S 6 KR 957/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 6 KR 957/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
&8195; Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten. Der Streitwert wird auf 9.425,76 EUR festgesetzt. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Schließung der City BKK.

Der am XXXXX 1984 geborene Kläger stand jedenfalls bis zum 30.06.2011 in einem Arbeitsverhältnis zur City BKK. Derzeit steht er in einem befristeten Arbeitsverhältnis zur City BKK in Abwicklung.

Mit Bescheid vom 04.05.2011 schloss die Beklagte die City BKK, ordnete zugleich die Wirksamkeit der Schließung mit Ablauf des 30.06.2011 an (beides im Tenor zu 1 des Bescheides) und im Tenor zu 2 des Bescheides die sofortige Vollziehung. Sie führte zur Begründung aus, die Leistungsfähigkeit der Kasse sei nicht mehr auf Dauer gesichert. Alternativen zur Schließung seien nicht ersichtlich. Eine Fusion mit einer anderen Krankenkasse scheide aus und auch die Bereitstellung weiterer Mittel verspreche keinen Erfolg. Es bestehe auch kein Anlass, anstelle der Schließung einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Kasse zu stellen. Von dieser Möglichkeit sei nach der gesetzlichen Konzeption nur in Ausnahmefällen Gebrauch zu machen. Im vorliegenden Fall lägen allerdings keine Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall vor. Der bloße Hinweis auf mögliche Vorteile einzelner Betroffener reiche nicht aus, denn hierbei handele es sich gerade um typische und nicht ausnahmsweise Folgen des einen oder des anderen Verfahrens. Jedenfalls sei nichts dafür erkennbar, wieso eine Schließung besonders weitreichende negative Folgen nach sich zöge, die durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vermieden werden könnten. Die Wahl des Zeitpunktes, zu dem die Schließung wirksam werde, trage den Informationsbedürfnissen der Mitglieder Rechnung sowie dem Umstand, dass Verpflichtungen gegenüber den Beschäftigten der Kasse nach den §§ 164, 155 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zu erfüllen seien.

Am 01.06.2011 hat der Kläger Klage vor dem (in der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides bezeichneten) Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben, das die Klage durch Beschluss vom 02.08.2011 (L 11 KR 2269/11 KL) an das erkennende Gericht verwiesen hat.

Der Kläger führt aus, als drittbetroffener Arbeitnehmer der City BKK müsse er sich gerichtlich gegen deren Schließung wehren können. Zumindest dem Wortlaut des Gesetzes nach ende mit der Schließung der City BKK auch das Arbeitsverhältnis. Eine solche Auslegung der einschlägigen Vorschriften verstoße gegen höherrangiges Recht. Die Arbeitsverhältnisse müssten durch Kündigung und unter Beachtung einer Sozialauswahl beendet werden. Weiterhin habe die Beklagte ihr Ermessen bei der Entscheidung gegen die Stellung eines Insolvenzantrags anstelle der Schließung nicht richtig ausgeübt. Parallel habe er auch vor dem Arbeitsgericht Hamburg Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis über den 30.06.2011 hinaus bestehe.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 04.05.2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Klage mangels Klagebefugnis für unzulässig: Die Bestimmungen des Aufsichtsrechts, in deren Vollzug sie die Schließung angeordnet habe, hätten nach der Rechtsprechung des BSG keine drittschützende Wirkung. Für die Arbeitnehmer der City BKK wirke sich die Schließung lediglich als Reflex aus. Ihre etwaigen Ansprüche seien gegenüber der City BKK bzw. der entstehenden Abwicklungskörperschaft geltend zu machen und im Übrigen arbeitsrechtlicher Natur.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Prozessakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist durch das SG (dazu A) als unzulässig abzuweisen, denn der Kläger ist nicht klagebefugt (dazu B).

A.) Das SG ist als sachlich zuständiges Gericht zur Entscheidung über die Klage berufen.

I.) Nach § 98 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ist der Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich der sachlichen (d.h. instanziellen) und örtlichen Zuständigkeit bindend. Nicht bindend sind lediglich Verweisungsbeschlüsse, die willkürlich sind oder auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze beruhen (BSG, Beschluss vom 25.02.1999, B 1 SF 9/98 S, juris, Rn. 9; BSG, Beschluss vom 27.05.2004, B 7 SF 6/04 S, juris, Rn. 9).

II.) Keiner dieser Ausnahmetatbestände ist hier gegeben.

1.) Eine Missachtung von Verfahrensgrundsätzen ist weder dargetan noch ersichtlich.

2.) Auch Willkür, d.h. die Nichtberücksichtigung oder krasse Missdeutung einer offensichtlich einschlägigen Norm (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.10.2004, 1 BvR 964/94, BVerfGK 4, 93, 95), liegt nicht vor.

a) Nach § 8 SGG entscheiden die Sozialgerichte, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, im ersten Rechtszug über alle Streitigkeiten, für die der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit offensteht. Nach § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG (in der ab dem 01.04.2008 geltenden Fassung) entscheiden die Landessozialgerichte im ersten Rechtszug über Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern der Sozialversicherung und ihren Verbänden, gegenüber den Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, bei denen die Aufsicht von einer Landes- oder Bundesbehörde ausgeübt wird.

b) § 29 Abs. 2 SGG enthält somit eine Ausnahmevorschrift von dem (ansonsten nur noch sehr punktuell durchbrochenen) Grundsatz des § 8 SGG. Diese Ausnahmevorschrift ist eng auszulegen. Angesichts der verfassungsrechtlichen Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes, GG) bedarf es gerade bei der Frage, welches Gericht zur Entscheidung berufen ist, einer gesteigerten Rechtssicherheit und somit klarer und eindeutiger gesetzlicher Zuordnungsregeln, deren Tatbestandsmerkmale sich im besten Fall "auf den ersten Blick" bejahen oder verneinen lassen. Diesen Anforderungen trägt eine Sichtweise Rechnung, wonach nur diejenigen Rechtsstreitigkeiten mit Bezug zur Staatsaufsicht über die Sozialversicherung auch Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern der Sozialversicherung (die anderen Alternativen der Vorschrift kommen nicht in Betracht) sind, an denen die Sozialversicherungsträger selbst als Kläger oder (seltener) Beklagte beteiligt sind. Nur dies ermöglicht die erforderliche scharfe und eindeutige Trennung zwischen Aufsichtsangelegenheiten im Sinne von Klagen einer Körperschaft, die der Aufsicht unterliegt oder unterliegen könnte, und solchen Verfahren, die einen sonstigen Bezug zum Aufsichtsrecht aufweisen. Insbesondere hat diese Lösung den Vorteil, dass es für die Klärung der instanziellen Zuständigkeit nicht auf die Bestimmung des Streitgegenstandes oder der Klageart ankommt. Die diesbezüglichen Bedenken des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 10.08.2011, L 5 KR 2242/11 KL) teilt die Kammer gerade nicht.

c) Es kommt hinzu, dass die Annahme einer erstinanzlichen Zuständigkeit des LSG für die Beteiligten den Verlust einer zweiten Tatsacheninstanz bedeutet. Wenn der Gesetzgeber den Ausschluss einer zweiten Tatsacheninstanz im Rahmen von § 29 Abs. 2 SGG gerade mit Blick auf den Schwerpunkt der betroffenen Verfahren im rechtlichen Bereich und die geringe Wahrscheinlichkeit einer Streitbeilegung vor dem SG (BT-Drs. 16/7716, S. 15 f.) für hinnehmbar gehalten hat, so kann dies nicht mit Blick auf Rechtsstreitigkeiten geschehen sein, die das Recht der staatlichen Aufsicht über die Sozialversicherung lediglich in irgendeiner Weise berühren (etwa wenn ein Versicherter sein Leistungsbegehren hilfsweise im Wege der Aufsicht durchgesetzt wissen möchte oder das aufsichtsbehördliche Einschreiten gegen die Verwaltung der Finanzmittel verlangt).

&8195; B.) Die Klage ist unzulässig. Der Kläger ist nicht klagebefugt. Der angefochtene Bescheid kann – bereits rein abstrakt und generell betrachtet – den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten verletzen und ist daher nicht geeignet, den Kläger i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG zu beschweren. Die in ihm ausgesprochene Regelungswirkung (§ 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X) betrifft keine subjektive Rechtsposition des Klägers, während umgekehrt die vom Kläger geltend gemachte Rechtsverletzung (Verlust seines Arbeitsplatzes) nicht Gegenstand der Prüfung durch die Beklagte und nicht Teil der Regelungswirkung des angefochtenen Bescheides ist.

I.) Eine Klagebefugnis (im Sinne einer sog. formellen Beschwer) ergibt sich zunächst nicht daraus, dass der Kläger Adressat des angegriffenen Verwaltungsaktes wäre. Adressatin des angefochtenen Bescheides ist allein die CityBKK in ihrer Eigenschaft als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung. Aus dem zwischen ihr und dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnis ergibt sich nicht, dass sich der Bescheid zugleich auch an ihn richtete.

II.) Eine Klagebefugnis steht entgegen, dass der angefochtene Bescheid nicht die Rechtsfolge ausgesprochen hat, von der der Kläger sich beschwert sieht.

1.) Zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen im sozialgerichtlichen Verfahren gehört, dass der Kläger geltend machen kann, ein rechtswidriger Verwaltungsakt verletze ihn in eigenen Rechten (sog. Klagebefugnis, vgl. Böttiger, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 54, Rn. 48). Hierbei muss die Rechtsverletzung, wegen derer der Kläger gerichtlichen Rechtsschutz begehrt, von der im angegriffenen Bescheid enthaltenen Regelung ausgehen (Sennekamp, in: Hk-VerwR, § 42 VwGO, Rn. 61).

2.) Dies ist nicht der Fall. Die in dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Regelung erschöpft sich in der Schließung der CityBKK. Das Ende des Arbeitsverhältnisses und somit der vom Kläger geltend gemachte Eingriff in subjektive Rechte gehört nicht zu der (grundsätzlich durch Heranziehung des Tenors unter ergänzendem Rückgriff auf die Entscheidungsgründe zu ermittelnden) Regelung des Bescheides. Vielmehr enden die Vertragsverhältnisse der Beschäftigten nach näherer Maßgabe von § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V i.V.m. § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V mit dem Tag oder Schließung. Einer gesonderten (öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen) Willenserklärung bedarf es nicht, den diese Rechtsfolge tritt kraft Gesetzes ein, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen (Auflösung oder Schließung; keine Unterbringung nach § 164 Abs. 3 SGB V) erfüllt sind. Somit hat nicht die Beklagte das Ende des Vertragsverhältnisses angeordnet oder auf sonstige Weise geregelt i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X, sondern sie hat lediglich eine der zwei kumulativen Voraussetzungen eintreten lassen, unter denen der gesetzliche Automatismus in § 164 Abs. 4 SGB V greift. Dies zeigt zugleich, dass sie ein Ende des Arbeitsverhältnisses mit dem angefochtenen Bescheid überhaupt nicht anordnen konnte, denn dieser verhält sich nicht zu einer möglichen Unterbringung nach § 164 Abs. 3 (hier: Satz 3) SGB V (wie sich auch durch § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V nicht völlig ausgeschlossen ist).

III.) Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine mittelbare Verletzung seiner subjektiven Rechte durch den angefochtenen Bescheid berufen. Die Vorschriften, anhand derer die Beklagte ihre Entscheidung zu treffen hatte, haben keine drittschützende Wirkung zugunsten der Beschäftigten der betroffenen Krankenkasse.

1.) Allgemein setzt die Anfechtungsbefugnis eines Drittbetroffenen voraus, dass ein Verstoß des angefochtenen Verwaltungsakts gegen eine Rechtsnorm geltend gemacht wird, die zumindest auch den Individualinteressen des Anfechtenden zu dienen bestimmt ist (sog. drittschützende Wirkung, hierzu BSG, Urteil vom 19.12.2001, B 11 AL 57/01 R, SozR 3-3870 § 2 Nr. 2: Anfechtung einer arbeitsrechtlichen Gleichstellung durch den Arbeitgeber; BSG, Urteil vom 15.05.1991, 6 RKa 22/90, SozR 3-1500 § 54 Nr. 7: Klage gegen die einem Dritten erteilte Ermächtigung; BSG, Urteil vom 09.05.1990, 6 RKa 27/88, SozR 3-2200 § 368n Nr. 1: Feststellung, die Kassenärztliche Vereinigung dürfe die von einem anderen als dem Kläger erbrachten Leistungen nicht vergüten; BSG, Urteil vom 31.07.1967, 4 RJ 91/67, SozR Nr 115 zu § 54 SGG: Klage des geschiedenen Ehemannes dagegen, dass seiner früheren Ehefrau Rente versagt wurde). Eine "bloße" Reflexwirkung dergestalt, dass sich aus einer im Interesse der Allgemeinheit oder im Interesse eines bestimmten Personenkreises erlassenen Norm zugleich auch eine Begünstigung einzelner Dritter ergibt, reicht nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht aus (BSG, Urteil vom 19.12.2001, B 11 AL 57/01 R, SozR 3-3870 § 2 Nr. 2; BSG, Urteil vom 29.09.1999, B 6 KA 30/98 R, SozR 3-1500 § 54 Nr. 40, jeweils m.w.N.).

2.) Ebenso ist allgemein anerkannt, dass die Vorschriften, nach denen sich die Aufsicht über die Träger der Sozialversicherung richtet (d.h. die §§ 87 ff. Sozialgesetzbuch – Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV), ergänzt um spezialgesetzliche Bestimmungen der einzelnen Sozialversicherungszweige) den Zweck verfolgen, die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung im Interesse der Versichertengemeinschaft sowie im gesamtstaatlichen Interesse sicherzustellen: Die Ausübung der Staatsaufsicht ist nicht dazu bestimmt, dem Individualinteresse Einzelner zu dienen (so bereits BSG, Urteil vom 28.04.1967, 3 RK 26/63, SozR Nr. 112 zu § 54 SGG; aus neuerer Zeit BSG, Urteil vom 14.12.2007, B 1 A 3/06 R, SozR 4-2400 § 35a Nr. 1 m.w.N.). Dies spricht nicht nur gegen einen Anspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten zugunsten eines Dritten (BSG, Urteil vom 18.05.1988, 1/8 RR 36/83, SGb 1989, 201), sondern auch gegen eine Überprüfung aufsichtsrechtlicher Maßnahme auf die Klage eines Dritten hin (BSG, Urteil vom 14.12.2007, B 1 A 3/06 R, SozR 4-2400 § 35a Nr. 1). Ähnliches gilt im Übrigen auch für den Bereich der gefahrenabwehrrechtlichen Aufsicht des Staates über Private. Auch hier ist weitgehend anerkannt, dass etwa die Vorschriften über die Untersagung eines Gewerbes keine subjektiven Rechte für Vertragspartner (z.B. Arbeitnehmer) des Gewerbetreibenden begründen (Sennekamp, a.a.O., Rn. 125).

3.) Der Umstand, dass sich der Kläger nicht auf einen "positiven" Rechtsreflex im oben dargestellten Sinne (d.h. auf eine Begünstigung Einzelner aufgrund einer im Interesse der Allgemeinheit oder im Interesse eines bestimmten Personenkreises erlassenen Norm) beruft, sondern auf einen "negativen" Reflex (dergestalt, dass er durch die gegen die City BKK gerichtete Maßnahme stärker in seinen Rechtspositionen betroffen ist als andere), rechtfertigt kein Abweichen von den dargestellten Grundsätzen. Die Ausübung staatlicher Aufsicht erschöpft sich regelmäßig allein in der Wahrung der Gleichgewichtslage zwischen Staat und Selbstverwaltungskörperschaft (so bereits BSG, Urteil vom 28.04.1967, 3 RK 26/63, SozR Nr. 112 zu § 54 SGG). Hiervon sind die Individualinteressen derer, die vom Handeln der Aufsichtsbehörde einen Vorteil hätten, ungefähr gleich weit entfernt wie die Individualinteressen derjenigen, denen aus aufsichtsbehördlichem Handeln ein Nachteil erwächst. Die Durchsetzung von Individualinteressen bleibt schon deswegen dem Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Versicherungsträger überlassen, weil der rechtliche Maßstab für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Aufsichtsmaßnahme in anderer ist als bei der gerichtlichen Kontrolle des Handels der "beaufsichtigten" Versicherungsträgers gegenüber dem Einzelnen (zu letzterem BSG, Urteil vom 14.12.2007, B 1 A 3/06 R, SozR 4-2400 § 35a Nr. 1).

4.) Der Kläger rügt auch nicht etwa einen Verstoß der Beklagten gegen Vorschriften des Aufsichtsrechts, die ausnahmsweise drittschützende Wirkung hätten. Es kann dahinstehen, ob sich die Aussicht des Klägers auf Erhalt des Arbeitsplatzes tatsächlich signifikant verbessert hätte, hätte sich die Beklagte im Rahmen der ihr in § 171b Abs. 3 Satz 2 SGB V eingeräumten Wahlmöglichkeit für die Stellung eines Insolvenzantrags anstelle der Schließung entschieden. Jedenfalls spricht nichts dafür, dass § 171b SGB V – anders als andere dem Aufsichtsrecht zugehörige Vorschriften – drittschützende Wirkung gerade für die Beschäftigten der betroffenen Krankenkassen hätte.

a) § 171b Abs. 3 Satz 1 SGB V bestimmt, dass (nur) die Aufsichtsbehörde (binnen der in Satz 3 der Vorschrift genannten Frist) einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Krankenkasse stellen kann. Liegen zugleich die Voraussetzungen für eine Schließung wegen auf Dauer nicht mehr gesicherter Leistungsfähigkeit vor, soll die Aufsichtsbehörde anstelle des Insolvenzantrages die Krankenkasse schließen, § 171b Abs. 3 Satz 2 SGB V. Das Gesetz geht somit von einem Vorrang der Schließung aus (BT-Drs. 16/9559, S. 20), die gegenüber dem Insolvenzverfahren aus Sicht der Gläubiger den Vorteil einer weitergehenden Haftungsverlagerung hat (Hänlein, in: LPK-SGB V, 3. Aufl., 2009, § 171b, Rn. 6).

b) Hieraus allein lässt sich indes nicht schon der Schluss ziehen, § 171b Abs. 3 SGB V schütze die Individualinteressen der Gläubiger einer Krankenkassen (zu denen der Sache nach auch ihre "eigenen" Beschäftigten gerechnet werden können). Vielmehr steht auch hinter diesem Gesichtspunkt das Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung als solcher. Eingeführt worden ist § 171b SGB V im Zusammenhang mit der Herstellung der Insolvenzfähigkeit aller gesetzlichen Krankenkassen durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG, vom 15.12.2008, BGBl. I S. 2426), mit dem der Gesetzgeber das Ziel verfolgt hat, die Rahmenbedingungen der gesetzlichen Krankenkassen zu vereinfachen, die finanzielle Situation der Krankenkassen transparenter zu machen und die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nachhaltiger zu gestalten (BT-Drs. 16/9559, S. 1). In diesem Zusammenhang begründet der Gesetzgeber den Vorrang der Schließung (§ 171b Abs. 3 Satz 2 SGB V) ausdrücklich mit der im Rahmen eines Schließungsverfahrens bestehenden Möglichkeiten der Aufsichtsbehörde, durch die Organisation finanzieller Hilfen oder von Fusionen die Abwicklung einer Krankenkasse zu vermeiden (BT-Drs. 16/9559, S. 2). Was das konkrete Funktionieren des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung angeht, so soll die Einschränkungen der Möglichkeit von "Kassenpleiten" etwa verhindern, dass Leistungserbringer Versicherte dieser Kassen nicht oder nur gegen Vorkasse behandeln (so Becker, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherung, § 171b SGB V, Rn. 7).

c) Wenn nun § 171b Abs. 3 SGB V der Schließung keinen zwingenden Vorrang gegenüber der Stellung eines Insolvenzantrags einräumt, sondern eine Ausnahmemöglichkeit für den Fall einräumt, dass "im Einzelfall sachliche Gründe für die Stellung eines Insolvenzantrags sprechen" (so die im Übrigen nicht weiter ergiebige Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/9559, S. 20), so lässt sich (mit der Beklagten) bereits stark bezweifeln, ob die Anwendbarkeit von § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V als typische, vom Gesetzgeber für den Regelfall vorgezeichnete Folge einer Schließung überhaupt in der Lage ist, einen solchen Ausnahmefall zu begründen. Jedenfalls ergibt sich aus dem Gesamtkontext, d.h. insbesondere aus der Einbindung der Ausnahmevorschrift in den Regelungszusammenhang des GKV-OrgWG, dass finanzielle und wirtschaftlich-soziale Interessen Einzelner insoweit ausscheiden (ähnlich Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 171b SGB V, Rn. 12).

IV.) Eine andere Betrachtungsweise ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Das Gericht verkennt nicht, dass eine Vorschrift, die das Ende des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes (d.h. nicht aufgrund privater Disposition) herbeiführt, an der grundgesetzlichen Garantie der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) zu messen ist (aus neuster Zeit insbesondere BVerfG, Beschluss vom 25.01.2011, 1 BvR 1741/09, NJW 2011, 1427: Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg). Überdies wirft der Umstand, dass § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V keinen (öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen) Vollzugsakt mehr voraussetzt, die Frage nach der Vereinbarkeit mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) bzw. dem (aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip folgenden) Justizgewährleistungsanspruch auf. Die vorliegende Anfechtungsklage gegen den Schließungsbescheid ist indes nicht der Ort, dies zu prüfen.

1.) Selbst wenn – was keineswegs feststeht – § 164 Abs. 4 SGB V (allein oder i.V.m. § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V) verfassungswidrig wäre, zöge dies weder die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nach sich, noch wäre dies geeignet, ausnahmsweise eine drittschützende Wirkung in die von der Beklagten angewandten aufsichtsrechtlichen Vorschriften zu implementieren. Dies ergibt sich daraus, dass – wie bereits dargelegt – nicht die Beklagte das Ende des Arbeitsverhältnisses angeordnet hat. Die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes beurteilt sich danach, ob er sich auf eine (gültige) Ermächtigungsgrundlage stützen kann, ob deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sind, die Behörde eine von der Ermächtigungsgrundlage gedeckte Rechtsfolge ausgesprochen und ggf. ihr eingeräumtes Ermessen ausgeübt hat. Liegt all dies vor, so können "Fernwirkungen" des Verwaltungsaktes – wie insbesondere seine Tatbestandswirkung im Rahmen einer möglicherweise verfassungswidrigen Vorschrift – den Verwaltungsakt nicht "nachwirkend" rechtswidrig machen. Vielmehr sind die aus diesen "Fernwirkungen" erwachsenden Benachteiligungen im Streit um den Vollzug derjenigen Vorschrift zu überprüfen, innerhalb derer dem Verwaltungsakt Tatbestandswirkung zukommt.

2.) Aus ähnlichen Grund gebieten es auch weder die Garantie effektiven Rechtsschutzes noch der Justizgewährleistungsanspruch, Verwaltungsakte auch auf ihre mehr oder weniger sicher vorhersehbaren "Fernwirkungen" zu prüfen. Dem Kläger steht Rechtsschutz gegen die Folge aus § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V insoweit zur Verfügung, dass er – wie offenbar bereits geschehen – um Rechtsschutz vor den Arbeitsgerichten nachsucht. Im Übrigen kennt das geltende (Verfassungs-) Prozessrecht auch den Rechtsschutz gegen gesetzliche Bestimmungen mit sog. self-executing-Wirkung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.07.2001, 1 BvR 1472/99, DVBl 2001, 1429 ff.).

C.) I.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Insbesondere kann sich der Kläger nicht auf das Kostenprivileg des § 183 Satz 1 SGG berufen, denn er klagt nicht aus seiner Stellung als Versicherter, sondern als Arbeitnehmer. Der alleinige Umstand, dass Arbeitnehmer regelmäßig auch sozialversichert sind, genügt nicht.

II.) Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 42 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG). In Anbetracht des wirtschaftlichen Interesses, das der Kläger verfolgt, nämlich dem Erhalt seines Arbeitsplatzes, erscheint es sachgerecht, den Streitwert analog den Regeln über eine arbeitsgerichtliche Kündigungsschutzklage in Höhe des Bruttoverdienstes eines Vierteljahres festzusetzen.

III.) Über eine Zulassung der Berufung war nicht zu entscheiden. Die Zulassung der Revision beruht auf den §§ 161 Abs. 2, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

&8195;
Rechtskraft
Aus
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