L 3 AS 3334/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 1615/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 3334/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 28. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Sozialleistungen des Beklagten im Hinblick auf eine Nebenkostennachzahlung für Mieträume.

1. Der am 23.08.1953 geborene, erwerbsfähige Kläger beantragte erstmals am 18.07.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II) bei dem Beklagten. Seinem Antrag legte der Kläger unter anderem den "Einheitsmietvertrag" vom 28.07.2005 bei, nach dem er ab dem 01.08.2005 bei der Zeugin Kr. eine 2-Zimmer-Wohnung für EUR 300,00 im Monat nettokalt gemietet hatte. Vereinbart waren dort auch monatliche Vorauszahlungen von EUR 70,00 für die Heizung, EUR 50,00 für den Strom und EUR 30,00 für Wasser. Die monatliche Gesamtzahlung sollte mithin EUR 450,00 betragen. Vereinbart war ferner eine jährliche Abrechnung der Zeugin Kr. über die Nebenkosten. In der Folgezeit (zunächst mit Bescheid vom 08.08.2005) bewilligte der Beklagte dann regelmäßig Leistungen nach dem SGB II, wobei er ab dem 01.02.2006 nur noch Kosten der Unterkunft einschließlich kalter Nebenkosten von EUR 290,00 und Heizkosten von EUR 32,40 berücksichtigte.

Leistungen für das erste Halbjahr 2007 bewilligte der Beklagte zuerst mit Bescheid vom 28.11.2006, nämlich EUR 703,99 monatlich. Mit einem ersten Änderungsbescheid vom 11.12.2006 wurden sodann monatlich EUR 708,94 bewilligt, weil wegen einer niedrigeren "Wassererhitzungspauschale" etwas höhere Unterkunftskosten berücksichtigt wurden.

Nachdem der Kläger unter dem 18.12.2006 einen neuen, ab dem 01.01.2007 geltenden Mietvertrag mit der Zeugin Kr. vorgelegt hatte, nach dem er nunmehr drei Zimmer für EUR 360,00 nettokalt und unveränderte Nebenkosten (insgesamt mithin EUR 510,00) angemietet hatte, und geltend machte, er benötige das zusätzliche Zimmer für die Aufenthalte seiner Tochter bei sich an den Wochenenden, bewilligte der Beklagte mit Änderungsbescheiden vom 13.03.2007 dem Kläger und seiner Tochter in Bedarfsgemeinschaft für Dezember 2006 sowie für Januar bis Juni 2007 höhere Leistungen in unterschiedlicher Höhe.

2. Auf Grund von Angaben einer früheren Lebensgefährtin des Klägers, einer Überprüfung der Apotheke der Zeugin Kr. durch das zuständige Zollamt und auf Grund der Feststellungen seines Ermittlungsdienstens kam der Beklagte im Frühjahr 2007 zu der Ansicht, der Kläger und die Zeugin Kr. lebten in einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft.

Der Beklagte stellte sodann zunächst mit Bescheid vom 19.04.2007 die Leistungsgewährung sowohl an den Kläger als auch an seine Tochter ab dem 01.05.2007 vorläufig ein. Außerdem forderte er den Kläger darin unter anderem auf, zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Zeugin Angaben zu machen und Unterlagen vorzulegen. Nachdem der Kläger dem nicht nachgekommen war, entzog der Beklagte mit Bescheid vom 10.05.2007 dem Kläger die bereits bewilligten Leistungen wegen fehlender Mitwirkung und hob die Leistungsbewilligung vom 13.03.2007 ab dem 01.05.2007 ganz auf. In einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 4 AS 1830/07 ER) verpflichtete das Sozialgericht Konstanz (SG) den Beklagten mit Beschluss vom 05.07.2007, dem Kläger bis zum 15.08.2007 vorläufig 70 % der Regelleistung, einen Mehrbedarfszuschlag für kostenaufwändige Ernährung sowie die bislang anerkannten Un¬ter¬kunfts¬kosten zu gewähren. Der Beklagte setzte diesen Beschluss mit Bescheiden vom 10.07.2007 um. Ab dem 16.08.2007 erfolgten keine Zahlungen mehr. In der Hauptsache hatte die Klage des Klägers gegen den Bescheid vom 10.05.2007 (S 4 AS 1977/07) keinen Erfolg (Urteil vom 19.07.2007). Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil wies der erkennende Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (L 3 AS 4053/07) mit Beschluss vom 11.12.2007 zurück. Der Senat führte darin aus, es sei davon auszugehen, dass der Kläger (bereits) wegen verschwiegenen eigenen Einkommens oder Vermögens nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB II sei. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in jenem Beschluss verwarf das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 13.08.2008 als unzulässig (B 4 AS 180/07 B).

Der Kläger beantragte am 26.07.2007 erneut Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Zu diesem Zeitpunkt wohnte er noch in dem Haus der Zeugin Kr. Der Beklagte versagte diese Leistungen mit Bescheid vom 29.08.2007, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 10.09.2007, wegen fehlender Mitwirkung, weil der Kläger über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Zeugin Kr. die Angaben nicht gemacht und die Unterlagen nicht vorgelegt hatte, die der Beklagte angefordert hatte. Auch mit seiner Klage gegen diesen Bescheid hatte der Kläger vor dem SG (S 4 AS 2568/07) keinen Erfolg (Gerichtsbescheid vom 05.08.2010). Allerdings hat der erkennende Senat auf die Berufung des Klägers (L 3 AS 4599/10) mit weiterem Urteil vom heutigen Tage jenen Gerichtsbescheid abgeändert und den Versagungsbescheid des Beklagten vom 29.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.09.2007 aufgehoben.

Der Kläger wurde von der zuständigen Ortspolizeibehörde, der Gemeinde O., ab dem 04.06.2008 in eine Obdachlosenunterkunft eingewiesen, nachdem die Zeugin Kr. ein Räumungsurteil gegen den Kläger erwirkt hatte und der zuständige Gerichtsvollzieher die Vollstreckung dieses Urteils für den 04.06.2008 angekündigt hatte. Zwischen den Beteiligten ist - im Rahmen anderer Verfahren - streitig, ob der Kläger wirklich in die Obdachlosenunterkunft eingezogen ist oder nach wie vor bei der Zeugin Kr. wohnt. Die Gemeinde O. hat in einem anderen Verfahren mitgeteilt, sie verzeichne in der genannten Unterkunft einen Wasserverbrauch.

3. Mit Schreiben vom 07.04.2008 beantragte der Kläger bei dem Beklagten "die Übernahme der Nebenkosten für das Jahr 2007". Die Zeugin Kr. habe für die Übernahme dieser Kosten nicht aufzukommen. Eventuelle Unterlagen/Nachweise könnten bei Bedarf angefordert werden.

Mit Bescheid vom 25.04.2008 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab, weil der Kläger keine laufenden Leistungen nach dem SGB II beziehe.

Den nicht weiter begründeten Widerspruch des Klägers vom 05.05.2008 (W 410/08) wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2008 zurück. Das SG habe in dem Urteil vom 19.07.2007 entschieden, dass zwischen dem Kläger und der Zeugin Kr. eine Einstands- und Ver-antwortungsgemeinschaft bestehe und der Kläger daher keine Leistungsansprüche nach dem SGB II habe. Ebenso habe das LSG in dem Beschluss vom 11.12.2007 entschieden, dass der Kläger nicht hilfebedürftig sei.

Am 04.06.2008 hat der Kläger Klage zum SG erhoben. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Das SG hat zur Überprüfung der Hilfebedürftigkeit mehrfach Kontoauszüge des Klägers für die Zeit von Januar 2004 bis laufend sowie mit Schreiben vom 01.03.2011 die Nebenkostenabrechnung der Zeugin Kr. für 2007 beim Kläger angefordert. Der Kläger hat keine Unterlagen vorgelegt. Unter dem 25.02.2011 hatte er eine mündliche Anhörung bzw. "Termin vor dem Sozialgericht" beantragt.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.07.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei im fraglichen Zeitraum nicht hilfebedürftig gewesen. Außerdem habe er trotz ausdrücklicher Aufforderung durch das Gericht nicht die Nebenkostenabrechnung 2007 vorgelegt und damit keinen Bedarf nachgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 04.08.2011, eingegangen am 08.08.2011, hat der Kläger Berufung zum LSG eingelegt. Er trägt vor, nach § 105 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei das SG verpflichtet gewesen, einen Anhörungstermin anzuberaumen. Da es dies unterlassen habe, sei ihm kein rechtliches Gehör gewährt worden.

Der Kläger beantragt, zum Teil sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 28. Juli 2011 aufzuheben und a) den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 25. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2008 zu verurteilen, ihm die Kosten der Nebenkostennachzahlung aus seinem Mietvertrag für das Jahr 2007 zu erstatten, b) hilfsweise, das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Konstanz zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Senat hat den Kläger mit Schreiben vom 25.08.2011 aufgefordert, die geltend gemachte Nebenkostennachzahlungsforderung zu beziffern und die Abrechnung sowie einen etwaigen Zahlungsnachweis unverzüglich vorzulegen.

Entscheidungsgründe:

1. Der Senat konnte über die Berufung entscheiden, auch wenn der Kläger zu der mündlichen Verhandlung am 07.09.2011 nicht erschienen ist. Der Kläger war ordnungsgemäß geladen und auf die Möglichkeit einer Entscheidung auch ohne seine Anwesenheit hingewiesen worden.

2. Wie im Tatbestand ausgeführt, stellt der instanzeröffnende Schriftsatz des Klägers vom 04.08.2011 eine Berufung und nicht etwa einen Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem SG dar. Der Kläger hat zwar den Begriff "Berufung" nicht ausdrücklich genannt. Gleichwohl ergibt eine Auslegung aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers (vgl. §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]), dass eine solche gewollt ist. Der Kläger hat sein Schreiben direkt an das LSG gerichtet. Auch sein in dem Antrag genanntes Ziel, den Gerichtsbescheid des SG aufheben und das Verfahren zurückverweisen zu lassen, kann er nur mit einer Berufung erreichen.

3. Der Senat hat den Antrag des Klägers so ausgelegt wie im Tatbestand aufgeführt. Wörtlich hat der Kläger neben der Aufhebung des angegriffenen Gerichtsbescheids nur eine Zurückverweisung des Verfahrens an das SG begehrt. Entsprechend hat er auch nur einen möglichen Zurückverweisungsgrund - einen angeblichen Verfahrensfehler des SG - geltend gemacht. Es ist aber nicht ersichtlich, dass der - nicht anwaltlich vertretene - Kläger tatsächlich nur einen derart beschränkten Antrag stellen wollte. Zu seinen Gunsten ist davon auszugehen, dass sein Antrag alle seine möglichen Rechte umfassen sollte, dazu gehört in der Berufungsinstanz auch und sogar in erster Linie eine Sachprüfung.

4. Der Senat hält die Berufung des Klägers für zulässig. Zwar ist nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (hier i.V.m. § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG) die Berufung zulassungsbedürftig, wenn - bei Leistungsklagen wie hier - der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 750,00 nicht übersteigt. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Nebenkostennachzahlung für 2007, auch wenn der Kläger sie nicht beziffert hat, EUR 750,00 übersteigt.

5. Zunächst hat der Kläger keinen Erfolg mit seinem Antrag, das Verfahren an das SG zurückzuverweisen, wie er ihn in seinem Schriftsatz vom 04.08.2011 formuliert hat. Die Berufung ist - auch - in diesem Sinne nicht begründet.

a) Eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG scheidet aus, weil das SG in der Sache entschieden hat.

b) Ein wesentlicher Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG zur einer Aufhebung und Zurückverweisung berechtigte, liegt nicht vor. Das SG hat keinen Verfahrensfehler begangen, als es durch Gerichtsbescheid entschied.

Der Kläger missversteht § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG, wenn er meint, diese Norm gebiete eine mündliche Anhörung, etwa einen Erörterungstermin, vor dem SG vor Erlass eines Gerichtsbescheids. Die Norm ordnet nur an, dass die Beteiligten "zu hören" sind. Dazu reicht eine schriftliche Mitteilung, dass durch Gerichtsbescheid entschieden werden solle und die Beteiligten dazu Stellung nehmen könnten, aus (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 105 Rn. 10). Eine solche schriftliche Anhörung hatte das SG mehrfach durchgeführt, zuletzt am 08.12.2009.

Es lagen auch die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs. 1 Satz 1 SGG) vor. Insbesondere wies die Sache keine besonderen Schwierigkeiten auf, und der Sachverhalt war geklärt.

c) Letztlich macht der Kläger auch keine neuen Tatsachen oder Beweismittel geltend, die nach Erlass des angegriffenen Gerichtsbescheids entstanden oder bekannt geworden sind (§ 159 Abs. 1 Nr. 3 SGG).

6. Auch in der Sache hat die Berufung des Klägers keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Übernahme von Kosten aus einer Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2007 für seine damalige Wohnung.

Unabhängig davon, ob der an sich bestehende Anspruch auf Übernahme solcher Kosten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II oder § 22 Abs. 5 Satz 1 oder Satz 2 SGB II (a.F.) folgt, ist es notwendig, dass der Hilfebedürftige tatsächlich einer solchen Nachzahlungsforderung seines Vermieters ausgesetzt ist. Nachzahlungsforderungen eines Vermieters im Rahmen von Nebenkostenvorauszahlungen bestehen jedoch nur bzw. sind nur fällig, wenn über sie ordnungsgemäß abgerechnet wurde (§ 556 Abs. 3 Satz 1 BGB). Entsprechendes haben der Kläger und die Zeugin Kr. in ihrem Mietvertrag vereinbart. Solange eine solche Abrechnung nicht erstellt und der Mieter daher nicht zur Zahlung verpflichtet ist, muss auch der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II keine Leistungen gewähren. Außerdem lassen sich ohne eine solche Abrechnung auch die (mietrechtlich geschuldete) Höhe der Nebenkosten und ihre (sozialrechtliche, vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II) Angemessenheit nicht überprüfen. Eine solche ordnungsgemäße Nebenkostenabrechnung der Zeugin Kr., die dem Kläger zugegangen sein müsste, hat dieser jedoch trotz Aufforderungen durch das SG und den Senat nicht vorgelegt. Dadurch hat der Kläger auch gegen seine prozessrechtlichen Mitwirkungsobliegenheiten verstoßen (vgl. § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG), sodass der Senat bei seiner Entscheidung davon ausgehen kann, dass eine Nebenkostenabrechnung bislang nicht erstellt wurde und der Kläger daher keiner fälligen Nachzahlungsforderung der Zeugin Kr. ausgesetzt ist, sodass kein sozialrechtlich relevanter Bedarf für eine Leistung des Beklagten besteht.

Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob der Anspruch auf die begehrte Leistung auch deshalb nicht besteht, weil der Kläger im fraglichen Zeitraum nicht hilfebedürftig war oder weil die geltend gemachten Nebenkosten ihrer Höhe nach unangemessen waren.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

8. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht vorgetragen oder ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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