L 11 AS 334/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AS 1773/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 334/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auch nach der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 besteht für die Zeit vor dem 01.01.2011 kein Anspruch auf eine höhere Regelleistung.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.02.2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist zuletzt die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Hinblick auf die Regelleistung.

Der 1960 geborene Kläger bezieht seit 01.01.2005 Alg II vom Beklagten. Mit Bescheid vom 29.10.2009 bewilligte der Beklagte Alg II für die Zeit 01.11.2009 bis 30.04.2010 in Höhe von monatlich 607,05 EUR (359 EUR Regelleistung zzgl 248,05 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung).

Gegen den Bewilligungsbescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Ihm seien eine Regelleistung von 677,45 EUR und Kosten der Unterkunft iHv 300,05 EUR zu bewilligen. Zudem sollten die Leistungen ohne Versicherung bei der Krankenkasse, dem Rentenversicherungsträger etc und ohne die damit verbundene Datenweitergabe gewährt werden.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2009 zurückgewiesen. Es sei die gesetzlich vorgegebene Regelleistung gewährt worden. Die Versicherungspflicht ergebe sich aus dem Gesetz, ebenso wie die Pflicht zur Datenübermittlung.

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Nürnberg (SG) Klage erhoben. Er habe Anspruch auf Übernahme der vollen Unterkunftskosten; der Widerspruchsbescheid gehe darauf gar nicht ein. Der gewährte Regelsatz entspreche nicht dem sozioökonomischen Existenzminimum. Die Versicherung gegen seinen erklärten Willen verstoße gegen die Koalitionsfreiheit. Mit der Datenweitergabe bestehe die Gefahr der Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger zuletzt beantragt, unter Abänderung der angefochtenen Bescheide den Beklagten zu verurteilen, ihm höhere Leistungen unter Zugrundelegung einer Regelleistung von monatlich 677,45 EUR zu gewähren.

Mit Urteil vom 09.02.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes komme eine Anhebung der Regelleistung nicht in Betracht. Die ursprünglichen Vorschriften diesbezüglich blieben bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber anwendbar. Nur bei nicht nur einmaligen Bedarfen, die nicht von § 20 SGB II umfasst seien, könne sich unmittelbar aus Art 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art 20 GG aus Härtegesichtspunkten ein Anspruch herleiten. Diese Voraussetzungen würden aber beim Kläger nicht vorliegen. Die Versicherung des Klägers in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung erfolge in dessen Interesse. Die Versicherungspflicht ergebe sich aus den gesetzlichen Grundlagen. Im Hinblick auf die Datenweitergabe seien Datenverstöße nicht ersichtlich. Es gebe hierfür eine gesetzliche Grundlage.

Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.02.2010 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2009 zu verurteilen, für die Zeit vom 01.11.2009 bis 30.04.2010 weiteres Alg II in Bezug auf die Regelleistung in Höhe von monatlich 318,45 EUR zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:
:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Berufung ist aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Regelleistung in Höhe von monatlich 318,45 EUR. Der Bescheid des Beklagten vom 29.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2009 war insofern rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Streitgegenstand ist die Höhe des dem Kläger zu zahlenden Alg II im Hinblick auf die Höhe der Regelleistung.

Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Wenn die Klage nicht einen nach § 92 bestimmten Antrag enthält, der zu Zweifeln über das Gewollte keinen Anlass gibt, muss das Gericht mit dem Beteiligten klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden, § 106 Abs 1 und § 112 Abs 2 Satz 2 SGG; hat das keinen Erfolg, muss der Antrag ausgelegt werden (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl, § 123 Rn 3). Das Gericht muss klären, welche Anträge gestellt werden sollen, und darf bei seiner Entscheidung über die Anträge nicht hinausgehen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl, § 95 Rn 5a).

Vorliegend hat sich der Kläger zunächst in seiner Klageschrift gegen den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 15.12.2009 gewandt und eine Verurteilung entsprechend seines vorausgegangenen Widerspruchs 26.11.2009 begehrt. In diesem Widerspruch führte der Kläger aus, ihm sei eine Regelleistung von 677,45 EUR und Kosten der Unterkunft iHv 300,05 EUR zu bewilligen, zudem sollten die Leistungen ohne Versicherung für Krankenkasse, Rentenversicherung etc und ohne die damit verbundene Datenweitergabe gewährt werden.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hatte der Kläger jedoch zuletzt (nur noch) beantragt, "die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29.10.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2009 zu verurteilen, ihm höhere Leistungen unter Zugrundelegung einer Regelleistung von monatlich 677,45 EUR zu gewähren". Dieser Antrag des Klägers ist aber eindeutig und es kann ihm klar entnommen werden, dass es dem Kläger letztlich nicht mehr um die Höhe der Kosten der Unterkunft geht; dabei handelt es sich im Hinblick auf § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II idF des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (ArbeitsmarktNAusrG) vom 21.12.2008 (BGBl I 2917) um eine abtrennbare Verfügung (vgl zur Beschränkung des Streitgegenstandes BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R und Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/06 R).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine höhere Regelleistung. Die ihm gewährte Regelleistung in Höhe von 359 EUR monatlich für die Zeit vom 01.11.2009 bis 30.04.2010 ist rechtmäßig.

Nach § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II betrug die monatliche Regelleistung für Personen, die
allein stehend oder allein erziehend sind oder deren Partner minderjährig ist, zunächst 345 EUR. Diese Regelleistung wurde in der Vergangenheit um den Betrag erhöht, um den sich der aktuelle Rentenwert in der gesetzlichen Rentenversicherung verändert, § 20 Abs 4 Satz 1 SGB II. Demnach lag die Höhe der Regelleistung im streitgegenständlichen Zeitraum bei 359 EUR. Das Bundessozialgericht hatte mehrfach entschieden, diese Höhe des Regelsatzes sei verfassungsmäßig (vgl nur BSG, Urteil vom 13.11.2008 - B 14/7b AS 2/07 R -, Urteil vom 16.05.2007 - B 11b AS 5/06 R -, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R).

In der Folgezeit hat dann zwar das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09) entschieden, das bislang zur Bemessung der Regelleistung verwendete Verfahren sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Es hat den Gesetzgeber aber lediglich verpflichtet, die Regelleistung für die Zukunft neu festzusetzen, so dass die für die Regelleistung für Erwachsene maßgebliche Vorschrift des § 20 Abs 2 Satz 1, Abs 4 SGB II in der jeweils anzuwendenden Fassung bis zum 31.12.2010 anwendbar ist (vgl dazu auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.04.2010 - L 19 AS 10/09). Eine Feststellung, dass die bisherigen Regelsätze evident unzureichend seien, wurde nicht getroffen, weshalb auch eine rückwirkende Festsetzung höherer Regelleistungen vom Gesetzgeber nicht verlangt wurde (vgl BVerfG, Beschluss vom 24.03.2010 - 1 BvR 395/09; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 17/10 R).

Ein Anspruch auf ein höheres Alg II ergibt sich auch nicht aus anderen Gründen. Anhaltspunkte für einen Mehrbedarf oder die Erfüllung anderer Anspruchsgrundlagen sind weder vom Kläger vorgetragen worden, noch ersichtlich.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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