L 1 R 361/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 8 R 478/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 361/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zusätzliche Alterversorgung der technischen Intelligenz,
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 24. September 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten, Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) festzustellen.

Der am ... 1944 geborene Kläger bestand ausweislich der Urkunde der Ingenieurschule für Bauwesen L. vom 24. September 1974 die staatliche Ingenieurprüfung in der Fachrichtung Hochbau und erhielt damit das Recht, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen. Mit diesem Titel war er bis zum 31. Dezember 1985 als Bauleiter und Bereichsleiter beim VEB Wohnungsbaukombinat Halle und anschließend bis über den 30. Juni 1990 hinaus als Ingenieur für Investitionsvorbereitung und -durchführung in der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW), Verwaltungs- und Dienstleistungseinrichtung (VDE) H. beschäftigt. Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) zahlte er vom 1. Juni 1971 bis zum 31. Dezember 1973. Eine Zusatzversorgungszusage erhielt er während des Bestehens der DDR nicht.

Am 8. Dezember 2004 beantragte der Kläger die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Januar 2005 mit der Begründung ab, am 30. Juni 1990 sei der Kläger nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen, wie es die Versorgungsordnung bzw. die hierzu ergangene 2. Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951 (GBl. I der DDR S. 487; im Folgenden: 2. DB) gefordert habe. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 20. Januar 2005 Widerspruch ein und führte aus, die AdW sei ein gleichgestellter Betrieb gewesen. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2005 im Wesentlichen mit der Begründung des Ausgangsbescheides zurück.

Dagegen hat der Kläger am 17. Mai 2005 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und vorgetragen, die AdW sei zweifelsfrei unter den Begriff des Forschungsinstituts im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB zu subsumieren. Mit Urteil vom 24. September 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei am 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen. Die AdW, VDE H. habe keine zweck- und betriebsbezogene Forschung betrieben. Dienstleistungseinrichtungen der AdW seien Einrichtungen der Forschungsversorgung gewesen, die durch Konzentration von Betreuungsaufgaben zur Rationalisierung der Forschung in territorial benachbarten Instituten beigetragen hätten.

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Gegen das am 27. Oktober 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. November 2008 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und bekräftigt, die AdW sei zweifelsfrei unter den Begriff des Forschungsinstituts zu subsumieren.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 24. September 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Zeitraum vom 1. September 1974 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz und die während dieses Zeitraumes erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Der Senat hat folgende Dokumente aus einem Parallelverfahren beigezogen: Unterlagen aus einer Internet-Recherche vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zur AdW sowie das Statut der AdW (Beschluss des Ministerrates vom 28. Juni 1984), die Gründungsanweisung der VDE H. vom 30. Juni 1973, die Ordnung der VDE H. vom 24. September 1973 sowie den Jahresbericht 1989 der VDE H ...

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben bei der Beratung vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.

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Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die gemäß § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2005 beschwert den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Denn er hat keinen Anspruch auf Feststellungen gemäß §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 5 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG, i.d.F.v. Art. 13 des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007, BGBl. I S. 3024) hinsichtlich des Zeitraums vom 1. September 1974 bis zum 30. Juni 1990, weil er nach den am 30. Juni 1990 vorliegenden Gegebenheiten nicht im Sinne dieser Vorschrift eine Anwartschaft in einem Zusatzversorgungssystem erworben hatte.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Art. 19 des Einigungsvertrages (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG, Nr. 2, S. 11).

Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er aufgrund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Falle nicht stattgefunden.

Im Ergebnis kommt es nicht darauf an, dass der Senat nicht der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG folgt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann (siehe unter I.), da auch die dafür vom BSG aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen (II.).

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I.

Der Senat ist zum Einen nicht der Auffassung, dass das AAÜG den Kreis der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen erweitert und das Neueinbeziehungsverbot modifiziert hat (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2, S. 12). Erst diese Annahme führt jedoch zu einer vom BSG behaupteten Ungleichbehandlung ("Wertungswiderspruch"), die durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu korrigieren sei. Zum Anderen ist der Senat der Ansicht, dass, wenn die Annahme des BSG tatsächlich zutreffen sollte und mit dem AAÜG der einbezogene Personenkreis erweitert worden ist, zumindest keine verfassungskonforme Auslegung erforderlich ist, da die behauptete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre. Im Übrigen hätte das BSG wegen des von ihm unterstellten "Wertungswiderspruchs" keine erweiternde Auslegung vornehmen dürfen, sondern eine konkrete Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) veranlassen müssen. Denn die vom BSG vorgenommene Rechtsfortbildung überschreitet nach Auffassung des erkennenden Senats die sich aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergebenden Grenzen der richterlichen Entscheidungsbefugnis, weil der eindeutige Wortlaut des § 1 Abs. 1 AAÜG die vom BSG vorgenommene Interpretation nicht hergibt. Es ist deshalb schon nicht möglich, die bei einem unklaren oder nicht eindeutigen Wortlaut heranzuziehenden einschlägigen Auslegungskriterien anzuwenden (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 -B 10 EG 1/08 R -juris, Rdnr. 19). Auch für eine richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie fehlt es - wie noch auszuführen sein wird - an der erforderlichen Regelungslücke.

In den Gesetzesmaterialien findet sich kein Hinweis dafür, dass durch das AAÜG außer den Personen, die durch einen nach Art. 19 EVertr bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen worden waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - a.a.O., S. 11), weitere Personen einbezogen werden sollten (siehe BTDrs. 12/405, S. 113, 146; BTDrs. 12/786, S. 139; II A, IVA; BTDrs. 12/826, S. 4, 5, 10, 11, 21). Vielmehr wird in den Gesetzesmaterialien immer auf den EVertr Bezug genommen. Zwar wird dann ausgeführt, dass die Einhaltung der Vorgaben des EVertr zu nicht sachgerechten und zu nicht nur sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen führen müsste und sich deshalb die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergebe

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(BTDrs. 12/405, S. 113). Aus der weiteren Gesetzesbegründung ist jedoch ohne Schwierigkeiten ablesbar, dass sich diese Regelungen auf die Bereiche der Rentenberechnung, Leistungsbegrenzung, Abschmelzung laufender Leistungen, des Besitzschutzes bei der Neufeststellung von Leistungen, der Auszahlungen von Leistungen, eines Vorbehaltes der Einzelüberprüfung und der Kostenerstattung durch den Bund beziehen (a.a.O., S. 113, 114). Nicht angesprochen ist hingegen eine Ausweitung des erfassten Personenkreises. Auch bei der Begründung des § 1 AAÜG wird ausgeführt, dass diese Vorschrift den Geltungsbereich der nach dem EVertr vorgeschriebenen Überführung (und gerade keine darüber hinausgehende) festlegt (BTDrs. 12/405, S. 146).

Auch überzeugt den Senat nicht, dass aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auf eine Modifizierung des Verbots der Neueinbeziehung zu schließen sei (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - a.a.O., S. 12). In den Gesetzesmaterialien findet sich nämlich kein Anhaltspunkt für die vom BSG vorgenommene Unterscheidung zwischen "Einbeziehung in ein Versorgungssystem" und der "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem". Der Gesetzgeber benutzt im Gegenteil auch zur Beschreibung des Personenkreises des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, der auch nach Ansicht des BSG konkret einbezogen war (BSG, a.a.O., S. 12), den Terminus "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" (BTDrs. 12/826, S. 21) und nicht etwa "Einbeziehung in ein Versorgungssystem".

Der Gesetzgeber ging auch, soweit erkennbar, nicht davon aus, dass die in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angesprochene Personengruppe eine Erweiterung der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen darstellt. Ursprünglich war Satz 2 in der Gesetzesvorlage nicht enthalten (BTDrs. 12/405, S. 77). Erst in den Ausschussberatungen wurde dann die Anfügung des Satzes 2 empfohlen (BTDrs. 12/786, S. 139). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese Anfügung nur eine Klarstellung bedeute (BTDrs. 12/826, S. 21). Der Gesetzgeber nahm also an, dass diese Personengruppe ohnehin von Satz 1 und vom Überführungsauftrag des EVertr umfasst ist.

Auch mit einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG (über den Wortlaut hinaus) lässt sich ein Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung nicht begründen (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - a.a.O., S. 12).

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist jedoch nicht jede Differenzierung ausgeschlossen. Das Grundrecht wird indes ver-

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letzt, wenn eine Gruppe von Rechtsanwendungsbetroffenen anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z.B. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - 1 BvR 1921/04 u. a. -juris, Rdnr. 36).

Für den Senat ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb das BSG der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, also der Personen, die irgendwann vor dem 30. Juni 1990 (aber nicht am 30. Juni 1990) konkret einbezogen waren (BSG, a.a.O.), die Personengruppe gegenüberstellt, die nie konkret einbezogen war, aber zumindest am 30. Juni 1990 nach den Regeln der Versorgungssysteme alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hatte. Verfassungsrechtlich relevant ist nämlich nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem (z. B. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05 -juris, Rdnr. 89). Hier unterscheiden sich jedoch die Tatbestände in wesentlichen Gesichtspunkten. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG knüpft nämlich an ein in der Vergangenheit verliehenes Versorgungsprivileg an, welches ein Bedürfnis nach der im AAÜG vorgesehenen Sonderprüfung der Rentenwirksamkeit erzielter Arbeitsentgelte anzeigt. Bei Personen, die nie in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, besteht ein solches Bedürfnis hingegen nicht.

Richtiger wäre es nach Ansicht des Senats ohnehin, der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als Vergleichsgruppe die Personen gegenüberzustellen, die nicht konkret einbezogen waren, irgendwann vor dem - aber nicht am - 30. Juni 1990 jedoch alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatten.

Das Bundesverfassungsgericht führt zum Vergleich dieser Personengruppen aus (Beschluss vom 26. Oktober 2005, a.a.O., Rdnr. 45):

"Der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausscheidens vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik rechtlich gesicherte Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten (vgl. BTDrs. 12/826, S. 21). Der hier in Frage stehende Personenkreis (gemeint ist der Personenkreis, der irgendwann vordem 30. Juni 1990, aber nicht am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatte) hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der Deutschen Demokratischen Republik zu keinem Zeitpunkt inne ... Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Alters-

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Versorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung offen, war dort allerdings - anders als in vielen Systemen der Zusatzversorgung - mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es bestand daher keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, diesen Personenkreis den durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnellen Herbeiführung der rentenrechtlichen Renteneinheit zu untersagen."

Die gleichen Überlegungen gelten für einen Vergleich zwischen den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG betroffenen Personen und denjenigen, die nach der Rechtsprechung des BSG vom fiktiven Anspruch profitieren sollen. Auch die fiktiv in den Anwendungsbereich des AAÜG Einbezogenen hatten zu Zeiten der DDR keine Rechtsposition inne, die ihnen einen Zugang zu einer zusätzlichen Altersversorgung aus einem Zusatzversorgungssystem ermöglicht hätte. Auch ihnen stand die Möglichkeit offen, der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beizutreten. Diese Punkte lässt das BVerfG genügen, um eine Ungleichbehandlung mit den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen zu rechtfertigen. Dasselbe muss dann auch bei einem Vergleich der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen und den Personen gelten, die am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem erfüllt hatten.

Aus diesen Gründen liegt auch keine Gesetzeslücke vor, die möglicherweise im Wege einer Analogie zu schließen gewesen wäre.

Im Übrigen hat auch die Bundesregierung mehrfach betont, dass das AAÜG nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers nur anwendbar sein sollte, wenn eine ausdrückliche Versorgungszusage vorliegt (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BTDrs. 16/11127 vom 28. November 2008; Antwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Franz-Josef Lersch-Mense auf eine Frage der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, BTDrs. 16/13916 vom 21. August 2009). Sie hat darauf hingewiesen, dass Verdienste oberhalb von 600 Mark für Beschäftigungszeiten ab März 1971 ohne Versorgungszusage wie bei allen übrigen Versicherten, die keinem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem angehört haben, nur bei entsprechenden Beitragszahlungen zur FZR rentenrechtlich hätten berücksichtigt werden können. Die-

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ser Hinweis der Bundesregierung auf die FZR ähnelt der soeben dargestellten Argumentation des Bundesverfassungsgerichts.

II.

Aber auch wenn man der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des Bundessozialgerichts folgen würde, hätte das Begehren des Klägers keinen Erfolg. Danach hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. der DDR I, Nr. 93 S. 844 - im Folgenden: VO-AVItech) i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB von drei Voraussetzungen ab, die alle zugleich vorliegen müssen. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für

(1.) Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und

(2.) die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar

(3.) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Nach der Rechtsprechung des BSG müssen diese drei Voraussetzungen, damit das AAÜG überhaupt anwendbar ist, am 30. Juni 1990 vorgelegen haben.

In Anwendung dieser Maßstäbe hatte der Kläger am 1. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech. Denn er erfüllte nicht die abstraktgenerellen und zwingenden Voraussetzungen (vgl. dazu Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 6) des hier betroffenen Versorgungssystems. Hierzu gehört neben der hier gegebenen Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung (insbes. "Ingenieur") zu führen, auch die Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb.

Für die Frage, ob die betriebliche Voraussetzung erfüllt ist, ist auf die AdW als Ganzes und nicht isoliert auf die VDE H. abzustellen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Statuts der AdW handelte es sich bei dieser Einrichtung um eine juristische Person und Haushaltsorganisation. Haushaltsorganisationen waren bis zu einem bestimmten Grade verselbständigte staatliche Einrichtungen der DDR. Aus § 4 der Ordnung der VDE

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H. ergibt sich, dass diese Bestandteil der einheitlichen Haushaltsorganisation der AdW war. Weder der Gründungsanweisung noch dieser Ordnung oder dem Statut der AdW ist zu entnehmen, dass es sich bei der VDE H. um eine selbständige juristische Person handelte. Vielmehr konnte auch deren Direktor nach § 5 der Ordnung der VDE H. nur im Namen der AdW tätig werden. Somit handelte es sich bei der VDE um eine unselbständige Einrichtung der AdW.

Die AdW war aber weder ein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens noch war sie ein gleichgestellter Betrieb (so bereits Urteil des Senats vom 23. September 2009 - L 1 R 342/06 -). Die AdW war schon kein volkseigener Betrieb - was der Name verdeutlicht - und erst recht kein Produktionsbetrieb im Sinne der 2. DB. Die Voraussetzung der Beschäftigung in einem Produktionsbetrieb enthält § 1 Abs. 1 der 2. DB im Umkehrschluss, weil andernfalls die Gleichstellung nichtproduzierender Betriebe in § 1 Abs. 2 der 2. DB mit Produktionsbetrieben ohne Bezug wäre. Der Begriff des Produktionsbetriebes erfasst nur solche Betriebe, die Sachgüter im Hauptzweck industriell gefertigt haben. Der Betrieb muss auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion von Sachgütern ausgerichtet gewesen sein (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R -, SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S. 47). Im Bereich des Bauwesens erfasst der Begriff des Produktionsbetriebes nur solche Betriebe, die standardisierte Produkte massenhaft ausstoßen und eine komplette Serienfertigung von gleichartigen Bauwerken zum Gegenstand haben (BSG, Urteil vom 8. Juni 2004 - B 4 RA 57/03 R -, SozR 4-8570 § 1 Nr. 3, S. 20 f.). Bei der AdW handelte es sich weder um einen Produktionsbetrieb der Industrie noch des Bauwesens. Denn sie produzierte weder massenhaft Sachgüter noch bestand ihr Hauptzweck in der Massenproduktion von Bauwerken.

Die AdW kann auch nicht als gleichgestellter Betrieb i. S. v. § 1 Abs. 2 der 2. DB eingeordnet werden. Nach dieser Vorschrift waren den volkseigenen Betrieben gleichgestellt: Wissenschaftliche Institute; Forschungsinstitute; Versuchsstationen; Laboratorien; Konstruktionsbüros; technische Hochschulen; technische Schulen; Bauakademie und Bauschulen; Bergakademie und Bergbauschulen; Schulen, Institute und Betriebe der Eisenbahn, Schifffahrt sowie des Post- und Fernmeldewesens; Maschinen-Ausleih-Stationen und volkseigene Güter, Versorgungsbetriebe (Gas, Wasser, Energie); Vereinigungen volkseigener Betriebe, Hauptverwaltungen und Ministerien.

Bei der AdW handelte es sich nicht um ein wissenschaftliches Institut bzw. Forschungsinstitut im Sinne dieser Vorschrift. Wissenschaftliche Institute bzw. For-

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schungsinstitute im vorgenannten Sinne sind Forschung betreibende selbstständige Einrichtungen der Wirtschaft, deren Hauptzweck die zweck- und betriebsbezogene (wissenschaftliche) Forschung und Entwicklung war, und zwar in der Gestalt einer rechtlich selbstständigen Wirtschaftseinheit als Betrieb (vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 - B 4 RA 40/04 R -, SozR 4-8570 § 5 Nr. 5). Zu den durch § 1 Abs. 2 der 2. DB als Forschungsinstitute gleichgestellten Betrieben gehören demnach vor allem volkseigene Betriebe, die nicht Produktionsbetriebe waren, aber deren Aufgabe die Forschung und Entwicklung war (vgl. BSG a.a.O.). In der DDR wurde zwischen (staatlicher) Forschung an der AdW und an den dem Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen unterstellten Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen einerseits (vgl. die Verordnung über die Aufgaben der Universitäten, wissenschaftlichen Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen mit Hochschulcharakter vom 25. Februar 1970 (GBI. II der DDR S. 189); Verordnung über die Leitung, Planung und Finanzierung der Forschung an der Akademie der Wissenschaften und an Universitäten und Hochschulen - Forschungs-VO - vom 23. August 1972, GBl. II der DDR S. 589) und der Forschung an den Wirtschaftseinheiten andererseits unterschieden. Die AdW und die Hochschulen hatten die Aufgabe, nach neuen Erkenntnissen über bisher unbekannte objektive gesetzmäßige Zusammenhänge sowie nach neuen Prozessen und Eigenschaften und ihre Nutzungsmöglichkeiten planmäßig zu forschen, neue wissenschaftliche Methoden und Erfahrungen zu entwickeln und wissenschaftliche Grundlagen für die Beherrschung technologischer Prozesse und Verfahren zu schaffen sowie die wissenschaftlichen Grundlagen für die angewandte Forschung, die Entwicklung und die Überleitung ihrer Ergebnisse in die gesellschaftliche Praxis ständig zu erweitern (§ 2 Abs. 2 Forschungs-VO). Den Wirtschaftseinheiten hingegen oblag die zweck- und betriebsbezogene Forschung und Entwicklung. Die Kombinate als grundlegende Wirtschaftseinheiten in der materiellen Produktion verfügten auch über wissenschaftlichtechnische Kapazitäten (vgl. § 1 Abs. 1 der Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe - Kombinats-VO - vom 8. November 1979, GBl. I der DDR S. 355). Sie hatten die Verantwortung nicht nur für die bedarfsgerechte Produktion, sondern auch für die Entwicklung neuer Erzeugnisse mit wissenschaftlichtechnischem Höchststand (vgl. § 2 Kombinats-VO 1979; dazu auch § 15 Abs. 2 der Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und WB vom 28. März 1973, GBl. I der DDR S. 129 und §§ 1 Abs. 2, 8, 18, 19 der Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten des volkseigenen Produktionsbetriebes vom 9. Februar 1967, GBl. II der DDR S. 121). Nach § 34 Abs. 3 der Kombinats-VO 1979 war der Betrieb verpflichtet,

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die wissenschaftlichtechnische Arbeit konsequent auf die Leistungs- und Effektivitätsentwicklung der Volkswirtschaft auszurichten.

Die AdW verfolgte jedoch gerade keine zweck- und betriebsbezogene Forschung. Zwar mögen einzelne Forschungsprojekte auch von unmittelbarem Interesse für die Industrie gewesen sein, dies führt jedoch nicht zur Gleichstellung nach § 1 Abs. 2 der 2. DB. Ein anderes Ergebnis ergäbe sich auch dann nicht, wenn es sich beim VDE um eine gegenüber der AdW verselbständigte Einrichtung/Betrieb gehandelt hätte. Insoweit fehlt es an den für ein Forschungsinstitut konstitutiven Forschungsaufgaben. Die beigezogenen Unterlagen lassen eine entsprechende Aufgabenstellung der VDE nicht erkennen. Insbesondere die in § 2 der Ordnung der VDE genannten Aufgabenstellungen betreffen ausschließlich Verwaltungs- und Versorgungsaufgaben, nennen jedoch keine selbständige Forschungsarbeit der VDE.

Der Beschäftigungsbetrieb des Klägers am 30. Juni 1990 war auch kein Konstruktionsbüro im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB. Für die AdW ist diese Feststellung offensichtlich. Aber auch wenn auf die VDE abgestellt würde, ergäbe sich im Hinblick auf die in § 2 der Ordnung der VDE genannten Aufgabenstellungen kein anderes Ergebnis.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsprechung des BSG ab.
Rechtskraft
Aus
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