L 8 SB 3707/11 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 1830/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3707/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich mit der Beschwerde gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe (SG), mit der ihr im Rechtsstreit S 7 SB 1830/10 gestellte Antrag auf Ablehnung des nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörten Sachverständigen M., K., wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden ist.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) streitig. Der Beklagte hat mit dem von der Klägerin angegriffenen Bescheid einen GdB von 50 festgestellt. Die Klägerin macht mit der Klage einen GdB von mindestens 80 geltend.

Am 11.10.2010 beauftragte das SG - entsprechend dem Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG vom 21.09.2010 - den Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde M. mit der Erstattung eines entsprechenden Gutachtens. Aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin am 20.12.2010 gelangte der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten vom 04.04.2011 zu der Beurteilung, seitens seines Fachgebietes habe er bei der Klägerin keine Gesundheitsstörung feststellt. Er weise aber darauf hin, dass eine wesentliche technische Untersuchung von der Klägerin - aus welchen Gründen auch immer - abgelehnt worden sei.

Am 02.05.2011 - das schriftliche Gutachten war ihrem Prozessbevollmächtigten am 13.04.2011 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt worden - lehnte die Klägerin den Sachverständigen M. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Unter Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der Klägerin vom 29.04.2011 machte die Klägerin geltend, im schriftlichen Gutachten seien ihre Angaben (zu auffälligen Atemgeräuschen, vor allem im Liegen; zur Einnahme von Schmerzmitteln, zur kosmetischen Operation im Bereich der Mamma und zu den Gründen der unterbliebenen Lungenfunktionsuntersuchung) vom Sachverständigen unrichtig bzw. unvollständig wiedergegeben worden. Es lägen damit Tatsachen vor, die ein Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen rechtfertigen könnten. Hierzu nahm der Sachverständige auf Veranlassung des SG am 20.06.2011 Stellung. Er gab an, die Klägerin habe die Lungenfunktionsuntersuchung von vornherein abgelehnt. Die jetzigen Vorhaltungen seien für ihn Schutzbehauptungen.

Mit Beschluss vom 13.07.2011 lehnte das SG den Antrag der Klägerin ab. Es seien keine Umstände erkennbar, die bei einem nüchtern denkenden Beteiligten die Befürchtung rechtfertigen könnte, der Sachverständige M. sei parteilich oder seiner Verpflichtung, das Gutachten unparteilich zu erstatten, nicht nachgekommen. Die von der Klägerin gerügten Ausführungen im schriftlichen Gutachten seien entweder nicht entscheidungserheblich (Zeitpunkt der Brustoperation rechts; Schmerzmitteleinnahme) oder begründeten keine Besorgnis der Befangenheit (unrichtige Wiedergabe ihrer Angaben über Atemgeräusche im Liegen, nicht durchgeführte Lungenfunktionsuntersuchung). Das SG bezeichnete seinen Beschluss gemäß § 172 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unanfechtbar.

Dagegen hat die Klägerin am 04.08.2011 beim SG Beschwerde eingelegt, mit der sie - unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens und kritischer Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses - an ihrem Ziel festhält. Entgegen der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Beschluss sei dieser mit der Beschwerde beim LSG anfechtbar. Der für Gerichtspersonen geltende Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 2 SGG sei auf Sachverständige nicht anwendbar, da diese nicht zu den Gerichtspersonen zählten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des SG und des Beklagten sowie die Akten des Senats Bezug genommen.

II

Die Beschwerde der Klägerin ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie ist nicht in entsprechender Anwendung des § 172 Abs. 2 SGG ausgeschlossen. Gemäß § 172 Abs. 2 SGG können u. a. Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Sachverständige sind keine Gerichtspersonen. Auch die analoge Anwendung des § 172 Abs. 2 SGG ist nach Auffassung des Senats nicht möglich (vgl. Beschluss des Senats vom 15.11.2010 - L 8 SF 3957/10 AB - unter Hinweis auf Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 118 Rdnr. 20 sowie Leitherer, a. a. O., § 172 Rdnr. 3 und 6; a.A. LSG Baden-Württemberg, 7. Senat, Beschluss vom 27.01.2010 - L 7 R 3206/09 B -). § 172 Abs. 2 SGG enthält insoweit keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke.

Die Beschwerde der Klägerin hat jedoch keinen Erfolg.

Der Ablehnungsantrag ist nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO, der nach § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist, vor der Vernehmung des Sachverständigen zu stellen, spätestens jedoch binnen 2 Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Daraus folgt, dass es für die Rechtzeitigkeit des Ablehnungsantrages darauf ankommt, worin der Ablehnungsgrund besteht. Wird der Ablehnungsgrund erst aus dem Inhalt des schriftlichen Gutachtens hergeleitet, so ist er grundsätzlich in der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO geltend zu machen (BGH Urteil vom 15.03.2005 - VII ZB 74/04-, NJW 2005, 1869). Ist keine richterliche Frist gesetzt, ist ab dem Zeitpunkt der Kenntnis des Ablehnungsgrundes dieser unverzüglich geltend zu machen, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Die hierzu angemessene Frist ist nach der herrschenden Meinung im Schrifttum (vgl. u.a. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl. § 406 Rn. 23; Zöller, ZPO, 28. Aufl. § 406 Rn. 11 jew. m.w.N.) längstens die Zweiwochenfrist des § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO; in der Rechtsprechung wird teilweise die Auffassung vertreten, es komme auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls an (vgl. BGH, Urteil vom 15.03.2005, a.a.O., m.w.N.). Der Senat hält eine Frist von längstens einem Monat, der im Sozialrecht sonst üblichen Rechtsbehelfsfrist, grundsätzlich für eine angemessene Überlegungsfrist, wenn nicht die besonderen Umstände des Einzelfalls eine kürzere Prüfungszeit nahelegen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Klägerin den Ablehnungsantrag rechtzeitig gestellt hat. Das schriftliche Gutachten des Sachverständigen wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 13.04.2011 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt, so dass zwischen Kenntnis der schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen und dem Eingang des Befangenheitsantrages beim SG am 02.05.2011 nur etwas mehr als 2 Wochen lagen. Besondere Umstände, die eine kürzere Überlegungsfrist angemessen erscheinen lassen, sind für den Senat nicht erkennbar.

Eine berechtigte Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen ist jedoch zu verneinen. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt nach § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder sich selbst für befangen hält (BVerfGE 35, 171, 272). Ebenso wenig reicht es aus, dass der Beteiligte tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit hat (BSG in Breithaupt 1986, 446 f). Maßgebend ist vielmehr, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Sachverständigen zu zweifeln (BVerfGE 20,9, 14; 43, 126, 127; BSG aaO).

Die eingangs genannten einzelnen Vorwürfe der Klägerin gegen das schriftliche Gutachten des Sachverständigen begründen keine Besorgnis der Befangenheit. Die von der Klägerin gerügte unrichtige Wiedergabe ihrer Angaben im Gutachten zum Zeitpunkt der Brustoperation und zur Schmerzmitteleinnahme wirken sich auf die hier entscheidungserhebliche Beurteilung des Sachverständigen, ob auf lungenärztlichem Gebiet eine Funktionsstörung vorliegt, ersichtlich nicht aus. Zwar trifft es zu, dass ein Sachverständiger - wie die Klägerin geltend macht - verpflichtet ist, ein ordnungsgemäßes und zutreffendes Gutachten zu erstatten. Bloße Unrichtigkeiten im schriftlichen Gutachten, die zudem ohne wesentliche Bedeutung für die Beantwortung der Beweisfragen sind, vermögen jedoch von vornherein keine Besorgnis der Befangenheit wegen mangelhafter Sorgfalt aufgrund unsachlicher Einstellung zu begründen.

Soweit die Klägerin geltend macht, ihre Angaben zu auffälligen Atemgeräuschen, vor allem im Liegen und zu den Gründen der nicht durchgeführten Lungenfunktionsprüfung seien vom Sachverständigen unrichtig bzw. unvollständig wiedergegeben worden, sind diese Umstände für ein lungenärztliches Gutachten zwar von Bedeutung. Eine Besorgnis der Befangenheit kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden, denn das vom Sachverständigen teilweise ausdrücklich bestrittene Vorbringen der Klägerin ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Dem mit eidesstattlicher Versicherung bekräftigten Vortrag der Klägerin ist keine höhere Bedeutung beizumessen, denn diese Form der Glaubhaftmachung ist ausgeschlossen (§ 406 Abs. 3 2. Halbsatz ZPO). Vielmehr ist auf entsprechendes Vorbringen eines Beteiligten im Rahmen der Beweiswürdigung vom Gericht hierauf einzugehen. Erforderlichenfalls ist eine Nachfrage beim Sachverständigen, die hier eingeholt wurde, notwendig. Eine abschließende Klärung der streitigen Frage ist im Antrags-/Beschwerdeverfahren nicht möglich. Zweifel an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Sachverständigen - wie erforderlich - ergeben sich aus dem insoweit im Beschwerdeverfahren nicht weiter aufklärbaren Sachverhalt nicht ohne weiteres.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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