L 7 KA 85/98

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KAZ 16/96
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 85/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. September 1998 wird zurückgewiesen. Der Kläger hat dem Beklagten die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Honorarkürzungen für Parodontose-Behandlungen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung im Zeitraum November 1993 bis Februar 1995.

Der aus der früheren Sowjetunion stammende Kläger siedelte im Jahre 1980 in die Bundesrepublik Deutschland über und erhielt im Jahre 1987 die deutsche Approbation als Zahnarzt. Seit 1. Juli 1993 war er als Vertragszahnarzt in Berlin niedergelassen.

Auf Antrag der Beigeladenen zu 2) bis 4) kürzte der Prüfungsausschuss bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin in dem oben genannten Zeitraum die Honoraranforderungen des Klägers für Parodontose-Behandlungen aus dem Bereich der Angestellten-Krankenkassen (Barmer Ersatzkasse) in einem Fall um 100 v.H. (= 1.577,98 DM, Bescheid vom 2. Januar 1995), aus dem Bereich der AOK Berlin in elf Fällen um 100 v.H. (=13.629,57 DM, Bescheid vom 2. Februar 1995) und in zwölf Fällen um 100 v.H. (=16.730,31 DM, Bescheid vom 30. Oktober 1995) sowie aus dem Bereich der Betriebskrankenkassen bei fünf Parodontosebehandlungen um 100 v.H. (=6.489,92 DM, Bescheid vom 29. Juni 1995). Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beschwerdeausschuss bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin mit Beschluss vom 10. Juni 1996 zurück und bestätigte die vom Prüfungsausschuss vorgenommenen Kürzungen für Parodontose-Behandlungen in Höhe von insgesamt 38.427,78 DM. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe die Parodontose-Richtlinien nicht beachtet. Die vertragsmäßig notwendige Vorbehandlung sei nicht erfolgt und die Wartezeit von ein bis drei Wochen nach der Vorbehandlung nicht eingehalten worden. Die vertraglich geforderte Motivation der Patienten sowie eine Funktionskontrolle habe er ebenfalls nicht durchgeführt. Der Kläger verfüge über kein Recallsystem, teilweise fehlten die Anamnesebögen. Es sei nicht nachvollziehbar, wann die Modelle und Röntgenaufnahmen, die nicht nach den vertraglichen Bestimmungen bereits bei Antragstellung vorliegen müssten, tatsächlich gefertigt worden seien. Die gesamte Dokumentation der Behandlungsunterlagen sei nicht schlüssig. So stimmten in einzelnen Fällen die Modelle und Röntgenbilder nicht überein. In anderen Fällen stimme das Datum der Abrechnung von Leistungen mit dem Datum der Erbringung der Leistung nicht überein. Andere in der Karteikarte dokumentierte Leistungen habe der Kläger nicht abgerechnet. Wiederum andere Positionen habe er mit einer dafür nicht zulässigen Abrechnungsnummer abgerechnet. In den Karteikarten sei nicht der vollständige Behandlungsablauf dokumentiert, es liege der Verdacht nahe, dass nachträglich Korrekturen vorgenommen worden seien. Von der Einschaltung eines Gutachters habe man daher abgesehen. Zwischen den Angaben des Klägers vor dem Prüfungsausschuss und denen vor dem Beklagten sei es zu Widersprüchen gekommen. Es bestünden Zweifel, ob der Kläger für die Durchführung der Parodontose-Behandlungen die notwendige Fachkenntnis besitze, da er beispielsweise ohne entsprechende zahnärztliche Indikationen bei seinen Patienten Röntgenaufnahmen vorgenommen habe, die nur als Körperverletzung gewertet werden könnten.

Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 9. September 1998 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Beklagte habe bei der erforderlichen Einzelfallprüfung den Nachweis erbracht, dass der Kläger in den der Honorarkürzung zugrunde liegenden Fällen die Parodontose-Richtlinien nicht beachtet habe und somit die Wirtschaftlichkeit seiner Behandlungsweise nicht nachgewiesen sei. Die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise könne im vorliegenden Fall bereits aufgrund der fehlenden Vorbehandlung bzw. Nichteinhaltung der Wartefrist (Verstoß gegen Ziffer 21 der Parodontose-Richtlinien) angenommen werden. Sie ergebe sich aber auch aus anderen Vorwürfen. Obwohl bereits durch die Prüfungsausschüsse in den einzelnen Sitzungen nahezu alle Einzelfälle durchgesprochen und Verstöße gegen die Parodontose-Richtlinien und andere vertragsärztliche Pflichten aufgelistet worden seien, habe der Kläger im Widerspruchsverfahren nur pauschal die Arbeitsweise der Prüfgremien kritisiert und sich auf seine Erfahrungen als Zahnarzt in anderen Ländern berufen. Auch im Klageverfahren habe er zu den von den Prüfgremien geprüften Einzelfällen nicht Stellung genommen. Da die Parodontose-Richtlinien für den Kläger verbindlich seien, obliege ihm die Darlegungspflicht, inwieweit z.B. in einzelnen Fällen Ausnahmesituationen vorgelegen hätten, aufgrund derer Abweichungen von den Richtlinien geboten gewesen seien. Derartige Gründe hätte er auf der Karteikarte vermerken müssen. Der pauschale Hinweis im Klageverfahren, die Vorbehandlung habe wegen der starken Schmerzen der Versicherten nicht entsprechend den Richtlinien durchgeführt werden können, genüge nicht. Die einzelnen von dem Beklagten festgestellten Verstöße des Klägers gegen die Parodontose-Richtlinien seien im angefochtenen Bescheid wiedergegeben und von dem Beklagten begründet worden. Die Kammer schließe sich diesen Begründungen an und beziehe sich insoweit auf den angefochtenen Bescheid des Beklagten. Das Gericht sei nicht verpflichtet, im Rahmen der Amtsermittlungspflicht in jedem Einzelfall zahnärztliche Nachuntersuchungen durchführen zu lassen. Gerade wegen der Schwierigkeit im Nachhinein die Wirtschaftlichkeit einer Parodontose-Behandlung festzustellen, hätten die Vertragspartner die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens mit einer Vorabgenehmigung durch die Krankenkasse vereinbart. Nur die strikte Einhaltung dieses Verfahrens biete Sicherheit vor unwirtschaftlichen Behandlungen, die im Hinblick auf den hohen Kostenaufwand bei Parodontose-Behandlungen im besonderen Maße vermieden werden müssten. Im Übrigen hätten bereits die Prüfgremien ausgeführt, dass nachträgliche Begutachtungen im vorliegenden Fall bereits deshalb nicht in Betracht kämen, weil die Behandlungsabläufe anhand der vom Kläger vorgelegten Unterlagen nicht nachvollzogen werden könnten. Der angefochtene Bescheid des Beklagten lasse nach Ansicht der Kammer auch erkennen, weshalb das gesamte Honorar bei den geprüften Parodontosefällen gekürzt worden sei. Wenn die Vorbehandlungen fehlten und der sonstige Behandlungsablauf nicht nachvollziehbar sei und deshalb auch ein Gutachterverfahren ausscheide, sei es nicht ermessensfehlerhaft, das Gesamthonorar zurückzufordern.

Gegen das ihm am 15. Oktober 1998 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. November 1998 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, dass er zum Termin Ablichtungen der Karteikarten mitgebracht, Röntgenaufnahmen, Modelle und Schreiben von Patienten vorgelegt habe, die mit seiner Behandlung zufrieden gewesen seien. Er habe bei allen Patienten eine gute Parodontose-Behandlung durchgeführt und ungefähr 80.000,-- DM investiert. Auch wenn die Beklagte zu Recht diesen oder jenen Punkt beanstande, könne er es nicht nachvollziehen, dass das gesamte Honorar abgezogen werde. Die Qualität seiner Arbeit müsse durch ein Sachverständigengutachten bestätigt werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. September 1998 sowie den Beschluss des Beklagten vom 10. Juni 1996 aufzuheben und diesen zu verpflichten, die Bescheide des Prüfungsausschusses vom 2. Februar, 29. Juni und 30. Oktober 1995 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1), 2) und 4) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie treten dem Vorbringen des Klägers entgegen und berufen sich zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt des sozialgerichtlichen Urteils und des angefochtenen Bescheides.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Inhalt der Beklagtenakten und der Gerichtsakten einschließlich der beigezogenen Akten des Rechtsstreits S 79 KA 11/97 KzA/L 7 KA 84/98 und S 79 KAZ-E 11/97/ L 7 KA-SE 35/97 (betreffend Ruhensanordnung für die vertragszahnärztliche Tätigkeit des Klägers in Berlin) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Berlin hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Gemäß § 70 Abs. 1 Satz2 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch -SGB V- muss die Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung durch Vertragszahnärzte ausreichend und zweckmäßig sein; sie darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Jeder Vertragszahnarzt hat bei seiner ärztlichen Tätigkeit dieses Maß des Notwendigen zu beachten und hierauf seine Behandlungs- und Verordnungsweise einzustellen. Hat ein Vertragszahnarzt gegen das so bestimmte Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen, ist der beklagte Beschwerdeausschuss nach Durchführung des Verfahrens vor dem Prüfungsausschuss nach Maßgabe der Regelungen des § 106 SGB V berechtigt, bei der Festsetzung des vom Vertragszahnarzt geltend gemachten Honoraranspruchs Abstriche vorzunehmen (§ 106 Abs. 5 SGB V).

Den Prüfgremien steht bei der Ermittlung des unwirtschaftlichen Mehraufwandes ein Beurteilungsspielraum und bei der Festsetzung des Umfangs der Honorarkürzung ein Ermessensspielraum zu. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind wegen der besonderen medizinischen und abrechnungstechnischen Sachkunde der Prüfgremien in der Rechtskontrolle eingeschränkt: In Bezug auf den Beurteilungsspielraum beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung darauf, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise“ ermittelten Grenzen eingehalten und ob die Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet wurden, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (zum Ganzen BSG SozR 2200 § 368 n RVO Nrn. 31, 38, 57; SozR 3-2500 § 106 Nrn. 14, 25 a.a.O.). Die Kürzung selbst ist nur daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Bei Zugrundelegung dieser Anforderungen und Maßstäbe erweist sich der angefochtene Bescheid des Beklagten als rechtmäßig.

Aus den dem Senat vorliegenden Verwaltungsakten der Prüfgremien, die die Parodontose-Behandlung des Klägers betreffen, ist zu erkennen, dass er in den streitigen Fällen bei Parodontose-Behandlungen seine Verpflichtung zur vorgesehenen Vorbehandlung (Ziffer 21 der Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche kassenzahnärztliche Verordnung - Kassenzahnarztrichtlinien -) und zur Erstellung eines widerspruchs- und fehlerfreien Lokal- und Funktionsbefundes bei der Parodontose-Behandlung (Ziffer 22, 1. und 2. Kassenzahnarztrichtlinien) verstoßen hat, so dass die Parodontose-Behandlungen in den streitigen Fällen in vollem Umfange unwirtschaftlich waren. Zur weiteren Begründung nimmt der Senat auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides und das sozialgerichtliche Urteil Bezug, denen er nach erneuter Sachprüfung in vollem Umfange folgt (vgl. §§ 153 Abs. 2, 136 Abs. 3 SGG). Die dem Kläger vorgeworfene unwirtschaftliche Vorgehensweise rechtfertigt die Absetzung des gesamten von ihm angeforderten Honorars für die Parodontose-Behandlungen, weil sie nicht nur unwirtschaftlich, sondern in weitem Umfange für die Behandlung der Patienten auch nicht notwendig und damit insgesamt wertlos waren. Ebenso wie in dem bei dem Senat anhängigen Parallelverfahren, in dem es um die Anordnung des Ruhens der Zulassung des Klägers als Vertragszahnarzt in Berlin für sechs Monate geht, vermag seine Schilderung der Parodontose-Behandlungen kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Neben der durch nichts belegten Unterstellung, der Vorstand des Beklagten wolle ihn aus seinem Beruf als Zahnarzt drängen, bestreitet er mit seinem Berufungsvorbringen lediglich pauschal die ihm vorgeworfenen Rechtsverletzungen. Die schriftlichen Bestätigungen einiger seiner Patienten, dass sie mit seiner Behandlung zufrieden seien bzw. er wie andere Zahnärzte behandele, ist zur Widerlegung der ihm detailliert vorgeworfenen Verletzungen des Wirtschaftlichkeitsgebotes ungeeignet. Der Senat hat sich deshalb auch im vorliegenden Verfahren nicht veranlasst gesehen, die Parodontose-Behandlungen des Klägers gutachtlich überprüfen zu lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorlagen.
Rechtskraft
Aus
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