht überzeuge.

Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt und erklärt, einen Lagerraum habe er tatsächlich nicht angemietet.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 31.07.2009 und den Bescheid vom 06.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides W 3843/08 vom 11.02.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, weitere Kosten der Unterkunft und Heizung für die Anmietung eines Lagerraums zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie hat teilweise Erfolg. Im Hinblick auf die Aufhebung des Bescheides vom 06.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides W 3843/08 vom 11.02.2009 ist die Klage begründet. Die gesonderte Ablehnung eines einzelnen Teilbedarfes, der rechtlich nicht von dem bestehenden Gesamtanspruch abtrennbar ist, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 54 Abs 1 Satz 1 SGG.

Im Übrigen ist die Berufung jedoch unbegründet, denn im Umkehrschluss hat auch der Kläger keinen Anspruch darauf, dass ihm ein rechtlich nicht trennbarer Teilbedarf zugesprochen wird. Dem Wesen nach handelt es sich bei dem geltend gemachten Anspruch, die zusätzlichen Kosten der Unterkunft im Hinblick auf die Anmietung eines Lagerraums gesondert (und dauerhaft) zu bewilligen, um eine unzulässige Elementenfeststellungsklage.

Vorliegend macht der Kläger im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die Beseitigung eines belastenden Verwaltungsaktes (Beseitigung der Leistungsablehnung) und die Verpflichtung des Beklagten zu einem den zusätzlichen Bedarf an Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs 1 und Abs 3 Satz 1 SGB II bewilligenden Verwaltungsakt geltend.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind bei einem Streit um höhere Leistungen grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen (vgl nur: BSG, Urteil vom 18.08.2005 in Breith 2006, 345ff mwN), wobei jedoch ein Bescheid im Einzelfall mehrere abtrennbare Verfügungen (Verwaltungsakte iSd § 31 SGB X) enthalten (vgl BSG, Urteil vom 18.08.2005 aaO) kann. Das BSG hat zu den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende bereits auch entschieden, dass eine Entscheidung über die Unterkunftskosten im Rahmen einer Alg II - Bewilligung eine derartige eigenständige, abgrenzbare Verfügung darstellt (vgl BSG, Urteil vom 07.11.2006 in SozR 4-4200 § 22 Nr 1)

Hierbei ist jedoch nicht die optische Aufspaltung entscheidend; vielmehr ergibt sich die rechtliche Abtrennbarkeit dieser Verfügungen von den übrigen Verfügungen eines Bewilligungsbescheides aus § 6 Abs 1 SGB II. Danach sind Träger der Leistungen nach dem SGB II die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die kreisfreien Städte und Kreise für bestimmte in der Norm selbst bezeichnete Leistungen. Die Zuständigkeit der kommunalen Träger gilt insbesondere für die Leistungen des § 22 SGB II, die also nach der Gesetzessystematik von einem anderen Leistungsträger zu gewähren sind als der BA.

Soweit daher eine Grenze für die Aufteilbarkeit des "Gesamtanspruches" in einzelne Verfügungen gezogen werden kann, verläuft diese Grenze zwischen den Zuständigkeitsbereichen der Träger, jedoch nicht innerhalb dieser Zuständigkeitsbereiche. Dies hat auch das BSG in der Entscheidung vom 18.06.2008 (B 14/7b AS 44/06 R) zum Ausdruck gebracht, indem es darauf hingewiesen hat, dass bei der Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung die Rechtsprechung des BSG zur Berücksichtigung der Warmwasserkosten zu beachten ist, obgleich dies von den Beteiligten im dortigen Verfahren zu keinem Zeitpunkt thematisiert worden war, so dass auch hieraus der Schluss zu ziehen ist, dass über die Leistungen eines Trägers nur einheitlich, ohne Möglichkeit einer rechtlichen Trennung, entschieden werden kann.

Bei den vom Kläger geltend gemachten weiteren Leistungen für die Anmietung eines Lagerraums zur Auslagerung bestimmter Gegenstände handelt es sich um Leistungen für Unterkunft und Heizung iSv § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II bzw im Hinblick auf eine etwaige Kaution iSv § 22 Abs 3 Satz 1 SGB II. Wenn es wegen der Größe der konkret bewohnten Unterkunft erforderlich sein sollte, angemessenen Hausrat und persönliche Gegenstände anderweitig unterzubringen, können auch die angemessenen Kosten einer Einlagerung als Teil der Unterkunftskosten zu berücksichtigen sein (vgl dazu ausführlich BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R).

Dies hat vorliegend zur Konsequenz, dass die Entscheidung des Beklagten vom 06.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides W 3843/08 vom 11.02.2009 aufzuheben war, weil keine Rechtsgrundlage für eine gesonderte Entscheidung über weitere Unterkunftskosten für die Anmietung eines Lagerraums ersichtlich ist, die lediglich als ein Berechnungselement des nach § 6 Abs 1 Nr 2 SGB II durch den kommunalen Träger zu deckenden Gesamtbedarfes des Klägers anzusehen ist.

Die Entscheidung des Beklagten vom 06.11.2008 hat sich auch nicht in sonstiger Weise erledigt (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X). Die Bewilligungsentscheidung bezüglich der Gewährung von Alg II im weiteren Bewilligungsbescheid vom 06.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides W 3842/08 vom 11.02.2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 28.04.2009 und 02.07.2009 ist für die Zeit vom 01.11.2008 bis 31.04.2009 in Form von Regelleistung und Kosten der Unterkunft und Heizung rechtskräftig (Urteil des Sozialgerichts Nürnberg - SG - vom 31.07.2009, Az S 19 AS 357/09; Beschluss des Senats vom 03.12.2009, Az L 11 AS 621/09 NZB). Dort wurde zumindest inzident die Gewährung von weiteren Leistungen für Unterkunftskosten zur Einlagerung der Gegenstände abgelehnt. Für den dortigen Leistungszeitraum hat der Kläger im Übrigen auch keine Nachweise vorgelegt, dass insofern tatsächlich weitere Unterkunftskosten im Hinblick auf eine Einlagerung von Gegenständen entstanden wären. Hierfür gibt es auch keine Anhaltspunkte, so dass eine Nichtberücksichtigung der weiter geltend gemachten Kosten rechtmäßig war.

Die im vorliegenden Verfahren angegriffene Entscheidung des Beklagten könnte aber über den im anderen Verfahren streitig gewesenen Leistungszeitraum (01.11.2008 bis 30.04.2009) hinaus zumindest den Rechtsschein einer dauerhaften Ablehnung der weiteren Unterkunftskosten manifestieren, auch wenn mit den Bewilligungsbescheiden für die folgenden Leistungszeiträume (ab dem 01.05.2009), die Übernahme weiterer Unterkunftskosten inzident jeweils abgelehnt worden ist (vgl zur Begrenzung des Streitgegenstandes durch nachfolgenden Ablehnungsbescheide BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b 59/06 R). Diesen Rechtsschein gilt es mit der Aufhebung des Bescheides vom 06.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides W 3843/08 vom 11.02.2009 zu beseitigen.

Darüber hinaus hat der Kläger jedoch keinen Anspruch, die beantragten Leistungen, dh die zusätzlichen Kosten für die Einlagerung, gesondert im Wege einer Verpflichtungsklage zugesprochen zu erhalten. Dem Wesen nach handelt es sich bei diesem Teilbedarf an Unterkunftskosten nach § 22 Abs 1 und Abs 3 Satz 1 SGB II lediglich um ein Berechnungselement des nach § 6 Abs 1 Nr 2 SGB II durch den kommunalen Träger zu deckenden Gesamtbedarfes des Klägers, der rechtlich nicht von den übrigen Leistungen des kommunalen Trägers abgetrennt werden kann, so dass seitens des Klägers allenfalls die Feststellung begehrt werden kann, dass ein bestimmter (zusätzlicher) Unterkunftsbedarf im Rahmen der Berechnung ihres Gesamtanspruches zu berücksichtigen sei. Derartige Feststellungsklagen sind jedoch - weil sie lediglich eine Vorfrage des Gesamtanspruches betreffen - als sogenannte Elementenfeststellungsklagen unzulässig (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl, § 55 Rn 9) und es sind keine Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise Zulässigkeit einer solchen Feststellungsklage ersichtlich (vgl Keller aaO § 55 Rn 9a), denn es ist offen, ob der Streit zwischen den Beteiligten auf Dauer beigelegt werden kann, weil die Frage des zusätzlichen Unterkunftsbedarfs im Zeitablauf Änderungen im tatsächlichen Bereich unterliegen kann. Eine Erhöhung der Leistungen ist damit abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt, dass der Beklagte dem Kläger mit der verfahrensrechtlich unnötigen Ablehnung der zusätzlichen Unterkunftskosten durch einen gesonderten Bescheid hinreichenden Anlass zur Rechtsverfolgung gegeben hat.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Absatz 2 Nr 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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