L 11 SF 294/11 AB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 25 AS 3119/10
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 SF 294/11 AB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Gesuch der Antragstellerin auf Ablehnung von Richter am Sozialgericht Dr. L wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.

Gründe:

Das Befangenheitsgesuch der Antragstellerin (AS) ist nicht begründet.

Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Für die Feststellung eines solchen Grundes kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder aber sich selbst für befangen hält. Andererseits begründet die subjektive Überzeugung eines AS oder seine Besorgnis, der Richter sei befangen, allein nicht die Berechtigung der Ablehnung. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Grund vorliegt, der den AS von seinem Standpunkt aus nach objektiven Maßstäben befürchten lassen könnte, der von ihm abgelehnte Richter werde nicht unparteilich entscheiden (std. Rspr., vgl. u.a. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 12.07.1986 - 1 BvR 713/83, 1 BvR 921/84, 1 BvR 1190/84, 1 BvR 333/85, 1 BvR 248/85, 1 BvR 306/85, 1 BvR 497/85 -, vom 05.04.1990 - 2 BvR 413/88 - und vom 02.12.1992 - 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92 -; Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.03.1993 - 12 RK 45/92 -).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Ankündigung des abgelehnten Richters im Erörterungstermin vom 01.08.2011, u.a. gegen die AS Strafanzeige zu erstatten, vermögen keine Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit zu begründen. Dem erkennenden Richter ist als Organ der Rechtspflege grundsätzlich zuzubilligen, dass er bei ausreichend belegbarem Verdacht einer durch einen Prozessbeteiligten begangenen strafbaren Handlung die Sache an die Ermittlungsbehörden weiterleitet. Voraussetzung ist aber, dass der Richter zuvor die vorhandenen Verdachts- und Entlastungsmomente sorgfältig geprüft und abgewogen, dabei einen nicht von der Hand zu weisenden Verdacht geschöpft und dem Beteiligten, der durch die Strafanzeige dem Verdacht ausgesetzt wird, eine Straftat begangen zu haben, Gelegenheit zur Stellungnahme dazu gewährt hat (Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, Beschlüsse vom 09.01.1984 - 12 W 257/83 - und vom 28.07.1986 - 2 W 23/86 -; Hanseatisches OLG, Beschluss vom 28.07.1989 - 12 WF 72/89 -, Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 27.05.1997 - 1 W 14/97 -, OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 02.06.2005 - 10 W 26/05 - m.w.N.). Dabei ist zu beachten, dass ein Anfangsverdacht ausreicht, um die weitergehende Prüfung und Ermittlung eines Tatvorwurfes der hierfür zuständigen Staatsanwaltschaft zu überlassen. Denn ein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung bedeutet lediglich, dass eine Straftat möglicherweise vorliegt, wenn die Anknüpfungstatsachen als wahr unterstellt werden (OLG des Landes Sachsen-Anhalt, a.a.O.).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Der abgelehnte Richter hat sich, wie sich aus seiner dienstlichen Stellungnahme, die insoweit mit dem Vorbringen der AS übereinstimmt, erkennbar eingehend mit dem Sachverhalt auseinandergesetzt und dabei hinreichende Verdachtsmomente festgestellt, die eine Straftat der AS als möglich erscheinen lassen: Die AS hat von dem Beklagten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch erhalten. Ihr Ehemann hat während der Zeit des Leistungsbezugs der AS aus dem Verkauf eines ererbten Grundstücks einen Kaufpreis von 38.000,00 EUR erzielt. Unter Anrechnung dieses Betrages hat der Beklagte die Bewilligung der der AS für die Zeit vom 01.12.2008 bis 31.03.2010 gewährten Leistungen nach Maßgabe des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben und eine Erstattung von 32.727,24 EUR u.a. mit der Begründung geltend gemacht, die AS sei ihrer Verpflichtung, alle Änderungen der Verhältnisse mitzuteilen, zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Gegen diese Entscheidung hat sich die AS zunächst mit dem Vorbringen gewandt "Der Ehemann der Klägerin hat, ohne dass der Klägerin dies bekannt wurde, eine Erbschaft erhalten." (Schriftsatz vom 09.08.2010). Später hat sie vorgetragen "Sie hat lediglich gewusst, dass eine Erbschaft nach dem verstorbenen Bruder angefallen war." (Schriftsatz vom 25.08.2010) und "Von der Höhe der Erbschaft hatte sie keinerlei Kenntnis." (Schriftsatz vom 26.07.20011). Schließlich hat sie im Termin vom 01.08.2011 angegeben: "Ich wusste, dass der Vater meines Ehemannes ein Haus bzw. ein Grundstück mit einem Haus hatte. Ich wusste aber nicht, dass mein Ehemann zusammen mit seinem Bruder dieses Grundstück geerbt haben. Desweiteren war mir auch nicht bekannt, dass die beiden dieses Grundstück für 80.000,00 EUR verkauft hatten." Ungeachtet dessen, wie die unterschiedlichen Angaben der AS zu werten sind, steht diesen jedenfalls die am 05.11.2008 vor dem Notar Dr. I unterzeichnete Erklärung der AS entgegen, mit der sie ihre Zustimmung zu dem zwischen u.a. ihrem Ehemann und einem Erwerber geschlossenen notariellen Kaufvertrag über das ererbte Grundstück zu einem Kaufpreis von 80.000,00 EUR - von dem Restkaufpreis i.H.v. 77.000,00 die Hälfte auf den Ehemann der AS entfallend - erteilt und "die vorgenannte Urkunde ihrem ganzen Inhalt nach" genehmigt hat.

Bereits dies lässt es als gerechtfertigt erscheinen, dass der abgelehnte Richter einen auf Erfüllung des Tatbestandes des § 263 Strafgesetzbuch gerichteten Anfangsverdacht angenommen hat und beabsichtigt, die weitergehende Prüfung und Ermittlung eines Tatvorwurfes der hierfür zuständigen Staatsanwaltschaft zu überlassen. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass er in seine Überlegungen einbezogen hat, dass die AS diverse Anschaffungen (Küche, Schrank, Bett) getätigt, Schulden getilgt und mit ihrer Familie Urlaub in Oberaudorf gemacht hat. Dies ist entgegen der Auffassung der AS kein "Ausdruck einer Überheblichkeit gegenüber einem Sozialhilfeempfänger", sondern ein Gesichtspunkt, der geeignet ist, einen Anfangsverdacht zu stärken. Die Frage, aus welchen Mitteln die AS diese Aufwendungen bestritten hat, ist nämlich nicht von der Hand zu weisen.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände, auf die der abgelehnte Richter seinen Tatverdacht gestützt hat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er sich in angreifbarer Weise leichtfertig und vorschnell zu der Erstattung einer Strafanzeige entschlossen hat. Die AS hatte auch hinreichend Gelegenheit sich zu den aufgezeigten Umständen äußern, da diese bereits nach ihrem Vorbringen im Termin vom 01.08.2011 erörtert worden sind.

Soweit sich die AS zur Begründung ihres Befangenheitsgesuchs darauf beruft, der abgelehnte Richter hätte das Verfahren nicht aussetzen dürfen, sondern müsse den entscheidungserheblichen Sachverhalt selber ermitteln, kann sie mit diesem Vorbringen im Ablehnungsverfahren nicht durchdringen. Das Ablehnungsverfahren dient nämlich nicht der Überprüfung richterlicher Vorgehensweisen auf etwaige Rechts- bzw. Verfahrensfehler; dies ist dem Rechtsmittelverfahren vorbehalten. Die Rüge von Rechts- bzw. Verfahrensverstößen kann allenfalls dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass das mögliche Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muss ohne Weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn der abgelehnte Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken missachtet und Grundrechte verletzt hat oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wurde, dass sich bei dem Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.09.1994 - VIII B 64-76/94 pp - m.w.N.; Beschlüsse des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10.04.2006 - L 10 AR 42/06 und L 10 AR 43/06 - und des Senats vom 25.11.2009 - L 11 AR 117/09 AB -, vom 20.01.2010 - L 11 AR 129/09 AB und L 11 AR 130/09 AB -, vom 17.05.2010 - L 11 SF 102/10 AB -, vom 19.07.2010 - L 11 SF 108/10 AB - und vom 30.03.2011 - L 11 SF 44/11 AB -).

Für eine derartige unsachliche Einstellung des abgelehnten Richters oder für Willkür bestehen indes keine Anhaltspunkte.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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