L 13 AS 4348/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 5258/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 4348/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. September 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist bereits unzulässig. Die Antragstellerin begehrt, dass dem Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig untersagt wird, bis zur Klärung des anhängigen Klageverfahrens weitere Meldeaufforderungen an die Antragstellerin zu richten.

Dem Sozialgericht Stuttgart (SG) ist beizupflichten, dass vorliegend ein Antrag nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft ist. Das Begehren der Antragstellerin ist gerichtet auf das Unterlassen weiterer Meldeaufforderungen seitens des Antraggegners. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht eine sogenannte Sicherungsanordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn kein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt und die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Dies ist hier der Fall: § 86b Abs. 1 SGG ist nicht einschlägig, da in der Hauptsache mangels belastendem Verwaltungsakt keine "Anfechtungssituation" vorliegt.

Der von der Antragstellerin begehrte vorbeugende gerichtliche Rechtsschutz begegnet aber im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz [GG]) und dem grundsätzlich reaktiv konzipiertem Rechtsschutz im GG (vgl. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichts-ordnung Bd. II, § 123 Rn. 45). Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung obliegt der Gerichtsbarkeit (nur) die Kontrolle der Verwaltung; sie ist aber grundsätzlich nicht berufen, im Vorhinein gebietend oder verbietend in den Verwaltungsbereich einzugreifen. Dementsprechend ist, wie bei der in der Hauptsache hier statthaften vorbeugenden Unterlassungsklage (vgl. hierzu Meyer-Ladewig, SGG, § 54 Rdnr. 42a), ein qualifiziertes, gerade auf Inanspruchnahme vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse zu fordern; dieses ist regelmäßig zu verneinen, solange die Antragstellerin in zumutbarer Weise auf den vom SGG im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen, vorläufigen Rechtsschutz verwiesen werden kann (vgl. BSG vom 15.11.1995 - 6 RKa 17/95 - juris Rn. 15; Meyer-Ladewig, a.a.O.).

Bei der Prüfung eines solchen qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses ist nach der Rechtsqualität der behördlichen Maßnahme zu differenzieren: sofern das Begehren auf das Unterlassen eines Verwaltungsaktes gerichtet ist, besteht regelmäßig kein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragstellerin hat in diesem Fall die Möglichkeit durch Widerspruch und Anfechtungsklage den Suspensiveffekt nach § 86a SGG auszulösen bzw. durch einen Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG dessen Anordnung zu erreichen. Durch diese aufschiebende Wirkung ist sie grundsätzlich hinreichend geschützt. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur dann, wenn der Antragstellerin die Verweisung auf den nachträglichen Rechts¬schutz unzumutbar ist, insbesondere wenn die Schaffung vollendeter Tatsachen droht oder sich kurzfristig erledigende Verwaltungsakte im Raume stehen (LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.06.2006 - L 1 B 16/06 AS ER - juris Rn. 12). Bei einem drohenden, schlicht hoheitlichem Handeln bestehen dagegen keine vergleichbar hohen Anforderungen an das Vorliegen eines qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses; denn bei Realakten fehlt es an einer den §§ 86a Abs. 1 SGG bzw. 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG vergleichbaren Vorschrift.

Bei den Meldeaufforderungen der Antragsgegnerin gem. §§ 59 SGB II i. V. m. 309 Abs. 1 SGB III handelt es sich um Verwaltungsakte im Sinne des § 31 SGB X. So ist die Meldeaufforderung nach § 309 SGB III in der Entscheidung des 7. Senats des BSG vom 20. März 1980 (SozR 4100 § 132 Nr. 1) als Verwaltungsakt qualifiziert worden, weil sie die allgemeine Mitwirkungspflicht für den Einzelfall mit Verpflichtungswirkung gegenüber den Adressaten konkretisiere. In späteren Entscheidungen hat das BSG allerdings die Rechtsnatur der Aufforderung offengelassen (BSG vom 19.01.2005 - B 11a/11 AL 39/04 R = SozR 4-1300 § 63 Nr. 2 - juris Rn. 25 m.w.N.). Gegen den Verwaltungsaktscharakter der Meldeaufforderung wird eingewandt, dass eine Verletzung der Meldepflicht nicht unmittelbar zum Eintritt einer Sanktion führe; vielmehr erfordere die Entscheidung über eine Minderung des Alg II die weitere Prüfung, ob der Arbeitslose für sein Verhalten einen wichtigen Grund hatte und eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung erteilt worden ist (vgl. Eicher/Schlegel, SGB III Arbeitsförderung, § 309 Rdnr. 54 für die Meldeaufforderung nach § 309 SGB III).

Dennoch trifft die Meldeaufforderung eine Regelung mit Außenwirkung, weil sie verbindlich unter Androhung einer Minderung des maßgebenden Regelbedarfs einen Meldetermin festlegt. Sie begründet damit eine selbständige Obliegenheit, zu einem bestimmten Zeitpunkt, aus einem bestimmten Grund, an einem bestimmten Ort zu sein und stellt damit im Sinne einer Vorabentscheidung gleichzeitig das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals einer Sanktion i.S.d. § 32 SGB II fest (LSG Berlin-Brandenburg vom 21. Juli 2011 - L 14 AS 999/11 B ER - juris Rn. 3; ebenso Niesel/Brand, SGB III, § 309 Rdnr. 6; Eicher/Schlegel, a.a.O.; wohl auch Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 59 Rn. 10 f.). Für eine Qualifizierung als Verwaltungsakt spricht letztendlich auch die Regelung in § 39 Nr. 4 SGB II, wonach die aufschiebende Wirkung bei einem Verwaltungsakt, mit dem nach § 59 SGB II i. V. m. § 309 SGB III zur persönlichen Meldung bei der Agentur für Arbeit aufgefordert wird, entfällt. Aus dieser Norm sowie der prozessualen Regelung des § 336a Abs. 1 Nr. 4 SGB III für das Arbeitsförderungsrecht ergibt sich, dass der Gesetzgeber der Aufforderung zur Meldung die Bedeutung von Verwaltungsakten und nicht bloß vorbereitendem schlichten Verwaltungshandeln beimisst.

Im Übrigen geht auch der Antragsgegner von einer Verwaltungsaktqualität der Aufforderung aus, wie der serienmäßig beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung bei Meldeaufforderungen der Jobcenter entnommen werden kann. Die Beifügung dieser macht die Meldeaufforderungen des Antragsgegners - ungeachtet ihrer tatsächlichen Rechtsnatur - jedenfalls formal zu einem Verwaltungsakt (sog Formverwaltungsakt, BSG vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R = SozR 4-4300 § 119 Nr. 3 - juris Rn. 11).

Wenn nun der Meldeaufforderung aber Verwaltungsaktqualität zukommt, so kann die Antragstellerin hiergegen Widerspruch und Anfechtungsklage erheben. Zwar entfällt gemäß der bereits genannten Regelung in § 39 Nr. 4 SGB II die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine solche Meldeaufforderung. Hierfür steht der Antragstellerin aber der Antrag gem. § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG offen, auf welchen hin das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs bzw. ihrer Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen kann. Nachdem der Antragstellerin somit ein taugliches Instrument zur Verfügung steht, um im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes den Suspensiveffekt ihres Rechtsmittels gegen eine ergangene Meldeaufforderung - soweit das Rechtsmittel sich als zulässig und begründet erweisen sollte - herzustellen, ist sie hinreichend geschützt. Die Befugnis der Gerichte, den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) zu durchbrechen, in dem sie, entgegen der grundsätzlich reaktiven Konzeption des Rechtsschutzes nach dem GG bereits im Vorfeld einer behördlichen Maßnahme tätig werden und dieser ein bestimmtes Verhalten aufgeben, ist auf Aufnahmefälle zu beschränken. Angesichts der soeben dargestellten tauglichen nachträglichen Rechtsschutzmöglichkeiten der Antragstellerin ist ein solcher Ausnahmefall indes nicht ersichtlich (LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., juris Rn. 14). Mangels eines qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses ist der Antrag der Antragstellerin demzufolge schon unzulässig.

Soweit die im Laufe des Beschwerdeverfahrens seitens der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen ersichtlich die noch am SG anhängigen Verfahren S 12 AS 4653/11, S 12 AS 4565/11 sowie S 12 AS 5679/11 betrafen, wurden sie an das SG weitergeleitet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog. Hierbei war für den Senat im Rahmen des hierbei eingeräumten Ermessens ausschlaggebend, dass die Antragsgegnerin keinen berechtigten Anlass zur Antragstellung gegeben hat und die Rechtsverfolgung kein Erfolg hat.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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