L 8 SB 405/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 4255/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 405/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist noch die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) für einen zurückliegenden Zeitraum streitig.

Der Kläger begehrt die Feststellung eines GdB von 50 für die Zeit vom 01.01.2007 bis 11.09.2008 statt eines GdBs von 30 für die Zeit vom 01.06.2006 bis 31.05.2008 und von 40 für die Zeit vom 01.06.2008 bis 11.09.2008. Für die Zeit ab 12.09.2008 ist beim Kläger ein GdB von 100 festgestellt.

Der 1947 geborene Kläger stellte am 01.04.2004 einen Erstantrag auf Anerkennung einer Behinderung nach dem SGB IX.

Mit Bescheid des Landratsamts E. (VA) vom 03.06.2005 wurde ein GdB von 20 seit 01.06.2003 festgestellt. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Prüfung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass folgende Funktionsbeeinträchtigungen vorlägen: koronare Herzkrankheit, abgelaufener Herzinfarkt, Stentimplantation (Teil-GdB 20). Reaktive Depression (Teil-GdB 10). Die Auswirkung dieser Funktionsbeeinträchtigungen sei mit einem GdB von 20 angemessen bewertet. Die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen "Unklare Gliederschmerzen und Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule" bedingten keine Funktionsbeeinträchtigung bzw. keinen Einzel-GdB von wenigstens 10 und stellten deshalb keine Behinderung im Sinne des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) dar.

Der dagegen vom Bevollmächtigten des Klägers eingelegte Widerspruch wurde trotz Erinnerung nicht begründet. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2005 wurde er zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Bevollmächtigte des Klägers am 14.10.2005 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) mit dem Begehren, den Beklagten dazu zu verurteilen, einen GdB von wenigstens 30 anzuerkennen. Zur Begründung gab er an, die reaktive Depression sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Das SG hörte den Facharzt für Innere Medizin Dr. M. als sachverständigen Zeugen (Auskunft vom 23.07.2006), der seit Juni 2006 den GdB auf 20 bis 40 einschätzte.

Anschließend holte das SG von Amts wegen das internistische Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. H. , Freiburg, vom 17.09.2008 ein, das aufgrund der ambulanten Untersuchungen des Klägers am 01.09. und 10.09.2008 erstattet wurde. Der gerichtliche Sachverständige führte in seinem Gutachten aus, bei dem Kläger bestehe eine koronare Herzerkrankung, die sich erstmals 2003 in Gestalt eines Hinterwandinfarkts manifestiert habe. Als Risikofaktoren für die koronare Herzkrankheit bestünden Übergewicht und eine auch jetzt nachweisbare Fettstoffwechselstörung. Des Weiteren bestehe ein rheumatisches, nicht näher einzuordnendes Beschwerdebild, derzeit vor allem im Bereich der rechten Hand; objektive Befunde eines Gelenkrheumatismus seien nicht zu erheben gewesen. Die beim Kläger vorliegenden Behinderungen seien wie folgt zu bezeichnen: a) Koronare Herzerkrankung mit mäßiggradiger Beeinträchtigung der körperlichen Belastbarkeit bei Vorhofflimmern. b) Therapiebedingt herabgesetzte Blutgerinnung. c) Intermittierendes ("rheumatisches") Schmerzsyndrom an beiden Händen. Die Beeinträchtigung der körperlichen Belastbarkeit sei als leicht bis mittelschwer einzuordnen. Es bestehe eine leichtgradige Beeinträchtigung des Wohlbefindens durch die Rhythmusstörungen. Die vermehrte Blutungsneigung unter gerinnungshemmender Behandlung sei als leichtgradig zu bezeichnen, dennoch führe das nie auszuschließende Risiko einer Blutungskomplikation (z.B. durch Verletzung oder Einnahmefehler) zu einer Minderung der Lebensqualität. Die Beeinträchtigung durch das Schmerzsyndrom der Hände sei als leichtgradig einzustufen. Für die Belastungs-Herzinsuffizienz erscheine aktuell ein GdB von 30 angemessen, hierbei sei die zusätzliche Funktionsbeeinträchtigung durch das Vorhofflimmern seit 2008 zu berücksichtigen. Das Vorhofflimmern bedinge zusätzlich durch die hierdurch verursachte subjektive Belästigung seit Frühjahr 2008 einen GdB von 20. Die therapiebedingte Gerinnungsstörung seit Frühjahr 2008 bedinge einen GdB von 10. Das Schmerzsyndrom im Bereich der Hände verursache einen GdB von 10. Insgesamt halte er einen GdB von 40 für angemessen.

Am 12.09.2008 erlitt der Kläger einen anaphylaktischen Schock mit nachfolgender Hirnschädigung. In der ärztlichen Bescheinigung der Neurologischen Klinik E. vom 09.10.2008 führte der Stationsarzt B. aus, der Kläger befinde sich seit 24.09.2008 bis auf Weiteres in stationärer Behandlung. Beim Kläger bestehe nach Reanimation vom 12.09.2008 eine schwere hypoxische Hirnschädigung. Der Patient befinde sich im Vollbild des Wachkomas. Er sei weder verhandlungs- noch geschäftsfähig. Aufgrund des bisherigen Verlaufes sei dauerhaft von einer Verhandlungs- und Geschäftsunfähigkeit auszugehen.

Der Bevollmächtigte des Klägers führte hierzu ergänzend aus, der Kläger sei wahrscheinlich aufgrund eines anaphylaktischen Schocks zusammengebrochen und habe am 12.09.2008 reanimiert werden müssen; er sei dann in ein künstliches Koma für zwei Tage versetzt worden, sei aber nach Absetzen der Narkosemittel nicht mehr eigenständig aufgewacht.

Aufgrund der bislang vorliegenden Arztberichte und nach Auswertung des Gutachtens von Dr. H. unterbreitete der Beklagte das Vergleichsangebot vom 08.12.2008, wonach er sich bereit erklärte, den GdB mit 30 ab Juni 2006 sowie mit 40 ab Juni 2008 festzustellen; zusätzlich werde ab Juni 2006 eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festgestellt.

Am 02.04.2009 ging beim Landratsamt E. (VA) ein Änderungsantrag mit neuen Befunden ein.

Nach Anhörung des Hausarztes Dr. K. als sachverständiger Zeuge (schriftliche Stellungnahme vom 14.06.2009) unterbreitete der Beklagte mit Schriftsatz vom 23.07.2009 folgendes Vergleichsangebot:

1. Der Grad der Behinderung beträgt 30 ab Juni 2006 sowie 40 ab Juni 2008. Zusätzlich wird ab Juni 2006 eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festgestellt. 2. Ab 12.09.2008 beträgt der GdB 100. 3. Es wird festgestellt, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen G, B, H, aG und RF ab 12.09.2008 erfüllt sind. 4. Die außergerichtlichen Kosten werden zu einem Drittel erstattet. 5. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit für erledigt.

Das Vergleichsangebot des Beklagten vom 23.07.2009 wurde am 12.08.2009 dem Bevollmächtigten des Klägers übersandt.

Am 23.09.2009 ging per Fax ein Schreiben der Ehefrau des Klägers vom 22.09.2009 ein. Der Text lautet: "Wir nehmen das Vergleichsangebot vom 23.07.09 an. Da mein Mann seit September 2008, aufgrund einer Hirnschädigung, im Wachkoma liegt, unterschreibe ich als bestellter Betreuer. Vielen Dank. Mit freundlichen Grüßen, M F ".

Auf Anforderung des SG wurde der Beschluss des Amtsgerichts Kenzingen - Vormundschaftsgericht - vom 27.10.2008 übersandt, wonach M F zur Betreuerin bestellt worden ist. Der Aufgabenkreis umfasst die Gesundheitsfürsorge.

Das SG teilte der Ehefrau des Klägers am 29.09.2009 mit, die Bestellung als Betreuerin ihres Ehemannes umfasse nach dem Beschluss des Amtsgerichts Kenzingen lediglich den Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Ehefrau des Klägers auch verfahrensbeendigende Erklärungen in einem Verfahren vor dem Sozialgericht, in welchem der Grad der Behinderung streitig sei, abgeben dürfe. Es werde vorgeschlagen, sich mit dem Bevollmächtigten (Rentenberater ... ) in Verbindung zu setzen und mit ihm zu besprechen, dass der Vergleichsvorschlag des Beklagten angenommen werden solle.

Mit Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers vom 10.11.2009 teilte dieser mit, dass das Vergleichsangebot des Beklagten vom 23.07.2009 Betreffs Ziff. 2 und Ziff. 3 angenommen werde.

Der Beklagte gelangte zu dem Ergebnis, das Vergleichsangebot vom 23.07.2009 sei zu Ziff. 2 und 3 als Teilanerkenntnis angenommen worden und es werde daher ein Bescheid erteilt, der nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens werde.

In Ausführung des Teilanerkenntnisses vom 23.07.2009 erging der Bescheid vom 04.12.2009. Damit wurde der GdB mit 100 seit 12.09.2008 festgestellt. Zur Inanspruchnahme entsprechender Nachteilsausgleiche wurden folgende gesundheitliche Merkmale (Merkzeichen) festgestellt: G, B, H, aG, RF. Die Voraussetzungen für die Feststellung dieser Merkzeichen seien ab 12.09.2008 erfüllt.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.01.2010 wurde der Bescheid des Beklagten vom 03.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2005 dahin abgeändert, dass bei dem Kläger ein Grad der Behinderung von 30 ab 06/2006 und von 40 ab 06/2008 festgestellt wird; im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Gegen den - dem Bevollmächtigten des Klägers am 21.01.2010 zugestellten - Gerichtsbescheid hat der Bevollmächtigte des Klägers am 25.01.2010 Berufung eingelegt mit dem Ziel, den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von wenigstens 50 ab Beginn des Jahres 2007 anzuerkennen. Zur Begründung führte er aus: Vor dem Hintergrund versicherungsmathematischer Abschläge im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung sei ein GdB von 50 zu einem früheren Zeitpunkt von Bedeutung. Es habe eine mit einem GdB von 30 angemessen bewertete Herzinsuffizienz vorgelegen und zusätzlich werde durch das Vorhofflimmern und die Herzrhythmusstörungen ein GdB von 20 hervorgerufen. Auch Dr. H. habe in seinem Gutachten den Gesamt-GdB nicht korrekt bemessen, da er die Vorgabe der AHP für eine gegenseitig sich verschlimmernde Behinderung dabei nicht berücksichtigt habe. Die Ausführungen des SG hinsichtlich der Kostenübernahme seien ganz und gar nicht nachvollziehbar und vertretbar. Der Kläger hat sich auf den Befundbericht des Herzzentrums Bad K. vom 22.06.2007 berufen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 16.02.2010 ist der Bevollmächtigte des Klägers darum gebeten worden, den mit Schriftsatz vom 25.01.2010 gestellten Antrag zu überprüfen; ein Rechtsschutzbedürfnis dürfte - zumindest ab 12.09.2008 - nicht gegeben sein. Eine Antwort hierauf ist von Seiten des Bevollmächtigten des Klägers nicht eingegangen.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Januar 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von wenigstens 50 ab Beginn des Jahres 2007 anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Akten des SG Freiburg und der Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden konnte, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Soweit der Bevollmächtigte des Klägers beantragt hat, einen GdB von wenigstens 50 ab Beginn des Jahres 2007 (bis heute) festzustellen, ist sein Begehren für die Zeit ab 12.09.2008 mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da der Beklagte für die Zeit ab 12.09.2008 (bis heute) einen GdB von 100 festgestellt hat.

Hinsichtlich des Zeitraumes vom 01.01.2007 bis 11.09.2008 steht dem Kläger ein Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 nicht zu. Zutreffend hat vielmehr das SG den GdB für die Zeit vom 01.01.2007 bis 31.05.2008 mit 30 und für die anschließende Zeit bis 11.09.2008 mit 40 festgestellt. Zu Recht hat das SG darauf hingewiesen, dass sich für die koronare Herzkrankheit, den Herzinfarkt, die Stentimplantation und die Herzrhythmusstörungen ein GdB von 30 ab 06/2006 bzw. 40 ab 06/2008 ergibt und sich hierbei auf das gerichtliche Sachverständigengutachten des Dr. H. stützt. Wie das SG in der angefochtenen Entscheidung des weiteren ausgeführt hat, liegen weitere - den GdB erhöhende - Funktionsbeeinträchtigungen hinsichtlich des streitigen Zeitraums vom 01.01.2007 bis 11.09.2008 nicht vor. Ein gesonderter Einzel-GdB wegen der geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen könne unter Berücksichtigung der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. H. nicht angenommen werden. Die Beeinträchtigung der Hände wirke sich nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB aus, wobei dahinstehen könne, ob - in Übereinstimmung mit Dr. H. - von einem Einzel-GdB von 10 oder entsprechend dem Beklagtenvorbringen von keinem messbaren Einzel-GdB auszugehen sei. Eine Kostenerstattung durch den Beklagten zu 1/6 entspreche der Billigkeit. Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung zur Begründung seiner Entscheidung den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides an, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist auszuführen:

Soweit der Bevollmächtigte des Klägers geltend gemacht hat, der gerichtliche Sachverständige Dr. H. habe eine Bewertung der Herzinsuffizienz mit einem GdB von 30 als angemessen angesehen und zusätzlich das Vorhofflimmern und die Herzrhythmusstörungen mit einem GdB von 20 bewertet, bei der Bildung des Gesamt-GdB’s aber die Vorgabe der AHP für ein gegenseitig sich verschlimmernde Behinderung nicht berücksichtigt, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Zu berücksichtigen ist vielmehr, dass die koronare Herzerkrankung mit mäßiggradiger Beeinträchtigung der körperlichen Belastbarkeit bei Vorhofflimmern und die therapiebedingt herabgesetzte Blutgerinnung zwar verschiedene Funktionsbeeinträchtigungen darstellen, die aber allein die Herzerkrankung betreffen, sodass für die Herzerkrankung auch nur ein Teil-GdB anzunehmen ist.

Hinsichtlich der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP), die hier noch für den streitigen Zeitraum maßgeblich sind, zu berücksichtigen, dass bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen die einzelnen Werte nicht addiert werden dürfen (vgl. Rdnr. 19 Abs. 1 der AHP). Den Einwand des Bevollmächtigten des Klägers, der gerichtliche Sachverständige habe bei der Bildung des Gesamt-GdB die Vorgabe der AHP nicht berücksichtigt, vermag der Senat daher nicht zu teilen.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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