Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 38 AL 1068/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 82/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch die Rücknahme der Berufung am 5. April 2006 erledigt worden ist. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit sind ein Arbeitslosengeldanspruch für den Zeitraum vom 8. bis 27.4.2003 und vorab die Fragen, ob der Rechtsstreit durch Rücknahme der Berufung erledigt und, falls nicht, ob die Klage verfristet ist.
Die 1945 geborene Klägerin war zuletzt von Dezember 1990 bis Ende September 2002 als Zahnarzthelferin in der Praxis ihres Ehemannes beschäftigt. Auf ihre Arbeitslosmeldung und den Antrag auf Arbeitslosengeld vom 1.10.2002 im damals örtlich zuständigen Arbeitsamt S. bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungssatz von 34,70 EUR und einer Leistungsdauer von 960 Tagen ab 1.10.2002, das zunächst bis einschließlich 6.4.2003 zur Auszahlung gelangte.
Am 7.4.2003 zog die Klägerin nach H. und stellte sich beim dortigen Arbeitsamt, an das dasjenige aus S. den Vorgang gleichzeitig abgab, als nunmehr von ihrem Mann getrennt lebend vor. Nachdem die Klägerin am Abend desselben Tages an einer schmerzhaften Mundhöhlenentzündung erkrankt war, begab sie sich in die Behandlung ihres Ehemannes in S1. Nach deren Abschluss meldete sie sich am 28.4.2003 wieder beim Arbeitsamt H. arbeitslos, beantragte die Fortzahlung von Arbeitslosengeld und legte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum vom 8. bis 27.4.2003 vor.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 5.5.2003 nunmehr Arbeitslosengeld ab 28.4.2003 für noch 772 Tage.
Mit Widerspruch vom 12.5.2003 wandte sich die Klägerin gegen die "finanzielle Sperre" vom 7.bis 27.4.2003, wies auf die bis dahin von der Beklagten noch nicht berücksichtigte persönliche Arbeitslosmeldung am 7.4.2003 sowie die näheren Umstände ihrer Erkrankung und der Behandlung in S1 hin.
Mit Teilabhilfebescheid vom 11.6.2003 bewilligte die Beklagte daraufhin Arbeitslosengeld auch für den 7.4.2003 und dann wieder ab dem 28.4.2003 für noch 771 Tage, hob mit einem Bescheid vom 10.6.2003 die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 8.4.2003 wegen Ortsabwesenheit ab jenem Tag bis zum 27.4.2003 auf und stellte mit einem weiteren Bescheid vom 10.6.2003 eine Minderung der Anspruchsdauer um 20 Tage wegen fehlender Arbeitsbereitschaft innerhalb der Beschäftigungslosigkeit vom 8. bis 27.4.2003 nach § 128 Abs. 1 Nr. 7 des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch (SGB III) fest.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.6.2003, abgesandt am 13.6.2003, nahm die Beklagte den Aufhebungsbescheid vom 10.6.2003 wieder zurück und wies den Widerspruch gegen "den Bescheid vom 5.5.2003 teilweise in Gestalt der Bescheide vom 10.6.2003 und 11.6.2003" im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung hieß es, die Klägerin sei im Zeitraum vom 8. bis 27.4.2003 wegen nicht genehmigter Ortsabwesenheit nicht verfügbar und damit nicht arbeitslos gewesen. Mit weiterem Bescheid vom 18.6.2003 nahm die Beklagte ihren Bescheid vom 10.6.2003 bezüglich der Anspruchsdauerminderung zurück, weil die Klägerin einen wichtigen Grund für ihre Ortsabwesenheit gehabt habe.
Die auf den 20.7.2003 datierte und am 28.7.2003 erhobene Klage hat das Sozialgericht Hamburg nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 14.4.2004, der Klägerin zugestellt am 11.5.2004, als wegen Verfristung unzulässig abgewiesen. Der am 13.6.2003 zur Post gegebene Widerspruchsbescheid der Beklagten gelte nach § 37 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X) als am 16.6.2003 bekannt gegeben, so dass die Frist zur Erhebung der Klage mit Ablauf des 16.7.2003 geendet habe. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Hiergegen hat die Klägerin am 7.6.2004 Berufung eingelegt, wobei sie zunächst davon ausgegangen ist, dass die Beklagte ihr 20 Tage zu wenig an Arbeitslosengeld gezahlt habe, obwohl ihr keinerlei Vorwurf zu machen sei.
In der mündlichen Verhandlung des damals noch zuständigen fünften Senats des Landessozialgerichts Hamburg am 5.4.2006 ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass sie ihren ursprünglichen Anspruch auf Arbeitslosengeld von insgesamt 960 Tagen mit der Bewilligung bis einschließlich 7.6.2005 voll ausgeschöpft habe. Ihr werde deshalb dringend nahe gelegt, das Berufungsverfahren zu beenden. In der vom Senatsvorsitzenden sowie der protokollführenden Urkundsbeamtin unterschriebenen Sitzungsniederschrift heißt es dann weiter:
Daraufhin erklärt die Klägerin:
Die Sache hat sich jetzt nach den Erläuterungen für mich erledigt. Ich nehme die Berufung zurück.
vorgelesen und genehmigt
Nach Übersendung einer Protokollabschrift hat die Klägerin zunächst mit Schriftsatz vom 13.4.2006 "Widerspruch zur Verhandlung" erhoben und – nach Mitteilung des Gerichts, dass das Berufungsverfahren wirksam beendet worden sei – mit weiterem Schriftsatz vom 6.11.2008 ausgeführt, dass ihr die Beklagte für den Zeitraum vom 8. bis 27.4.2003 immer noch ca. 800 EUR schulde, welche nicht gezahlt worden seien. Sie sei ebenso wie der fünfte Senat von der Sitzungsvertreterin der Beklagten am 5.4.2006 in die Irre geführt worden. Tatsächlich habe sie ihren Arbeitslosengeldanspruch nicht ausgeschöpft. Sie habe ebenfalls Lehrgänge (Trainingsmaßnahme Grundkurs Word/Excel vom 25.10. bis 5.11.2004 sowie Aufbaukurs vom 15.11. bis 26.11.2004) besucht, wodurch sich der Anspruch verlängere. Sie habe dies zum Zeitpunkt der Berufungsrücknahmeerklärung nicht wissen können. Sie fühle sich betrogen, bitte, die Sache noch einmal aufzurollen und ihr das fehlende Geld nachzuzahlen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2004 aufzuheben, die Bescheide der Beklagte vom 5. Mai 2003 und 11. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2003 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 8. April 2003 bis 27. April 2003 Arbeitslosengeld dem Grunde nach zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass der Rechtsstreit durch die Rücknahme der Berufung am 5. April 2006 erledigt worden ist, hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Rücknahme der Berufung für wirksam. Einem eventuellen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X sei die Ausschlussfrist des §§ 44 Abs. 4 SGB X entgegenzuhalten. Im Übrigen sei die Berufung unbegründet. Der volle Arbeitslosengeldanspruch von 960 Tagen sei ausgeschöpft worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei § 128 Abs. 1 Nr. 8 SGB III nicht einschlägig, wonach sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um jeweils (nur) einen Tag für jeweils zwei Tage mindere, für die ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung nach dem SGB III erfüllt worden sei. Bei den von der Klägerin besuchten Word/Excel-Kursen habe es sich nicht um längerfristige Maßnahmen der Förderung der beruflichen Weiterbildung im Sinne der §§ 77 ff. SGB III gehandelt, auf die § 128 Abs. 1 Nr. 8 SGB III allein Anwendung finde, sondern um kurzzeitige Trainingsmaßnahmen nach den §§ 48 ff. SGB III in der damals geltenden Fassung.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 07.09.2011 beigezogenen, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten.
Entscheidungsgründe:
Die in der mündlichen Verhandlung vom 5.4.2006 zur Niederschrift des Gerichts erklärte Rücknahme der Berufung nach § 156 SGG hat den Rechtsstreit beendet. Diese Wirkung ist, nachdem angesichts des Streits über deren Wirksamkeit der Rechtsstreit fortgesetzt worden ist, durch Urteil festzustellen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 156 Rdnr. 6; Knecht in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 156 Rdnr. 13).
Die Rücknahmeerklärung ist wirksam.
Anhaltspunkte dafür, dass sie aus prozessrechtlichen Gründen unwirksam sein könnte, liegen nicht vor. Die Formvorschriften der gemäß § 122 SGG entsprechend geltenden §§ 159 bis 165 der Zivilprozessordnung (ZPO) sind eingehalten worden. Insbesondere ist laut Protokoll die Erklärung der Berufungsrücknahme der Klägerin vorgelesen und von dieser genehmigt worden (§ 160 Abs. 3 Nr. 8 in Verbindung mit § 162 Absatz 1 Sätze 1 und 3 ZPO). Das Protokoll beweist gemäß § 165 ZPO die Beachtung der Formvorschriften und erbringt als öffentliche Urkunde nach § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 415 ZPO den vollen Beweis über die Abgabe der Erklärungen. Der zulässige Beweis der Unrichtigkeit ist nicht geführt worden. Die Klägerin gesteht vielmehr zu, dass sie die Erklärung abgegeben habe.
Die Zurücknahme als Prozesshandlung kann grundsätzlich nicht angefochten werden; ein Widerruf ist nur unter engen, im Einzelnen in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich angenommenen Voraussetzungen, in extremen Ausnahmefällen möglich, z.B. wenn Restitutionsgründe im Sinne des § 580 ZPO vorliegen oder wenn der Grundsatz von Treu und Glauben das Festhalten an der Prozesshandlung verbietet (Keller, aaO, vor § 60 Rdnr. 12a sowie § 156 Rdnr. 2a; Knecht, aaO, § 156 Rdnr. 1; BSG 29.03.1961 - 2 RU 204/56, BSGE 14, 138; jeweils mwN).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Insbesondere ist die Klägerin nicht über den Umstand getäuscht worden, dass sie trotz der Zahlungsunterbrechung um 20 Tage ihren vollen, ursprünglich bewilligten Arbeitslosengeldanspruch von 960 Tagen realisiert hat. Dies geschah durch Zahlungen bis einschließlich 7.6.2005. Auch die Ausführungen der Beklagten zu der Nichtanwendbarkeit von § 128 Abs. 1 Nr. 8 SGB III sind nicht zu beanstanden. Bei den Programmschulungen von jeweils zweiwöchiger Dauer handelte es sich nicht um berufliche Weiterbildungsmaßnahmen im Sinne der §§ 77 ff. SGB III, sondern um Trainingsmaßnahmen im Sinne der §§ 48 ff. SGB III in der damals geltenden Fassung.
Fraglich ist darüber hinaus, ob ein etwaiger zulässiger Widerruf fristgerecht oder eventuell verwirkt wäre. Die Monatsfrist entsprechend § 202 SGG in Verbindung mit § 586 ZPO (vgl. Keller, aaO, § 156 Rdnr. 2a aE mN) wäre zwar mit dem Schriftsatz vom 13.04.2006, nicht jedoch mit demjenigen vom 6.11.2008 eingehalten worden.
Im Übrigen würde selbst ein erfolgreicher Widerruf der Berufungsrücknahme der Klägerin nicht zu einem Erfolg verhelfen können. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig wegen Verfristung abgewiesen. Auf die entsprechenden Entscheidungsgründe wird Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Demnach sind die angefochtenen Bescheide in jedem Fall bestandskräftig und damit bindend (§ 77 SGG). Einem gegebenenfalls zu erwägenden Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X wäre, worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat, die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X entgegenzuhalten, wonach Sozialleistungen nach Rücknahme eines diese zu Unrecht ablehnenden Verwaltungsakts längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor Beginn des Jahres erbracht werden, in dem die Rücknahme beantragt worden ist. So kann es dahin gestellt bleiben, ob die Beklagte der Klägerin zu Recht oder zu Unrecht für den Zeitraum vom 8. bis 27.4.2003 kein Arbeitslosengeld gezahlt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Im Streit sind ein Arbeitslosengeldanspruch für den Zeitraum vom 8. bis 27.4.2003 und vorab die Fragen, ob der Rechtsstreit durch Rücknahme der Berufung erledigt und, falls nicht, ob die Klage verfristet ist.
Die 1945 geborene Klägerin war zuletzt von Dezember 1990 bis Ende September 2002 als Zahnarzthelferin in der Praxis ihres Ehemannes beschäftigt. Auf ihre Arbeitslosmeldung und den Antrag auf Arbeitslosengeld vom 1.10.2002 im damals örtlich zuständigen Arbeitsamt S. bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungssatz von 34,70 EUR und einer Leistungsdauer von 960 Tagen ab 1.10.2002, das zunächst bis einschließlich 6.4.2003 zur Auszahlung gelangte.
Am 7.4.2003 zog die Klägerin nach H. und stellte sich beim dortigen Arbeitsamt, an das dasjenige aus S. den Vorgang gleichzeitig abgab, als nunmehr von ihrem Mann getrennt lebend vor. Nachdem die Klägerin am Abend desselben Tages an einer schmerzhaften Mundhöhlenentzündung erkrankt war, begab sie sich in die Behandlung ihres Ehemannes in S1. Nach deren Abschluss meldete sie sich am 28.4.2003 wieder beim Arbeitsamt H. arbeitslos, beantragte die Fortzahlung von Arbeitslosengeld und legte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum vom 8. bis 27.4.2003 vor.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 5.5.2003 nunmehr Arbeitslosengeld ab 28.4.2003 für noch 772 Tage.
Mit Widerspruch vom 12.5.2003 wandte sich die Klägerin gegen die "finanzielle Sperre" vom 7.bis 27.4.2003, wies auf die bis dahin von der Beklagten noch nicht berücksichtigte persönliche Arbeitslosmeldung am 7.4.2003 sowie die näheren Umstände ihrer Erkrankung und der Behandlung in S1 hin.
Mit Teilabhilfebescheid vom 11.6.2003 bewilligte die Beklagte daraufhin Arbeitslosengeld auch für den 7.4.2003 und dann wieder ab dem 28.4.2003 für noch 771 Tage, hob mit einem Bescheid vom 10.6.2003 die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 8.4.2003 wegen Ortsabwesenheit ab jenem Tag bis zum 27.4.2003 auf und stellte mit einem weiteren Bescheid vom 10.6.2003 eine Minderung der Anspruchsdauer um 20 Tage wegen fehlender Arbeitsbereitschaft innerhalb der Beschäftigungslosigkeit vom 8. bis 27.4.2003 nach § 128 Abs. 1 Nr. 7 des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch (SGB III) fest.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.6.2003, abgesandt am 13.6.2003, nahm die Beklagte den Aufhebungsbescheid vom 10.6.2003 wieder zurück und wies den Widerspruch gegen "den Bescheid vom 5.5.2003 teilweise in Gestalt der Bescheide vom 10.6.2003 und 11.6.2003" im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung hieß es, die Klägerin sei im Zeitraum vom 8. bis 27.4.2003 wegen nicht genehmigter Ortsabwesenheit nicht verfügbar und damit nicht arbeitslos gewesen. Mit weiterem Bescheid vom 18.6.2003 nahm die Beklagte ihren Bescheid vom 10.6.2003 bezüglich der Anspruchsdauerminderung zurück, weil die Klägerin einen wichtigen Grund für ihre Ortsabwesenheit gehabt habe.
Die auf den 20.7.2003 datierte und am 28.7.2003 erhobene Klage hat das Sozialgericht Hamburg nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 14.4.2004, der Klägerin zugestellt am 11.5.2004, als wegen Verfristung unzulässig abgewiesen. Der am 13.6.2003 zur Post gegebene Widerspruchsbescheid der Beklagten gelte nach § 37 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X) als am 16.6.2003 bekannt gegeben, so dass die Frist zur Erhebung der Klage mit Ablauf des 16.7.2003 geendet habe. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Hiergegen hat die Klägerin am 7.6.2004 Berufung eingelegt, wobei sie zunächst davon ausgegangen ist, dass die Beklagte ihr 20 Tage zu wenig an Arbeitslosengeld gezahlt habe, obwohl ihr keinerlei Vorwurf zu machen sei.
In der mündlichen Verhandlung des damals noch zuständigen fünften Senats des Landessozialgerichts Hamburg am 5.4.2006 ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass sie ihren ursprünglichen Anspruch auf Arbeitslosengeld von insgesamt 960 Tagen mit der Bewilligung bis einschließlich 7.6.2005 voll ausgeschöpft habe. Ihr werde deshalb dringend nahe gelegt, das Berufungsverfahren zu beenden. In der vom Senatsvorsitzenden sowie der protokollführenden Urkundsbeamtin unterschriebenen Sitzungsniederschrift heißt es dann weiter:
Daraufhin erklärt die Klägerin:
Die Sache hat sich jetzt nach den Erläuterungen für mich erledigt. Ich nehme die Berufung zurück.
vorgelesen und genehmigt
Nach Übersendung einer Protokollabschrift hat die Klägerin zunächst mit Schriftsatz vom 13.4.2006 "Widerspruch zur Verhandlung" erhoben und – nach Mitteilung des Gerichts, dass das Berufungsverfahren wirksam beendet worden sei – mit weiterem Schriftsatz vom 6.11.2008 ausgeführt, dass ihr die Beklagte für den Zeitraum vom 8. bis 27.4.2003 immer noch ca. 800 EUR schulde, welche nicht gezahlt worden seien. Sie sei ebenso wie der fünfte Senat von der Sitzungsvertreterin der Beklagten am 5.4.2006 in die Irre geführt worden. Tatsächlich habe sie ihren Arbeitslosengeldanspruch nicht ausgeschöpft. Sie habe ebenfalls Lehrgänge (Trainingsmaßnahme Grundkurs Word/Excel vom 25.10. bis 5.11.2004 sowie Aufbaukurs vom 15.11. bis 26.11.2004) besucht, wodurch sich der Anspruch verlängere. Sie habe dies zum Zeitpunkt der Berufungsrücknahmeerklärung nicht wissen können. Sie fühle sich betrogen, bitte, die Sache noch einmal aufzurollen und ihr das fehlende Geld nachzuzahlen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2004 aufzuheben, die Bescheide der Beklagte vom 5. Mai 2003 und 11. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2003 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 8. April 2003 bis 27. April 2003 Arbeitslosengeld dem Grunde nach zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass der Rechtsstreit durch die Rücknahme der Berufung am 5. April 2006 erledigt worden ist, hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Rücknahme der Berufung für wirksam. Einem eventuellen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X sei die Ausschlussfrist des §§ 44 Abs. 4 SGB X entgegenzuhalten. Im Übrigen sei die Berufung unbegründet. Der volle Arbeitslosengeldanspruch von 960 Tagen sei ausgeschöpft worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei § 128 Abs. 1 Nr. 8 SGB III nicht einschlägig, wonach sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um jeweils (nur) einen Tag für jeweils zwei Tage mindere, für die ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung nach dem SGB III erfüllt worden sei. Bei den von der Klägerin besuchten Word/Excel-Kursen habe es sich nicht um längerfristige Maßnahmen der Förderung der beruflichen Weiterbildung im Sinne der §§ 77 ff. SGB III gehandelt, auf die § 128 Abs. 1 Nr. 8 SGB III allein Anwendung finde, sondern um kurzzeitige Trainingsmaßnahmen nach den §§ 48 ff. SGB III in der damals geltenden Fassung.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 07.09.2011 beigezogenen, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten.
Entscheidungsgründe:
Die in der mündlichen Verhandlung vom 5.4.2006 zur Niederschrift des Gerichts erklärte Rücknahme der Berufung nach § 156 SGG hat den Rechtsstreit beendet. Diese Wirkung ist, nachdem angesichts des Streits über deren Wirksamkeit der Rechtsstreit fortgesetzt worden ist, durch Urteil festzustellen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 156 Rdnr. 6; Knecht in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 156 Rdnr. 13).
Die Rücknahmeerklärung ist wirksam.
Anhaltspunkte dafür, dass sie aus prozessrechtlichen Gründen unwirksam sein könnte, liegen nicht vor. Die Formvorschriften der gemäß § 122 SGG entsprechend geltenden §§ 159 bis 165 der Zivilprozessordnung (ZPO) sind eingehalten worden. Insbesondere ist laut Protokoll die Erklärung der Berufungsrücknahme der Klägerin vorgelesen und von dieser genehmigt worden (§ 160 Abs. 3 Nr. 8 in Verbindung mit § 162 Absatz 1 Sätze 1 und 3 ZPO). Das Protokoll beweist gemäß § 165 ZPO die Beachtung der Formvorschriften und erbringt als öffentliche Urkunde nach § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 415 ZPO den vollen Beweis über die Abgabe der Erklärungen. Der zulässige Beweis der Unrichtigkeit ist nicht geführt worden. Die Klägerin gesteht vielmehr zu, dass sie die Erklärung abgegeben habe.
Die Zurücknahme als Prozesshandlung kann grundsätzlich nicht angefochten werden; ein Widerruf ist nur unter engen, im Einzelnen in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich angenommenen Voraussetzungen, in extremen Ausnahmefällen möglich, z.B. wenn Restitutionsgründe im Sinne des § 580 ZPO vorliegen oder wenn der Grundsatz von Treu und Glauben das Festhalten an der Prozesshandlung verbietet (Keller, aaO, vor § 60 Rdnr. 12a sowie § 156 Rdnr. 2a; Knecht, aaO, § 156 Rdnr. 1; BSG 29.03.1961 - 2 RU 204/56, BSGE 14, 138; jeweils mwN).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Insbesondere ist die Klägerin nicht über den Umstand getäuscht worden, dass sie trotz der Zahlungsunterbrechung um 20 Tage ihren vollen, ursprünglich bewilligten Arbeitslosengeldanspruch von 960 Tagen realisiert hat. Dies geschah durch Zahlungen bis einschließlich 7.6.2005. Auch die Ausführungen der Beklagten zu der Nichtanwendbarkeit von § 128 Abs. 1 Nr. 8 SGB III sind nicht zu beanstanden. Bei den Programmschulungen von jeweils zweiwöchiger Dauer handelte es sich nicht um berufliche Weiterbildungsmaßnahmen im Sinne der §§ 77 ff. SGB III, sondern um Trainingsmaßnahmen im Sinne der §§ 48 ff. SGB III in der damals geltenden Fassung.
Fraglich ist darüber hinaus, ob ein etwaiger zulässiger Widerruf fristgerecht oder eventuell verwirkt wäre. Die Monatsfrist entsprechend § 202 SGG in Verbindung mit § 586 ZPO (vgl. Keller, aaO, § 156 Rdnr. 2a aE mN) wäre zwar mit dem Schriftsatz vom 13.04.2006, nicht jedoch mit demjenigen vom 6.11.2008 eingehalten worden.
Im Übrigen würde selbst ein erfolgreicher Widerruf der Berufungsrücknahme der Klägerin nicht zu einem Erfolg verhelfen können. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig wegen Verfristung abgewiesen. Auf die entsprechenden Entscheidungsgründe wird Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Demnach sind die angefochtenen Bescheide in jedem Fall bestandskräftig und damit bindend (§ 77 SGG). Einem gegebenenfalls zu erwägenden Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X wäre, worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat, die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X entgegenzuhalten, wonach Sozialleistungen nach Rücknahme eines diese zu Unrecht ablehnenden Verwaltungsakts längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor Beginn des Jahres erbracht werden, in dem die Rücknahme beantragt worden ist. So kann es dahin gestellt bleiben, ob die Beklagte der Klägerin zu Recht oder zu Unrecht für den Zeitraum vom 8. bis 27.4.2003 kein Arbeitslosengeld gezahlt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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