Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 3349/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 5108/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. September 2010 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Klage gegen die Bescheide vom 17. Mai 2008, 05. September 2008, 24. März 2009, 06. Juni 2009, 17. September 2009 und 19. März 2010 als unzulässig abgewiesen wird.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung eines Zuschlags wegen eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung.
Der 1969 geborene Kläger wohnt in einem Landkreis, der bis heute mit der beklagten Bundesagentur für Arbeit keine Arbeitsgemeinschaft nach § 44b Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) a.F. und keine Gemeinsame Einrichtung nach § 44b Abs. 1 SGB II n.F. gegründet hat und der auch kein zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 6a Abs. 1 oder § 6a Abs. 2 SGB II n.F. ist ("getrennte Aufgabenwahrnehmung").
Die Beklagte gewährte dem Kläger bis einschließlich März 2007 einen Mehrbedarfszuschlag für kostenaufwändige Ernährung von EUR 25,56 monatlich. Zu Grunde lag die Bescheinigung der Allgemeinmedizinerin Dr. A. vom 17.03.2006, wonach der Kläger an Morbus Crohn leide und sich daher mit "Vollkost" ernähren solle. Ab dem 01.04.2007 gewährte die Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II jeweils ohne einen solchen Zuschlag (Bescheid vom 13.03.2007). Entsprechende Bewilligungsbescheide ohne Zuschlag ergingen am 10.07.2007, 13.09.2007, 11.03.2008, 17.05.2008, 05.09.2008, 24.03.2009, 06.06.2009, 17.09.2009 und 19.03.2010 (bis September 2010) und später am 06.09.2010 (bis März 2011). Alle Bescheide enthielten die übliche Widerspruchsbelehrung.
Mit gesondertem Bescheid vom 25.06.2007 lehnte die Beklagte einen eigenständigen Antrag des Klägers auf (weitere) Gewährung des Zuschlags ab. Eine zeitliche Beschränkung ist dem Bescheid nicht zu entnehmen. Die Beklagte führte unter Bezugnahme auf die sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. Richter vom 18.06.2007 aus, der Kläger bedürfe keiner besonderen Kost, da die Darmerkrankung in den letzten Jahren wenig aktiv gewesen sei, ggfs. sei das Weglassen bestimmter Nahrungsmittel erforderlich. Entsprechend der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung erhob der Kläger am 03.07.2007 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.07.2007 zurückwies. Klage wurde nicht erhoben.
Am 07.05.2008 beantragte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten die Überprüfung des Bescheids vom 25.06.2007 und - sinngemäß - die Nachzahlung des Mehrbedarfszuschlags seit April 2007. Er machte geltend, seine Krankheit sei nur deshalb inaktiv, weil er ständig auf seine Ernährung achte. Er müsse zum Beispiel Honig statt Zucker verwenden. Dies sei teurer. Die Krankheit könne ohne diese teurere Ernährung jederzeit wieder ausbrechen. Nach Einholung einer ärztlichen Stellungnahme von Dr. Richter lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 24.06.2008, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 22.08.2008, ab.
Der Kläger hat am 22.09.2008 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und ein Attest seiner behandelnden Ärztin Dr. A. vorgelegt.
Das SG hat zunächst den Allgemeinmediziner Dr. B. schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen. Dieser hat unter dem 09.02.2009 bekundet, der Kläger leide an Morbus Crohn seit dem 15. Lebensjahr, einer behinderten Nasenatmung, einer leichten Hypercholesterinämie, einer Anpassungsstörung und Schmerzen unklarer Genese, insoweit sei eine orthopädische Untersuchung geplant. Dr. B. hat auch den Arztbrief des Gastroenterologen Dr. Balke vom 04.02.2009 vorgelegt (eine spezifische diätetische Ernährung auf Grund des Morbus Crohn sei nicht erforderlich, der Kläger konterkariere durch fortgesetzten Nikotinabusus jegliche Therapie-Inten¬tio¬nen mehr oder weniger, eine eindeutige Beurteilung des Krankheitsbildes und der Therapienotwendigkeit sei nicht möglich, da der Kläger die hierzu nötige Koloskopie verweigere).
Sodann hat das SG das schriftliche Gutachten des Internisten und Gastroenterologen PD Dr. C. vom 15.06.2009 über den Kläger erhoben. Dieser hat festgestellt, der Kläger leide an Morbus Crohn seit 1984, abnormer Nüchternglukose, einer Fettstoffwechselstörung, einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), Osteoporose, einer chronischen Sinusitis und Nikotin-abusus (25 Zigaretten/d). Aus diesen Erkrankungen ergäben sich keine Konsequenzen für die Ernährungsweise des Klägers. Bei dem Kläger habe mit einem Body-Mass-Index von 28,0 kg/m² (89 kg bei 174 cm Körpergröße) auch keine Mangelernährung festgestellt werden können.
Der Kläger hat noch das ärztliche Attest des Internisten Dr. D. vom 02.12.2009 (um eine Verschlechterung der Erkrankung zu vermeiden, sei eine besondere Diät indiziert) sowie die Bescheinigung der Diätassistentin Zeller-Thorn von der AOK E. vom 03.02.2010 (Teilnahme an einer Ernährungsberatung, Einschränkungen in der Lebensmittelauswahl insbesondere wegen Milchzucker-Unverträglichkeit und Osteoporose) vorgelegt.
Während des Klagverfahrens bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 06.09.2010 Leistungen nach dem SGB II ohne Mehrbedarfszuschläge für Oktober 2010 bis März 2011.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.09.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Streitgegenstand des Verfahrens sei der Anspruch des Klägers auf Mehrbedarfszuschläge vom 01.04.2007 bis zum 30.09.2010. Da über den Anspruch auf den Mehrbedarfszuschlag nicht isoliert entschieden werden könne, seien die seither ergangenen Bewilligungsbescheide in das Verfahren einzubeziehen gewesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf den Zuschlag. Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (3. Auflage 2008) sei ein gegenüber dem Regelsatz erhöhter Kostenaufwand für Ernährung bei einer "Vollkost" nicht anzunehmen. Nur bei schweren Verläufen von entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn könne im Einzelfall ein erhöhter Ernährungsbedarf vorliegen. Bei dem Kläger sei der Morbus Crohn jedoch inaktiv. Dies belege eindrucksvoll das Gutachten von Dr. C ... Der Kläger habe ihm gegenüber angegeben, die Krankheitssymptome hätten sich seit seinem 20. Lebensjahr zurückgebildet, es träten nur noch gelegentlich Rückfälle auf, Medikamente nehme er seit 12 Jahren nicht mehr ein. Hiernach liege eine schwere Verlaufsform mit gestörter Nährstoffverwertung nicht vor. Eine andere Beurteilung sei auch nicht durch die Atteste von Dr. A. und Dr. D. oder die Bescheinigung der AOK E. angezeigt. Es werde nicht angegeben, ob es sich bei der empfohlenen "Diät" um eine gegenüber der normalen Vollkost kostenaufwändigere Ernährung handle. Eine Laktoseintoleranz sei bei dem Kläger bisher nicht diagnostiziert worden.
Am 03.11.2010 hat der Kläger sowohl mündliche Verhandlung vor dem SG beantragt als auch Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Über den Antrag auf mündliche Verhandlung hat das SG bislang nicht entschieden.
Der Kläger trägt vor, er kaufe wegen Geldmangels 80 % seiner Lebensmittel bei einer Tafel. Er würde sich lieber anders ernähren, nämlich mehr Fleisch, Obst und Gemüse verwenden, könne sich dies aber nicht leisten. Belege für besondere Nahrungsmittel habe er nicht.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 07.09.2011 hat der Kläger seinen Antrag auf jene Bescheide beschränkt, über die auch das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid entschieden hat.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. September 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 24. Juni 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. August 2008 a) zu verpflichten, den Bescheid vom 25. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. Juli 2007 zurückzunehmen sowie die Bescheide vom 13. März 2007, 10. Juli 2007, 13. September 2007, 11. März 2008, 17. Mai 2008, 05. September 2008, 24. März 2009, 06. Juni 2009, 17. September 2009 und 19. März 2010 zu ändern sowie b) zu verurteilen, ihm für die Zeit ab dem 01. April 2007 höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
Der Kläger hat das Attest der Allgemeinmedizinerin Dr. F.-G. vom 02.05.2011 vorgelegt, auf das Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung des Klägers ist zulässig.
a) Insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulassungsbedürftig.
Das SG war der Ansicht, Streitgegenstand des Verfahrens seien die Ansprüche des Klägers auf Mehrbedarfszuschläge von - davon ist auszugehen - weiterhin mindestens EUR 25,56 monatlich in der Zeit vom 01.04.2007 bis (mindestens) zum 30.09.2010, deswegen seien auch die für diesen Zeitraum ergangenen Bewilligungsbescheide nach § 96 Abs. 1 SGG in das Klagverfahren einbezogen.
Ob diese Ansicht zutrifft, ob also die Beklagte mit dem Bescheid vom 25.06.2007 unbefristet Mehrbedarfszuschläge an den Kläger wegen kostenaufwändiger Ernährung versagt hat, ob die Wirksamkeit dieses Bescheides nicht durch den Erlass des nächsten Bewilligungsbescheids beendet wurde und ob das später beantragte Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) über den Bescheid vom 25.06.2007 hinaus auch die genannten Bewilligungsbescheide erfasst hat, ist an dieser Stelle unerheblich. Jedenfalls hat das SG über die etwaigen Ansprüche des Klägers in diesem Zeitraum entschieden. Insoweit ist er beschwert.
Der Wert dieser Beschwer beträgt mindestens EUR 1.073,52, also mehr als die notwendigen EUR 750,00, sodass auch offen bleiben kann, ob es sich bei dem hier streitigen Mehrbedarfszuschlag um eine laufende Leistung von mehr als einem Jahr nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG handelt.
b) Der Zulässigkeit der Berufung steht auch nicht entgegen, dass der Kläger neben der Berufung auch mündliche Verhandlung vor dem SG beantragt hat. Zwar bestimmt § 105 Abs. 2 Satz 3 SGG, dass mündliche Verhandlung stattfindet, wenn sowohl diese beantragt als auch ein Rechts-mittel eingelegt werden. Diese Regelung erfasst zwar nicht nur die Rechtsbehelfe unterschiedlicher Beteiligter, sondern auch widersprüchliche Anträge desselben Beteiligten (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Lei¬the¬rer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 105 Rn. 15). Sie gilt jedoch von Anfang an nur, wenn beide Anträge zulässig sind, ansonsten kann einem Beteiligten kein Wahlrecht zustehen. Die Norm erfasst also nur Gerichtsbescheide, gegen die - z. B. nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG - die Berufung nicht gegeben ist (Leitherer, a.a.O.). Dies ist hier nicht der Fall, der Antrag des Klägers auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem SG ist unzulässig, da der Gerichtsbescheid, wie ausgeführt - nur - mit der Berufung angefochten werden kann.
2. Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das SG hat seine Klage zu Recht abgewiesen, wobei die Klage nach Ansicht des Senats zum Teil bereits unzulässig und nicht nur unbegründet war.
a) Zwar ist die beklagte Bundesagentur nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 21 Abs. 5 SGB II nach wie vor passivlegitimiert, nachdem eine Arbeitsgemeinschaft alten Rechts im Landkreis des Klägers nicht bestand und die nach § 44b Abs. 1 SGB II n.F. zwingend zu errichtende Gemeinsame Einrichtung, die Rechtsnachfolgerin der Beklagten werden wird (§ 76 Abs. 3 SGB II n.F.), bislang nicht errichtet worden ist.
b) Jedoch war die Klage des Klägers bereits unzulässig, soweit er auch jene Bewilligungsbescheide angegriffen hat, die nach der Stellung seines Überprüfungsantrags am 07.05.2008 ergangen waren.
Jene Bewilligungsbescheide, die bereits vor dem Überprüfungsantrag ergangen waren, waren neben dem Ablehnungsbescheid vom 25.06.2007 Gegenstand des Überprüfungsverfahrens. Sie wurden in das Überprüfungsverfahren zwar nicht nach § 86 Satz 1 oder § 96 Abs. 1 SGG einbezogen, denn ein Überprüfungsverfahren ist kein Widerspruchs- und erst Recht kein Klagverfahren. Außerdem erfassen auch die beiden genannten Normen nur Bescheide, die nach Erlass eines dann angegriffenen Bescheids ergehen, also in keinem Fall Bescheide, die bereits vor der Stellung des fraglichen Antrags ergangen waren. Jedoch war der Überprüfungsantrag des Klägers zu seinen Gunsten so auszulegen, dass er alle Bescheide umfassen sollte, die seinem eigentlichen Begehren - eine Nachzahlung der Mehrbedarfszuschläge zu erreichen - entgegenstanden und bei der Stellung des Überprüfungsantrags am 07.05.2008 bereits bestandskräftig waren (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Für eine solche Auslegung sprechen auch Erwägungen der Zweckmäßigkeit. Auch diese weiteren Bescheide konnte der Kläger, nachdem auch sie bestandskräftig waren, nur noch mit einem Überprüfungsantrag korrigieren lassen. Entsprechend legt der Senat auch den Bescheid vom 24.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.08.2008 so aus, dass die Beklagte darin über ein Überprüfungsbegehren hinsichtlich aller entgegenstehender, bestandskräftiger Bescheide entschieden hat.
Dagegen sind die später ergangenen Bewilligungsbescheide (also jene vom 17.05.2008 bis zum 06.09.2010) nicht in das Verfahren einbezogen worden. Der Kläger hatte sie zunächst mit seinem Überprüfungsantrag nicht mit angegriffen. Derartig weitgehend konnte sein Antrag nicht ausgelegt werden, denn er konnte die späteren Bewilligungsbescheide jeweils entsprechend der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung mit Widerspruch anfechten und war nicht auf ein Überprüfungsverfahren verwiesen. Auch nach § 86 Satz 1 SGG (nach Eingang des Widerspruchs) oder nach § 96 Abs. 1 SGG (nach Erhebung der Klage am 22.09.2008) waren die späteren Bewilligungsbescheide nicht in das Verfahren einbezogen worden. Gegenstand des Verfahrens war nur ein Bescheid, mit dem ein Überprüfungsantrag hinsichtlich bestandskräftiger Bescheide abgelehnt worden war. Spätere Bewilligungsbescheide für spätere Bewilligungsabschnitte ersetzen oder ergänzen einen solchen Ablehnungsbescheid in einem Überprüfungsverfahren nicht.
Der Senat hat deshalb im Tenor klarstellend ausgeführt, dass die Klage des Klägers gegen die nach dem 17.05.2008 erlassenen Bescheide bereits unzulässig war.
c) Hinsichtlich der zulässigerweise angegriffenen Bescheide hat das SG zu Recht angenommen, dass dem Kläger kein Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung des geltend gemachten Mehrbedarfszuschlags zusteht, die angegriffenen Bescheide daher rechtmäßig sind und nicht nach § 44 Abs. 1 SGB X zurückgenommen bzw. abgeändert werden müssen.
Gemäß § 21 Abs. 5 SGB II in der damaligen Fassung erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Voraussetzung der Gewährung des Mehrbedarfs ist hiernach ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung.
Auch in diesem Berufungsurteil kann die Frage offen bleiben, ob sich der Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostzulage in der Sozialhilfe (3. Auflage, 2008) richtet. Bei dem Bundessozialgericht (BSG) ist insoweit ein Revisionsverfahren anhängig (B 4 AS 138/10 R), in welchem die Frage zu klären sein wird, ob es sich bei den Empfehlungen um antizipierte Sachverständigengutachten handelt, die gerichtlichen Entscheidungen zu Grunde gelegt werden können, oder ob grundsätzlich eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist.
Sollte das BSG die Empfehlungen als antizipierte Sachverständigengutachten qualifizieren, würde ihnen zwar keine Bindungswirkung zukommen, ihnen kommt jedoch normähnliche Wirkung zu, die nicht durch Einzelfallgutachten zu widerlegen wäre; ihre Überprüfung wäre auf eine Evidenzkontrolle beschränkt (vgl. Leitherer, a.a.O., § 103, Rn. 7c; Lang/Knickrehm in Eicher/ Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 21, Rn. 52). In diesem Fall hat der Kläger bereits deswegen keinen Leistungsanspruch auf den begehrten Zuschlag, weil die Empfehlungen unter Nr. 4.2 für den Morbus Crohn generell nur eine - nicht kostenaufwändigere - Vollkost empfehlen und einen Mehrbedarf nur dann vorsehen, wenn der Morbus Crohn einen schweren Verlauf aufweist und - deswegen - eine verzehrende Krankheit und eine gestörte Nährstoffverwertung mit erheblichen körperlichen Auswirkungen, vor allem eine Abmagerung, vorliegen. Ein solcher Fall kann regelmäßig angenommen werden, wenn der BMI unter 18,5 liegt und das Untergewicht Folge der Erkrankung ist und/oder ein schneller, krankheitsbedingter Gewichtsverlust (über 5 % des Ausgangsgewichts in den vorausgegangenen drei Monaten; nicht bei willkürlicher Abnahme bei Übergewicht) zu verzeichnen ist. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Der Morbus Crohn ist inaktiv. Der BMI des Klägers beträgt 28,0, wie Dr. C. ermittelt hat, und liegt damit weitab von der genannten Grenze von 18,5. Eine erhebliche Abmagerung im Streitzeitraum oder in den drei Monaten davor ist nicht vorgebracht oder ersichtlich.
Auch für den Fall, dass das BSG zu der Entscheidung gelangen sollte, die Frage der Zuerkennung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs erfordere grundsätzlich eine konkrete Einzelfallprüfung, kann der Kläger keinen Mehrbedarfszuschlag verlangen. In diesem Fall muss der Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem Mehrbedarf nachgewiesen sein, die entsprechende Feststellung unterliegt dem Amtsermittlungsgrundsatz (Lang/Knickrehm, a.a.O., § 21, Rn. 50). Auch diesen Anforderungen genügt der Gerichtsbescheid des SG, denn es wurden die behandelnden Ärzte gehört und Dr. C. mit einem individuellen Gutachten über den Kläger beauftragt. Sowohl er als auch Dr. Balke haben aus ärztlicher Sicht einen besonderen Ernährungsbedarf des Klägers verneint. Dies erscheint überzeugend. Dagegen haben die Aussagen von Dr. D. und Dr. B. keine ausreichenden konkreten Angaben enthalten, wieso ein Zusatzbedarf bestehe. Dass der Kläger eine "Diät" einhalten müsse bzw. "Vollkost" benötige, zeigt eher, dass er bestimmte, den Darm belastende Nahrungsmittel meiden muss. Ein bloßes Vermeiden führt aber nur dann zu einem Mehrbedarf, wenn dem Betroffenen ein Verzicht nicht möglich oder zumutbar ist, weil z. B. die Nahrungsmittel, auf die er verzichten muss, bestimmte Nährstoffe enthalten, und der Betroffene dann auf andere, teurere Nahrungsmittel ausweichen muss. Diese Voraussetzungen liegen bei Zucker und Milch, auf die der Kläger vor allem hingewiesen hat, nicht vor. Insbesondere Zucker (und andere Süßungsmittel wie z. B. Honig) ist in einer ausgewogenen Mischkost, wie sie dem Ernährungsbedarf zu Grunde liegt, ohnehin nur geringfügig enthalten.
Dass eine Laktoseintoleranz bei dem Kläger nicht vorliegt, hat das SG zutreffend ausgeführt. Dr. C. hatte diese Frage in dem genannten Gutachten durch einen Laktose-H2-Atemtest beantwortet, auch der Laktatwert im Blut lag in der üblichen Spannbreite. Die weiter geltend gemachte Osteoporose führt nur, worauf die vom Kläger selbst vorgelegte Bescheinigung der AOK E. hinweist, zu einem erhöhten Bedarf an Kalzium, der durch bestimmte Gemüse und Mineralwässer kompensiert werden kann.
An dieser Einschätzung ändert auch das im Berufungsverfahren eingereichte Attest vom 02.05.2011 nichts. Dr. F.-G. hat darin dem Kläger eine Verschlechterung seines Ge¬sund-heitszustandes in Form einer depressiven Episode bescheinigt. Angaben zu einem ernährungsbedingten Mehrbedarf hat sie nicht gemacht.
d) Auch im Übrigen hat die Beklagte den Überprüfungsantrag des Klägers zu Recht abgelehnt. Die damals zulässigerweise einer Überprüfung unterzogenen Bewilligungsbescheide waren auch unter anderen Gesichtspunkten nicht rechtswidrig. Dem Kläger standen keine weiteren Leistungsansprüche gegen die Beklagte zu. Einwände gegen die damalige Berechnung (der Regelleistungen) sind nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht worden.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (Nr. 1). Die angesprochene Grundsatzfrage nach der Rechtsqualität der Empfehlungen des Deutschen Vereins, über die zurzeit ein Revisionsverfahren vor dem BSG anhängig ist, hat der Senat in diesem Urteil offen gelassen, sodass die Entscheidung nicht darauf beruht.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung eines Zuschlags wegen eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung.
Der 1969 geborene Kläger wohnt in einem Landkreis, der bis heute mit der beklagten Bundesagentur für Arbeit keine Arbeitsgemeinschaft nach § 44b Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) a.F. und keine Gemeinsame Einrichtung nach § 44b Abs. 1 SGB II n.F. gegründet hat und der auch kein zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 6a Abs. 1 oder § 6a Abs. 2 SGB II n.F. ist ("getrennte Aufgabenwahrnehmung").
Die Beklagte gewährte dem Kläger bis einschließlich März 2007 einen Mehrbedarfszuschlag für kostenaufwändige Ernährung von EUR 25,56 monatlich. Zu Grunde lag die Bescheinigung der Allgemeinmedizinerin Dr. A. vom 17.03.2006, wonach der Kläger an Morbus Crohn leide und sich daher mit "Vollkost" ernähren solle. Ab dem 01.04.2007 gewährte die Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II jeweils ohne einen solchen Zuschlag (Bescheid vom 13.03.2007). Entsprechende Bewilligungsbescheide ohne Zuschlag ergingen am 10.07.2007, 13.09.2007, 11.03.2008, 17.05.2008, 05.09.2008, 24.03.2009, 06.06.2009, 17.09.2009 und 19.03.2010 (bis September 2010) und später am 06.09.2010 (bis März 2011). Alle Bescheide enthielten die übliche Widerspruchsbelehrung.
Mit gesondertem Bescheid vom 25.06.2007 lehnte die Beklagte einen eigenständigen Antrag des Klägers auf (weitere) Gewährung des Zuschlags ab. Eine zeitliche Beschränkung ist dem Bescheid nicht zu entnehmen. Die Beklagte führte unter Bezugnahme auf die sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. Richter vom 18.06.2007 aus, der Kläger bedürfe keiner besonderen Kost, da die Darmerkrankung in den letzten Jahren wenig aktiv gewesen sei, ggfs. sei das Weglassen bestimmter Nahrungsmittel erforderlich. Entsprechend der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung erhob der Kläger am 03.07.2007 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.07.2007 zurückwies. Klage wurde nicht erhoben.
Am 07.05.2008 beantragte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten die Überprüfung des Bescheids vom 25.06.2007 und - sinngemäß - die Nachzahlung des Mehrbedarfszuschlags seit April 2007. Er machte geltend, seine Krankheit sei nur deshalb inaktiv, weil er ständig auf seine Ernährung achte. Er müsse zum Beispiel Honig statt Zucker verwenden. Dies sei teurer. Die Krankheit könne ohne diese teurere Ernährung jederzeit wieder ausbrechen. Nach Einholung einer ärztlichen Stellungnahme von Dr. Richter lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 24.06.2008, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 22.08.2008, ab.
Der Kläger hat am 22.09.2008 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und ein Attest seiner behandelnden Ärztin Dr. A. vorgelegt.
Das SG hat zunächst den Allgemeinmediziner Dr. B. schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen. Dieser hat unter dem 09.02.2009 bekundet, der Kläger leide an Morbus Crohn seit dem 15. Lebensjahr, einer behinderten Nasenatmung, einer leichten Hypercholesterinämie, einer Anpassungsstörung und Schmerzen unklarer Genese, insoweit sei eine orthopädische Untersuchung geplant. Dr. B. hat auch den Arztbrief des Gastroenterologen Dr. Balke vom 04.02.2009 vorgelegt (eine spezifische diätetische Ernährung auf Grund des Morbus Crohn sei nicht erforderlich, der Kläger konterkariere durch fortgesetzten Nikotinabusus jegliche Therapie-Inten¬tio¬nen mehr oder weniger, eine eindeutige Beurteilung des Krankheitsbildes und der Therapienotwendigkeit sei nicht möglich, da der Kläger die hierzu nötige Koloskopie verweigere).
Sodann hat das SG das schriftliche Gutachten des Internisten und Gastroenterologen PD Dr. C. vom 15.06.2009 über den Kläger erhoben. Dieser hat festgestellt, der Kläger leide an Morbus Crohn seit 1984, abnormer Nüchternglukose, einer Fettstoffwechselstörung, einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), Osteoporose, einer chronischen Sinusitis und Nikotin-abusus (25 Zigaretten/d). Aus diesen Erkrankungen ergäben sich keine Konsequenzen für die Ernährungsweise des Klägers. Bei dem Kläger habe mit einem Body-Mass-Index von 28,0 kg/m² (89 kg bei 174 cm Körpergröße) auch keine Mangelernährung festgestellt werden können.
Der Kläger hat noch das ärztliche Attest des Internisten Dr. D. vom 02.12.2009 (um eine Verschlechterung der Erkrankung zu vermeiden, sei eine besondere Diät indiziert) sowie die Bescheinigung der Diätassistentin Zeller-Thorn von der AOK E. vom 03.02.2010 (Teilnahme an einer Ernährungsberatung, Einschränkungen in der Lebensmittelauswahl insbesondere wegen Milchzucker-Unverträglichkeit und Osteoporose) vorgelegt.
Während des Klagverfahrens bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 06.09.2010 Leistungen nach dem SGB II ohne Mehrbedarfszuschläge für Oktober 2010 bis März 2011.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.09.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Streitgegenstand des Verfahrens sei der Anspruch des Klägers auf Mehrbedarfszuschläge vom 01.04.2007 bis zum 30.09.2010. Da über den Anspruch auf den Mehrbedarfszuschlag nicht isoliert entschieden werden könne, seien die seither ergangenen Bewilligungsbescheide in das Verfahren einzubeziehen gewesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf den Zuschlag. Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (3. Auflage 2008) sei ein gegenüber dem Regelsatz erhöhter Kostenaufwand für Ernährung bei einer "Vollkost" nicht anzunehmen. Nur bei schweren Verläufen von entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn könne im Einzelfall ein erhöhter Ernährungsbedarf vorliegen. Bei dem Kläger sei der Morbus Crohn jedoch inaktiv. Dies belege eindrucksvoll das Gutachten von Dr. C ... Der Kläger habe ihm gegenüber angegeben, die Krankheitssymptome hätten sich seit seinem 20. Lebensjahr zurückgebildet, es träten nur noch gelegentlich Rückfälle auf, Medikamente nehme er seit 12 Jahren nicht mehr ein. Hiernach liege eine schwere Verlaufsform mit gestörter Nährstoffverwertung nicht vor. Eine andere Beurteilung sei auch nicht durch die Atteste von Dr. A. und Dr. D. oder die Bescheinigung der AOK E. angezeigt. Es werde nicht angegeben, ob es sich bei der empfohlenen "Diät" um eine gegenüber der normalen Vollkost kostenaufwändigere Ernährung handle. Eine Laktoseintoleranz sei bei dem Kläger bisher nicht diagnostiziert worden.
Am 03.11.2010 hat der Kläger sowohl mündliche Verhandlung vor dem SG beantragt als auch Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Über den Antrag auf mündliche Verhandlung hat das SG bislang nicht entschieden.
Der Kläger trägt vor, er kaufe wegen Geldmangels 80 % seiner Lebensmittel bei einer Tafel. Er würde sich lieber anders ernähren, nämlich mehr Fleisch, Obst und Gemüse verwenden, könne sich dies aber nicht leisten. Belege für besondere Nahrungsmittel habe er nicht.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 07.09.2011 hat der Kläger seinen Antrag auf jene Bescheide beschränkt, über die auch das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid entschieden hat.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. September 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 24. Juni 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. August 2008 a) zu verpflichten, den Bescheid vom 25. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. Juli 2007 zurückzunehmen sowie die Bescheide vom 13. März 2007, 10. Juli 2007, 13. September 2007, 11. März 2008, 17. Mai 2008, 05. September 2008, 24. März 2009, 06. Juni 2009, 17. September 2009 und 19. März 2010 zu ändern sowie b) zu verurteilen, ihm für die Zeit ab dem 01. April 2007 höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
Der Kläger hat das Attest der Allgemeinmedizinerin Dr. F.-G. vom 02.05.2011 vorgelegt, auf das Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung des Klägers ist zulässig.
a) Insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulassungsbedürftig.
Das SG war der Ansicht, Streitgegenstand des Verfahrens seien die Ansprüche des Klägers auf Mehrbedarfszuschläge von - davon ist auszugehen - weiterhin mindestens EUR 25,56 monatlich in der Zeit vom 01.04.2007 bis (mindestens) zum 30.09.2010, deswegen seien auch die für diesen Zeitraum ergangenen Bewilligungsbescheide nach § 96 Abs. 1 SGG in das Klagverfahren einbezogen.
Ob diese Ansicht zutrifft, ob also die Beklagte mit dem Bescheid vom 25.06.2007 unbefristet Mehrbedarfszuschläge an den Kläger wegen kostenaufwändiger Ernährung versagt hat, ob die Wirksamkeit dieses Bescheides nicht durch den Erlass des nächsten Bewilligungsbescheids beendet wurde und ob das später beantragte Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) über den Bescheid vom 25.06.2007 hinaus auch die genannten Bewilligungsbescheide erfasst hat, ist an dieser Stelle unerheblich. Jedenfalls hat das SG über die etwaigen Ansprüche des Klägers in diesem Zeitraum entschieden. Insoweit ist er beschwert.
Der Wert dieser Beschwer beträgt mindestens EUR 1.073,52, also mehr als die notwendigen EUR 750,00, sodass auch offen bleiben kann, ob es sich bei dem hier streitigen Mehrbedarfszuschlag um eine laufende Leistung von mehr als einem Jahr nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG handelt.
b) Der Zulässigkeit der Berufung steht auch nicht entgegen, dass der Kläger neben der Berufung auch mündliche Verhandlung vor dem SG beantragt hat. Zwar bestimmt § 105 Abs. 2 Satz 3 SGG, dass mündliche Verhandlung stattfindet, wenn sowohl diese beantragt als auch ein Rechts-mittel eingelegt werden. Diese Regelung erfasst zwar nicht nur die Rechtsbehelfe unterschiedlicher Beteiligter, sondern auch widersprüchliche Anträge desselben Beteiligten (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Lei¬the¬rer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 105 Rn. 15). Sie gilt jedoch von Anfang an nur, wenn beide Anträge zulässig sind, ansonsten kann einem Beteiligten kein Wahlrecht zustehen. Die Norm erfasst also nur Gerichtsbescheide, gegen die - z. B. nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG - die Berufung nicht gegeben ist (Leitherer, a.a.O.). Dies ist hier nicht der Fall, der Antrag des Klägers auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem SG ist unzulässig, da der Gerichtsbescheid, wie ausgeführt - nur - mit der Berufung angefochten werden kann.
2. Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das SG hat seine Klage zu Recht abgewiesen, wobei die Klage nach Ansicht des Senats zum Teil bereits unzulässig und nicht nur unbegründet war.
a) Zwar ist die beklagte Bundesagentur nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 21 Abs. 5 SGB II nach wie vor passivlegitimiert, nachdem eine Arbeitsgemeinschaft alten Rechts im Landkreis des Klägers nicht bestand und die nach § 44b Abs. 1 SGB II n.F. zwingend zu errichtende Gemeinsame Einrichtung, die Rechtsnachfolgerin der Beklagten werden wird (§ 76 Abs. 3 SGB II n.F.), bislang nicht errichtet worden ist.
b) Jedoch war die Klage des Klägers bereits unzulässig, soweit er auch jene Bewilligungsbescheide angegriffen hat, die nach der Stellung seines Überprüfungsantrags am 07.05.2008 ergangen waren.
Jene Bewilligungsbescheide, die bereits vor dem Überprüfungsantrag ergangen waren, waren neben dem Ablehnungsbescheid vom 25.06.2007 Gegenstand des Überprüfungsverfahrens. Sie wurden in das Überprüfungsverfahren zwar nicht nach § 86 Satz 1 oder § 96 Abs. 1 SGG einbezogen, denn ein Überprüfungsverfahren ist kein Widerspruchs- und erst Recht kein Klagverfahren. Außerdem erfassen auch die beiden genannten Normen nur Bescheide, die nach Erlass eines dann angegriffenen Bescheids ergehen, also in keinem Fall Bescheide, die bereits vor der Stellung des fraglichen Antrags ergangen waren. Jedoch war der Überprüfungsantrag des Klägers zu seinen Gunsten so auszulegen, dass er alle Bescheide umfassen sollte, die seinem eigentlichen Begehren - eine Nachzahlung der Mehrbedarfszuschläge zu erreichen - entgegenstanden und bei der Stellung des Überprüfungsantrags am 07.05.2008 bereits bestandskräftig waren (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Für eine solche Auslegung sprechen auch Erwägungen der Zweckmäßigkeit. Auch diese weiteren Bescheide konnte der Kläger, nachdem auch sie bestandskräftig waren, nur noch mit einem Überprüfungsantrag korrigieren lassen. Entsprechend legt der Senat auch den Bescheid vom 24.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.08.2008 so aus, dass die Beklagte darin über ein Überprüfungsbegehren hinsichtlich aller entgegenstehender, bestandskräftiger Bescheide entschieden hat.
Dagegen sind die später ergangenen Bewilligungsbescheide (also jene vom 17.05.2008 bis zum 06.09.2010) nicht in das Verfahren einbezogen worden. Der Kläger hatte sie zunächst mit seinem Überprüfungsantrag nicht mit angegriffen. Derartig weitgehend konnte sein Antrag nicht ausgelegt werden, denn er konnte die späteren Bewilligungsbescheide jeweils entsprechend der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung mit Widerspruch anfechten und war nicht auf ein Überprüfungsverfahren verwiesen. Auch nach § 86 Satz 1 SGG (nach Eingang des Widerspruchs) oder nach § 96 Abs. 1 SGG (nach Erhebung der Klage am 22.09.2008) waren die späteren Bewilligungsbescheide nicht in das Verfahren einbezogen worden. Gegenstand des Verfahrens war nur ein Bescheid, mit dem ein Überprüfungsantrag hinsichtlich bestandskräftiger Bescheide abgelehnt worden war. Spätere Bewilligungsbescheide für spätere Bewilligungsabschnitte ersetzen oder ergänzen einen solchen Ablehnungsbescheid in einem Überprüfungsverfahren nicht.
Der Senat hat deshalb im Tenor klarstellend ausgeführt, dass die Klage des Klägers gegen die nach dem 17.05.2008 erlassenen Bescheide bereits unzulässig war.
c) Hinsichtlich der zulässigerweise angegriffenen Bescheide hat das SG zu Recht angenommen, dass dem Kläger kein Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung des geltend gemachten Mehrbedarfszuschlags zusteht, die angegriffenen Bescheide daher rechtmäßig sind und nicht nach § 44 Abs. 1 SGB X zurückgenommen bzw. abgeändert werden müssen.
Gemäß § 21 Abs. 5 SGB II in der damaligen Fassung erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Voraussetzung der Gewährung des Mehrbedarfs ist hiernach ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung.
Auch in diesem Berufungsurteil kann die Frage offen bleiben, ob sich der Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostzulage in der Sozialhilfe (3. Auflage, 2008) richtet. Bei dem Bundessozialgericht (BSG) ist insoweit ein Revisionsverfahren anhängig (B 4 AS 138/10 R), in welchem die Frage zu klären sein wird, ob es sich bei den Empfehlungen um antizipierte Sachverständigengutachten handelt, die gerichtlichen Entscheidungen zu Grunde gelegt werden können, oder ob grundsätzlich eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist.
Sollte das BSG die Empfehlungen als antizipierte Sachverständigengutachten qualifizieren, würde ihnen zwar keine Bindungswirkung zukommen, ihnen kommt jedoch normähnliche Wirkung zu, die nicht durch Einzelfallgutachten zu widerlegen wäre; ihre Überprüfung wäre auf eine Evidenzkontrolle beschränkt (vgl. Leitherer, a.a.O., § 103, Rn. 7c; Lang/Knickrehm in Eicher/ Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 21, Rn. 52). In diesem Fall hat der Kläger bereits deswegen keinen Leistungsanspruch auf den begehrten Zuschlag, weil die Empfehlungen unter Nr. 4.2 für den Morbus Crohn generell nur eine - nicht kostenaufwändigere - Vollkost empfehlen und einen Mehrbedarf nur dann vorsehen, wenn der Morbus Crohn einen schweren Verlauf aufweist und - deswegen - eine verzehrende Krankheit und eine gestörte Nährstoffverwertung mit erheblichen körperlichen Auswirkungen, vor allem eine Abmagerung, vorliegen. Ein solcher Fall kann regelmäßig angenommen werden, wenn der BMI unter 18,5 liegt und das Untergewicht Folge der Erkrankung ist und/oder ein schneller, krankheitsbedingter Gewichtsverlust (über 5 % des Ausgangsgewichts in den vorausgegangenen drei Monaten; nicht bei willkürlicher Abnahme bei Übergewicht) zu verzeichnen ist. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Der Morbus Crohn ist inaktiv. Der BMI des Klägers beträgt 28,0, wie Dr. C. ermittelt hat, und liegt damit weitab von der genannten Grenze von 18,5. Eine erhebliche Abmagerung im Streitzeitraum oder in den drei Monaten davor ist nicht vorgebracht oder ersichtlich.
Auch für den Fall, dass das BSG zu der Entscheidung gelangen sollte, die Frage der Zuerkennung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs erfordere grundsätzlich eine konkrete Einzelfallprüfung, kann der Kläger keinen Mehrbedarfszuschlag verlangen. In diesem Fall muss der Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem Mehrbedarf nachgewiesen sein, die entsprechende Feststellung unterliegt dem Amtsermittlungsgrundsatz (Lang/Knickrehm, a.a.O., § 21, Rn. 50). Auch diesen Anforderungen genügt der Gerichtsbescheid des SG, denn es wurden die behandelnden Ärzte gehört und Dr. C. mit einem individuellen Gutachten über den Kläger beauftragt. Sowohl er als auch Dr. Balke haben aus ärztlicher Sicht einen besonderen Ernährungsbedarf des Klägers verneint. Dies erscheint überzeugend. Dagegen haben die Aussagen von Dr. D. und Dr. B. keine ausreichenden konkreten Angaben enthalten, wieso ein Zusatzbedarf bestehe. Dass der Kläger eine "Diät" einhalten müsse bzw. "Vollkost" benötige, zeigt eher, dass er bestimmte, den Darm belastende Nahrungsmittel meiden muss. Ein bloßes Vermeiden führt aber nur dann zu einem Mehrbedarf, wenn dem Betroffenen ein Verzicht nicht möglich oder zumutbar ist, weil z. B. die Nahrungsmittel, auf die er verzichten muss, bestimmte Nährstoffe enthalten, und der Betroffene dann auf andere, teurere Nahrungsmittel ausweichen muss. Diese Voraussetzungen liegen bei Zucker und Milch, auf die der Kläger vor allem hingewiesen hat, nicht vor. Insbesondere Zucker (und andere Süßungsmittel wie z. B. Honig) ist in einer ausgewogenen Mischkost, wie sie dem Ernährungsbedarf zu Grunde liegt, ohnehin nur geringfügig enthalten.
Dass eine Laktoseintoleranz bei dem Kläger nicht vorliegt, hat das SG zutreffend ausgeführt. Dr. C. hatte diese Frage in dem genannten Gutachten durch einen Laktose-H2-Atemtest beantwortet, auch der Laktatwert im Blut lag in der üblichen Spannbreite. Die weiter geltend gemachte Osteoporose führt nur, worauf die vom Kläger selbst vorgelegte Bescheinigung der AOK E. hinweist, zu einem erhöhten Bedarf an Kalzium, der durch bestimmte Gemüse und Mineralwässer kompensiert werden kann.
An dieser Einschätzung ändert auch das im Berufungsverfahren eingereichte Attest vom 02.05.2011 nichts. Dr. F.-G. hat darin dem Kläger eine Verschlechterung seines Ge¬sund-heitszustandes in Form einer depressiven Episode bescheinigt. Angaben zu einem ernährungsbedingten Mehrbedarf hat sie nicht gemacht.
d) Auch im Übrigen hat die Beklagte den Überprüfungsantrag des Klägers zu Recht abgelehnt. Die damals zulässigerweise einer Überprüfung unterzogenen Bewilligungsbescheide waren auch unter anderen Gesichtspunkten nicht rechtswidrig. Dem Kläger standen keine weiteren Leistungsansprüche gegen die Beklagte zu. Einwände gegen die damalige Berechnung (der Regelleistungen) sind nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht worden.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (Nr. 1). Die angesprochene Grundsatzfrage nach der Rechtsqualität der Empfehlungen des Deutschen Vereins, über die zurzeit ein Revisionsverfahren vor dem BSG anhängig ist, hat der Senat in diesem Urteil offen gelassen, sodass die Entscheidung nicht darauf beruht.
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