L 3 AL 3922/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AL 5030/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 3922/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Juli 2011 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit von zwei Aufrechnungserklärungen der Beklagten streitig.

Der am 18.01.1975 geborene Kläger steht mit Unterbrechungen im langjährigen Bezug von Leis-tungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Er führte und führt deswegen vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) und dem Landessozialgericht Baden-Württemberg zahlreiche Rechtsstreitigkeiten gegen die Beklagte.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 06.05.2009 setzte das SG die dem Kläger von der Beklagten zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem SG - S 11 AL 4850/08 ER - auf 2,83 EUR fest. Hiergegen rechnete die Beklagte am 17.11.2010 mit einer ihr gegenüber dem Kläger aus dem Verfahren - L 9 SF 5920/09 ER-B - zustehenden Forderung i.H.v. 20,- EUR auf. Am 22.11.2010 rechnete die Bekl. auch hinsichtlich der dem Kläger zustehenden Zinsen i.H.v. 0,30 EUR auf.

Die Widersprüche des Klägers hiergegen vom 18. und vom 25.11.2010 verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2010 als unzulässig. Die Aufrechnungserklärungen seien, so die Beklagte, keine Verwaltungsakte.

Bereits am 18.11.2010 hat der Kläger gegen die Aufrechnungserklärung vom 17.11.2010 Klage zum SG Karlsruhe - S 11 AL 4751/10 - erhoben, die das SG mit Gerichtsbescheid vom 18.07.2011, soweit sie sich auf die genannte Aufrechnungserklärung bezog, abgewiesen hat. Die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung hat der erkennende Senat mit Urteil vom heutigen Tag - L 3 AL 3913/11 - als unzulässig verworfen.

Am 30.11.2010 hat der Kläger Klage zum SG erhoben. Der Kläger, der neben der Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2010, der Auszahlung von 2,83 EUR nebst Zinsen auch verschiedene Untersagungsbegehren und die Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- EUR geltend gemacht hat, hat zur Begründung seiner Klage im Wesentlichen angeführt, die Aufrechnung der Beklagten sei rechtswidrig. Ihm stehe ein Anspruch auf Auszahlung der 2,83 EUR nebst Zinsen zu. Die Beklagte habe ihn vor der Erklärung der Aufrechnung nicht angehört. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.07.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, es sei trotz der Befangenheitsanträge des Klägers vom 26.04.2011 zur Entscheidung berufen, da das gegen den Kammervorsitzenden gerichtete Ablehnungsgesuch offensichtlich rechtsmissbräuchlich sei. Inhaltlich sei die Klage bereits unzulässig, soweit sie sich gegen die Aufrechnungserklärung vom 17.11.2010 richte, da diese bereits Gegenstand des Verfahrens S 11 AL 4751/10 sei. Soweit sie sich gegen die weitere Aufrechnungserklärung vom 22.11.2010 richtet sei sie unzulässig, weil die Aufrechnungserklärung kein Verwaltungsakt sei. Der Kläger verfüge infolge des Kostenfestsetzungsbeschlusses des SG vom 06.05.2009 über einen Vollstreckungstitel gegenüber der Beklagten, weswegen dem Auszahlungsantrag des Klägers das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Dem vom Kläger verfolgten Unterlassungsbegehren fehle das erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis. Das SG hat eine Rechtsmittelbelehrung erteilt, dass der Gerichtsbescheid mit der Berufung angefochten werden könne.

Gegen den am 25.07.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29.08.2011 beim SG Berufung, hilfsweise Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, das SG habe unzulässigerweise selbst über ein Befangenheitsgesuch entschieden. Das Verfahren müsse zurückverwiesen werden. Ihm sei Einsicht in die Akten verweigert worden. Gleichzeitig hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Hierzu bringt er vor, er sei mittellos und könne sich von 286,- EUR monatlich kein Handy, Fax oder einen Computer mit Internetzugang leisten. Er sei darauf angewiesen, dass ihm Dritte gelegentlich Zugang zu einem Computer ermöglichen. Hierauf habe er jedoch keinen Einfluss, weswegen es ihm unmöglich sei, Fristen einzuhalten. Seit dem 13.09.2011 befindet sich der Kläger in Untersuchungshaft.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Juli 2011 aufzuheben und das Verfahren an das Sozialgericht Karlsruhe zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die bei der Beklagten für den streitgegenständlichen Vorgang geführte Verwaltungsakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 19.10.2011 wurden, sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 19.10.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers wurde verspätet eingelegt; sie ist als unzulässig zu verwerfen.

Der Senat konnte über die Berufung entscheiden, obschon der Kläger zu der mündlichen Verhandlung am 19.10.2011 nicht erschienen ist. Der Kläger wurde ordnungsgemäß durch Übergabe der Ladung in der Justizvollzugsanstalt geladen und auf die Möglichkeit einer Entscheidung in seiner Abwesenheit hingewiesen. Auch der Umstand, dass sich der Kläger seit dem 13.09.2011 in Untersuchungshaft befindet, ändert hieran nichts. Zwar steht auch einem der Strafvollstreckung unterliegenden Prozessbeteiligten das Recht zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu, der Senat war jedoch nicht gehalten, dem Kläger die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vom 19.10.2011 dadurch zu ermöglichen, dass seine Vorführung aus der Untersuchungshaft anzuordnen gewesen wäre, da der Kläger selbst insoweit zunächst alles ihm Zumutbare unternommen haben muss, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu können. Insoweit hätte es dem Kläger oblegen, gegenüber den Strafvollstreckungsbehörden, seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu beantragen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 31.10.2005 -B 7a AL 14/05 B - veröffentlicht in juris). Da jedoch ein solcher Antrag (vgl. § 6 des Zweiten Buches des Gesetzbuches über den Justizvollzug in Baden-Württemberg) nicht gestellt wurde, war der Senat nicht gehalten, den Kläger zur mündlichen Verhandlung vorführen zu lassen. Der Kläger ist vielmehr, da sein persönliches Erscheinen nicht angeordnet war, wie jeder andere Prozessbeteiligte zu behandeln, dem das Erscheinen zur mündlichen Verhandlung freigestellt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 21.06.1983 - 4 RJ 3/83 - veröffentlicht in juris).

Gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Landessozialgericht - bzw. nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG bei dem Sozialgericht - einzulegen. Gemäß § 64 Abs.1 SGG beginnt der Lauf einer Frist grundsätzlich mit dem Tage nach der Zustellung. Nachdem der Gerichtsbescheid ausweislich der Postzustellungsurkunde am 25.07.2011 in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten eingelegt wurde, galt er gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. § 180 Satz 2 Zivilprozessordnung an diesem Tag als zugestellt. Der Gerichtsbescheid hat auch eine vollständige und ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung i.S.d. § 66 Abs. 1 SGG beinhaltet. Das SG hat eine Rechtsmittelbelehrung erteilt, dass der Gerichtsbescheid mit der Berufung angefochten werden kann. Zwar hat der Kläger zuvorderst gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Aufrechnungen der Beklagten in einer Gesamthöhe von 3,13 EUR begehrt, er hat jedoch auch Unterlassungsansprüche betreffend zukünftigen Verhaltensweisen geltend gemacht. Diese lassen sich (derzeit) nicht beziffern. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes den nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erforderlichen Betrag von 750,- EUR übersteigt, so dass auf die Grundregel der Statthaftigkeit ohne Zulassung (§ 143 SGG) zurückzugreifen ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 144, Rn. 15a), weswegen das SG eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung erteilt hat. Die hiernach geltende einmonatige Berufungsfrist begann gemäß § 64 Abs. 1 SGG am Folgetag, dem 26.07.2011 zu laufen. Sie endete gem. § 64 Abs. 2 SGG mit Ablauf des 25.08.2011, einem Donnerstag. Der Kläger hat die Berufung am 29.08.2011, d.h. nach Ablauf der Berufungsfrist beim SG eingelegt. Die Berufung ist mithin verfristet eingelegt worden und daher bereits unzulässig.

Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist jemanden, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Mithin ist nur im Fall einer unverschuldeten Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies setzt voraus, dass der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewandt hat, die einem gewissenhaft Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zugemutet werden kann (BSG, Urteil vom 31.03.1993 - 13 RJ 9/92 -; Urteil vom 27.05.2008 - B 2 U 5/07 R - m.w.N. jew. veröffentlicht in juris). Der Kläger hat zur Überzeugung des Senats die Berufungsfrist schuldhaft versäumt. Das Vorbringen des Klägers, ihm stünden keine finanziellen Mittel für ein Faxgerät oder einen Computer mit Internetzugang zur Verfügung, ist nicht geeignet, den Vorwurf der verschuldeten Fristversäumnis zu beseitigen. Ungeachtet dessen, dass der Vortrag schlechterdings falsch ist; der Kläger hat einen Computer, dieser wurde lediglich von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt; hätte ein gewissenhaft Prozessführender von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Berufung mittels eines einfachen Briefes im Postweg einzulegen. Da dieser Weg auch dem Kläger offen stand - die Kosten hierfür von ca. 1,- EUR hätte der Kläger ohne Weiteres aufbringen können - indes vom Kläger nicht beschritten wurde, hat er die Sorgfalt eines gewissenhaften Prozessführenden nicht beachtet. Der Kläger hat die Berufungsfrist schuldhaft versäumt, weswegen ihm keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

Die Berufung ist daher zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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