L 2 AL 78/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AL 90211/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AL 78/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger für die Monate August und September 2004 zustehenden Insolvenzgeldes.

Der am 1958 geborene Kläger stand ab dem 1. Mai 2004 als Kraftfahrer in einem Arbeitsverhältnis bei der O. V. - und D. GmbH in M ... Diese Firma beschäftigte damals zahlreiche Kraftfahrer, die als Fahrer im Speditionsbetrieb tätig waren. Dabei wurden auch Speditionsaufträge für andere Firmen ausgeführt, die mit der O. V. - und D. GmbH organisatorisch und wirtschaftlich verflochten waren. Gesellschafter und Geschäftsführer der O. V. - und D. GmbH waren zunächst die Herren M. S. und A. Sch ... Ab dem 1. November 2004 war nur noch Herr S. Gesellschafter dieser Gesellschaft. Der Kläger kündigte selbst das Arbeitsverhältnis wegen ausstehender Arbeitsentgeltzahlungen zum 30. September 2004. Ab Oktober 2004 war der Kläger mit unveränderter Betriebsstätte und unveränderter Aufgabenstellung bei der M. GmbH beschäftigt. Von dieser erhielt er im Oktober 2004 außerhalb des gesondert gezahlten Arbeitsentgelts zwei Zahlung in Höhe von je 850,00 EUR. Diese Zahlungen wurden von der neuen Arbeitgeberin gegenüber dem Kläger auf den Auszahlungsquittungen als "Darlehen" bezeichnet; einen schriftlichen Darlehensvertrag oder genauere mündliche Abreden gab es aber nicht.

Am 25. Oktober 2004 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung von Insolvenzgeld und gab an, das Arbeitsentgelt für die Zeit vom 1. August bis zum 30. September 2004 sei nicht gezahlt worden. Am 6. Juni 2005 wurde über das Vermögen der O. V. - und D. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter bescheinigte dem Kläger noch ausstehendes Netto-Arbeitsentgelt für den Monat August 2004 in Höhe von 1.689,09 EUR und für den Monat September 2004 in Höhe von 1.635,79 EUR. Mit Bescheid vom 2. September 2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. August bis zum 30. September 2004 Insolvenzgeld in einer Höhe von insgesamt 1.624,88 EUR. Dabei legte sie die vom Insolvenzverwalter mitgeteilten Beträge für August und September 2004 zugrunde, zog aber jeweils 850,00 EUR für bereits ausgezahltes Arbeitsentgelt ab. Hiergegen erhob der Kläger am 13. September 2005 Widerspruch und führte aus, die Höhe des bewilligten Insolvenzgeldes sei für ihn nicht nachvollziehbar. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2005 zurück und gab zur Begründung an: Es habe ein Betriebsübergang von der O. V. - und D. GmbH auf die M. GmbH stattgefunden. Die von der M. GmbH als "Darlehen" dem Kläger gezahlten insgesamt 1.700,00 EUR seien als für den Insolvenzgeldzeitraum gezahltes Arbeitsentgelt zu berücksichtigen.

Der Kläger hat am 25. November 2005 Klage beim Sozialgericht Stendal (SG) erhoben.

Das SG hat Kopien der Sitzungsniederschrift einer öffentlichen Sitzung des Arbeitsgericht Magdeburg vom 7. November 2006 in einem Rechtsstreit der Beklagten gegen die M. GmbH (Aktenzeichen: 1 Ca 288/06), des erstinstanzlichen Urteils in diesem Rechtsstreit vom 9. Januar 2007 und des Berufungsurteils des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 16. Oktober 2007 (Az.: 8 Sa 75/07) zur Akte genommen. Danach hat der vom Arbeitsgericht vernommene Zeuge L. N. ausgesagt: Er sei bis einschließlich September 2004 als Disponent bei der O. V. - und D. GmbH und dann bei der M. GmbH tätig gewesen. Bereits im September 2004 seien an die bei der O. V. - und D. GmbH beschäftigten Fahrer vorbereitete Eigenkündigungen und neue Arbeitsverträge mit der M. GmbH ausgeteilt worden. Außerdem seien Anträge für Insolvenzgeld mit dem Hinweis ausgeteilt worden, diese bei der Bundesagentur für Arbeit abzugeben und dabei nicht anzugeben, dass bereits ein neues Arbeitsverhältnis (mit der M. GmbH) bestehe. Nach einer Kündigung der Geschäftsbeziehungen durch die Deutsche Post/DHL im September 2004 habe die O. V. - und D. GmbH als Kunden praktisch nur noch die Firma Hermes gehabt. Diese sei dann ab Oktober 2004 auch der einzige Kunde der M. GmbH gewesen. Die Mitarbeiter der O. V. - und D. GmbH seien bereits im September 2004 informiert worden, sich zukünftig unter dem Namen M. GmbH zu melden. Die M. GmbH habe ca. 50 der bisherigen 70 Fahrer und ca. vier bis fünf von den sechs bis sieben Mitarbeitern im kaufmännischen Bereich der O. V. - und D. GmbH übernommen. Die O. V. - und D. GmbH habe während ihres Bestehens auch Aufträge für die B. GmbH ausgeführt, die schon nicht mehr existiert habe. Sie habe auch die Tankkarten genutzt, die auf die B. GmbH gelautet hätten. Nach seiner Wahrnehmung hätte die Geschäftsleitung sowohl bei der B. GmbH als auch bei der O. V. - und D. GmbH aus den Herren S. und Sch. junior bestanden. Das Controlling habe Herr Sch. senior wahrgenommen. Die Geschäftsführerin der M. GmbH sei dann Frau I. H. gewesen, die zur damaligen Zeit die Lebenspartnerin des Herrn S. gewesen sei.

Das Arbeitsgericht Madgeburg hat die M. GmbH mit Urteil vom 9. Januar 2007 verurteilt, an die Beklagte insgesamt 7.530,89 EUR zu zahlen. In den Gründen hat das Arbeitsgericht Magdeburg ausgeführt: Die Bundesagentur für Arbeit könnte die auf sie durch Zahlung von Insolvenzgeld übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche gegen die O. V. - und D. GmbH auch gegenüber der M. GmbH geltend machen, weil diese im Wegen eines Betriebsübergangs in die Rechte und Pflichten der im Zeitpunkt des Übergangs mit der O. V. - und D. GmbH bestehenden Arbeitsverhältnisse eingetreten sei. Die Berufung gegen dieses Urteil hat das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt mit Urteil vom 16. Oktober 2007 als unbegründet zurückgewiesen.

Der Kläger hat zu den von ihm erhaltenen 1.700 EUR in einer mündlichen Verhandlung vor dem SG am 18. Juni 2008 erklärt: Die M. GmbH habe es seiner Erinnerung nach nur etwa drei Monate lang gegeben. Danach sei es wieder eine andere Firma gewesen, für die er gefahren sei. Die Chefs seien immer dieselben geblieben. Er habe das Darlehen von der M. GmbH neben dem laufenden Arbeitsentgelt erhalten. Das Darlehen sei für die noch ausstehenden zwei Monate gezahlt worden, weil die Arbeitnehmer für diese Zeit vorher kein Geld bekommen hätten. Im Jahre 2005 hätten sich Anwälte der M. GmbH an ihn mit der Forderung gewandet, das Darlehen zurückzuzahlen. Eine Zahlung sei aber nicht erfolgt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 17. September 2008 als unbegründet abwiesen: Bei den von der Beklagten angerechneten Zahlungen der M. GmbH an den Kläger habe es sich trotz der Bezeichnung als Darlehen um Arbeitsentgelt gehandelt und zwar um zwei Abschlagszahlungen jeweils eine für den Monat August und eine für den Monat September 2004. Die Deklarierung als Darlehen sei geschehen, um die Beklagte zu schädigen, der Kläger habe die 1.700,00 EUR an die M. GmbH zurückzahlen sollen, falls er für den Insolvenzgeldzeitraum Leistungen ohne Anrechnung dieser Zahlungen von der Beklagten erhalten hätte. Die M. GmbH habe den Arbeitslohn auch infolge des Betriebsübergangs geschuldet.

Gegen das am 17. Oktober 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. November 2008 Berufung eingelegt und vortragen lassen: Er habe dem neuen Arbeitgeber, der M. GmbH, bei Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses seine wirtschaftlichen Probleme infolge des zuvor ausgefallenen Arbeitsentgelts geschildert. Vor diesem Hintergrund sei die M. GmbH bereit gewesen, ihm mit dem Darlehen auszuhelfen. Als der Darlehensvertrag geschlossen worden sei, seien weder er noch die M. GmbH von einem Betriebsübergang ausgegangen. Maßgeblich müsse der damalige Wille sein, der auf den Abschluss eines Darlehensvertrages und die Gewährung eines Darlehens gerichtet gewesen sei und nicht auf die Zahlung ausstehenden Arbeitsentgelts.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 17. September 2008 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 2. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 1.700,00 EUR Insolvenzgeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für richtig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere statthafte und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 17. September 2008 ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen höheren Anspruch auf Insolvenzgeld, als ihm von der Beklagten mit den angefochtenen Bescheiden bewilligt wurde. Der Anspruch des Klägers auf Insolvenzgeld ergibt sich aus § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III). Danach haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Der Kläger war bis zum 30. September 2004 Arbeitnehmer der O. V. - und D. GmbH. Über das Vermögen dieses Arbeitgebers ist am 6. Juni 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber noch Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Monate August und September 2004. Dieses Arbeitsentgelt hat die Beklagte in der vom Insolvenzverwalter mitgeteilten und vom Kläger nicht beanstandeten Höhe berücksichtigt. Die von der Beklagten vorgenommene Absetzung von jeweils 850,00 EUR pro Monat für gezahltes Arbeitsentgelt ist nicht zu beanstanden. Diese Beträge hatte der Kläger bereits im Oktober 2004, also vor dem Insolvenzereignis, erhalten. Es handelte sich im Ergebnis auch um Zahlungen auf den noch offenen Arbeitsentgeltanspruch des Klägers gegen die O. V. - und D. GmbH für den Insolvenzgeldzeitraum. Rechtlich schulde die M. GmbH auch die Zahlung des noch ausstehenden Arbeitsentgelts für August und September 2004. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit der im oben zitierten arbeitsgerichtlichen Verfahren zwischen der M. GmbH und der Beklagten vom Gericht getroffenen Feststellung, dass der Betrieb der O. V. - und D. GmbH im Sinne des § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auf die M. GmbH übergegangen war. Die M. GmbH nutzte ab Oktober 2004 die Betriebsorganisation der O. V. - und D. GmbH mit der im Wesentlichen gleichgebliebenen Belegschaft weiter und führte die Aufträge für den bisherigen Auftraggeber der O. V. - und D. GmbH aus. Damit waren nach § 613a BGB auch die zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Verpflichtungen der O. V. - und D. GmbH aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Kläger auf sie übergegangen.

Bei den Zahlungen von zweimal 850,00 EUR handelt es sich trotz der Verwendung des Terminus "Darlehen" um die Zahlung von Arbeitsentgelt. Dies ergibt sich bei einer auf objektive Gesichtpunkte abstellenden Auslegung der ausdrücklichen bzw. konkludenten Abreden zwischen dem Kläger und der M. GmbH. Nach dem Vortrag des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten steht für den Senat fest, dass der Kläger die neue Arbeitgeberin wegen des beim ihm aufgrund der Nichtzahlung des Arbeitsentgelts für August und September 2004 entstandenen finanziellen Engpasses ansprach. Aus der Sicht des Klägers, der es so empfand, dass zwar die Firmen (bzw. Firmenbezeichnungen) wechselten, aber die "Chefs immer die gleichen blieben" bestand bei rechtlich-laienhafter Wertung eine Einheit zwischen altem und neuem Arbeitgeber. Er fragte deshalb folgerichtig beim neuen Arbeitgeber wegen des ausstehenden Arbeitsentgelts und nicht nur wegen eines Vorschusses nach. Der Kläger hat auch bei der Befragung vor dem SG angegeben, aus seiner Sicht habe es das Geld für die "ausstehenden zwei Monate gegeben", also für August und September 2004. Daraus folgt, dass der Kläger davon ausging und auch davon ausgehen konnte, es handele sich um Zahlungen zur (teilweisen) Erfüllung der offenen Arbeitsentgeltforderungen. Zwar gebrauchte der neue Arbeitgeber bei der Zahlung der zwei mal 850,00 EUR auf den Quittungen den Terminus "Darlehen". Dieser scheinbare Widerspruch löst sich aber bei einer verständigen Auslegung auf, wenn der Umstand mit einbezogen wird, dass dem Kläger im Zusammenhang mit der Auflösung des alten Arbeitsvertrages und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses auch ein Insolvenzgeldantrag zur Antragstellung bei der Beklagten ausgehändigt worden war. Der neue Arbeitgeber erwartete offensichtlich, die im Antrag angegebenen und vom Insolvenzverwalter bescheinigten Entgeltrückstände würden in voller Höhe durch Insolvenzgeld ausgeglichen. Weil die insgesamt 1700,00 EUR nicht als Vorschuss auf das Entgelt aus dem neuen Arbeitsverhältnis gezahlt wurden und zwischen dem Kläger und der M. GmbH auch sonst keine Abrede über eventuelle Rückzahlungs- oder Verrechnungsmodalitäten getroffen wurden, durfte der Kläger davon ausgehen, dass ihm die M. GmbH Abschlagzahlung auf das noch ausstehende Entgelt für August und September 2004 zahlte, die Zahlung aber unter der Bedingung erfolgte, dass er den Betrag an die M. GmbH wie ein Darlehen zurückerstatten sollte, sofern er auf den Insolvenzgeldantrag hin das ausstehende Arbeitsentgelt von der Beklagten in voller Höhe (also ohne Anrechnung der Zahlungen durch die M. GmbH) erhalten würde. Da diese Bedingung nicht eingetreten ist, kann der Kläger das ihm von der M. GmbH für August und September 2004 gezahlte Arbeitsentgelt nun endgültig behalten. Dies hat auch der Kläger so gewertet, denn er hat auf die nach seiner Erklärung an ihn im Jahre 2005 herangetragene Rückzahlungsaufforderung nicht reagiert und ist in der Folgezeit nicht mehr zur Rückzahlung aufgefordert worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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