L 12 KA 97/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 21 KA 418/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 97/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
wegen einstweiliger Anordnung
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 10. August 2009 abgeändert und die aufschiebende Wirkung
der Klage des Antragstellers zum Sozialgericht München vom 25. Mai 2009
(S 21 KA 476/09) gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 23. April 2009 (Az.: 289/08) wiederhergestellt, soweit die dem Beigeladenen zu 7. erteilte Sonderbedarfszulassung für eine fachärztlich-internistische Tätigkeit über die Beschränkung auf Leistungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmetatbestand Kardiologie hinaus sich auch auf Leistungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmetatbestand Angiologie erstreckt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu 2/3 und der Antragsteller
zu einem 1/3 zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 7. sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrt weiterhin, die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 23. April 2009 (Ausfertigungsdatum), mit dem der Beigeladene zu 7. eine Sonderbedarfszulassung erhalten hatte, wieder herzustellen.

Der Antragsteller ist Facharzt für Innere Medizin. Er führt die Schwerpunktbezeichnungen Nephrologie und Angiologie. Der Beigeladene zu 7. ist ebenfalls Facharzt für innere Medizin. Er führt die Zusatzbezeichnungen Kardiologie und Angiologie.

Im Juni 2008 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung für den Schwerpunkt Angiologie nach § 24 Buchst. b Bedarfsplanungsrichtlinien Ärzte für den Planungsbereich Landkreis D ...

Der Zulassungsausschuss lehnte den Antrag am 1. Dezember 2008 (Ausfertigungsdatum des Bescheids) ab. Am gleichen Tage lehnte der Zulassungsausschuss auch den im Mai 2008 eingegangenen Antrag des Beigeladenen zu 7. auf Erteilung einer Sonderbedarfszulassung für die Schwerpunkte Angiologie und Kardiologie ab. Der Zulassungsausschuss begründete beide Entscheidungen mit einem fehlenden Versorgungsbedarf in den Schwerpunkten Angiologie und Kardiologie. Zuvor hatte er durch die Beigeladene zu 1. eine Umfrage bei den im Planungsbereich niedergelassenen fachärztlichen Internisten durchführen lassen. Der Internist und Gastroenterologe Dr. F. äußerte keine Bedenken, einen Kollegen mit den Spezialgebieten Angiologie bzw. Kardiologie zuzulassen, da die Versorgung im Landkreis tatsächlich als sehr schlecht zu bezeichnen sei. Er befürchte allerdings, dass diese dann zu einer Vollzulassung erstarken würde, sobald einige ältere fachärztliche Kollegen ohne Subspezialisierung ihre Tätigkeit aufgäben. Der Internist Dr. G. verneinte jeglichen Bedarf. Eine Zulassung von weiteren Ärzten würde seine Praxis wirtschaftlich gefährden. Der fachärztliche Internist Dr. K. sen. werde in absehbarer Zeit seine Praxis veräußern. Dann komme ein weiterer Facharzt, der sicher engagiert die Leistungsmenge steigern werde. Dr. K. sen. ist der Vater des Beigeladenen zu 7.

Gegen die jeweilige ablehnende Entscheidung legten beide Ärzte Widerspruch ein.
Mit am 23. April 2009 ausgefertigtem Bescheid erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen zu 7. eine Sonderbedarfszulassung als fachärztlicher Internist, beschränkt auf die Schwerpunkte Kardiologie und Angiologie für einen konkret bezeichneten Vertragsarztsitz im Planungsbereich D ... Der Sofortvollzug der Zulassung wurde angeordnet.

Die Sonderbedarfszulassung wurde auf § 24 Buchst. b Bedarfsplanungsrichtlinien Ärzte gestützt. Die in den Schwerpunkten Angiologie und Kardiologie anfallenden Leistungen stünden, auch unabhängig von ganz speziellen Leistungen, im Planungsbereich nicht hinreichend zur Verfügung. Von sechs befragten Internisten hätten drei nicht geantwortet; ein Internist habe einen Sonderbedarf verneint. Zwei fachärztlichen Internisten befürworteten die Sonderbedarfszulassung, wobei es sich bei einem von ihnen um den Vater des Zugelassenen handele. Der einen Sonderbedarf verneinende Arzt führe Duplexsonographien in den extrakraniellen Arterien und peripheren Arterien und Venen durch. Außerdem erbringe dieser Arzt CW-Dopplersonographien in den extrakraniellen Arterien sowie den peripheren Arterien und Venen. Diese Untersuchung führe auch ein in der Stadt N. niedergelassener Chirurg mit der Zusatzbezeichnung Phlebologie durch. Dieser erbringe nahezu die gesamte venöse Funktionsdiagnostik. Ein in der Stadt D. niedergelassener Neurologe führe ebenfalls Duplexsonographien in den extrakraniellen Arterien durch. Auch die Häufigkeitsstatistiken belegten scheinbar, dass das Leistungsangebot im Planungsbereich auch angiologische und kardiologische Leistungen umfasse. Insbesondere würden Leistungen der Gefäßduplexsonographie, die wesentlicher Bestandteil der Zusatzpauschale Angiologie seien, sowie kardiologische Leistungen hinreichend erbracht. Gleichwohl sei die Versorgung in den Schwerpunkten Angiologie und Kardiologie nicht in ausreichendem Maße gewährleistet. Zu beachten sei, dass ein an der Klinik O. bis Ende 2008 ermächtigter Klinikarzt nicht mehr mitwirke, nachdem seine Folgeermächtigung abgelehnt worden sei. Hier sei zu berücksichtigen, dass der Widerspruchsführer Herzschrittmacherkontrollen durchführen könne. Im Übrigen seien die Kapazitätsangaben der fachärztlichen Internisten im Planungsbereich in Frage zu stellen. Es zeige sich eine aktuelle Situation mit einem notwendig und zeitnah abzudeckenden Bedarf an Behandlung. Man glaube im Übrigen den Ausführungen des Widerspruchsführers zur erheblichen Zahl an kardiologischen und angiologischen Patienten seit Aufnahme der Tätigkeit im Dezember 2008 (privatärztlich und Praxisvertretung). Zu berücksichtigen sei auch, dass die Disziplinen Kardiologie und Angiologie bzw. die bei diesen Fachgebieten zu Grunde liegenden Organe des menschlichen Körpers in einem ganz besonderen Näheverhältnis stünden. Es sei daher ganz offensichtlich sachgemäß, im Zusammenhang mit einer Abdeckung der ambulanten kardiologischen Versorgung zugleich auch für eine angiologische ambulante Versorgung zu sorgen. Dies habe zur Verkopplung von Angiologie mit Kardiologie geführt. Das sog. Prioritätsprinzip sei bei letztendlich konkurrierenden Anträgen auf Begründung eines Status nicht festgelegt. Hier ginge es um die Fragestellung, durch welchen von mehreren Bewerbern ein unzweideutig gegebener Bedarf gedeckt werden könne. Dies führe zu der vorstehend ausgewiesenen Beurteilung zu Gunsten des Widerspruchsführers und zu Lasten des Konkurrenten. Ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung liege in der nunmehr nachvollziehbar gewordenen sehr dringlichen Notwendigkeit einer aktuellen effektiven Sicherung der ambulanten Versorgung.

Den Widerspruch des Antragstellers hat der Antragsgegner mit dem am 29. April 2009 ausgefertigten Bescheid zurückgewiesen. Die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsausschuss fand am gleichen Tage wie diejenige des Verfahrens des Beigeladenen zu 7. statt. Eine Sonderbedarfszulassung nach § 24 Buchst. b Bedarfsplanungsrichtlinien Ärzte könne nicht erfolgen. Der Widerspruchsführer führe zwar die Schwerpunktbezeichnung Angiologie, jedoch stehen im Schwerpunkt Angiologie alle anfallenden Leistungen im Planungsbereich, mit Ausnahme von ganz speziellen Leistungen, hinreichend zur Verfügung. Herr Dr. G. führe Duplexsonographien der extrakraniellen Arterien und peripheren Arterien und Venen durch, außerdem erbringe er CW-Dopplersonographien. Diese Untersuchung führe auch ein in N. niedergelassener Chirurg mit der Zusatzbezeichnung Phlebologie durch. Die beigezogenen Häufigkeitsstatistiken belegten, dass das Leistungsangebot der fachärztlich tätigen Internisten auch angiologische Leistungen umfasse. Zur Überzeugung des Ausschusses und Übereinstimmung mit dem Zulassungsausschuss sei die Versorgung der Versicherten mit angiologischen Leistungen in ausreichendem Maße gewährleistet. Dem Begehren habe auch deshalb kein Erfolg gegeben werden können, da der Widerspruchsführer im Bereich Kardiologie keine Schwerpunktbezeichnung zu führen berechtigt sei, in Unterscheidung zu dem Widerspruchsführer in einer anderen Angelegenheit.

Gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Sonderbedarfszulassung des Beigeladenen zu 7. hat der Antragsteller beim Sozialgericht München einen Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage vom 25. Mai 2009 (S 21 KA 476/09) gestellt. Gleichzeitig hat er die Ablehnung seines Zulassungsantrages beklagt und begehrt in diesem Verfahren die Neubescheidung seines Antrages auf Sonderbedarfszulassung beschränkt auf Leistungen im Zusammenhang mit dem Schwerpunkt Angiologie (S 21 KA 475/09).

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsgegner eine ordnungsgemäße Auswahlentscheidung nicht vorgenommen habe. Auf die Auswahlkriterien des § 23 Abs.3 Nr.3 Bedarfsplanungsrichtlinien sei nicht eingegangen worden. Hinsichtlich der beruflichen Eignung, der Dauer der bisherigen ärztlichen Tätigkeit und des Approbationsalters gebühre dem Antragsteller klar der Vorzug. Der vom Konkurrenten erworbene Schwerpunkt für Kardiologie stehe nicht entgegen, weil ein Versorgungsbedarf für Kardiologie vom Antragsgegner bisher nicht ordnungsgemäß festgestellt worden sei. Aber selbst dann, wenn ein Versorgungsbedarf für Kardiologie bestünde, schlösse dies eine Sonderbedarfszulassung des Antragstellers für Angiologie nicht aus, da in diesem Fall dem Konkurrenten allenfalls eine Sonderbedarfszulassung für Kardiologie zuzusprechen wäre. Der angeordnete Sofortvollzug sei unzureichend begründet. Aus welchen Gründen eine sehr dringliche Notwendigkeit für eine aktuell effektive Sicherung der ambulanten Versorgung bejaht werde, werde nicht ausgeführt.

Mit Beschluss vom 10. August 2010 hat das Sozialgericht München den Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt. Dem Antrag fehle schon das notwendige Rechtsschutzbedürfnis. Denn die erstrebte gerichtliche Entscheidung könne dem Antragsteller keinen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil bringen. Ob der Zulassungsantrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt worden sei, werde in dem Klageverfahren S 21 KA 475/09 entschieden werden. Die Zulassung oder Nichtzulassung des Beigeladenen zu 7. berührten den Antragsteller nicht. Auch sei der Sofortvollzug ausreichend begründet. Gerade der Antragsteller gehe davon aus, dass in dem Planungsbezirk eine akute Notwendigkeit angiologischer Behandlungen bestehe. Diese jetzt in Abrede zu stellen, erscheine inkonsequent.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend wird vorgetragen, dass sich das Rechtsschutzbedürfnis daraus ergebe, dass der Antragsteller - abweichend zur Begründung im eigenen Verfahren - im Verfahren des Beigeladenen zu 7. einen Bedarf nur für eine einzige angiologische Schwerpunktzulassung bejaht habe und nicht beide Bewerber diese eine Sonderbedarfszulassung für den Schwerpunkt Angiologie erhalten könnten. Zwischen beiden Bewerbern müsse eine Auswahlentscheidung erfolgen, die letztlich nicht getroffen worden sei.

Der Antragsteller beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des SG München vom 10. August 2010 die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers zum SG München vom 25. Mai 2009 (S 21 KA 476/09) gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 23. April 2009 (Ausfertigungsdatum) gemäß § 86b Abs.1 Nr.2 SGG wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Das Begehren des Antragstellers sei verwirkt. Der Antragsteller sei etliche Monate zu spät tätig geworden, obwohl ihm die Tätigkeit des Beigeladenen zu 7. auf Basis der erteilten Zulassung seit Mai 2009 bekannt gewesen sei. Erst im Juni 2010 sei dann der Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt worden. Es sei nicht dargestellt worden, weshalb dem Antragsteller ein früheres Vorgehen nicht möglich gewesen sei. Dabei sei der Antragsteller anwaltlich vertreten gewesen.

Der Beigeladene zu 7. beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die Vorentscheidungen für zutreffend.

Die weiteren Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Daraufhin replizierte der Antragsteller, dass der Antragsgegner es unstreitig unterlassen habe, den Antragsteller zum Sonderbedarfszulassungsverfahren des Beigeladenen zu 7. gemäß § 12 Abs.2 SGB X hinzuzuziehen. Ohne dieses pflichtwidrige Verhalten wäre dem Antragsteller der streitgegenständliche Beschluss, ebenso wie dem Beigeladenen zu 7., am 24. April 2009 zugestellt worden. In diesem Fall hätte er den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bereits früher stellen können. Dies habe allein der Antragsgegner durch sein pflichtwidriges Verhalten verhindert. Nunmehr sich darauf zu berufen, der Antragsteller hätte schon früher tätig werden müssen, sei widersprüchlich und verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Richtig sei, dass der Antragsteller gegen die dem Beigeladenen zu 7. erteilte Sonderbedarfszulassung bereits im Mai 2009 Klage erhoben habe. obwohl ihm der Bescheid nicht zugestellt worden sei. Mit dieser Klage habe er Akteneinsicht beantragt. Die Akteneinsicht sei gegenüber dem Gericht mehrmals angemahnt worden. Insoweit könne es ihm nicht vorgeworfen werden, dass das Gericht die Akteneinsicht erst Anfang Juni 2010 gewährt habe. Noch im gleichen Monat sei dann ein Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt worden, nachdem er von der Sofortvollzugsanordnung Kenntnis erlangt habe. Ein Akteneinsichtsangebot durch den Antragsgegner sei beim Antragsteller nicht eingegangen.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners, der Streitakten des Sozialgerichts München sowie der Verfahrensakten des Bayerischen Landessozialgerichts Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.
Sie erweist sich auch als teilweise begründet. Unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Sozialgerichts München vom 10. August 2010 war die aufschiebende Wirkung wieder herzustellen, soweit sich der Sofortvollzug auch auf die Abrechnung angiologischer Leistungen im Rahmen der fachärztlich-internistischen Sonderbedarfszulassung erstreckt. Dagegen war die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich der Abrechnung kardiologischer Leistungen im Rahmen der Sonderbedarfszulassung zu bestätigen.

Nach § 86b Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruchs oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Voraussetzung für eine solche Anordnung ist dabei, dass die Abwägung der Interessen der Beteiligten zu dem Ergebnis führt, dass dem angeordneten Sofortvollzug der umstrittenen Verwaltungsentscheidung kein Vorrang gegenüber der Notwendigkeit der abschließenden Klärung der Rechtmäßigkeit zugebilligt werden muss. Ausgangspunkt dieser Abwägung ist zunächst die Betrachtung der voraussichtlichen Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsmittels in der Hauptsache. Daran schließt sich die Prüfung an, ob die Interessen der Beteiligten eine sofortige Umsetzung notwendig machen oder es diesen eher entspricht, den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens abzuwarten. Erfolgsaussichten und Interessensabwägung sind keine isoliert zu prüfenden Merkmale, sondern stehen in einem unauflöslichen Zusammenhang. Erscheinen die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als klar gegeben, sind nur geringe Anforderungen an die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu stellen. Umgekehrt sind höhere Anforderungen zu stellen, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache eher gering erscheinen. Bei ungewissem Ausgang der Hauptsache kann die Entscheidung nur auf Grund der Interessenabwägung getroffen werden. Daneben gilt es, das Regel-/Ausnahmeverhältnis von aufschiebender Wirkung und Sofortvollzugsanordnung zu beachten. Aus der Grundregel des Eintritts der aufschiebenden Wirkung durch Klageerhebung, die ausnahmsweise gemäß § 97 Abs.4 SGB V durch den Antragsgegner im besonderen öffentlichen Interesse außer Kraft gesetzt werden durfte, ist zu schließen, dass die Regelfolge der aufschiebenden Wirkung durchzugreifen hat, wenn ein besonderes öffentliches Vollziehungsinteresse nicht besteht.

Nach § 101 Abs.1 Satz 1 Nr.3 SGG i.V.m. § 24 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Über- und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungsrichtlinie
-BeplaR-) in der neuen Fassung vom 15. Februar 2007, zuletzt geändert am 15. Juli 2010, dürfen die Zulassungsgremien ungeschadet der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen dem Zulassungsantrag eines Vertragsarztes der betroffenen Arztgruppe entsprechen, wenn ein besonderer Versorgungsbedarf vorliegt, wie er -u.a.- durch den Inhalt eines Schwerpunktes für das Facharztgebiet nach der Weiterbildungsordnung umschrieben ist. Voraussetzung für eine Zulassung ist, dass die ärztliche Tätigkeit des qualifizierten Inhalts in dem betreffenden Planungsbereich nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung steht und dass der Arzt die für den besonderen Versorgungsbedarf erforderliche Qualifikation durch die entsprechende Facharztbezeichnung sowie die besondere Arztbezeichnung nachweist (§ 24 Buchst. b Sätze 1 bis 3 BeplaR). Die Zulassung gemäß § 24 Buchst. b ist an den Ort der Niederlassung gebunden und hat mit der Maßgabe zu erfolgen, dass für den zugelassenen Vertragsarzt nur die ärztlichen Leistungen, welche im Zusammenhang mit dem Ausnahmetatbestand stehen, abrechnungsfähig sind (§ 25 Abs.1 Satz 1 BeplaR).

Soweit der Antragsteller die fachärztlich-internistische Zulassung beschränkt auf den Schwerpunkt Kardiologie angreift, steht ihm eine Anfechtungsberechtigung nicht zu. Denn er ist zum Führen der Schwerpunktbezeichnung Kardiologie nicht berechtigt. Eine Anfechtungsberechtigung setzt jedoch voraus, dass die Konkurrenten im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbieten, was ein "anbieten können" voraussetzt (vgl. BSG vom 7. Februar 2007 B 6 KA 8/06 SozR 4-1500 § 54 Nr.10; zustimmend BVerfG vom 23. April 2009 1 BvR 3405/08, GesR 2009, 376). Insoweit stellt sich die Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die Zulassung des Beigeladenen zu 7. als aussichtslos dar.

Demgegenüber sind die Erfolgsaussichten der Anfechtung der fachärztlichen internistischen Zulassung, soweit sie sich auf Leistungen des Schwerpunktes Angiologie erstreckt, offensichtlich gegeben. Der Antragsteller ist insoweit anfechtungsberechtigt. Überdies erweist sich die Sonderbedarfszulassung des Beigeladenen zu 7. als beurteilungsfehlerhaft und rechtswidrig.

In seinem Bescheid vom 23. April 2009, der dem Beigeladenen zu 7. erteilt wurde, wird zunächst ein breiter Bedarf an angiologischen Leistungen bejaht. Dort heißt es, dass die in den Schwerpunkten Angiologie und Kardiologie anfallenden Leistungen im Planungsbereich, unabhängig von ganz speziellen Leistungen, nicht hinreichend zur Verfügung stünden. Zwar wird ausgeführt, dass die Auswertung des Abrechnungsverhaltens der Ärzte der Region und die Ergebnisse der Umfrage unter den fachärztlichen Internisten im Planungsbereich kein eindeutiges Bild ergeben würden. Die Ergebnisse werden dann jedoch als wenig aussagekräftig bzw. glaubwürdig bezeichnet und ein angiologischer Bedarf bejaht. Dabei befasst sich die weitere Begründung mit kardiologischen Leistungen, wie die Schrittmacherkontrolle und im Einzelnen nicht mit Leistungen des angiologischen Teilgebiets. Sodann wird einem Näheverhältnis der Disziplinen Kardiologie und Angiologie und der diesen Fachgebieten zugrunde liegenden Organe das Wort geredet und es als sachgemäß bezeichnet, im Zusammenhang mit einer Abdeckung der ambulanten kardiologischen Versorgung zugleich auch für eine ambulante angiologische Versorgung zu sorgen. Letztlich wird ohne Begründung das Bestehen einer qualitativen Unterversorgung mit angiologischen Leistungen behauptet. Das Bestehen eines Bedarfes an kardiologischen Leistungen wird dann ansatzweise begründet. Die Begründung hinsichtlich des Schwerpunktes Angiologie wird ersetzt durch die Aussage, die Angiologie sei mit der Kardiologie verknüpft, um dann eine Zulassung für Leistungen beider Schwerpunkte zu erteilen.

Sofern ein Bedarf an Leistungen des Schwerpunktes Angiologie nicht bestünde, darf eine sich auf den Schwerpunkt Angiologie erstreckende Sonderbedarfszulassung des Beigeladenen zu 7. nicht erfolgen. Die Sonderbedarfszulassung muss auf diejenigen Schwerpunkte beschränkt werden, für die ein Bedarf angenommen worden ist (§ 95 Abs. 1 Satz 1 BeplaR). Eine Koppelung aufgrund eines Näheverhältnisses eines Schwerpunktes, für den ein Bedarf anzunehmen ist, mit einem anderen Schwerpunkt, dessen Leistungen im Planungsbereich in ausreichendem Umfang erbracht werden, wäre durch §§ 24 Buchst. b, 25 BeplaR nicht gedeckt.

Der Antragsgegner hat jedoch in den Bescheidgründen wiederholt erklärt, die Angiologie nicht in ausreichendem Maße versorgt zu sehen, ohne dies freilich näher zu begründen. Die Ausführungen weisen darauf hin, dass der angenommene Bedarf in seiner Breite und seinem Umfang eine, jedoch nicht zwei Sonderbedarfszulassungen trägt.

Die Begründung steht gleichwohl in krassem Widerspruch zu den Gründen des Bescheids vom 29. April 2009 (mündliche Verhandlung am gleichen Tag), der ggü. dem Antragsteller erging. Mit Verwunderung nimmt der Senat zur Kenntnis, dass der Antragsgegner dort ein angiologisches Versorgungsdefizit - gestützt auf die gleichen Umfrageergebnisse und die Auswertung der Abrechnungsdaten - strikt verneint hat, ohne Zweifel an der Glaubwürdigkeit zu erörtern. Dies ist angesichts der Identität des Entscheidungszeitpunktes nicht mehr von dem dem Antragsgegner zuzubilligenden Beurteilungsspielraum zur Frage des Bestehens eines qualitativen Versorgungsdefizits gedeckt.

Da von der Bejahung der Notwendigkeit der Erteilung genau einer auf angiologische Leistungen beschränkten Sonderbedarfszulassung auszugehen ist, hätte der Antragsgegner zwischen den Zulassungsbewerbern nach sachgerechten Kriterien eine Auswahl treffen müssen. Dies ist nicht geschehen. Die bruchstückhaften Bemerkungen zur höheren Eignung des Beigeladenen aufgrund Koppelung von Angiologie und Kardiologie reichen bei weitem nicht aus. Wie § 23 Abs. 3 BeplaR, der Anträge auf Neuzulassung nach Aufhebungen von Zulassungsbeschränkungen betrifft, zeigt, liegt dem Regelungskonzept der Bedarfsplanungsrichtlinien nicht (mehr) das Prioritätsprinzip zugrunde. Eine Regelung zu den anzuwendenden Auswahlkriterien zwischen mehreren Sonderbedarfszulassungsbewerbern enthalten die §§ 24, 25 BeplaR nicht. Es wäre nichts dagegen einzuwenden, die Kriterien des § 23 Abs. 3 BeplaR (analog) auf die zwingend vorzunehmende Auswahlentscheidung unter den beiden Sonderbedarfszulassungsbewerbern anzuwenden. Im Rahmen des Kriteriums der beruflichen Eignung kann durchaus ein Bewerber, der beide Schwerpunktbezeichnungen zu führen berechtigt ist, einem solchen vorgezogen werden, der nur über eine der Schwerpunktbezeichnungen verfügt. Dies setzt jedoch voraus, dass ein zu deckender qualitativer Sonderbedarf in beiden Schwerpunkten besteht. Die Auswahlentscheidung muss sich jedoch auch mit den weiteren für und gegen die Bewerber sprechenden Merkmalen beschäftigen. Dem entging der Antragsgegner, indem er ggü. dem Antragsteller das Vorliegen eines Defizits schlichtweg verneinte.

Angesichts der zu treffenden Auswahlentscheidung, die erforderlich ist, weil sich mehrere Sonderbedarfszulassungsbewerber für nur eine Zulassung beworben haben, ergeben sich zwischen den Bewerbern in Ansehung der positiven und negativen Zulassungsentscheidungen wechselseitig Drittwirkungen. Sofern eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung nicht erfolgt, ist der jeweilige Konkurrent am Verwaltungsverfahren zu beteiligen und im Gerichtsverfahren beizuladen. Daraus ergeben sich Rechtsschutzbedürfnis und Anfechtungsberechtigung des Antragstellers, die positive Zulassung des Konkurrenten bezüglich der Tätigkeit im Schwerpunkt Angiologie anzufechten.

Da der Bescheid vom 23. April 2009 einen Bedarf an einer angiologischen Tätigkeit zwar bejaht, jedoch eine besondere Dringlichkeit nicht dargetan wird (im Bescheid vom 29. April 2009 wird ein entsprechender Bedarf sogar verneint), vermag der Senat ein begründetes besonderes öffentliches Interesse an einer Sofortvollzugsanordnung der Sonderbedarfszulassung, soweit sie sich auf den Ausnahmetatbestand Angiologie erstreckt, nicht zu erkennen.

Angesichts der klar erkennbaren Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 23. April 2009 und dem Fehlen eines besonderen öffentlichen Interesses an einer sofortigen Vollziehung, ergibt die Interessenabwägung ein deutliches Überwiegen der für eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sprechenden Gründe. Eine Verwirkung des Antragsrechts ist nicht eingetreten.

Daher war unter Abänderung der Vorentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers wiederherzustellen, soweit der Umfang der Abrechnungsbeschränkung der Sonderbedarfszulassung des Beigeladenen zu 7. über Leistungen des Schwerpunkts Kardiologie hinausreicht. Der Beigeladene zu 7. darf damit bis zu einer bestandskräftigen Hauptsacheentscheidung weiterhin die Leistungen des Schwerpunktes Kardiologie, jedoch ab Zustellung dieses Beschlusses nicht mehr solche des Schwerpunktes Angiologie abrechnen.

Die Kostenscheidung stützt sich auf eine analoge Anwendung des § 197 a SGG i.V.m. §§ 155 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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