Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 33 SB 35/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 80/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. März 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungs- verfahrens – an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).
Für die 1936 geborene Klägerin stellte der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 24. September 2008 unter Zuerkennung der Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung), "B" (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson) und "T" (Teilnahme am Sonderfahrdienst) bei Ablehnung des Merkzeichens "RF" einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 fest. Dem legte der Beklagte entsprechend den Feststellungen der Fachärztin für Sportmedizin, Ärztin für Chirotherapie - Sozialmedizin - in ihrem auf Grundlage einer körperlicher Untersuchung der Klägerin erstellten ärztlichen Gutachten vom 29. August 2008 folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde (in Klammern jeweils die verwaltungsintern zugeordneten Einzel-GdB):
a) Kunstgelenkersatz der Hüfte links, Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes beidseits, Kunstgelenkersatz des Knies rechts, Funktionsbehinderung des Kniegelenkes beidseits, Funktionsstörung durch Fußfehlform beidseits, chronische venöse Insuffizienz (Krampfaderleiden) des Beines beidseits, Polyneuropathie (70), b) Herzleistungsminderung bei Herzrhythmusstörungen, sekundäre pulmonale Hypertonie (50), c) Wirbelsäulenfehlhaltung und Verschleiß, Bandschäden im Lendenwirbelsäulen- bereich, Funktionsbehinderung der gesamten Wirbelsäule (40), d) mehrfach operiertes Brustdrüsenleiden links nach Ablauf der Heilungs- bewährung (30), e) Hörminderung, Ohrgeräusche (30), f) Medikamentös behandeltes Schilddrüsenleiden (20), g) Sehminderung, eingepflanzte Kunstlinse beidseits (20), h) Depression (20), i) Diabetes mellitus (10), j) Bauchnarbenbruch (10), k) Harninkontinenz (10).
Unter dem 2. April 2009 beantragte die Klägerin wegen Verschlimmerung und Hinzutreten neuer Behinderungen eine Neufeststellung bei Geltendmachung des Merkzeichens "RF".
Der Beklagte holte eine gutachterliche Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin nach Aktenlage vom 29. April 2009 ein, der bei Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" einen GdB von 100 feststellte und dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde legte (in Klammern jeweils die verwaltungsinternen zugeordneten Einzel-GdB):
a) Kunstgelenkersatz der Hüfte links, Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes beidseits, Kunstgelenkersatz des Knies rechts, Funktionsbehinderung des Kniegelenkes beidseits, Funktionsbehinderung des oberen Sprunggelenkes beidseits, Funktionsstörung durch Fußfehlform beidseits, chronische venöse Insuffizienz (Krampfaderleiden) des Beines beidseits, Polyneuropathie (70), b) Herzleistungsminderung, Herzrhythmusstörungen, Herzklappenfehler, pulmonale Hypertonie, Bluthochdruck (50), c) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelsäulenfehlhaltung und Verschleiß, Bandschäden im Lendenwirbelsäulenbereich, Spinalkanalstenose (40), d) mehrfach operiertes Brustdrüsenleiden links nach Ablauf der Heilungs- bewährung (30), e) Hörminderung, Ohrgeräusche (30), f) Medikamentös behandeltes Schildrüsenleiden (20), g) Sehminderung, eingepflanzte Kunstlinse beidseits (20), h) Depression (20), i) Verlust der Gallenblase, Bauchnarbenbruch (20), j) Funktionsbehinderung des Schultergelenks beidseits (20), k) Lungenfunktionseinschränkung (20), l) Diabetes mellitus (10), m) Harninkontinenz (10), n) Leberschaden (10).
Dem folgend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16. Juni 2009 eine Neufeststellung ab. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" seien nicht gegeben. Auf den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 23. Juni 2009 holte der Beklagte eine weitere gutachterliche Stellungnahme des Facharztes für Allgemeinmedizin vom 13. Oktober 2009 nach Aktenlage ein, der bei Verneinung der Voraussetzungen für das Vorliegen des Merkzeichens "RF" einen GdB von 100 unter Zugrundelegung der bereits vom Beklagten anerkannten Funktionsbeeinträchtigungen feststellte. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2009 wies der Beklagte diesen Feststellungen folgend den Widerspruch der Klägerin zurück.
Mit der am 6. Januar 2010 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF" weiter. Zur Begründung machte sie unter Verweis auf den zuerkannten GdB von100 geltend, dass ihr insbesondere durch die Spinalkanalstenose eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht möglich sei. Sie könne nur kurz stehen und nicht lange sitzen. Die meiste Zeit liege sie. Zudem bestehe eine schwere Harninkontinenz.
Das Sozialgericht hat der Klägerin mit Schreiben vom 31. Mai 2010 mitgeteilt, dass medizinische Ermittlungen nicht beabsichtigt sind und sie unter dem 13. Juli 2010 zu einer schriftlichen Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört, dem die Klägerin mit Schreiben vom 21. Juli 2010 widersprach und in der Folgezeit auf ein Nierensteinleiden verwies. Mit Gerichtsbescheid vom 23. März 2011 hat das Sozialgericht die Klage unter Auswertung der aktenkundigen Befunde und der dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahme abgewiesen.
Gegen den am 31. März 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 21. April 2011 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt, mit der sie geltend macht, dass die bei ihr bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen gegenseitig verschlimmernd zusammenwirken würden, so dass sie auf Dauer an öffentlichen Veranstaltungen gesundheitsbedingt nicht teilnehmen könne. Insbesondere sei sie nicht in der Lage ihre Harninkontinenz mit Einlagen oder anderen Hilfsmitteln wirkungsvoll zu begegnen. Am 9. März 2011 habe sie sich ferner einer Wirbelsäulenoperation nebst anschließender stationärer Rehabilitation vom 19. April bis 7. Mai 2011 unterzogen.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. März 2011 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozial- gericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Entscheidung für zutreffend.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz -SGG- zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben und im Sinne einer Zurückverweisung auch begründet.
Das Verfahren vor dem Sozialgericht leidet an einem wesentlichen Mangel (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf berufen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 159 Rdnr. 3). Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet in zweierlei Hinsicht an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Zum einen hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden, obwohl die dafür gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt waren (1.). Zum anderen hat das Sozialgericht den Sachverhalt nicht entsprechend aufgeklärt (2.).
1. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter mittels Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 11 Abs. 1 Satz 2 SGG) entschieden, obwohl die Voraussetzungen von § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vorgelegen haben. Dadurch hat es der Klägerin entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz ihrem gesetzlichen Richter, nämlich der Kammer in voller Besetzung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 125 SGG), entzogen. Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Erlass eines Gerichtsbescheides nur dann möglich, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Diese Voraussetzungen waren vorliegend nicht gegeben. Unabhängig davon, dass Gerichtsbescheide in medizinisch geprägten Fällen ohnehin nur äußerst zurückhaltend eingesetzt werden sollten, ist nicht davon auszugehen, dass der Sachverhalt geklärt ist. Ein Sachverhalt ist grundsätzlich nur dann als geklärt im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG anzusehen, wenn ein verständiger Prozessbeteiligter in Kenntnis des gesamten Prozessstoffes keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des vom Gericht zugrunde gelegten entscheidungserheblichen Sachverhalts haben wird. Der Senat geht insoweit davon aus, das unter Klärung des Sachverhalts im Sinne von § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG mehr zu verstehen ist, als die dem Gericht im sozialgerichtlichen Verfahren ohnehin gemäß §§ 103, 106 SGG obliegende Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen. Dafür, dass die Voraussetzungen in § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG enger zu fassen sind, spricht der Umstand, dass der Gesetzgeber für den Gerichtsbescheid einen geklärten Sachverhalt als zusätzliche Voraussetzung ausdrücklich in den Wortlaut aufgenommen hat (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, L 13 SB 80/10, bei Juris).
Im vorliegenden Fall schied danach mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter aus, zumal bereits nicht der allgemeinen Amtsermittlungspflicht hinreichend Rechnung getragen worden ist (siehe dazu unter 2.). Der bestehende Besetzungsmangel ist auch als wesentlich anzusehen, weil nicht ausgeschlossen kann, dass die Kammer in ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
2. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 103 SGG verstoßen, wonach alle entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln sind. Die Aufklärung eines medizinisch geprägten Sachverhalts durch ein Tatsachengericht unterliegt in allen Gerichtsinstanzen einheitlichen Qualitätsanforderungen. Im Hinblick auf die Amtsermittlung erstinstanzlicher Gerichte sind danach im Grundsatz die gleichen Anforderungen heranzuziehen, die auch das Bundessozialgericht an die Sachverhaltsaufklärung durch die Landessozialgerichte stellt (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a. a. O.). Das Sozialgericht hätte sich zu weiteren medizinischen Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Für die Entscheidung kam es auch eigener Sicht des Sozialgerichts wesentlich darauf an, ob die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbehinderungen die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" rechtfertigen. Mangels entsprechender medizinischer Fachkenntnisse durfte es sich nicht allein auf die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen und die dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen bei eigener Auswertung stützen. Auch ungeachtet etwaiger medizinische Grundkenntnisse durch richterliche Tätigkeit in medizinischen Sparten berechtigen diese jedenfalls nicht zu einer eigenständigen Beurteilung medizinischer Sachverhalte. Soweit das Gericht einen medizinischen Sachverhalt auf Grund eigener Sachkunde bewerten will, wäre überdies die Grundlage darzulegen gewesen, auf der diese Sachkunde beruht, damit die Beteiligten hierzu hätten Stellung nehmen können (vgl. BSG Urteil vom 10. Dezember 1987 – 9a RV 36/85 = SozR 1500 § 128 Nr. 31). Zur Aufklärung eines Sachverhalts in medizinischer Hinsicht bedarf es nach alledem regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens, wobei sowohl im Hinblick auf das jeweilige medizinische Fachgebiet als auch im Hinblick auf die sozialmedizinischen Erfordernisse auf eine hinreichende Qualifikation und Erfahrung von Sachverständigen zu achten ist (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a. a. O.).
Das Sozialgericht war nach alledem - statt jegliche medizinische Ermittlungen abzulehnen - gehalten, den Sachverhalt hinsichtlich des Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen für das begehrte Merkzeichen "RF" (weiter) aufzuklären und die Klägerin hinsichtlich der geltend gemachten Beeinträchtigungen gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG begutachten zu lassen. Auch wenn gutachterliche Einschätzungen keine verbindliche Wirkung für die richterliche Entscheidung haben, so sind sie jedoch zumeist und so auch hier eine unentbehrliche Grundlage für die rechtliche Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung des streitgegenständlichen Merkzeichens "RF", zumal das Sozialgericht ohne weitere Sachaufklärung zu den einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen nicht die vom Beklagten angesetzten Einzel-GdB bei seiner Entscheidung zugrunde legen durfte. Zwar hat der Beklagte der Klägerin unter Anerkennung unterschiedlichster Beeinträchtigungen bereits einen GdB von 100 zuerkannt hat, jedoch lässt sich mangels entsprechender medizinischer Ermittlungen nicht beurteilen, ob die dieser Feststellung jeweils zugrunde liegenden Einzel-GdB auch für die Zeit ab April 2009 noch in hinreichender Höhe bemessen sind, welches auf die Prüfung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" durchschlägt. Erst nach Ermittlung des Ausmaßes der konkret bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen lässt sich unter Berücksichtigung der Rechtssprechung des BSG zu den Voraussetzungen des Merkzeichens "RF", insbesondere zu der auch vorliegend streitgegenständlichen Harninkontinez (vgl. insoweit BSG, Urteile vom 11. September 1991 -9a RVs 1/90-, vom 10. August 1993 -9/9a RVs 7/91-, vom 9. August 1995 -9 RVs 3/95- und 12. Februar 1997 -9 RVs 2/96-, bei Juris) beurteilen, ob die Klägerin die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" beanspruchen kann. Der danach vorliegende Verfahrensmangel ist auch wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Sozialgericht nach gebotener Aufklärung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, zumal zwischen der Anhörung zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid vom 3. September 2010 bis zur Entscheidung am 24. März 2011 nochmals ein Zeitraum von einem ¾ Jahr lag, in dem die weitere Entwicklung des Gesundheitszustandes des Klägers vom Sozialgericht unbeachtet blieb. Die Klägerin hat sich am 9. März 2011 und somit nur ca. zwei Wochen vor Entscheidung des Sozialgerichts einer Operation an der Wirbelsäule (nebst anschließender stationärer Rehabilitation) unterzogen, wovon das Sozialgericht mangels hinreichender Sachaufklärung keine Kenntnis hatte und dies daher bei der Entscheidung auch nicht berücksichtigt hat. Die Entscheidung des Sozialgerichts basiert mithin fehlerhaft auf einem unvollständigen Sachverhalt.
3. Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat das Gericht das Interesse der Klägerin an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreits gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abgewogen und sich angesichts der erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens für eine Zurückverweisung entschieden. Hierbei hat es berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist und weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz, wie er wegen der vom Sozialgericht unterlassenen Aufklärung praktisch eingetreten ist, besonders ins Gewicht fiel. Überdies wäre dem Sozialgericht bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch die für die Entscheidungsfindung maßgebliche weitere Entwicklung des gesundheitlichen Zustandes der Klägerin und insbesondere die am 9. März 2011 erfolgte Wirbelsäulenoperation zur Kenntnis gelangt. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her. Auch der Grundsatz der Prozessökonomie führt nicht dazu, den Rechtsstreit bereits jetzt abschließend in der Berufungsinstanz zu behandeln. Denn das gesamte Berufungsverfahren hat vom Eingang am 21. April 2011 bis zum Tag der Verkündung des Urteils nur etwa 3 ½ Monaten in Anspruch genommen, so dass es prozessökonomischer ist dem Sozialgericht zunächst Gelegenheit zur Aufklärung des Sachverhalts zu geben.
Überdies ist ferner zu berücksichtigen, dass auch die Verwaltung dem Gebot der Amtsermittlung unterliegt. Dieses verletzt sie in der Regel, wenn ein medizinischer Sachverhalt nicht durch ärztliche Untersuchung des Betroffenen, sondern lediglich im schriftlichen Wege – etwa wie auch vorliegend durch ärztliche Äußerungen "vom Schreibtisch aus" – geprüft wird (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a. a. O.). Die Klägerin ist nach Aktenlage auf ihren im April 2009 eingegangen Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF" weder im Verwaltungsverfahren auf Veranlassung des Beklagten noch im erstinstanzlichen Verfahren auf Veranlassung des Sozialgerichts von einem Arzt untersucht worden. Das Sozialgericht hätte danach mangels entsprechenden Ermittlungen durch den Beklagten auch erwägen können, von der Vorschrift des § 131 Abs. 5 Sätze 1 und 2 SGG Gebrauch zu machen und das Verfahren ihrerseits an den Beklagten zurückzuverweisen. In einer solchen Situation darf der Klägerin jedenfalls nicht auch noch die erste Tatsacheninstanz genommen werden.
4. Das Sozialgericht hat nach alledem nunmehr zur Aufklärung des Sachverhalts eine Begutachtung der Klägerin durch einen Sachverständigen auf urologischem Fachgebietzu veranlassen und den Ausgang der Anfang März 2011 erfolgen Wirbelsäulenoperation durch Beiziehung des Entlassungsberichtes des Krankenhauses zu ermitteln sowie den weiteren Verlauf der orthopädischen Beeinträchtigungen nach Beendigung der stationären Rehabilitation zu recherchieren. Je nach dem Ergebnis der Ermittlungen und etwaigen weiteren Beweisanträgen der Klägerin hat das Sozialgericht dann ggf. ein weiteres Sachverständigengutachten auf orthopädischem oder neurochirugischem Fachgebiet einzuholen.
Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht gegeben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).
Für die 1936 geborene Klägerin stellte der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 24. September 2008 unter Zuerkennung der Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung), "B" (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson) und "T" (Teilnahme am Sonderfahrdienst) bei Ablehnung des Merkzeichens "RF" einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 fest. Dem legte der Beklagte entsprechend den Feststellungen der Fachärztin für Sportmedizin, Ärztin für Chirotherapie - Sozialmedizin - in ihrem auf Grundlage einer körperlicher Untersuchung der Klägerin erstellten ärztlichen Gutachten vom 29. August 2008 folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde (in Klammern jeweils die verwaltungsintern zugeordneten Einzel-GdB):
a) Kunstgelenkersatz der Hüfte links, Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes beidseits, Kunstgelenkersatz des Knies rechts, Funktionsbehinderung des Kniegelenkes beidseits, Funktionsstörung durch Fußfehlform beidseits, chronische venöse Insuffizienz (Krampfaderleiden) des Beines beidseits, Polyneuropathie (70), b) Herzleistungsminderung bei Herzrhythmusstörungen, sekundäre pulmonale Hypertonie (50), c) Wirbelsäulenfehlhaltung und Verschleiß, Bandschäden im Lendenwirbelsäulen- bereich, Funktionsbehinderung der gesamten Wirbelsäule (40), d) mehrfach operiertes Brustdrüsenleiden links nach Ablauf der Heilungs- bewährung (30), e) Hörminderung, Ohrgeräusche (30), f) Medikamentös behandeltes Schilddrüsenleiden (20), g) Sehminderung, eingepflanzte Kunstlinse beidseits (20), h) Depression (20), i) Diabetes mellitus (10), j) Bauchnarbenbruch (10), k) Harninkontinenz (10).
Unter dem 2. April 2009 beantragte die Klägerin wegen Verschlimmerung und Hinzutreten neuer Behinderungen eine Neufeststellung bei Geltendmachung des Merkzeichens "RF".
Der Beklagte holte eine gutachterliche Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin nach Aktenlage vom 29. April 2009 ein, der bei Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" einen GdB von 100 feststellte und dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde legte (in Klammern jeweils die verwaltungsinternen zugeordneten Einzel-GdB):
a) Kunstgelenkersatz der Hüfte links, Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes beidseits, Kunstgelenkersatz des Knies rechts, Funktionsbehinderung des Kniegelenkes beidseits, Funktionsbehinderung des oberen Sprunggelenkes beidseits, Funktionsstörung durch Fußfehlform beidseits, chronische venöse Insuffizienz (Krampfaderleiden) des Beines beidseits, Polyneuropathie (70), b) Herzleistungsminderung, Herzrhythmusstörungen, Herzklappenfehler, pulmonale Hypertonie, Bluthochdruck (50), c) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelsäulenfehlhaltung und Verschleiß, Bandschäden im Lendenwirbelsäulenbereich, Spinalkanalstenose (40), d) mehrfach operiertes Brustdrüsenleiden links nach Ablauf der Heilungs- bewährung (30), e) Hörminderung, Ohrgeräusche (30), f) Medikamentös behandeltes Schildrüsenleiden (20), g) Sehminderung, eingepflanzte Kunstlinse beidseits (20), h) Depression (20), i) Verlust der Gallenblase, Bauchnarbenbruch (20), j) Funktionsbehinderung des Schultergelenks beidseits (20), k) Lungenfunktionseinschränkung (20), l) Diabetes mellitus (10), m) Harninkontinenz (10), n) Leberschaden (10).
Dem folgend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16. Juni 2009 eine Neufeststellung ab. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" seien nicht gegeben. Auf den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 23. Juni 2009 holte der Beklagte eine weitere gutachterliche Stellungnahme des Facharztes für Allgemeinmedizin vom 13. Oktober 2009 nach Aktenlage ein, der bei Verneinung der Voraussetzungen für das Vorliegen des Merkzeichens "RF" einen GdB von 100 unter Zugrundelegung der bereits vom Beklagten anerkannten Funktionsbeeinträchtigungen feststellte. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2009 wies der Beklagte diesen Feststellungen folgend den Widerspruch der Klägerin zurück.
Mit der am 6. Januar 2010 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF" weiter. Zur Begründung machte sie unter Verweis auf den zuerkannten GdB von100 geltend, dass ihr insbesondere durch die Spinalkanalstenose eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht möglich sei. Sie könne nur kurz stehen und nicht lange sitzen. Die meiste Zeit liege sie. Zudem bestehe eine schwere Harninkontinenz.
Das Sozialgericht hat der Klägerin mit Schreiben vom 31. Mai 2010 mitgeteilt, dass medizinische Ermittlungen nicht beabsichtigt sind und sie unter dem 13. Juli 2010 zu einer schriftlichen Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört, dem die Klägerin mit Schreiben vom 21. Juli 2010 widersprach und in der Folgezeit auf ein Nierensteinleiden verwies. Mit Gerichtsbescheid vom 23. März 2011 hat das Sozialgericht die Klage unter Auswertung der aktenkundigen Befunde und der dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahme abgewiesen.
Gegen den am 31. März 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 21. April 2011 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt, mit der sie geltend macht, dass die bei ihr bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen gegenseitig verschlimmernd zusammenwirken würden, so dass sie auf Dauer an öffentlichen Veranstaltungen gesundheitsbedingt nicht teilnehmen könne. Insbesondere sei sie nicht in der Lage ihre Harninkontinenz mit Einlagen oder anderen Hilfsmitteln wirkungsvoll zu begegnen. Am 9. März 2011 habe sie sich ferner einer Wirbelsäulenoperation nebst anschließender stationärer Rehabilitation vom 19. April bis 7. Mai 2011 unterzogen.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. März 2011 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozial- gericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Entscheidung für zutreffend.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz -SGG- zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben und im Sinne einer Zurückverweisung auch begründet.
Das Verfahren vor dem Sozialgericht leidet an einem wesentlichen Mangel (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf berufen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 159 Rdnr. 3). Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet in zweierlei Hinsicht an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Zum einen hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden, obwohl die dafür gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt waren (1.). Zum anderen hat das Sozialgericht den Sachverhalt nicht entsprechend aufgeklärt (2.).
1. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter mittels Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 11 Abs. 1 Satz 2 SGG) entschieden, obwohl die Voraussetzungen von § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vorgelegen haben. Dadurch hat es der Klägerin entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz ihrem gesetzlichen Richter, nämlich der Kammer in voller Besetzung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 125 SGG), entzogen. Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Erlass eines Gerichtsbescheides nur dann möglich, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Diese Voraussetzungen waren vorliegend nicht gegeben. Unabhängig davon, dass Gerichtsbescheide in medizinisch geprägten Fällen ohnehin nur äußerst zurückhaltend eingesetzt werden sollten, ist nicht davon auszugehen, dass der Sachverhalt geklärt ist. Ein Sachverhalt ist grundsätzlich nur dann als geklärt im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG anzusehen, wenn ein verständiger Prozessbeteiligter in Kenntnis des gesamten Prozessstoffes keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des vom Gericht zugrunde gelegten entscheidungserheblichen Sachverhalts haben wird. Der Senat geht insoweit davon aus, das unter Klärung des Sachverhalts im Sinne von § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG mehr zu verstehen ist, als die dem Gericht im sozialgerichtlichen Verfahren ohnehin gemäß §§ 103, 106 SGG obliegende Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen. Dafür, dass die Voraussetzungen in § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG enger zu fassen sind, spricht der Umstand, dass der Gesetzgeber für den Gerichtsbescheid einen geklärten Sachverhalt als zusätzliche Voraussetzung ausdrücklich in den Wortlaut aufgenommen hat (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, L 13 SB 80/10, bei Juris).
Im vorliegenden Fall schied danach mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter aus, zumal bereits nicht der allgemeinen Amtsermittlungspflicht hinreichend Rechnung getragen worden ist (siehe dazu unter 2.). Der bestehende Besetzungsmangel ist auch als wesentlich anzusehen, weil nicht ausgeschlossen kann, dass die Kammer in ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
2. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 103 SGG verstoßen, wonach alle entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln sind. Die Aufklärung eines medizinisch geprägten Sachverhalts durch ein Tatsachengericht unterliegt in allen Gerichtsinstanzen einheitlichen Qualitätsanforderungen. Im Hinblick auf die Amtsermittlung erstinstanzlicher Gerichte sind danach im Grundsatz die gleichen Anforderungen heranzuziehen, die auch das Bundessozialgericht an die Sachverhaltsaufklärung durch die Landessozialgerichte stellt (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a. a. O.). Das Sozialgericht hätte sich zu weiteren medizinischen Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Für die Entscheidung kam es auch eigener Sicht des Sozialgerichts wesentlich darauf an, ob die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbehinderungen die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" rechtfertigen. Mangels entsprechender medizinischer Fachkenntnisse durfte es sich nicht allein auf die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen und die dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen bei eigener Auswertung stützen. Auch ungeachtet etwaiger medizinische Grundkenntnisse durch richterliche Tätigkeit in medizinischen Sparten berechtigen diese jedenfalls nicht zu einer eigenständigen Beurteilung medizinischer Sachverhalte. Soweit das Gericht einen medizinischen Sachverhalt auf Grund eigener Sachkunde bewerten will, wäre überdies die Grundlage darzulegen gewesen, auf der diese Sachkunde beruht, damit die Beteiligten hierzu hätten Stellung nehmen können (vgl. BSG Urteil vom 10. Dezember 1987 – 9a RV 36/85 = SozR 1500 § 128 Nr. 31). Zur Aufklärung eines Sachverhalts in medizinischer Hinsicht bedarf es nach alledem regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens, wobei sowohl im Hinblick auf das jeweilige medizinische Fachgebiet als auch im Hinblick auf die sozialmedizinischen Erfordernisse auf eine hinreichende Qualifikation und Erfahrung von Sachverständigen zu achten ist (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a. a. O.).
Das Sozialgericht war nach alledem - statt jegliche medizinische Ermittlungen abzulehnen - gehalten, den Sachverhalt hinsichtlich des Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen für das begehrte Merkzeichen "RF" (weiter) aufzuklären und die Klägerin hinsichtlich der geltend gemachten Beeinträchtigungen gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG begutachten zu lassen. Auch wenn gutachterliche Einschätzungen keine verbindliche Wirkung für die richterliche Entscheidung haben, so sind sie jedoch zumeist und so auch hier eine unentbehrliche Grundlage für die rechtliche Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung des streitgegenständlichen Merkzeichens "RF", zumal das Sozialgericht ohne weitere Sachaufklärung zu den einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen nicht die vom Beklagten angesetzten Einzel-GdB bei seiner Entscheidung zugrunde legen durfte. Zwar hat der Beklagte der Klägerin unter Anerkennung unterschiedlichster Beeinträchtigungen bereits einen GdB von 100 zuerkannt hat, jedoch lässt sich mangels entsprechender medizinischer Ermittlungen nicht beurteilen, ob die dieser Feststellung jeweils zugrunde liegenden Einzel-GdB auch für die Zeit ab April 2009 noch in hinreichender Höhe bemessen sind, welches auf die Prüfung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" durchschlägt. Erst nach Ermittlung des Ausmaßes der konkret bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen lässt sich unter Berücksichtigung der Rechtssprechung des BSG zu den Voraussetzungen des Merkzeichens "RF", insbesondere zu der auch vorliegend streitgegenständlichen Harninkontinez (vgl. insoweit BSG, Urteile vom 11. September 1991 -9a RVs 1/90-, vom 10. August 1993 -9/9a RVs 7/91-, vom 9. August 1995 -9 RVs 3/95- und 12. Februar 1997 -9 RVs 2/96-, bei Juris) beurteilen, ob die Klägerin die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" beanspruchen kann. Der danach vorliegende Verfahrensmangel ist auch wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Sozialgericht nach gebotener Aufklärung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, zumal zwischen der Anhörung zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid vom 3. September 2010 bis zur Entscheidung am 24. März 2011 nochmals ein Zeitraum von einem ¾ Jahr lag, in dem die weitere Entwicklung des Gesundheitszustandes des Klägers vom Sozialgericht unbeachtet blieb. Die Klägerin hat sich am 9. März 2011 und somit nur ca. zwei Wochen vor Entscheidung des Sozialgerichts einer Operation an der Wirbelsäule (nebst anschließender stationärer Rehabilitation) unterzogen, wovon das Sozialgericht mangels hinreichender Sachaufklärung keine Kenntnis hatte und dies daher bei der Entscheidung auch nicht berücksichtigt hat. Die Entscheidung des Sozialgerichts basiert mithin fehlerhaft auf einem unvollständigen Sachverhalt.
3. Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat das Gericht das Interesse der Klägerin an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreits gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abgewogen und sich angesichts der erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens für eine Zurückverweisung entschieden. Hierbei hat es berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist und weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz, wie er wegen der vom Sozialgericht unterlassenen Aufklärung praktisch eingetreten ist, besonders ins Gewicht fiel. Überdies wäre dem Sozialgericht bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch die für die Entscheidungsfindung maßgebliche weitere Entwicklung des gesundheitlichen Zustandes der Klägerin und insbesondere die am 9. März 2011 erfolgte Wirbelsäulenoperation zur Kenntnis gelangt. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her. Auch der Grundsatz der Prozessökonomie führt nicht dazu, den Rechtsstreit bereits jetzt abschließend in der Berufungsinstanz zu behandeln. Denn das gesamte Berufungsverfahren hat vom Eingang am 21. April 2011 bis zum Tag der Verkündung des Urteils nur etwa 3 ½ Monaten in Anspruch genommen, so dass es prozessökonomischer ist dem Sozialgericht zunächst Gelegenheit zur Aufklärung des Sachverhalts zu geben.
Überdies ist ferner zu berücksichtigen, dass auch die Verwaltung dem Gebot der Amtsermittlung unterliegt. Dieses verletzt sie in der Regel, wenn ein medizinischer Sachverhalt nicht durch ärztliche Untersuchung des Betroffenen, sondern lediglich im schriftlichen Wege – etwa wie auch vorliegend durch ärztliche Äußerungen "vom Schreibtisch aus" – geprüft wird (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a. a. O.). Die Klägerin ist nach Aktenlage auf ihren im April 2009 eingegangen Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF" weder im Verwaltungsverfahren auf Veranlassung des Beklagten noch im erstinstanzlichen Verfahren auf Veranlassung des Sozialgerichts von einem Arzt untersucht worden. Das Sozialgericht hätte danach mangels entsprechenden Ermittlungen durch den Beklagten auch erwägen können, von der Vorschrift des § 131 Abs. 5 Sätze 1 und 2 SGG Gebrauch zu machen und das Verfahren ihrerseits an den Beklagten zurückzuverweisen. In einer solchen Situation darf der Klägerin jedenfalls nicht auch noch die erste Tatsacheninstanz genommen werden.
4. Das Sozialgericht hat nach alledem nunmehr zur Aufklärung des Sachverhalts eine Begutachtung der Klägerin durch einen Sachverständigen auf urologischem Fachgebietzu veranlassen und den Ausgang der Anfang März 2011 erfolgen Wirbelsäulenoperation durch Beiziehung des Entlassungsberichtes des Krankenhauses zu ermitteln sowie den weiteren Verlauf der orthopädischen Beeinträchtigungen nach Beendigung der stationären Rehabilitation zu recherchieren. Je nach dem Ergebnis der Ermittlungen und etwaigen weiteren Beweisanträgen der Klägerin hat das Sozialgericht dann ggf. ein weiteres Sachverständigengutachten auf orthopädischem oder neurochirugischem Fachgebiet einzuholen.
Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht gegeben.
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