L 11 KA 23/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 158/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 23/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 70/11 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.11.2009 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, eine aus zwei in M zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Fachärzten für Allgemeinmedizin bestehende Berufsausübungsgemeinschaft, wendet sich gegen Regresse wegen unwirtschaftlicher Verordnung von Sprechstundenbedarf (SSB) in den Quartalen II und III/2005.

Am 29.06.2006 beantragte die Beigeladene zu 1) die Prüfung auf Wirtschaftlichkeit der von der Klägerin im Quartal II/2005 vorgenommenen SSB-Verordnungen; einen entsprechenden Antrag stellte sie am 28.08.2006 für das Quartal III/2005.

Der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein (Prüfungsausschuss) hörte die Klägerin zu den Prüfanträgen mit Schreiben vom 12.07.2006 (Quartal II/2005) und 16.10.2006 (Quartal III/2005) an. Er wies dabei darauf hin, dass sich aus den ausgewiesenen Überschreitungen der SSB-Verordnungen möglicherweise die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit ergebe und dass der Vertragsarzt demgegenüber darzulegen habe, ob seine Praxis und seine Verordnungstätigkeit von der Typik der Praxen der Vergleichsgruppe abwichen. Die Klägerin werde um Mitteilung gebeten, ob sie z.B. mehr Patienten als die Vergleichsgruppe mit Onkologischer Therapie, Schmerztherapie, Infusionen, ambulanten Operationen und Wundversorgung behandelt habe. Die Feststellung von Praxisbesonderheiten erfordere, dass eine detaillierte Auflistung darüber eingereicht werde, was genau, in welchen Mengen und für welchen Betrag des verordneten SSB durch welche Besonderheiten des Klientels der Klägerin verursacht worden sei.

Daraufhin führte die Klägerin hinsichtlich des Quartals II/2005 aus, der Mehraufwand an SSB sei durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt. Hervorzuheben sei ihre endoskopische und schmerztherapeutische Ausrichtung bzw. Schwerpunkttätigkeit. Die endoskopischen Behandlungen umfassten nicht nur die Ulcustherapie, sondern auch die Behandlung des GERD (Gastroesophageal Reflux Disease); hierzu gehörten die zuerst dauerhafte Behandlung mit PPI (Protonenpumpen-Inhibitoren) und später die sog. "Step by Step"- Therapie. Aus dieser Behandlungsart resultierten die angefallenen SSB-Kosten. Die Praxis läge im ländlichen Einzugsbereich mit einer relativ geringen Dichte an endoskopierenden, vor allem aber therapierenden Ärzten, so dass sie die entsprechenden Verordnungen selbst tätigen müsse. Auch die Patientengruppe mit entzündlichen Darmerkrankungen verursache relativ hohe SSB-Kosten; bei diesen Patienten seien eine parenterale Therapie mit Corticoiden und eine kostenintensive Behandlung mit Entocort./Clavesal etc. absolut indiziert. Da diese Patienten als Chroniker einzustufen seien, resultiere daraus ein deutlich erhöhter Betreuungs- und Medikamentenaufwand. Die Verordnung von PPI bzw. Darmtherapeutika werde durch die Menge der behandelten Patienten zur Praxisbesonderheit. Weitere Besonderheit sei die schmerztherapeutische Ausrichtung der Praxis. Dr. C werde als Mitglied des Schmerztherapeutischen Kolloquiums mit entsprechender Qualifikation im Bereich der Schmerztherapie sehr häufig durch chronische Schmerzpatienten aus dem onkologischen, vor allem aber auch aus dem orthopädischen Bereich frequentiert. Weitere Ursache sei die manual/osteopathische Ausrichtung der Praxis, da Dr. C die Befähigung hierzu in der Klinik für Manuelle Therapie und Schmerztherapie in I erworben habe. Dies impliziere, dass nicht nur häufige Schmerzinfusionen, intraartikuläre Injektionen und Facetteninfiltrationen, sondern auch entsprechende Begleitmedikationen mit Muskelrelaxantien etc. durchgeführt werden müssten; dies führe zu einer entsprechenden Budgetbelastung. Derartig invasive Verfahren gehörten auch nicht zur "normalen" Tätigkeit eines Allgemeinarztes; in der Regel habe eine Überweisung zum Orthopäden zu erfolgen. Dies Alles werde eindrucksvoll durch die gesteigerten Abrechnungswerte der Nrn. 02360, 02100, 02310 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes 2000plus (EBM) belegt. Im Übrigen seien die Verordnungskosten zu hoch angesetzt.

Hinsichtlich des Quartals III/2005 verwies die Klägerin auf ihre Begründung in weiteren Regressverfahren.

Der Prüfungsausschuss setzte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 04.12.2006 einen Regress i.H.v. 4.607,82 EUR (Quartal II/2005) und mit Bescheid vom 22.01.2007 einen Regress i.H.v. 3.231,55 EUR (Quartal III/2005) wegen unwirtschaftlicher Verordnung von SSB fest.

Mit ihren Widersprüchen beanstandete die Klägerin auch die Höhe der im Quartal III/2005 zugrundegelegten Verordnungskosten und wiederholte im Übrigen ihr Vorbringen zu Praxisbesonderheiten.

Der Beklagte wies die Klägerin - wie bereits der Prüfungsausschuss zuvor - darauf hin, dass die bestehende Vermutung der Unwirtschaftlichkeit von der Klägerin zu widerlegen sei. Wenn gegenüber der Vergleichsgruppe mehr Patienten mit z.B. onkologischer Therapie, Schmerztherapie, Infusionen, ambulanten Operationen und Wunderversorgung behandelt oder von der Vergleichsgruppe abweichende Arzneitherapien durchgeführt worden seien, sei dies mitzuteilen. Es werde eine detaillierte Auflistung erbeten, um welche Verordnungen und Verordnungskosten es sich handele (Schreiben vom 05.01.2007 (Quartal II/2005) und 31.01.2007 (Quartal III/2005)).

Mit Bescheid vom 20.11.2008 (Sitzung vom 16.09.2008) reduzierte der Beklage die Regresse für das Quartal II/2005 auf 2.365,86 EUR und für das Quartal III/2005 auf 1.008,31 EUR.

Er legte in seiner Entscheidung zunächst das Vorbringen der Klägerin in vorangegangenen Prüfverfahren dar, nach dem insbesondere als Praxisbesonderheit anerkannt werden müsse, dass Dr. C aufgrund seiner Tätigkeit als Manualtherapeut in hohem Maße schmerztherapeutisch arbeite. Umfasst seien davon die akute Schmerzversorgung mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), Lokalanästhetika und Cirticoiden. Dies sei aus den Frequenzzahlen zu ersehen. Die Praxis werde wegen der Ausrichtung häufig von chronischen Schmerzpatienten aus dem onkologischen, vor allem aber dem orthopädischen Bereich frequentiert. Sie - die Klägerin - führe in hohem Maße Infusionsbehandlungen als schmerztherapeutische Maßnahme durch. Dadurch seien in nicht unerheblichen Fällen Krankenhausbehandlungen vermieden worden. Ebenso sei wegen des ländlichen Charakters die gesamte Wundnachbetreung für die ambulant operierten Patienten in C und H übernommen worden. Hervorzuheben sei auch die endoskopische Ausrichtung, die nicht nur die Ulcustherapie, sondern auch die Behandlung des GERD mit PPI umfasse; u.a. aus dieser Behandlungsart und auch der Behandlung entzündlicher Darmerkrankungen resultierten die angefallenen SSB-Kosten. Zudem weise die Praxis eine stark orthopädische Ausrichtung auf; vor allem würden viele Sporttraumata behandelt, bei denen fixierende Verbände angelegt werden müssten. Es werde auf die Leistungsüberschreitungen u.a. bei den Nrn. 02360 (Behandlung mit Lokalanästhetika, einmal im Behandlungsfall), 02100 (Infusionen) und 02310 (Behandlung einer/eines/von sekundär heilenden Wunde(n) und/oder Decubitalulcus) EBM verwiesen, die einen überdurchschnittlichen SSB-Bedarf verursachten.

Zur Begründung seiner Entscheidung führte der Beklagte sodann aus, es handele sich um die Praxis zweier Fachärzte für Allgemeinmedizin, die den Quartalen II/2005 und III/2005 der Untergruppe 4 der Fachärzte für Allgemeinmedizin/Praktische Ärzte im Bereich der Beigeladenen zu 8) angehöre. Die Vergleichsgruppe bestehe aus 357 bzw. 352 Praxen. Wie schon in den Vorquartalen seien 1,5 Verbände = 5,10 EUR je überschreitender Nr. 02350 EBM (bzw. Nr. 215 EBM i.d. bis zum 31.03.2005 geltenden Fassung) als Praxisbesonderheit anzuerkennen. Als weitere Praxisbesonderheit seien die abweichenden Anteile an Rentnerfällen sowie die unterdurchschnittlichen Notfälle in der Weise zu berücksichtigen, dass die gewogenen Fallzahlen zugrunde gelegt und diese Fallzahlen zugunsten der Klägerin um die unterdurchschnittlichen Notfälle erhöht würden. Sonstige Abweichungen im Morbiditätsspektrum der betreuten Klientel gegenüber dem der Vergleichsgruppe, die zwingend als Praxisbesonderheiten oder kompensatorische Einsparungen anzusehen wären, habe die Klägerin nicht in der zu fordernden dezidierten Form dargelegt. Insoweit seien über die für den Ausschuss offensichtlichen Praxisbesonderheiten oder kompensatorischen Einsparungen hinaus keine weiteren entlastenden Umstände ersichtlich. Danach ergäben sich um unzulässige bzw. unleserliche Verordnungen bereinigte SSB-Verordnungskosten von 7.951,23 EUR (Quartal II/2005) und 6.468,38 EUR (Quartal III/2005) und damit Überschreitungen im Vergleich zur Fachgruppe 194,03 % (II/2005) und 140,31 % (III/2005). Die Klägerin habe zusätzlich auch die Nrn. 02100, 02310, 02360 und 03211 EBM abgerechnet, aus denen ein Mehrverbrauch von SSB hervorgehe. Auf kompensatorische Einsparungen könne sich die Klägerin jedoch nicht berufen, da Einsparungen bei Krankenhausaufenthalten nicht hinreichend dargelegt seien. Erstmalig sei ein leichter Anstieg der Infusionen festzustellen, die sicherlich zum Teil bei Notfällen durchgeführt worden seien und in diesen Fällen SSB-Verordnungen nach sich zögen. Die Chirotherapie, die eine auf Handgrifftechniken beruhende Heilmethode zum Einrichten von durch Verschiebung der Wirbel gegeneinander entstandenen Einklemmungen in Zwischenwirbelbereichen sei, führe nicht zwangsläufig zur SSB-Verordnung. Den Ausführungen der Klägerin sei nicht zu entnehmen und ihm sei es auch nicht bekannt, welchen Teil des SSB die Klägerin für die Schmerztherapie bei Notfällen verordnet habe. Für Schmerztherapie-Patienten, die keine Notfälle seien, müssten die Verordnungen auf Individualrezept erfolgen. Die von der Klägerin angeführten überdurchschnittlichen Leistungen (Infiltrationsanästhesien, schmerztherapeutische Maßnahmen, Infusionsbehandlungen, GERD, entzündliche Darmerkrankungen, intraartikluäre Injektionen in alle Gelenke, Facetteninfiltration, Ulcustherapie) im Zusammenhang mit den verbrauchten Materialien könne er nicht konkret spezifizieren. Trotz Aufforderung habe auch die Klägerin dazu keine detaillierten Angaben gemacht. Ebenfalls könnten keine standardisierte Feststellungen getroffen werden, so dass der Mehraufwand nicht quantifizierbar sei. Er habe daher den aus der Frequenztabelle ersichtlichen Mehrbedarf im Zusammenhang mit dem verbrauchten SSB geschätzt und unter Berücksichtigung der Größe und Homogenität der Vergleichsgruppe und des Morbiditätsspektrums der Praxis die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis betreffend die Verordnungen von SSB für die Quartale II/2005 und III/2005 bei einer Überschreitung gegenüber der Vergleichsgruppe von 100 % festgesetzt. Unter Berücksichtigung des 7%igen Apothekenrabattes ergäben sich bei den SSB-Verordnungen Unwirtschaftlichkeiten i.H. der tenorierten Beträge.

Mit ihrer Klage vom 16.12.2008 hat die Klägerin vorgetragen, der Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass ein Großteil der regressierten SSB-Verordnungen seine Ursache in der schmerztherapeutischen sowie der manual/osteopathischen Ausrichtung ihrer Praxis habe. Dr. C sei Mitglied des Schmerztherapeutischen Kolloquiums, sei im Bereich der Schmertherapie entsprechend qualifiziert und werde sehr häufig von chronischen Schmerzpatienten aus dem onkologischen, vor allem aber aus dem orthopädischen Bereich frequentiert. Zudem habe er eine manual/osteopatische Qualifikation in der Klinik für manuelle Therapie und Schmerztherapie in I erworben. Dies impliziere, dass nicht nur häufig Schmerzinfusionen, intraaterielle Injektionen und Facetteninfiltrationen, sondern auch eine entsprechende Begleitmedikation mit Muskelrelaxantien usw. durchgeführt werden müssten. Dies führe zu einer entsprechenden Erhöhung des SSB und sei eindrucksvoll an den Abrechnungswerten der Nrn. 02360, 02100 und 02310 EBM zu erkennen, die die Werte der Vergleichsgruppe deutlich überschritten. Deshalb habe das Sozialgericht (SG) Düsseldorf bei im Wesentlichen gleichem Behandlungsumfang in den Quartalen I und II/2004 den Beklagten auch mit rechtskräftigen Urteilen vom 12.11.2008 - S 14 (7) KA 12/07 und S 14 (7) KA 13/07 - zur Neubescheidung verurteilt. Nicht adäquat berücksichtigt worden sei zudem, dass sie - die Klägerin - ein gerontopsychiatrisches Altersheim und die Lebenshilfe mit psychisch gestörten Personen betreute. Auch dies bedinge naturgemäß einen Mehrbedarf an SSB. Schließlich habe der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid die schmerztherapeutische Ausrichtung ihrer Praxis auch dem Grunde nach anerkannt. Deshalb habe es ihm oblegen, den entsprechenden Mehrbedarf an einschlägigen SSB-Artikeln von Amts wegen zu quantifizieren.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20.11.2008 zu verurteilen, über ihre Widersprüche gegen die Bescheide des Prüfungsausschusses vom 04.12.2006 (Quartal II/2005) und 22.01.2007 (Quartal II/2005) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, er habe Praxisbesonderheiten insoweit im gebotenen Umfang berücksichtigt, als die Klägerin auf ihre schmerztherapeutische Schwerpunkttätigkeit verwiesen habe. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Abrechnungsfrequenz der Klägerin bei den Nr. 02630, 02100 und 02310 EBM auf einen überproportionalen Anteil an Schmerzpatienten hindeute, rechtfertige dies keinen "Vorwegabzug" von Verordnungskosten für SBB-Artikel. Vielmehr müsse dieser quantifizierbar sein. Die Klägerin sei aber trotz Aufforderung die Darstellung des durch Infiltrationsanästhesien, schmerztherapeutische Maßnahmen, Infusionsbehandlung, Behandlung des GERD sowie entzündlicher Darmerkrankungen, intraarterielle Injektionen in alle Gelenke, Facetteninfiltrationen und Ulcustherapie bedingten SSB nach Art und Umfang schuldig geblieben. Ein adäquater Mehrbedarf an einschlägigen SSB-Artikeln habe daher mangels auch sonst anderweitig nicht verfügbarer Erkenntnisse nicht quantifiziert werden können. Damit sei nur die Berücksichtigung im Rahmen der Festlegung der Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis auf + 100 % möglich gewesen.

Das SG Düsseldorf hat der Klage mit Urteil vom 18.11.2009 stattgegeben und die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt. Es hat u.a. ausgeführt, der Beklagte habe den Sachverhalt in Bezug auf die zu prüfenden Praxisbesonderheiten nicht hinreichend ermittelt und gewürdigt. Er habe selber festgestellt, dass die Klägerin, die u.a. viele schmerztherapeutische Leistungen vorgetragen habe, im Einzelnen benannte EBM-Nrn. abrechne, aus denen ein Mehrverbrauch an SSB hervorgehe, darunter insbesondere die Nr. 02360 EBM, die die Behandlung mit Lokalanästhetika erfasse. Die im Vergleich zur Fachgruppe der Klägerin hohen Abrechnungsfrequenzen deuteten darauf hin, dass in ihrer Praxis ein deutlich höherer Anteil an schmerztherapeutischen Leistungen erbracht worden sei. Hieraus könne der Schluss auf eine besondere Patientenstruktur gerechtfertigt sein. Da von der SSB-Vereinbarung Schmerzmittel zur Notfall- oder Sofortanwendung erfasst würden und somit eine derartige Patientenstruktur ursächlich für den höheren Bedarf an SSB sein könne, hätte sich der Beklagte damit u.a. anhand der SSB-Verordnungsblätter, der Fachinformationen der Hersteller über Dosierung und Verordnungsmenge sowie der entsprechenden Leitlinien der Arbeitsgemeinschaften der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften näher auseinandersetzen und so den Mehraufwand näherungsweise quantifizieren müssen.

Gegen das am 06.01.2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 03.02.2010 Berufung eingelegt und vorgetragen, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe die Ermittlung von Praxisbesonderheiten Vorrang vor der Bestimmung der Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis. Die atypische Zusammensetzung einer Patientenklientel und damit verbundene atypische Behandlungsnotwendigkeiten könnten den Anschein der Unwirtschaftlichkeit aber nur widerlegen, wenn und soweit sie ursächlich für den zu prüfenden Mehrbedarf - vorliegend an SSB-Artikeln - sei. Zwar könnten die aufgezeigten überdurchschnittlich abgerechneten Leistungen dem Grunde nach Anlass zu SSB-Verordnungen geben. In welchem Umfang dies aber der Fall sei, habe er nicht abstrakt statistisch (amts-)ermitteln können, dies schon deshalb nicht, weil Schmerzpatienten wie auch sonstige Patienten nicht generell mit SSB zu therapieren seien, sondern nur unter den besonderen Bedingungen der SSB-Vereinbarung; das SG setzte aber unzutreffend Schmerzpatienten mit SSB-Empfängern gleich. Damit seien zuerst die Behandlungsfälle festzustellen, in denen SSB-Verordnungen angezeigt gewesen seien. Die Klägerin habe aber die ihr dazu gestellten Fragen unbeantwortet gelassen, obwohl sie die einzige gewesen sei, die diese Frage hätte beantworten können. Stattdessen habe sie sich auf die Darstellung atypischer Behandlungsnotwendigkeiten anhand von Abrechnungsfrequenzen und die allgemeine Aussage beschränkt, diese hätten zu erhöhtem SSB beigetragen. Feststellungen zu SSB-relevanten Behandlungszahlen seien ihm danach nicht möglich gewesen. Da die Klägerin also nicht dargelegt habe, wie sich ein - unterstelltes - überproportionales Schmerzpatientengut auf den SSB ausgewirkt habe, habe auch für ihn keine Veranlassung bestanden, einen durch Schmerzpatienten bedingten Mehrbedarf an SSB-Verordnungen näher zu konkretisieren.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 7) beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.11.2009 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, der Beklagte habe ihre schmertherapeutische Ausrichtung als Praxisbesonderheit anerkannt. Deshalb habe es ihm oblegen, deren Auswirkungen zu quantifizieren und den Umfang des Mehraufwandes zu bestimmen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Akten des SG Düsseldorf S 14 (7) KA 12/07, S 14 (7) KA 13/07 und S 2 KA 159/08 (= L 11 KA 11/10 Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) betreffend SSB-Regresse für die Quartale IV/2005 und I/2006) sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, denn der Bescheid des Beklagten vom 20.11.2008 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Der Senat nimmt Bezug auf die Entscheidung des Beklagten (§ 136 Abs. 3 SGG) und führt ergänzend aus:

Rechtsgrundlage für Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise ist § 106 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der vom 01.01.2004 bis 07.11.2006 gültigen Fassung, der ab Änderung durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003 die Auffälligkeitsprüfung, d.h. die arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößenvolumina (Nr. 1) und die Zufälligkeitsprüfung, d.h. die arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben (Nr. 2), in den Vordergrund stellt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Wirtschaftlichkeitsprüfverfahren nach Durchschnittswerten zum 01.01.2004 abgeschafft worden ist. Vielmehr konnten und können die Vertragspartner auf Landesebene weiterhin die Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Durchschnittswerten vereinbaren (§ 106 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 SGB V; vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2008 - B 6 KA 34/07 R -). Dementsprechend haben die Vertragsparteien - die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein-Westfalen und die Krankenkassen(-verbände) - u.a. die die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Prüfung ärztlicher Leistungen (Behandlungstätigkeit) nach Durchschnittswerten einschließlich der Prüfung der Wirtschaftlichkeit von SSB vereinbart (§§ 6 Abs. 1 Nr. b) bb), 8 Abs. 1 Nr. 1 der für die Zeit ab 01.01.2001 geschlossenen Prüfvereinbarung (Rheinisches Ärzteblatt 6/2001, S. 109 ff) i.V.m. der (Übergangs-)Prüfvereinbarung vom 05.04.2004 (Rheinisches Ärzteblatt 6/2004, S. 72 ff) nebst Nachträgen i.V.m. Abschnitt VI. Nr. 1 der "Vereinbarung über die ärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf" vom Juni/Juli 2001 (Rheinisches Ärzteblatt 9/2001, S. 73). Nach den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist die statistische Vergleichsprüfung die Regelprüfmethode (u.v.a. BSG, Urteile vom 09.09.1998 - B 6 KA 50/97 R -, vom 09.06.1999 - B 6 KA 21/98 R -, vom 06.09.2000 - B 6 KA 46/99 R -, vom 12.12.2001 - B 6 KA 7/01 R - und vom 16.07.2003 - B 6 KA 45/02 R -). Die Abrechnungs- bzw. Arzneikostenwerte des Arztes werden mit denjenigen seiner Fachgruppe - bzw. ggf. mit denen einer nach verfeinerten Kriterien gebildeten engeren Vergleichsgruppe - im selben Quartal verglichen. Ergänzt durch die sog. intellektuelle Betrachtung, bei der medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden, ist dies die Methode, die typischerweise die umfassendsten Erkenntnisse bringt (u.v.a. BSG, Urteile vom 10.05.2000 - B 6 KA 25/99 R -, vom 06.09.2000 - B 6 KA 24/99 R -, vom 12.12.2001 - B 6 KA 7/01 R - und vom 16.07.2003 - B 6 KA 45/02 R -). Ergibt die Prüfung, dass die Verordnungskosten des Arztes je Fall in einem offensichtlichen Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe stehen, mithin ihn in einem Ausmaß überschreiten, das sich im Regelfall nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur oder in den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lässt, hat das die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit (u.v.a. BSG, Urteile vom 06.09.2000 - B 6 KA 24/99 R -, vom 06.09.2000 - B 6 KA 46/99 R -, vom 11.12.2002 - B 6 KA 1/02 R - und vom 16.07.2003 - B 6 KA 45/02 R -).

Davon ausgehend hat der Beklagte mit seinem Bescheid vom 20.11.2008 unwirtschaftliche Verordnungsweise der Klägerin in beanstandungsfreier Weise im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums (u.v.a. BSG, Urteile vom 28.10.1992 - 6 RKa 3/92 - und vom 15.11.1995 - 6 RKa 4/95 -) angenommen.

Er hat die SSB-Verordnungskosten der Klägerin den Kosten gegenüber gestellt, die die Vergleichsgruppe (Untergruppe 4 der Fachärzte für Allgemeinmedizin/Praktische Ärzte im Bereich der Beigeladenen zu 8)) im Durchschnitt für SSB-Verordnungen verursacht hat, und hat dabei Überschreitungen im Vergleich zur Fachgruppe von 194,03 % (II/2005) und 140,31 % (III/2005) errechnet.

Diese Berechnung ist nicht zu beanstanden, denn der Beklagte hat die Verordnungskosten der Klägerin zuvor um unzulässige bzw. unleserliche Verordnungen bereinigt, indem er diese in Abzug gebracht hat. Ferner hat der Beklagte die Morbiditätsstruktur der Praxis der Klägerin geprüft und dabei bei den Versichertengruppen für den Anteil der Rentner Abweichungen gegenüber der Fachgruppe und bei den Notfallbehandlungen eine unterdurchschnittliche Leistungserbringung festgestellt. Dem hat er dadurch Rechnung getragen, dass er den Verordnungswerten der Klägerin fiktive Verordnungswerte gegenübergestellt hat, die denen entsprechen, die die Vergleichsgruppe bei einer der Praxisstruktur der Klägerin entsprechenden Praxisstruktur gehabt hätte. Eine darüber hinausgehende verfeinerte Differenzierung kann nicht verlangt werden (BSG, Beschluss vom 31.05.2006 - B 6 KA 68/05 B -). Zudem hat der Beklagte - von der Klägerin unbeanstandet - 1,5 Verbände je den Fachgruppendurchschnitt überschreitender Nr. 02350 EBM als Praxisbesonderheit berücksichtigt.

Die sich auf dieser Grundlage ergebenden Abweichungen bei den SSB-Verordnungen von + 194,03 bzw. + 140,31 % begründen den Anschein der Unwirtschaftlichkeit. Diesen Anschein hat die Klägerin nicht zu widerlegen vermocht. Weitere zu berücksichtigende Praxisbesonderheiten liegen nämlich nicht vor und sind von dem Beklagten auch nicht anerkannt worden.

Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich der Entscheidung des Beklagten nicht entnehmen, dass weitere berücksichtigungsfähige Praxisbesonderheiten anerkannt werden. Vielmehr hat der Beklagte ausdrücklich ausgeführt, dass keine Praxisbesonderheiten außer den offensichtlichen, nachfolgend auch benannten - nämlich denen hinsichtlich der Nrn. 02350 EBM, der Rentnerfälle und der unterdurchschnittlichen Notfälle - ersichtlich seien (S. 17 des Beschlusses vom 20.11.2008). Soweit er darüber hinaus später (S. 18 des Beschlusses) noch angegeben hat, dass aus der Abrechnungshäufigkeit der Nrn. 02100, 02310, 02360 und 03211 EBM "ein Mehrverbrauch von Sprechstundenbedarf hervorgeht", hat er dies, unabhängig davon, dass ein SSB-Mehrverbrauch bereits begrifflich keine Praxisbesonderheit darstellt (s. nachfolgend), auch nicht als Praxisbesonderheit anerkannt. Er hat vielmehr nachfolgend geprüft, wie mit der gesteigerten Abrechnungshäufigkeit einzelner Leistungen umzugehen ist, und ist dabei lediglich u.a. zu dem Schluss gekommen, dass Infusionen bei Notfällen einen erhöhten Bedarf an SSB bedingen können, dass im Rahmen einer Schmerztherapie eine SSB-Verordnung nur bei Notfällen möglich sei, hingegen für Schmerztherapie-Patienten, die keine Notfälle seien, die Verordnungen auf Individualrezept erfolgen müssten, damit nicht feststellbar sei, welchen Teil des SSB die Klägerin für die Schmerztherapie bei Notfällen verordnet habe, und dass schließlich ebenso wie bei den sonstigen überdurchschnittlich erbrachten Leistungen ein dadurch bedingter Mehrbedarf an SSB in Ermangelung von Angaben der Klägerin nicht quantifizierbar sei.

Der Beklagte hat auch zu Recht keine weiteren Praxisbesonderheiten als die ausdrücklich benannten anerkannt.

Praxisbesonderheiten sind aus der Zusammensetzung der Patienten herrührende Umstände, die sich auf das Behandlungsverhalten des Arztes auswirken und in den Praxen der Vergleichsgruppe nicht in entsprechender Weise anzutreffen sind (u.v.a. BSG, Urteil vom 21.06.1995 - 6 RKa 35/94 -). Die betroffene Praxis muss sich nach der Zusammensetzung der Patienten und hinsichtlich der schwerpunktmäßig zu behandelnden Gesundheitsstörungen vom typischen Zuschnitt einer Praxis der Vergleichsgruppe unterscheiden (BSG, Urteil vom 06.09.2000 - B 6 KA 24/99 R -). Dabei ist es grundsätzlich Sache des geprüften Arztes, den durch die Feststellung eines offensichtlichen Missverhältnisses erbrachten Anscheinsbeweis der Unwirtschaftlichkeit seines Verhaltens durch die Geltendmachung von Praxisbesonderheiten oder kompensatorischen Minderaufwendungen zu widerlegen. Ihn trifft hinsichtlich dieser Einwendungen die Darlegungslast (BSG, Urteil vom 11.12.2002 - B 6 KA 1/02 R -). Es ist Angelegenheit des Vertragsarztes - und nicht des Beklagten oder des Gerichts - entscheidungserhebliche Umstände vorzutragen, die auf eine Abweichung von der Typik der Praxen der Fachgruppe schließen lassen. Der Vertragsarzt ist nicht nur gemäß § 21 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch allgemein gehalten, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, insbesondere die ihm bekannten Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Im Rahmen der Abrechnung der vertragsärztlichen Leistungen hat er vielmehr eine entsprechende besondere Mitwirkungspflicht aus der Sache selbst, wie sie immer dann besteht, wenn ein Arzt sich auf ihm günstige Tatsachen berufen will und diese Tatsachen allein ihm bekannt oder nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden können (BSG, Urteil vom 15.11.1995 - 6 RKa 58/94 - m.w.N.). Dieser Mitwirkungsobliegenheit, der der Vertragsarzt grundsätzlich im Verwaltungsverfahren zu genügen hat, ist die Klägerin nicht hinreichend nachgekommen. Die Klägerin hätte nämlich konkret darlegen müssen,

- bei welchem der von ihr behandelten Patienten,
- aufgrund welcher Erkrankungen im Einzelnen
- welcher erhöhter SSB-Verordnungsaufwand erforderlich war.

Diesen Anforderungen an die Darlegungslast genügt der Vortrag der Klägerin im Verfahren vor dem Beklagten ebenso nicht wie ihr - im Übrigen rechtlich unbeachtliches - Vorbringen im gerichtlichen Verfahren. Sämtliche Darlegungen der Klägerin sind lediglich pauschal und lassen sich dahingehend zusammenfassen, sie habe Behandlungsschwerpunkte u.a. in der Infusions- und Schmerztherapie bei onkologischen und orthopädischen Patienten, in der Gastroenterologie, in der Wund- sowie in der Chirotherapie, führe Endoskopien durch und betreue darüber hinaus besondere Einrichtungen mit 115 bzw. 24 Patienten sowie "normale Altersheime"; daraus resultierten im Ergebnis die angefallenen SSB-Kosten.

Sämtliche von der Klägerin aufgeführten Behandlungen fallen mehr oder minder in jeder allgemeinärztlichen Praxis an und können bereits deshalb - ungeachtet, dass das Vorbringen der Klägerin schon wegen seiner Pauschalität und zum Teil mangels jeglichen Bezugs zum SSB (z.B. hinsichtlich verordneter Darmtherapeutika) nicht weiter führen kann - zumindest in dieser Form keine Praxisbesonderheit begründen. Das Vorbringen bezieht sich allein auf die von der Klägerin durchgeführten Behandlungen und eben nicht auf die im o.a. Sinn dezidiert darzulegende Morbiditätsstruktur des Patientenklientels und den in Einzelnen darzulegenden dadurch erforderlichen Aufwand an SSB-Verordnungen.

Dementsprechend führt auch der vom SG aufgegriffene Hinweis der Klägerin auf eine erhöhte Frequenz einzelner nach Maßgabe des EBM abgerechneter Leistungen nicht weiter. Daraus ergibt sich nämlich nur, wie häufig im Einzelnen die Klägerin diese Leistungen erbracht hat, aber nicht die Morbiditätsstruktur ihres Patientenklientels. M.a.W.: Wäre die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise hinsichtlich dieser EBM-Leistungen zu prüfen, ergäbe sich nur, dass die Klägerin diese Leistungen (deutlich) häufiger erbracht hat als die Ärzte ihrer Vergleichsgruppe. Insoweit würde damit ebenfalls der Anschein einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise bestehen, den die Klägerin zu widerlegen hätte. Mithin kann auch im Rahmen eines SSB-Regresses der Hinweis auf eine gesteigerte Abrechnungshäufigkeit einzelner EBM-Leistungen nicht weiterführen, sofern insoweit eine wirtschaftliche Behandlungsweise, d.h. eine von der Vergleichsgruppe abweichende Patientenstruktur, die den Mehrbedarf an den einzelnen Behandlungen bedingt, nicht im Einzelnen konkret dargelegt wird.

Selbst aber wenn - entgegen der Auffassung des Senats - davon ausgegangen würde, dass die Abrechnungszahlen auf eine abweichende Patientenstruktur deuteten, besagt dies Nichts darüber, ob diese Patientenstruktur auch höhere SSB-Verordnungskosten verursacht hat. Es fehlt an der Darlegung eines Kausalzusammenhangs. Auch hier beschränkt sich die Klägerin auf die pauschale Behauptung, ihre Art und Weise der Behandlung würde einen höheren SSB-Bedarf verursachen. Es mangelt also an jedem Vorbringen, aus welchen Gründen ein Mehrbedarf an SSB-Verordnungen und dann zudem in welchem Umfang angefallen ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade Schmerzmittel, die die Klägerin mit in den Vordergrund stellt, nur im Rahmen der Nr. IV.7 Buchst. f ("schmerzstillende, krampflösende und beruhigende Mittel") der ab 01.07.2001 geltenden SSB-Vereinbarung (s.o.), also als SSB nur im "Notfall und zur Sofortanwendung" zu verordnen sind (vgl. dazu insbesondere Senatsurteil vom 10.11.2010 - L 11 KA 28/09 -). Mithin hätte es der Darlegung bedurft, aus welchen Gründen in der klägerischen Praxis im Einzelnen mehr Notfälle als in der Praxen der Vergleichsgruppe mit Schmerzmitteln zu behandeln gewesen und welche Mehrkosten dadurch im Einzelnen entstanden sind.

Gleiches gilt hinsichtlich des übrigen Vortrags der Klägerin zu sog. Behandlungsschwerpunkten, aber auch hinsichtlich des Vorbringens, es seien Patienten in besonderen Einrichtungen sowie in "normalen" Altersheimen oder in einer ländlichen Gegend zu behandeln. Hier wie dort fehlt es ebenfalls an der Darlegung, aus welchen Gründen dabei im Einzelnen und in welcher Höhe ein gesteigerter Bedarf an SSB erforderlich gewesen ist.

Auf ihre Darlegungspflicht ist die Klägerin im Übrigen sowohl vom Prüfungsausschuss als auch von dem Beklagten hingewiesen worden; ihr wurde sogar aufgezeigt, welche Darlegungen im Einzelnen erforderlich sind. Da die Klägerin trotzdem der ihr obliegenden Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist, kann den Ausführungen des SG wie z.B. "Verbliebene Unklarheiten wäre durch gezielte Rückfrage bei der Klägerin auszuräumen gewesen", nicht beigetreten werden.

Auch hinsichtlich kompensatorischer Einsparungen ist es Aufgabe des geprüften Arztes, die durch Überschreitungen im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses bewiesene unwirtschaftliche Behandlungsweise zu widerlegen oder zu erschüttern. Die Anerkennung kompensierender Einsparungen setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG und des erkennenden Senats voraus, dass zwischen dem Mehraufwand auf der einen und den Kostenunterschreitungen auf der anderen Seite ein kausaler Zusammenhang besteht. Es muss festgestellt werden,

- durch welche vermehrten Leistungen
- in welcher Art von Behandlungsfällen
- aus welchem Grund
- welche Einsparungen

erzielt worden sind (u.v.a. BSG, Urteil vom 05.11.1997 - 6 Rka 1/97 - sowie Senatsurteile vom 29.01.1997 - L 11 Ka 52/96 - vom 13.05.1998 - L 11 KA 14/98 -, zuletzt vom 24.11.2010 - L 11 KA 74/08 -). Die Darlegungs- und Beweislast liegt - wie bei der Behauptung einer Praxisbesonderheit (s.o.) - beim Vertragsarzt. Er muss das Vorliegen der Einsparungen, den methodischen Zusammenhang mit dem Mehraufwand, die medizinische Gleichwertigkeit und die kostenmäßigen Einsparungen darlegen und ggf. nachweisen. Das bedeutet nicht, dass der Arzt alle Einzelfälle - nach Art einer Einzelfallprüfung - anführen und medizinisch erläutern müsste; entscheidend ist vielmehr die strukturelle Darlegung der methodischen Zusammenhänge und der medizinischen Gleichwertigkeit. Gelingt der erforderliche Nachweis nicht, geht dies zu Lasten des Arztes (BSG, Urteil vom 05.11.1997 - 6 Rka 1/97 -).

Hier mangelt es gleichfalls an entsprechendem dezidierten Vorbringen der Klägerin. Sie verweist nämlich lediglich pauschal darauf, dass sie durch ihre Behandlung weitere Kosten bzw. Krankenhausbehandlungskosten eingespart hätte.

Die Annahme des Beklagten, die Schwelle zur offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit könne im Falle der Klägerin bei 100 % über den entsprechenden Durchschnittswerten der Fachgruppe angesetzt werden, ist zumindest in Bezug auf die Klägerin frei von Rechtsfehlern. Einem Grenzwert zur Festlegung des offensichtlichen Missverhältnisses kommt allgemein die Funktion zu, dass bei seinem Überschreiten der Anscheinsbeweis der Unwirtschaftlichkeit erbracht ist und nunmehr der betroffene Arzt darzulegen hat und die Beweislast dafür trägt, dass gleichwohl von wirtschaftlicher Behandlungsweise auszugehen ist (BSG, Urteil vom 21.05.2003 - B 6 KA 32/02 R -). Von welchem Grenzwert an dies anzunehmen ist, entzieht sich einer allgemein verbindlichen Festlegung (BSG, Urteil vom 15.03.1995 - 6 RKa 37/93 -). Soweit das BSG es als zulässig erachtet hat, bei Einzelleistungsprüfungen die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis typisierend beim Doppelten des Fachgruppendurchschnitts zu ziehen, liegt auch darin keine absolute Untergrenze. Vielmehr bestehen auch gegen Grenzwerte von unter +40 % keine Bedenken, wenn die Prüfgremien Besonderheiten der Praxis von vornherein mit berücksichtigt haben, es also um eine Grenzwertfestlegung geht, die erfolgt, nachdem die statistische Vergleichsprüfung der Wirtschaftlichkeit bereits um anerkennenswerte individuelle Umstände des Arztes "bereinigt" worden ist (u.v.a. BSG, Urteile vom 18.06.1997 - 6 RKa 52/96 - und vom 28.01.1998 - B 6 KA 69/96 R -). Da vorliegend bei der Klägerin anerkannte Praxisbesonderheiten einbezogen worden, keine weiteren Praxisbesonderheiten und keine kompensatorische Einsparungen anzuerkennen sind, hätte der von dem Beklagten zur Erfassung individueller Behandlungseigenheiten und sonstiger Unwägbarkeiten angenommene Grenzwert auch deutlich geringer als mit +100 % festgelegt werden können. Indes hat der Beklagte - obwohl nach der dargelegten Auffassung des Senats dazu zumindest kein zwingender Anlass bestand - deshalb einen hohen Grenzwert zugrundegelegt, weil er erkannt hat, dass die Überschreitung zu einem mangels substantiierten Vorbringens der Klägerin unbestimmbaren Teil und aus gleichem Grund auch nur möglicherweise auf Besonderheiten des Patientenklientels der Klägerin beruhen könnte. Der Beklagte hat damit ohne die Mitwirkung der Klägerin nicht aufklärbare Unwägbarkeiten angenommen und diesen dann mit der Festlegung eines hohen Grenzwertes hinreichend Rechnung getragen. Die Klägerin ist hierdurch nicht beschwert.

Der Festsetzung der Regresse hätte schließlich auch keine explizite Beratung vorangehen müssen. Das Erfordernis vorgängiger Beratung stellt gemäß § 106 Abs. 5 Satz 2 SGB V nur eine "Soll"-Vorgabe dar, wobei von der Rechtsprechung bereits klargestellt worden ist, dass entsprechend dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung der Vorrang einer Beratung nicht für den Fall von - wie hier vorliegender - unzweifelhafter Unwirtschaftlichkeit gilt. Dies gilt bei Regressen aufgrund von Einzelfallprüfungen, wenn schon die Verordnungsfähigkeit fehlt, ebenso wie bei statistischen Durchschnittsprüfungen (Urteile des BSG vom 05.11.2008 - B 6 KA 63/07 R - sowie vom 06.05.2009 - B 6 KA 3/08 R -). Etwas anderes folgt auch nicht aus den Regelungen der Gemeinsamen Prüfvereinbarung. Danach soll der Prüfungsausschuss ebenfalls "nur" vorrangig prüfen, ob eine individuelle Beratung des Arztes für die künftige Verordnungstätigkeit ausreichend erscheint, sofern ein besonders hohes Maß an Unwirtschaftlichkeit eine Beratung als nicht angemessen erscheinen lässt (§ 13 Abs. 12 der Prüfvereinbarung vom 01.01.2001).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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