L 8 R 420/11 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 15 R 1407/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 420/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 12.4.2011 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 61.401,81 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.03.2010 über die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung und Säumniszuschlägen.

Die Antragstellerin vermittelte Arbeitskräfte aus Polen (im Folgenden: Betreuungskräfte) an deutsche Haushalte. Für sie ist bei der Gemeinde G als Gewerbe die "Vermittlung polnischer Arbeitskräfte" angemeldet. Hinterlegt wurde ein Vertragsmuster betreffend die Vermittlung von polnischen Haushaltshilfen innerhalb der Europäischen Union (EU). Auch im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung ist als Art des ausgeübten Gewerbes die Vermittlung polnischer Arbeitskräfte als Haushaltshilfen in der EU angegeben. Für die Betreuungskräfte erfolgte jeweils ebenfalls eine Gewerbeanmeldung, wobei als angemeldete Tätigkeit "Haushaltshilfe und Seniorenbetreuung", "Haushaltshilfe" oder ähnliches angegeben wurde. Bei der Anmeldung dieser Gewerbe war die Antragstellerin häufig anwesend, um die teilweise nur unzureichend Deutsch sprechenden Betreuungskräfte bei der Anmeldung zu unterstützen.

Nach den Feststellungen der Antragsgegnerin lagen den Pflegetätigkeiten der Betreuungskräfte jeweils zwei Verträge zugrunde:

Zwischen der Antragstellerin und den Pflegebedürftigen wurde ein sog. "Vertrag über die Vermittlung von selbstständigen Betreuungskräften und Haushaltshilfen" geschlossen. Dessen § 1 zufolge verpflichtete sich die Antragstellerin, dem als "Auftraggeber" bezeichneten Pflegebedürftigen Betreuungspersonen zu vermitteln. § 2 des Vertrages lautet: "Die jeweils vermittelte Betreuungsperson erledigt ihre Aufgaben selbstständig in Absprache mit dem Auftraggeber. Die Betreuungsperson leistet - tags und bei Bedarf auch nachts - Hilfe bei allen wichtigen Dingen des täglichen Lebens; z.B. beim Aufstehen, beim Ankleiden, der Körperhygiene, beim Toilettengang, beim Wechseln von Windeln, bei Arztbesuchen, bei Behördengängen, bei Spaziergängen, der Zubereitung von Mahlzeiten, bei Einkäufen, bei Pflege der Wäsche und der Wohnung. Eine medizinische Versorgung wird nicht übernommen." § 3 sieht vor, dass die jeweilige Betreuungskraft für einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen für den Auftraggeber tätig wird und dass sie danach durch eine andere, von der Antragstellerin vermittelte Kraft ersetzt wird, sodass keine Betreuungslücken entstehen. Nach § 4 hat der Auftraggeber der Betreuungskraft ein eigenes Zimmer zur Verfügung zu stellen und ihr ausreichend Möglichkeit zur Badbenutzung einzuräumen. Zwei Stunden am Tag sind arbeits- und betreuungsfrei. In dieser Zeit darf die Betreuungskraft das Haus des Auftraggebers verlassen. § 6 regelt in Form von Tagessätzen das für die vermittelte Betreuungskraft vereinbarte Entgelt. Die Betreuungskraft hat nach § 8 dem Auftraggeber monatlich eine Rechnung zu stellen, wobei 10 % der Summe der Auftragnehmerin "als Provision" zusteht, die direkt auf ihr Konto zu zahlen ist. Im Übrigen zahlt der Auftraggeber das Entgelt unmittelbar an die Betreuungskraft.

Außerdem wurden Verträge zwischen der Antragstellerin und den Betreuungskräften geschlossen, die mehrheitlich ebenfalls "Vertrag über die Vermittlung von selbstständigen Betreuungskräften und Haushaltshilfen" überschrieben waren. Sie sahen - bei unterschiedlicher Gestaltung im Detail - jeweils vor, dass die Betreuungskräfte Einzelunternehmen führten. § 2 bestimmte die von den als "Auftragnehmer" bezeichneten Betreuungskräften zu leistenden Aufgaben ebenso wie § 2 des zwischen der Antragstellerin und den Pflegebedürftigen geschlossenen Vertrags. § 3 regelte sodann, dass die Auftragnehmer für einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen rund um die Uhr für den Auftraggeber tätig werden. In mehreren von der Antragsgegnerin vorgelegten Verträgen sieht § 8 vor, dass die Auftragnehmer monatliche Rechnungen stellen und dass der Auftraggeber das Entgelt abzüglich der Vermittlungsprovision für die Antragsteller direkt an die betreffende Betreuungskraft zu zahlen hat.

Entsprechend dieser Vertragsgestaltung stellten die Betreuungskräfte monatliche Rechnungen an die Pflegebedürftigen, deren Beträge regelmäßig auf Konten der Betreuungskräfte zu zahlen waren.

Nach Anhörung der Antragstellerin verfügte die Antragsgegnerin im Rahmen einer Betriebsprüfung mit Bescheid vom 29.3.2010, dass die Antragstellerin für die Zeit vom 25.10.2007 bis 31.7.2009 Beiträge und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 245.607,23 Euro zu entrichten habe. Die von ihr vermittelten Betreuungskräfte seien im Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse für die Antragstellerin tätig geworden. So trete die Antragstellerin gegenüber den Haushalten, an welche die Betreuungskräfte vermittelt würden, nicht nur als Vermittlerin, sondern als Vertragspartnerin auf. Die Verträge, die den Einsatz der Betreuungskräfte in den jeweiligen Haushalten regelten, seien von der Antragstellerin hinsichtlich Leistungsumfang und Preis ausgehandelt und nach Abschluss unterschrieben worden. Auch die Organisation der Pflegeeinsätze und die Rechnungsstellung erfolgten durch die Antragstellerin. Der Umstand, dass die Betreuungskräfte bei den zuständigen Gewerbeämtern ein Gewerbe angemeldet hätten, sei demgegenüber unerheblich. Die Zahlungen der deutschen Haushalte an die Betreuungskräfte seien als Zahlungen durch Dritte wie Arbeitsentgelt zu bewerten.

Mit ihrem Widerspruch bestritt die Antragstellerin, dass die von ihr vermittelten Betreuungskräfte ihm Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse für sie tätig geworden seien. Zwar habe sie die Höhe der jeweiligen für die Betreuungskräfte zu bestimmenden Entlohnung mit den Haushalten verhandelt, dies jedoch nicht in eigener Regie, sondern stets den Vorstellungen der Betreuungskräfte entsprechend. Sie sei insoweit lediglich vermittelnd tätig geworden. Organisation und zeitlicher Umfang der jeweiligen Tätigkeit sei von den Betreuungskräften in Abstimmung mit den Haushalten selbst bestimmt worden, wobei weisungsbefugt gegenüber den Betreuungskräften allein die Haushalte gewesen seien. Soweit sie, die Antragstellerin, Rechnungen erstellt habe, habe sie lediglich die Schreibarbeit übernommen. Dementsprechend hätten die Rechnungen auch stets auf die Betreuungskräfte mit entsprechenden eigenen Kontodaten gelautet. Gleichzeitig beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs herzustellen. Hierzu machte sie geltend, dass eine Vollziehung des angegriffenen Bescheides für sie ruinöse Folgen haben werde und daher eine unbillige Härte darstelle.

Nachdem die Antragsgegnerin eine Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hatte, hat die Antragstellerin am 18.8.2010 unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrags einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.

Sie hat sinngemäß beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 29.3.2010 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht gewesen, dass keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 29.3.2010 bestünden und eine Aussetzung der Vollziehung eines Beitragsbescheides allein aus wirtschaftlichen Gründen rechtlich nicht in Betracht komme.

Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat dem Antrag mit Beschluss vom 12.4.2011 stattgegeben. Es hat die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens für nicht abschätzbar gehalten, zumal die vorliegenden Unterlagen und die ergänzenden Ermittlungen der Antragsgegnerin hierzu nicht ausreichten.

Gegen den der Antragsgegnerin am 21.4.2011 zugestellten Beschluss hat diese am 27.4.2011 unter Intensivierung ihres bisherigen Vorbringens Beschwerde eingelegt. Ergänzend weist sie darauf hin, dass die Antragstellerin durch das Amtsgericht (AG) Olpe rechtskräftig strafrechtlich verurteilt worden sei (Urteil v. 18.2.2011, Az. 54 Ls-22 Js 648/07-78/10). Das AG habe dabei aufgrund eines Geständnisses der Antragstellerin festgestellt, dass diese und nicht der jeweilige Haushalt Arbeitgeberin der Betreuungskräfte gewesen sei. Zudem habe ausreichendes Material über die Vermittlung der Aushilfen sowie diverse Rechnungen vorgelegen, die von den Haushalten übersandt worden seien. Teilweise belegten diese Rechnungen, dass das Geld von den Haushalten auf dasselbe Konto überwiesen worden sei, das die Antragstellerin für die Vermittlung der Haushaltshilfen bzw. Pflegekräfte nutze. Die Antragstellerin sei nicht als bloße Vermittlerin aufgetreten, sondern habe Weisungen erteilt, die komplette Planung übernommen, die Pflegekräfte eingeteilt und sich gegebenenfalls um Ersatz bemüht. Darüber hinaus habe sie mit den Haushalten Verträge geschlossen und das Entgelt ausgehandelt, wobei sie die Haushalte bewusst in dem Glauben gelassen habe, dass es sich bei den Betreuungskräften um Selbstständige handele.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Anordnungsbeschluss vom 12.4.2011 inklusive der Kostenentscheidung aufzuheben und den Anordnungsantrag vom 16.8.2010 zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Die vorgelegten schriftlichen Unterlagen stünden im Widerspruch zu den tatsächlich gelebten einzelnen Pflegeverhältnissen. Das Geständnis im Strafverfahren habe sie zur Vermeidung zusätzlicher Kosten bzw. einer höheren Strafe abgegeben. Eine Anhörung der Betreuungskräfte und/oder der betreffenden Haushalte bleibe unerlässlich.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den rechtmäßigen Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.3.2010 angeordnet.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Die Entscheidung, ob sie ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier des Widerspruchs, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschlüsse v. 24.6.2009, L 8 B 4/09 R ER; v. 27.7.2009, L 8 B 5/09 R ER; v. 18.2.2010, L 8 B 13/09 R ER; v. 8.10.2010, a.a.O.; jeweils juris und sozialgerichtsbarkeit.de).

Gegenwärtig spricht mehr für als gegen ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache. Nach den vorliegenden Unterlagen und dem Akteninhalt spricht mehr dagegen als dafür, dass zwischen der Antragstellerin und den Pflegekräften bzw. Haushaltshilfen die Versicherungs- und Beitragspflicht in der Sozialversicherung Beitragspflicht auslösende Beschäftigungsverhältnisse im Sinne von § 7 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) bestanden haben.

Eine Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Dieses bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, zu denen die rechtlich relevanten Umstände gehören, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben (BSG, Urteil v. 1.12.1977, 12/3/12 RK 39/74, SozR 2200 § 1127 Nr. 8; v. 4.6.1998, B 12 KR 5/97, SozR 3-2400 § 7 Nr. 13; v. 18.12.2001, B 12 KR 10/01 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 20; v. 22.6.2005, B 12 KR 28/03 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 5; v. 24.1.2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7; v. 28.5.2008, B 12 KR 13/07 R, USK 2008-45; v. 11.3.2009, B 12 KR 21/07 R, USK 2009-25; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung BVerfG, Beschluss v. 20.5.1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgeblich ist die zwischen den Beteiligten praktizierte Rechtsbeziehung und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist. Ausgangspunkt der Prüfung sind dabei jeweils die (schriftlichen) vertraglichen Vereinbarungen, soweit solche bestehen. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Ausgestaltung der Vertragsbeziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der formellen Vereinbarung regelmäßig vor. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von den (schriftlichen) Vereinbarungen abweichen.

Im vorliegenden Fall bestehen für den Senat keine durchgreifenden Zweifel, dass die Betreuungskräfte im Hinblick auf die nahezu vollständige Inanspruchnahme "rund um die Uhr", die Bindung an den Arbeitsort und die in § 2 der Verträge enthaltenen Vorgaben zur Arbeitsleistung in einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV gestanden haben, zumal dem ihnen übertragenen wirtschaftlichen Risiko (z.B. keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) mangels verfügbarer Arbeitszeit für anderweitige selbstständige Tätigkeiten auch keinerlei wirtschaftliche Chancen gegenübergestanden haben.

Nach den gegenwärtig vorliegenden Erkenntnissen ist aber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht die Antragstellerin als Arbeitgeberin dieser Beschäftigungsverhältnisse anzusehen, sodass die Antragsgegnerin sie voraussichtlich zu Unrecht zur Zahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge gemäß §§ 28e Abs. 1 Satz 1, 28d SGB IV herangezogen hat.

Die Arbeitgebereigenschaft der Antragstellerin ergibt sich - ohne ergänzende Feststellungen zu ihrem Inhalt und Zustandekommen - nicht aus den vorliegenden Verträgen, die - wenn sie sich auch im Detail unterscheiden - im Rahmen der im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung eine einheitliche Betrachtung erlauben.

Die rechtliche Würdigung der Beziehungen in dem Drei-Personen-Verhältnis zwischen der Antragstellerin, den Betreuungskräften und den Pflegebedürftigen hat bei dem diese Beziehungen prägenden Interesse der Pflegebedürftigen anzusetzen, ihre Pflege und hauswirtschaftliche Betreuung sicherzustellen. Hierzu gibt es grundsätzlich mehrere Möglichkeiten: Entweder schließen sie einen eigenen Pflegevertrag mit der Betreuungskraft und über deren Vermittlung einen Vermittlungsvertrag mit der Antragstellerin, die dann wirtschaftlich betrachtet die Rolle einer Arbeitsvermittlerin, im Falle einer Arbeitnehmerüberlassung ggf. auch einer Verleiherin übernimmt. Oder sie schließen einen Pflegevertrag mit der Antragstellerin, die in diesem Fall wirtschaftlich als Pflegedienst tätig wird und die ihr obliegenden Verpflichtungen zur Pflege und hauswirtschaftlichen Versorgung der Pflegebedürftigen unter Einschaltung der Betreuungskräfte, insbesondere auf der Grundlage von Arbeitsverträgen, erfüllt.

Die im vorliegenden Fall geschlossenen Verträge erlauben entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht die Auslegung, dass die vertragschließenden Parteien die letztgenannte vertragliche Konstellation vereinbaren wollten.

Das gilt zunächst für die zwischen der Antragstellerin und den Pflegebedürftigen geschlossenen Verträge. Deren § 1 sieht vielmehr als Hauptleistungspflicht der Antragstellerin die "Vermittlung" von Betreuungskräften vor. Zwar wird in § 2 beschrieben, welche allgemeinen Aufgaben die Betreuungskräfte in den Haushalten erfüllen sollen. Es ist aber nicht vereinbart, dass es sich dabei um Verpflichtungen handeln soll, für deren Erfüllung die Antragstellerin verantwortlich ist. Gewiss mag es unüblich sein, derartige Regelungen überhaupt in einen Vermittlungsvertrag aufzunehmen. Dass hiermit gleichwohl keine Hauptleistungspflicht vereinbart worden ist, ergibt sich aber schon daraus, dass die Pflegebedürftigen der Antragstellerin als Gegenleistung für deren Bemühungen lediglich das Vermittlungshonorar schulden, während die Gegenleistung für Pflege und Versorgung an die Betreuungskräfte zu zahlen ist.

Die weiteren Vereinbarungen erlauben keine abweichende Beurteilung. So ist die Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Schutz- und Fürsorgebestimmungen, wie etwa im vorliegenden Fall der Überlassung eines eigenen Zimmers und der Gewährung des Zugangs zu Sanitäreinrichtungen, oftmals auch zwischen Verleiher und Entleiher im Rahmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung anzutreffen. Die Verpflichtung zur Anschlussvermittlung ist ebenfalls häufiger Regelungsgegenstand in Vermittlungsverträgen. Beide Regelungen weisen daher nicht darauf hin, dass ein Pflegevertrag zwischen der Antragstellerin und den Pflegebedürftigen gewollt war, erst recht nicht, dass die Antragstellerin mit den Betreuungskräften Arbeits- oder Dienstverträge schließen wollte.

Mit Blick hierauf sind auch die Verträge zwischen der Antragstellerin und den Betreuungskräften nach derzeitigem Sachstand nicht als Arbeitsverträge auszulegen, auch wenn der Abschluss derartiger Verträge mit entsprechendem Inhalt in der Praxis unüblich sein mag. Denn auch in diesen Verträgen sind schon ihrem Wortlaut nach typische arbeitsvertragliche Hauptpflichten nicht fixiert. Zwar enthält § 2 der Vereinbarungen regelmäßig eine Beschreibung der Tätigkeiten, die von der Pflegeperson erwartet wird. Eine Regelung dahingehend, dass diese Tätigkeiten der Antragstellerin und nicht den Pflegebedürftigen geschuldet sind, lässt sich den Verträgen aber gerade nicht entnehmen. Der Sprachgebrauch einiger der von der Antragsgegnerin vorgelegten Verträge spricht vielmehr eindeutig dagegen. So ergibt sich aus dem Zusammenspiel der §§ 3 und 8, dass mit "Auftraggeber" die Pflegebedürftigen und nicht etwa die Antragstellerin gemeint ist. Es kommt hinzu, dass ein typisches Kennzeichen von Arbeitsverträgen darin besteht, die den Vertrag kennzeichnende Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers und die Entlohnungspflicht des Arbeitgebers in ein Gegenseitigkeitsverhältnis zu stellen, sodass die Nichterfüllung der einen Verpflichtung z.B. durch Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts "erzwungen" werden kann. Daran fehlt es hier jedoch gerade. Auch in den Verträgen zwischen der Antragstellerin und den Betreuungskräften ist jeweils eindeutig geregelt, dass allein die Pflegebedürftigen die Leistungen der Betreuungskräfte zu entlohnen haben.

Der Senat hat mangels näherer Ermittlungen bzw. Feststellungen der Antragsgegnerin keine Hinweise darauf, dass die Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien abweichend gelebt worden sind. Gewiss mag es aus Gründen der Sprachbarriere Verständnisschwierigkeiten zwischen den Pflegebedürftigen und den Betreuungskräften gegeben haben. Andererseits hat die Antragsgegnerin keinerlei Feststellungen dahingehend getroffen, dass die Antragstellerin den Betreuungskräften auf die jeweiligen Haushalte abgestimmte individuelle Weisungen erteilt hätte oder hierzu auch nur fachlich in der Lage gewesen wäre. Es ergeben sich nicht einmal indirekt in diese Richtung deutende Hinweise, etwa in dem Sinne, dass sich Pflegebedürftige bei der Antragstellerin über die mangelnde Qualität von Leistungen der Betreuungskräfte beschwert und die Antragstellerin um Abhilfe gebeten hätten. Die von der Antragsgegnerin festgestellten Aktivitäten der Antragstellerin gehen vielmehr nicht über eine Vermittlung der Betreuungskräfte und deren Unterstützung wesentlich hinaus. Auch die tatsächliche Rechnungslegung ist, soweit erkennbar, entsprechend den getroffenen Vereinbarungen erfolgt. Zwar mag die Antragstellerin die Leistungen der Betreuungskräfte in einigen Fällen in deren Namen und Auftrag gegenüber den Pflegebedürftigen abgerechnet haben. Sie hat aber eben nicht, wie dies im Falle eines Pflegevertrages zwischen ihr und den Pflegebedürftigen zu erwarten wäre, die Leistungen der Betreuungskräfte in ihrem eigenen Namen abgerechnet.

Aus der von der Antragsgegnerin vorgelegten Korrespondenz der Antragstellerin mit der Tochter einer Pflegebedürftigen ergibt sich nichts anderes. Diese Korrespondenz betrifft der eindeutigen Formulierung der Tochter nach allein die Abrechnung der Tätigkeiten der Betreuungskräfte. Diese hat zwar die Antragstellerin vorgenommen, aber - wie dargestellt - im Namen der Pflegekräfte. Hieraus zu folgern, dass die betroffenen Pflegekräfte bei der Antragstellerin beschäftigt waren, liegt fern.

Ohne Erfolg verweist die Antragsgegnerin schließlich auf das rechtskräftige Strafurteil des AG Olpe. Dieses beruht zwar auf einem angeblich vollständigen Geständnis der Antragstellerin. Über dessen Inhalt ist dem Urteil indessen nichts zu entnehmen. Es lässt sich daher nicht beurteilen, auf welche von der Antragstellerin mitgeteilten Tatsachen das AG seine Entscheidung gestützt hat. Eine Bindung der Sozialgerichte an die rechtliche Beurteilung sozialversicherungsrechtlicher Sachverhalte durch die Strafjustiz besteht jedenfalls nicht.

Es kann schließlich dahingestellt bleiben, ob das Vertragsverhältnis der Antragstellerin mit den Pflegebedürftigen als Vermittlung oder Arbeitnehmerüberlassung zu beurteilen ist. In letztgenanntem Fall könnte sich zwar eine Beitragspflicht der Antragstellerin aus § 28e Abs. 2 Satz 2 SGB IV ergeben. Voraussetzung wäre jedoch, dass sie zumindest Teile des Arbeitsentgelts an die Betreuungskräfte gezahlt hat. Dafür bestehen hier indessen keinerlei Anhaltspunkte.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der ständigen Senatspraxis, im einstweiligen Rechtsschutz von einem Viertel des Hauptsachestreitwerts (Senat, Beschluss v. 27.7.2009, a.a.O.) einschließlich der Säumniszuschläge (Senat, Beschlüsse vom 31.8.2009, L 8 B 11/09 R, und v. 3.9.2009, L 8 B 12/09 R, jeweils juris) auszugehen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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