L 23 SO 166/11 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 90 SO 1336/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 SO 166/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2011 abgeändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 1. Juni 2011 gegen die Aufrechnung in dem Bescheid vom 28. April 2011 in der Fassung vom 27. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2011 in der Fassung des Schriftsatzes des Antragsgegners vom 20. Juli 2011 wird wiederhergestellt. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2011, mit dem das SG abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 01. Juni 2011 gegen die im Bescheid vom 28. April 2011 erklärte Aufrechnung nach § 26 Abs. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII - anzuordnen, ist zulässig und begründet.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§ 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Es wird dabei stets die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet, auch wenn bereits die Anfechtungsklage anhängig ist (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage, Rn. 1000).

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG ist statthaft, denn der Widerspruch gegen die Aufrechnung entfaltet wegen der nachträglich vom Antragsgegner mit gerichtlichem Schriftsatz vom 20. Juli 2011 angeordneten sofortigen Vollziehung gemäß § 86a Abs. 1, 2 Nr. 5 SGG keine aufschiebende Wirkung (zur Verwaltungsaktqualität einer Aufrechnungserklärung als Regelung eines Einzelfalles mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen vgl. BSG, Vorlagebeschluss vom 05. Februar 2009 - B 13 R 31/08 R - Juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. Juli 2008 - L 20 AS ER - Juris).

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist auch begründet.

Bei der Prüfung, ob die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs nach § 86b Abs. 1 SGG anzuordnen bzw. wiederherzustellen ist, sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b, Rn. 12 ff). Bei einem Entfallen der aufschiebenden Wirkung durch Anordnung der sofortigen Vollziehung wie im vorliegenden Fall ist bei der Prüfung zu beachten, dass nach § 86a Abs. 1 SGG Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben sollen und daher die Abkehr von diesem Grundsatz zunächst formal rechtmäßig erfolgen muss. Ist das nicht der Fall, ist die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. Vorliegend war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 01. Juni 2011 gegen den Aufrechnungsbescheid vom 28. April 2011 bereits deswegen wiederherzustellen, weil der Antragsgegner die sofortige Vollziehung des Bescheids formal rechtswidrig angeordnet hat.

Nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG bedarf die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer schriftlichen Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung ist nicht bereits genügt, wenn überhaupt eine Begründung gegeben wird. Es bedarf vielmehr einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat (BVerwG, Beschluss vom 18. September 2001 - 1 DB 26/01). Dem wird die hier vorliegende Begründung des Antragsgegners zur Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides über die Aufrechnung nicht gerecht.

Eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Darstellung des öffentlichen Interesses und eine Abwägung mit dem Interesse des Antragstellers am Bestand der vom Gesetz grundsätzlich angeordneten aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs ist der Begründung des Antragsgegners nicht zu entnehmen. Der Senat ist auch nicht befugt, eine unzureichende Begründung mit den erforderlichen Erwägungen anzureichern. Daher kann offen bleiben, ob das Nachholen einer Begründung im Beschwerdeverfahren zulässig ist.

Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung damit begründet, dass sofern die sofortige Vollziehung nicht angeordnet werde, die Gefahr bestehe, dass die Forderung uneinbringlich ist. Zwar ist zutreffend, dass bei Geldforderungen auch fiskalische Gründe ein öffentliches Interesse darstellen können, wenn deren Vollstreckung gefährdet erscheint (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. August 2003 - L 13 AL 2374/03 m. w. N.). Eine solche Gefährdung hat der Antragsgegner in seiner Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung aber nicht dargelegt, denn Gründe, warum die Forderung uneinbringlich werden sollte, werden weder ausgeführt noch erschließen sich diese etwa ohne weiteres.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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