S 91 AS 38168/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
91
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 91 AS 38168/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1962 geborene Kläger wendet sich gegen die Rückforderung für die Monate September und Oktober 2008 erhaltener Arbeitslosengeld II(Alg II)-Leistungen.

Mit Bescheid vom 29. Januar 2009 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 28. August 2008 bis zum 28. Februar 2009 unter Anrechnung eines prognostizierten Monatsnettoeinkommens im September 2008 in Höhe von 700,00 EUR. Der Höhe nach beliefen sich die gewährten Leistungen auf 276,74 EUR für September 2008 und 736,74 EUR für Oktober 2008.

Auf den Konten des Klägers gingen im September 2008 ausweislich der von ihm im Verwaltungsverfahren eingereichten Kontoauszüge Lohn-/Gehaltszahlungen des Unternehmens K R E für Juli 2008 in Höhe von 700,00 EUR (Eingangsdatum: 3. September), 600,00 EUR (17. September) und 308,54 EUR (30. September) sowie eine Krankengeldzahlung in Höhe von 862,87 EUR (8. September) ein. Am 27. Oktober 2008 erhielt er eine Lohn-/Gehaltszahlung des Unternehmens K R E für August 2008 in Höhe von 1.554,54 EUR.

Nach Anhörung mit Schreiben vom 9. März 2009 setzte der Beklagte mit Bescheid vom 25. Juni 2009 den Leistungsanspruch des Klägers für September und Oktober 2008 fest und forderte die gewährten Leistungen vollständig zurück. In seinem Bescheid stellte der Beklagte die vorgenommene Einkommensanrechnung im Einzelnen dar und führte für die Regelleistung und die Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) jeweils einen nach § 328 Abs. 3 SGB III (in Verbindung mit [i.V.m.] § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II in der bis zum 31. März 2011 gültigen Fassung [SGB II]) zu erstattenden Gesamtbetrag an.

Mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 5. August 2009 legte der Kläger gegen den Festsetzungs- und Erstattungsbescheid vom 25. Juni 2009 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2009 (W./09), dem Kläger am 5. Oktober 2009 zugegangen, als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, der Kläger habe in den fraglichen Monaten jeweils bedarfsdeckendes Einkommen aus Lohn/Gehalt bzw. Krankengeld erzielt.

Mit seiner am 5. November 2009 bei Gericht eingegangenen und nach Betreibensaufforderung im November 2010 begründeten Klage macht der Kläger geltend: Der Beklagte habe bei der Einkommensberechnung Kosten für seine Kfz-Haftpflichtversicherung, die sich im Jahr auf 405,95 EUR beliefen, nicht berücksichtigt. Ferner seien von den Einnahmen aus seiner Beschäftigung bei K R E die seinem Fahrtenbuch für die Monate Mai bis August 2008 zu entnehmenden Kosten von Fahrten nach L, die er zur Einkommenserzielung habe unternehmen müssen, in Abzug zu bringen. Er ist zudem der Meinung, dass die die Erstattung von Alg II-Leistungen für die Unterkunft auf 44% beschränkende Vorschrift des § 40 Abs. 2 SGB II im Wege einer erweiternden Auslegung auf den vorliegenden Fall einer Rückforderung nach § 328 Abs. 3 SGB III (i.V.m. § 40 Abs. 1 SGB II) anzuwenden sei.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist trotz – ausweislich des Empfangsbekenntnisses vom 6. Juli 2011 zugegangener – Ladung vom 16. Juni 2011 der mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2011 ferngeblieben. In den vorbereitenden Schriftsätzen hat er beantragt,

den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 25. Juni 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Oktober 2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage durch Urteil nach Lage der Akten abzuweisen.

Er beruft sich auf seine Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden und trägt ergänzend vor, dass die Berücksichtigung der vom Kläger vorgetragenen Ausgaben im Rahmen der Einkommensanrechnung in den streitbefangenen Monaten zu keinem anderen Ergebnis führe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Leistungsakte des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorlag und Gegenstand der Beratung war.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers trotz Hinweises in der Ladung auf diese Möglichkeit dem Termin am 15. Juli 2011 ferngeblieben ist (§ 110 SGG). Der Verkündung des Urteils aufgrund mündlicher Verhandlung gemäß § 132 SGG stand auch nicht der Antrag des Bevollmächtigten des Beklagten auf eine Entscheidung nach Aktenlage gemäß § 126 SGG entgegen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 126 Rn. 4; vgl. auch BSGE 28, 151).

Streitgegenstand ist die Festsetzung und Rückforderung der mit Bescheid vom 29. Januar 2009 vorläufig bewilligten Leistungen für die Monate September und Oktober 2008 durch Bescheid des Beklagten vom 25. Juni 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Oktober 2009 (W./09).

Die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig. Sie verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Festsetzungs- und Erstattungsbescheid vom 25. Juni 2009 ist hinreichend bestimmt im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X. Zwar hat der Beklagte in diesem Verwaltungsakt den Rückforderungsbetrag von insgesamt 1.013,48 EUR lediglich nach der zu erstattenden Regelleistung (351,00 EUR) und den zurückzuzahlenden KdU-Leistungen (662,48 EUR), nicht hingegen nach den Zeiträumen, für die Leistungen aufgehoben werden sollten – hier: den einzelnen Monaten – aufgeschlüsselt. Dies ist vorliegend jedoch deshalb unschädlich, weil es sich um eine vollständige Erstattung der aufgrund des vorläufigen Bewilligungsbescheids vom 29. Januar 2009 gewährten Alg II-Leistungen handelte. Unter Einbeziehung dieses Bescheids musste sich einem verständigen Leser aufdrängen, dass für September 2008 KdU-Leistungen in Höhe von 276,74 EUR und für Oktober 2008 die Regelleistung in Höhe von 351,00 EUR sowie KdU-Leistungen in Höhe von 385,74 EUR (insgesamt 1.013,48 EUR) zu erstatten waren.

Rechtsgrundlage für die Rückforderung ist § 328 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II. Nach diesen Vorschriften sind auf Grund einer vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird. Dieser Erstattungsanspruch ist zwingend; der Beklagte kann weder Ermessen ausüben noch kann sich der Kläger auf Vertrauensschutz berufen (vgl. BSG SozR 3-4100 § 147 AFG Nr. 1, S. 4 m.w.N.).

Die Berechnung des Leistungsanspruchs des Klägers in den Monaten September und Oktober 2008, auf deren Grundlage der Beklagte die erbrachten Leistungen vollständig zurückforderte, ist nicht zu beanstanden. Der Bedarf des Klägers setzte sich zusammen aus der Regelleistung in Höhe von 351,00 EUR sowie – unstreitig gebliebenen – Kosten der Unterkunft in Höhe von 385,74 EUR. Im September 2008 stand dem nach den Berechnungen des Beklagten ein Nettoeinkommen in Höhe von 908,54 EUR gegenüber. Ausweislich der im Verwaltungsverfahren eingereichten Kontoauszüge dürfte das Nettoeinkommen des Klägers im September 2008 freilich 1.608,54 EUR betragen haben. Des Weiteren bezog der Kläger in diesem Monat Krankengeld in Höhe von 862,87 EUR. Seinen Bedarf in Höhe von 736,74 EUR überschritt mithin bereits sein sonstiges Einkommen aus Krankengeld. Im Oktober 2008 ging auf einem der Konten des Klägers eine Gehaltszahlung in Höhe von 1.554,54 EUR ein. Hiervon war ein Freibetrag gemäß §§ 11, 30 SGB II in Höhe von 280,00 EUR abzuziehen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass weitere Abzüge von dem Einkommen des Klägers aus – nach dem Vorbringen der Beteiligten und soweit nach der Aktenlage ersichtlich – unselbständiger Beschäftigung vorzunehmen waren, sind nicht ersichtlich. Im Ergebnis kann diese Frage freilich dahinstehen. Denn auch, wenn die Ausgaben für die Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 33,83 EUR (405,95 EUR: 12 Monate) sowie für Fahrtkosten für im August 2008 mit der beruflichen Tätigkeit in Zusammenhang stehende Reisen nach L entsprechend der – nach Prüfung durch die Kammer – zutreffenden Berechnung des Beklagten in Höhe von 366,48 EUR (Bl. 391, 397 d.LA) neben der (weiteren) Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR und der sog. Werbungskostenpauschale in Höhe von 15,33 EUR vom erzielten Einkommen abzuziehen sein sollten, wäre das verbleibende anzurechnende Einkommen des Klägers im Oktober 2008 in Höhe von 828,90 EUR bedarfsdeckend.

Der Erstattungsanspruch unterfällt auch nicht § 40 Abs. 2 SGB II, der eine von § 50 SGB X abweichende Erstattung insoweit regelt, als in Satz 1 ein pauschaler Betrag in Höhe von 56 % von der Erstattung ausgenommen wird. § 328 Abs. 3 SGB III stellt eine abschließende eigenständige Regelung dar. Die vorläufige Bewilligung nach Abs. 1 Satz 1 ist im Regelfall von vornherein auf Ersetzung durch einen endgültigen Verwaltungsakt angelegt. Da sich der vorläufige Verwaltungsakt durch den Erlass des endgültigen Bescheids erledigt, bedarf es der eigenständigen Erstattungsregelung des Abs. 3 Satz 2. Mangels Aufhebung eines Verwaltungsakts ist weder § 50 Abs. 1 SGB X anwendbar noch sind vorläufige Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden, wie dies § 50 Abs. 2 SGB X voraussetzt. § 40 Abs. 2 SGB II berührt folglich den vorliegenden Erstattungsfall nicht.

Diese Regelung ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar. Der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers gerügte Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Ein aus dieser verfassungsrechtlichen Garantie abzuleitendes Erfordernis, die eine Rückforderung einschränkende Vorschrift des § 40 Abs. 2 SGB II im Wege einer verfassungskonformen erweiternden Auslegung auf die streitgegenständliche Erstattung nach § 328 Abs. 3 SGB III (i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II) zu erstrecken, ist nicht gegeben.

Mit der Beschränkung der Erstattungspflicht nach § 40 Abs. 2 SGB II soll bewirkt werden, dass sich der Ausschluss der Empfänger des Alg II vom Wohngeld nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG (in der Fassung vom 9. Dezember 2010 [WoGG n.F.]) rechtlich und tatsächlich nicht auswirkt. Die Unterkunftskosten werden damit zu dem Teil, der dem Wohngeld entspricht, materiell den Wohngeldregelungen unterstellt, ohne das Wohngeldrecht direkt anwenden zu müssen. Der Satz von 56% orientiert sich am durchschnittlichen Subventionssatz nach der Wohngeldstatistik 2001, welcher sich bei einer Teilung des durchschnittlichen Wohngeldanspruchs durch die durchschnittliche berücksichtigungsfähige Miete ergibt (vgl. Eicher in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2 Aufl. 2008, § 40 Rn. 29 m.N.). Aufgrund dieser Regelung erübrigt sich im Regelfall für den Leistungsempfänger die Einleitung eines – weiteren – Verwaltungsverfahrens bei dem – an sich – zuständigen Wohngeldamt; sie führt somit zu einer erheblichen Verwaltungsvereinfachung.

Dass der Vergleich mit Wohngeldempfängern nicht individuell, sondern typisierend und pauschalierend vorgenommen wird und daher wegen des gewährten Durchschnittsatzes sowohl zu Gunsten wie zu Lasten der vom Anwendungsbereich von § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II umfassten Betroffenen ausfallen kann, ist nicht verfassungswidrig. Art. 3 Abs. 1 GG ist insoweit nicht verletzt. Gerechtfertigt ist die Regelung unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktibilität (vgl. BVerfGE 96, 1 [6]). Jede gesetzliche Norm muss verallgemeinern. Der Gesetzgeber darf sich deshalb grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen; er hat vor allem bei der Ordnung von Massenerscheinungen und deren Abwicklung Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen (vgl. Eicher, a.a.O., Rn. 105 m.w.N.).

Ferner ist die Gleichstellung der Empfänger nur vorläufig gewährter Sozialleistungen im Sinne von § 328 SGB III durch § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II mit den in § 45 Abs. 2 Satz 3 und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X geregelten Fällen kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Auch hier wird der Anspruch des Leistungsträgers auf Erstattung nicht durch den pauschalen Abzug von zu berücksichtigenden Kosten für die Unterkunft eingeschränkt. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X entfällt Vertrauensschutz für Begünstigte einer rechtswidrigen Leistungshandlung, wenn sie entweder vorwerfbar eine wesentliche Ursache für deren Fehlerhaftigkeit gesetzt bzw. vorsätzlich oder grob fahrlässig deren Rechtswidrigkeit verkannt haben. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X bestimmt für den Regelfall eine rückwirkende Änderung der Leistungsbewilligung, wenn deren Empfänger seiner durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher ihm nachteiliger Änderungen vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. In der seit 1. April 2011 gültigen Fassung des SGB II hat der Gesetzgeber § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II (nunmehr: § 40 Abs. 4 Satz 2 SGB II n.F.) um § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X erweitert, mithin um die Fälle, in denen der Empfänger einer ursprünglich rechtmäßigen Leistungsbewilligung vorsätzlich oder grob fahrlässig verkannt hat, dass der Anspruch auf Leistungen kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Diesen Fällen vergleichbar ist der Empfänger einer vorläufigen Leistung im Sinne von § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III insoweit, als auch er – wie ausgeführt – grundsätzlich kein Vertrauen in das endgültige Behaltendürfen der ihm gewährten Leistungen entwickeln kann; denn ihm muss bewusst sein, dass in seinem Interesse vor endgültiger Klärung des Sachverhalts Leistungen erbracht werden, die wegen ihrer Vorläufigkeit mit dem latenten Erstattungsanspruch des Leistungsträgers belastet sind. Nicht vergleichbar mit den vorgenannten Fällen ist die Regelung in § 40 Abs. 2 Satz 2 a.E. SGB II, nach der Leistungsempfänger, bei denen die Bewilligung nur teilweise aufgehoben wird, gleichfalls keinen pauschalen Abzug von ihrer Erstattungspflicht erhalten. Die Begründung hierfür ist darin zu sehen, dass nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG n.F. der Anspruch auf Wohngeld auch bei nur teilweisem Bezug von Alg II-Leistungen für die Unterkunft ganz entfällt (vgl. Eicher, a.a.O., Rn. 32a).

Des Weiteren unterliegt der Erstattungsanspruch des Beklagten den Einschränkungen des § 107 SGB X i.V.m. § 103 SGB X. Der Alg II-Leistungsempfänger erwirbt nach § 103 Abs. 1 SGB X einen Erstattungsanspruch gegen den nach dem WoGG zuständigen Träger, wenn die Alg II-Bewilligung in vollem Umfang aufgehoben wird und ohne Alg II-Bezug Wohngeld zu zahlen gewesen wäre. In einem derartigen Fall schließt § 107 Abs. 1 SGB X die Rückforderung der gewährten Sozialleistung in Höhe des dem Leistungsberechtigten zustehenden Wohngelds aus. Insoweit greift die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X. Der Wohngeldanspruch des Leistungsberechtigten ist erfüllt; der erstattungsberechtigte Leistungsträger wird allein auf § 103 SGB X verwiesen und kann Erstattung nur von dem für das Wohngeld zuständigen Leistungsträger begehren (vgl. Eicher, a.a.O., Rn. 105a f.; Roller in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 107 Rn. 6 ff.; Udsching/Link, Aufhebung von Leistungsbescheiden im SGB II, SGb 2007, 513 [519]). Ziel dieser Regelung ist somit, dem Leistungsempfänger das ihm zustehende Wohngeld zu erhalten, so dass er einem Wohngeldberechtigten ohne Alg II-Bezug gleichgesetzt wird.

Ein möglicher Anspruch des Klägers auf Wohngeld scheitert auch noch nicht an dem zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablauf seit den beiden streitbefangenen Monaten September und Oktober 2008. Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 WoGG n.F. beginnt der Bewilligungszeitraum am Ersten des Monats, von dem ab Transferleistungen – wie das Alg II (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG n.F.) – abgelehnt worden sind, wenn der Wohngeldantrag vor Ablauf des Kalendermonats gestellt wird, der auf die Kenntnis der Ablehnung folgt. Der Begriff der Ablehnung umfasst jeden Fall der Ablehnung, Versagung, Entziehung oder darlehensweisen Gewährung einer Transferleistung (ebenso die Verwaltungsvorschriften des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (in der Fassung vom 27. Dezember 2001 – SW 36-4152.2 – Pkt. 25.31). Bei entsprechendem Antrag und Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ist daher die rückwirkende Bewilligung von Wohngeld möglich (vgl. Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, WoGG, Kommentar, EL 60/63 [Januar 2009/Januar 2010], § 25 Rn. 37 ff. [insb. Rn. 40, 42]; Glätzer in: Buchsbaum/Hartmann, WoGG, 2. Aufl., EL 11 [12/2006], Erl. § 27 WoGG Rn. 29 f.). Entsprechend dem – soweit ersichtlich zwischenzeitlich nicht geänderten – Erlass vom 30. Dezember 2004 und Rn. 49 ff. zu § 1 WoGG (in der Fassung vom 7. Juli 2005 [WoGG a.F.]) des (damaligen) Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Wohnungswesen beginnt die Frist des § 25 Abs. 3 WoGG n.F. erst zu laufen, wenn der die Transferleistungen ablehnende Bescheid bestandskräftig oder ein entsprechendes Urteil rechtskräftig wird. Durch diese Auslegung wird vermieden, dass der Betroffene nicht einerseits Klage führen und andererseits "gleichzeitig" Wohngeld beantragen muss (vgl. Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, a.a.O., Rn. 46). Mithin wäre für Betroffene einer Rückforderung nach § 328 Abs. 3 SGB III (i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II) ebenso wie für Betroffene einer Rückforderung nach §§ 45 Abs. 2 Satz 3, 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X (vgl. § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II) gewährleistet, dass bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen sein individueller Wohngeldanspruch nach vollständiger Rückforderung von Alg II-Leistungen gleichsam wieder auflebte. Der vorläufige Bezug von Alg II führte also nicht zu einer ungerechtfertigten Wenigerleistung; er führte zu der – wie ausgeführt – gebotenen Gleichbehandlung mit Betroffenen einer vollständigen Rückforderung nach §§ 45 Abs. 2 Satz 3, 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X, deren nachträglich geltend zu machender Wohngeldanspruch wegen § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II ebenfalls nicht pauschaliert, sondern individuell zu berechnen ist.

Vorliegend scheidet ein Anspruch des Klägers auf Wohngeld in den Monaten September und Oktober 2008 deshalb aus, weil seine Einkünfte die für die Gewährung von Wohngeld maßgebenden Bemessungsgrenzen übersteigen. Nach der Leistungsakte und den Angaben des Klägers im gerichtlichen Verfahren erhielt er – wie ausgeführt – im September 2008 Beschäftigungslohn von der K R E in Höhe von 1.608,54 EUR zuzüglich Krankengeld in Höhe von 862,87 EUR und im Oktober 2008 eine Gehaltszahlung in Höhe von 1.554,54 EUR. Für die erforderliche Berechnung des Jahreseinkommens ist allein von den im zweimonatigen Bewilligungszeitraum angefallenen Einkünften auszugehen. § 15 Abs. 4 WoGG n.F. enthält insoweit lediglich eine Klarstellung (vgl. Hartmann in: Buchsbaum/Hartmann, a.a.O., Erl. § 15 WoGG Rn. 11). Nach Berechnung des Gesamteinkommens unter Berücksichtigung der Freibeträge und Abzüge nach dem Zweiten Teil des WoGG a.F. und unter Einbeziehung der Höchstbeträge nach § 8 WoGG a.F. folgt – selbst, wenn die vom Kläger geltend gemachten "Werbungskosten" der Kfz-Haftpflicht-Versicherung und der Fahrtkosten nach Leipzig in Abzug gebracht werden – aus der Wohngeldtabelle der Anlage 3 zum WoGG a.F., dass ein Anspruch auf Zuschuss zu den Kosten der Unterkunft nach dem WoGG nicht bestand. Daher verstößt im konkreten Fall der vom beklagten JobCenter geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht gegen die Bestimmungen der §§ 107 i.V.m. 103 SGB X.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen des Klägers in der Sache.

Der Kläger kann dieses Urteil gemäß der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrung mit der Berufung anfechten, weil er durch den Sachausspruch in die Berufungssumme übersteigender Höhe beschwert ist (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die von seinem Prozessbevollmächtigten angeregte Zulassung der Sprungrevision war bereits deshalb nicht auszusprechen, weil der Kammer eine schriftliche Zustimmung des Beklagten im Entscheidungszeitpunkt nicht vorlag (vgl. § 161 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved