L 8 AL 212/11 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 35 AL 1744/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 AL 212/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. Juni 2011 und die Kostenrechnung des Kostenbeamten beim Sozialgericht Berlin vom 29. Dezember 2010 werden aufgehoben. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Der Kläger erhielt von der Beklagten ein Schreiben ohne Rechtsbehelfsbelehrung mit Datum des 15. Februar 2010, in dem er zur Zahlung eines Betrages von 578,90 EUR aufgefordert wurde. Die Beklagte begründete die Forderung mit einem übergegangenen Anspruch auf Arbeitsentgelt. In einem Begleitschreiben wurde das Schriftstück als "Bescheid vom 15. Februar 2010" bezeichnet. Den Widerspruch des Klägers gegen die Zahlung verwarf die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 30. März 2010 als unzulässig. Das Schreiben vom 15. Februar 2010 sei kein Verwaltungsakt gewesen. Außerdem entschied die Beklagte in dem Widerspruchsbescheid, dass die im Widerspruchsverfahren ggf. entstandenen notwendigen Aufwendungen nicht erstattet würden. Gegen die Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheides erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Berlin Klage. Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2010, beim Sozialgericht eingegangen am 26. Mai 2010, konkretisierte er den Klageantrag dahingehend, die Beklagte (unter Änderung des Widerspruchsbescheides) zu verpflichten, ihm die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten im Umfang des Widerspruchserfolgs zu erstatten. Die Kammervorsitzende teilte dem Kläger mit Schreiben vom 2. Dezember 2010 unter anderem mit, dass in dem Verfahren Gerichtskosten anfallen dürften. Es sei insoweit beabsichtigt, den Auffangstreitwert als Gegenstandswert anzusetzen. Außerdem verfügte sie am selben Tag, dass ein Gerichtskostenvorschuss nach einem vorläufigen Streitwert von 5.000,- EUR anzufordern sei. Diese Verfügung wurde am 8. Dezember 2010 mit einem Erledigungsvermerk des Kostenbeamten des Sozialgerichts versehen. Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2010 erwiderte der Kläger auf das Schreiben der Kammervorsitzenden und wiederholte, dass lediglich die Kosten des Widerspruchsverfahrens im Streit seien. Diese betrügen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz und dem Vergütungsverzeichnis hierzu 260,- EUR. Mit Datum des 29. Dezember 2010 erhielt der Kläger von der Kosteneinziehungsstelle der (Berliner) Justiz namens des Sozialgerichts eine Kostenrechnung über 363,- EUR, basierend auf einem Gegenstandswert von 5.000,- EUR. Gegen die Kostenrechnung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 10. Januar 2011 "Erinnerung" eingelegt. Es sei noch kein Beschluss über die Streitwertfestsetzung ergangen. Der Streitwert sei der Höhe nach auch unrichtig festgesetzt. Da es sich um eine Sache handle, in der nicht nach Betragsrahmengebühren abzurechnen sei, sei Gegenstandswert ein Betrag von 70,20 EUR. Er errechne sich angesichts der von der Beklagten geltend gemachten Hauptforderung von 578,90 EUR aus einer 1,3 Gebühr nach der Gebührenziffer 2300 des Vergütungsverzeichnisses (58,50 EUR) und einer Auslagenpauschale von 11,70 EUR. Die abweichende Berechnung im Schriftsatz vom 23. Dezember 2010 werde nicht mehr aufrecht erhalten. Der Rechtsbehelf ist zunächst unter dem Aktenzeichen S 165 SF 702/11 E eingetragen worden. Die Sache ist an die für das Hauptsacheverfahren zuständige Kammer abgegeben worden, nachdem der Vorsitzende der 165. Kammer nach Rücksprache mit der Vorsitzenden der 35. Kammer zu dem Ergebnis gelangt war, dass nicht der Kostenansatz der Kostenbeamtin, sondern die im Kostenansatz enthaltene Streitwertfestsetzung angegriffen worden sei. Die Vorsitzende der 35. Kammer teilte dem Kläger anschließend mit Schreiben vom 1. April 2011 unter anderem mit, dass eine Streitwertfestsetzung bislang nicht erfolgt sei, "die" vorläufige Streitwertfestsetzung dagegen aufgrund von § 67 Gerichtskostengesetz (GKG) einer Beschwerde nicht zugänglich sein dürfte. Der Kläger hat dem entgegengehalten, dass die Ansicht des Gerichts unzutreffend sein dürfte, dass er eine Beschwerde gegen die vorläufige Streitwertfestsetzung eingelegt habe. Er habe gegen die Kostenrechnung vom 29. Dezember 2010, bei der er sich zweifellos um einen Kostenansatz handle, den dafür vorgesehenen Rechtsbehelf der Erinnerung eingelegt. Durch Beschluss vom 8. Juni 2011 hat das Sozialgericht die "Erinnerung vom 10. Januar 2011" zurückgewiesen. Es sei zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass ein Rechtsbehelf gegen die vorläufige Streitwertfestsetzung nicht statthaft sei. Der Erinnerungsführer habe auch ausdrücklich vorgetragen, sich dagegen nicht zu wenden. Eine Erinnerung/Beschwerde gegen die Kostenrechnung habe keinen Erfolg. Das Vorbringen des Erinnerungsführers könne sachgerecht nur dahingehend verstanden werden, dass er Einwände gegen die vorläufige Streitwertfestsetzung geltend mache. Nachdem der Erinnerungsführer einer derartigen Auslegung ausdrücklich entgegengetreten sei, sei die Unzulässigkeit der Beschwerde durch Beschluss auszusprechen gewesen. Die Kostenrechnung sei zutreffend auf der Grundlage der vorläufigen Streitwertberechnung erfolgt. Weitergehende Einwände seien unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt statthaft. Zur Begründung seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts wiederholt der Kläger seinen bisherigen Vortrag, im besonderen, dass sich seine Erinnerung gegen einen Kostenansatz im Sinne des GKG gerichtet habe. Die Kostenrechnung sei auch rechtswidrig gewesen, da es an einem vorläufigen oder endgültigen Beschluss des Sozialgerichts über die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren vollständig fehle.

II.

Die Beschwerde – die das Sozialgericht gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 GKG dem Landessozialgericht vorgelegt hat – ist gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 GKG statthaft. Der Kläger wendet sich ausdrücklich und allein gegen den Kostenansatz der Gerichtskosten. Die Kostenrechnung vom 29. Dezember 2010 enthielt einen Kostenansatz im Sinne des Gesetzes. Er besteht gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 der Kostenverfügung (KostVfG; bundeseinheitliche Verwaltungsvorschrift der Länder zu den bundesrechtlichen Kostengesetzen, in Berlin vom 1. März 1976 [ABl. S. 351] i.d.F. der Verwaltungsvorschriften zur Änderung der KostVfG vom 26. Juli 2010 [ABl. S. 1354]) in der Aufstellung der Kostenrechnung und hat die Berechnung der Gerichtskosten und Justizverwaltungskosten sowie die Feststellung der Kostenschuldner zum Gegenstand (§ 4 Abs. 1 Satz 2 KostVfG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt auch 200 EUR. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Kläger ist im vorliegenden, nach § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gerichtskostenpflichtigen Verfahren nicht mit seinen Einwendungen gegen das Verfahren ausgeschlossen, das dem Kostenansatz vorausgegangen war. Statthaft sind die Rechtsbehelfe gegen den Kostenansatz wegen einer Verletzung des Kostenrechts (Hartmann, Kostengesetze, 41. Auflage 2011, § 66 GKG, mit weiteren Nachweisen). Es steht nicht in Frage, dass zum Kostenrecht auch das Verfahren zur Feststellung des Streitwerts gehört, das seine Grundlage im GKG hat. Weil das Sozialgericht keine, auch keine vorläufige Feststellung über den Streitwert getroffen hat, stehen die Regelungen über die in diesem Fall möglichen Rechtsbehelfe (§§ 63 Abs. 1 Satz 2, 68 GKG) der Statthaftigkeit eines Rechtsbehelfs gegen den Kostenansatz insoweit nicht entgegen. Die Kostenrechnung vom 29. Dezember 2010 ist rechtswidrig. Sie durfte nicht ergehen, bevor das Sozialgericht durch Beschluss den Streitwert vorläufig festgesetzt hat. Die Verfügung der Kammervorsitzenden vom 2. Dezember 2010 stellte keinen solchen Beschluss dar, zumal sie den Beteiligten nicht bekannt gemacht worden war. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 GKG setzt das Gericht dann sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig sind und wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Zwar war mit der Einreichung der Klage eine Verfahrensgebühr fällig geworden (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 GKG), für die der Kläger Kostenschuldner ist (§ 22 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit § 1 Abs. 2 Nr. 3 GKG). Gegenstand des Verfahrens war aber jedenfalls bei Klageerhebung noch keine bestimmte Geldsumme und ebensowenig war (für die festzusetzenden Gebühren) ein fester Wert (im Kostenverzeichnis) bestimmt. Sinn des Verfahrens nach § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG ist es, die Arbeit der Kostenbeamten zu erleichtern. Sie sollen nicht selbst – möglicherweise mit großem Aufwand – den Streitwert prüfen müssen; diese Arbeit wird deshalb in allen Zweifelsfällen auf die Richter verlagert (Hartmann a.a.O. Rn 6). So verhält es sich hier. Der Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG konnte bereits deshalb nicht zum Tragen kommen, weil dies die Feststellung voraussetzt, dass der Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte bietet, um den Streitwert anhand der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Abgesehen davon war der Klage hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Kläger als Kosten des Widerspruchsverfahrens Aufwendungen aufgrund seiner Berufstätigkeit als Rechtsanwalt forderte. Aus dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz konnten sich ausreichend Anhaltspunkte für die Bestimmung eines Streitwerts nach Maßgabe des § 52 Abs. 1 GKG ergeben. Der Umstand, dass der Kläger den von ihm mit der Klage geltend gemachten Betrag später in seinem Schriftsatz vom 23. Dezember 2010 (vorerst) mit 260,- EUR beziffert hatte, macht eine Entscheidung über die Kosten ebenfalls nicht entbehrlich. Denn damit ist nicht gesagt, dass diese – oder möglicherweise die später auf 70,20 EUR reduzierte – Klageforderung bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit der Gerichtsgebühr gemäß § 52 Abs. 3 GKG ohne weitere Prüfung den Streitwert bestimmte. Der Kostenansatz war vollständig aufzuheben und nicht vom Senat durch einen eigenen zu ersetzen. Wie das Sozialgericht dem Kläger bereits zutreffend mitgeteilt hat, könnte er im vorliegenden Verfahren gegen eine vorläufige Streitwertfestsetzung keinen Rechtsbehelf statthaft einlegen (arg. e § 63 Abs. 1 Satz 2 GKG; Hartmann a.a.O. Rn 14 m.w.Nachw.). Es widerspräche dem Sinn dieser Regelung, wenn das Rechtsmittelgericht dann, wenn eine vorläufige Streitwertfestsetzung noch gar nicht vorgenommen worden ist, weitergehende Befugnisse hätte. Auf die Ausführungen des Klägers zur Höhe des Streitwerts musste deshalb nicht eingegangen werden. Der Ausspruch zu Gebühren und Kostenerstattung im Beschwerdeverfahren entspricht § 66 Abs. 8 GKG.

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Bundessozialgericht ausgeschlossen (§ 66 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 GKG).
Rechtskraft
Aus
Saved