L 7 SO 3731/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SO 3776/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3731/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 5. August 2011 (Versagung einstweiligen Rechtsschutzes) aufgehoben und der Antragsgegner im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig sowie unter dem Vorbehalt der Rückforderung ab 13. Juli 2011 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch zu leisten.

Diese Verpflichtung des Antragsgegners besteht bis zum 31. Januar 2012, längstens jedoch bis zum bestandskräftigen Abschluss des gegen den Bescheid vom 8. Juli 2011 gerichteten Widerspruchsverfahrens.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren ab 12. September 2011 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt und Rechtsanwalt K., F., beigeordnet.

Gründe:

Die gemäß § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, der Beschwerdeausschlussgründe im Sinne des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht entgegenstehen, ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht Freiburg (SG) hat im angefochtenen Beschluss vom 5. August 2011 zu Unrecht den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Absatz 1 a. a. O., für Vornahmesachen in Absatz 2 a. a. O. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 a. a. O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a. a. O.). Die Anträge nach § 86b Abs. 1 und 2 SGG sind bereits vor Klageerhebung zulässig (Absatz 3 a. a. O.).

Vorliegend kommt, wie vom SG zutreffend erkannt, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Beides sind gleichberechtigte Voraussetzungen, die ein bewegliches System darstellen: Je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein und umgekehrt. Völlig entfallen darf hingegen keine der beiden. Dementsprechend sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind dann in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebotes der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruches auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - beide (juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 ER-B - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - beide (juris)).

Im Beschwerdeverfahren verfolgt die Antragstellerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter, den Antragsgegner im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu verpflichten. Der Senat ist davon überzeugt, dass das Begehren der Antragstellerin nicht allein auf die Gewährung dieser Leistungen begrenzt ist, sondern auch Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII umfasst, die ebenso wie die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zur Absicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten der Unterkunft dienen. Nach § 123 SGG hat der Senat über die von der Antragstellerin erhobenen Ansprüche zu entscheiden, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Zur Feststellung des tatsächlich Begehrten ist der Wille des Erklärenden zu ermitteln, wobei es auf seinen erklärten Willen ankommt. Hierbei darf die Auslegung nicht am Wortlaut haften. Maßgebend ist entsprechend § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vielmehr der objektive Erklärungswert, der sich danach bestimmt, wie der Empfänger nach den Umständen, insbesondere nach der recht verstandenen Interessenlage, die Erklärung verstehen muss (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage, vor § 60 Rdnr. 11a m. w. N.). Die Antragstellerin hat sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch im Beschwerdeverfahren deutlich gemacht, dass sie Leistungen nach dem SGB XII benötigt, um ihren Lebensunterhalt einschließlich der Kosten der Unterkunft bestreiten zu können. Dies ist auch durch Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII möglich. Wie aus ihrem Vorbringen zu ersehen ist, hat die Antragstellerin das ihr vom Antragsgegner beim Gespräch am 26. Juli 2011 unterbreitete Angebot auf Gewährung dieser Leistungen nicht kategorisch, sondern im Hinblick auf die damit verknüpften Auflagen abgelehnt. Der Senat ist daher der Überzeugung, dass auch Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII von der Antragstellerin begehrt werden, sofern hierfür - anders als vom Antragsgegner bislang verlangt - von ihr keine Auflagen erfüllt werden müssen.

Sowohl die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (§§ 27 bis 40 SGB XII) als auch die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (§§ 41 bis 43 SGB XII) sind nach § 19 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGB XII nur den Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, beschaffen können. Hierbei ist jeweils auch Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen.

Der monatliche Bedarf der Antragstellerin beträgt insgesamt 769,68 Euro und setzt sich aus dem Regelbedarf nach § 28 SGB XII in Höhe von monatlich 364,00 Euro sowie den Kosten der Unterkunft nach § 29 SGB XII in Höhe von monatlich 405,68 Euro zusammen. Die getrennt von ihrem Ehemann lebende Antragstellerin verfügt hingegen lediglich über ein monatliches Einkommen in Höhe von ca. 210,00 Euro, dass sich aus dem von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg gewährten Altersruhegeld in Höhe von monatlich 25,50 Euro (netto) sowie zwei russischen Renten in Höhe von insgesamt monatlich 7.811,72 Russischen Rubel (entspricht ca. 185,00 Euro, abhängig vom jeweiligen Wechselkurs) zusammensetzt. Die Antragstellerin ist damit nicht in der Lage, ihren monatlichen Bedarf zu decken und ihren Lebensunterhalt sicherzustellen.

Ob die Antragstellerin über Vermögen im Sinne des § 90 Abs. 1 SGB XII verfügt, das nach § 19 Abs. 1 und 2 SGB XII bei den hier begehrten Leistungen zu berücksichtigen wäre, ist äußerst zweifelhaft. Wie die umfangreichen, von der Antragstellerin erschwerten Ermittlungen des Antragsgegners ergeben haben, war sie neben ihrer Tochter und ihrem von ihr getrennt lebenden Ehegatten Eigentümerin eines Miteigentumsanteils von einem Drittel an der in St. P. gelegenen Wohnung "ul. S. Haus Wohnung ". Mit Schenkungsvertrag vom 12. Mai 2010 hat die Antragstellerin diesen Miteigentumsanteil auf ihre Enkeltochter übertragen. Grund hierfür war nach Angaben der Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 22. Juli 2011, dass sie nicht die Mittel habe, ihrer mit dem Miteigentumsanteil verbundenen Pflicht zur Tragung der Erhaltungskosten für die Wohnung nachzukommen. Seit der Übertragung des Miteigentumsanteiles an der in St. P. gelegenen Wohnung verfügt die Antragstellerin über kein Vermögen mehr.

Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass die Antragstellerin entsprechend § 528 BGB einen Rückforderungsanspruch gegen ihre Enkeltochter aus der am 12. Mai 2010 erfolgten Schenkung hat, der auf die Rückübertragung des Miteigentumsanteils gerichtet ist. Ob dieser Rückforderungsanspruch überhaupt als Vermögen i. S. d. § 90 Abs. 1 SGB XII zu verstehen ist, oder ob nicht erst bei Zufluss entsprechender Leistungen diese als Einkommen zu berücksichtigen wären, erscheint äußerst zweifelhaft (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 2. Februar 2010 - B 8 SO 21/08 R - (juris)). Weiterhin käme zur Geltendmachung des Rückforderungsanspruches nur eine Anfechtung des Schenkungsvertrages nach Artikel 170 Punkt 1 des russischen Zivilgesetzbuches aufgrund eingetretener Insolvenz in Betracht. Ob ein solcher in Russland gerichtlich geltend zu machender Anspruch auf Rückübertragung des Miteigentumsanteils an der in St. P. gelegenen Wohnung auf die Antragstellerin realisiert werden kann, erscheint äußerst fraglich. Der Antragsgegner hält es zur Realisierung des Rückforderungsanspruches für erforderlich, dass die Antragstellerin einer in Russland niedergelassenen Rechtsanwältin Vollmacht zur gerichtlichen Anfechtung des mit ihrer Enkeltochter geschlossenen Schenkungsvertrages erteilt. Dies wird von der Antragstellerin abgelehnt. Eine solche Pflicht zur Vollmachtserteilung dürfte zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestehen. Aus den §§ 60 bis 65 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I), die Regelungen zu den Mitwirkungspflichten eines Leistungsberechtigten enthalten, ist keine entsprechende Verpflichtung zu entnehmen. Auch aus der im Rahmen des Nachranggrundsatzes nach § 2 Abs. 1 SGB XII bestehenden Pflicht zur Selbsthilfe ("Sozialhilfe erhält nicht, wer sich selbst helfen kann") dürfte sich keine Verpflichtung der Antragstellerin ergeben, einer in Russland niedergelassenen Rechtsanwältin Vollmacht zur Führung eines gegen ihre Enkeltochter gerichteten Gerichtsverfahrens zu erteilen. Zwar besteht im Rahmen der Pflicht zur Selbsthilfe die Verpflichtung eines Leistungsberechtigten, realisierbare Ansprüche zu verfolgen. Dies gilt allerdings nur dann, soweit die Verfolgung des Anspruchs ihm zumutbar ist (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 29. September 1971 - V C 2/71 - BVerwGE 38, 307). Zudem ist § 2 SGB XII ohnehin keine isolierte Ausschlussnorm, sondern lässt lediglich im Zusammenhang mit ergänzenden bzw. konkretisierenden Vorschriften des SGB XII die Bedürftigkeit entfallen (BSG, Urteil vom 29. September 2009 - B 8 SO 23/08 R - (juris); Urteil vom 2. Februar 2010, a.a. O.). Eine gerichtliche Durchsetzung eines Rückforderungsanspruches vor einem russischen Gericht dürfte der Antragstellerin nicht zugemutet werden können (vgl. BSG, Urteil vom 29. September 2009, a. a. O., Rdnr. 25). Aufgrund der Bevollmächtigung einer in Russland niedergelassenen Rechtsanwältin würde die Antragstellerin Gefahr laufen, mit Kosten für die Führung des Rechtsstreits in Russland (Anwaltskosten, Gerichtskosten, Kosten der Gegenseite) belastet zu werden. Zwar hat ihr der Antragsgegner am 26. Juli 2011 mündlich zugesagt, "für einen Rechtsstreit in St. P. entstünden ihr keine Kosten". Ob diese Aussage dahingehend zu verstehen ist, dass sämtliche entstehenden Kosten von ihm übernommen werden, ist unklar. In jedem Fall handelt es sich bei dieser mündlichen Zusage um keine verbindliche (schriftliche) Zusicherung (vgl. § 34 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch), auf die sich die Antragstellerin berufen könnte. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt dürfte ihr schon aus diesem Grund die Bevollmächtigung einer in Russland niedergelassenen Rechtsanwältin zur Führung eines Gerichtsverfahrens nicht zumutbar sein. Gegen die Zumutbarkeit dürfte weiter die Tatsache sprechen, dass die Antragstellerin ein Gerichtsverfahren gegen ihre Enkeltochter führen müsste, was nach ihren durchaus nachvollziehbaren Angaben zu einer tiefgreifenden Zerrüttung der familiären Verhältnisse führen dürfte. Zudem dürfte einer Verpflichtung der Antragstellerin zur Führung eines Gerichtsprozesses gegen ihre Enkeltochter in Russland die dem Antragsgegner zustehende Möglichkeit der Überleitung eines etwaigen Rückforderungsanspruches nach § 93 SGB XII entgegenstehen. Hat eine leistungsberechtigte Person einen Anspruch gegen einen anderen, der kein Leistungsträger im Sinne des § 12 SGB I ist, kann der Träger der Sozialhilfe nach § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht. Mit dieser Überleitungsanzeige könnte der Antragsgegner erreichen, dass er selbst Ansprüche gegen die Enkeltochter der Antragstellerin auf Rückübertragung des Miteigentumsanteiles geltend machen kann. Die Antragstellerin müsste in diesem Fall keinen Prozess gegen ihre Enkeltochter führen. Soweit der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren vorgetragen hat, eine Überleitung des Rückübertragungsanspruchs nach § 93 SGB XII sei nach Sachlage nicht möglich, ist dies mangels substantiierten Vorbringens ebenso wenig belegt wie die Aussage, die Überleitung sei nicht das geeignete Mittel, da eine solche von den russischen Behörden nicht anerkannt würde. Ob die Überleitungsanzeige letztendlich eine erfolgversprechende Möglichkeit für den Antragsgegner darstellt, einen Rückforderungsanspruch, gerichtet auf die Rückübertragung des Miteigentumsanteils auf die Antragstellerin, in Russland gerichtlich durchzusetzen, kann im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht geklärt werden. Der Antragstellerin dürfte es somit nicht zumutbar sein, einen etwaigen gegenüber ihrer Enkeltochter bestehenden Rückforderungsanspruch im Gerichtswege in Russland geltend zu machen.

Wie oben dargestellt geht der Antragsgegner davon aus, dass der Rückforderungsanspruch auf die Rückübertragung des Miteigentumsanteils auf die Antragstellerin gerichtet ist. Da dem Rückübertragungsanspruch als solchem kein Vermögenswert zukommen dürfte (BSG, Urteil vom 2. Februar 2010, a. a. O.), dürfte allenfalls dem auf die Antragstellerin zurückübertragenen Miteigentumsanteil Vermögenswert zukommen, falls dieser verwertbar sein sollte. Dies zeigt § 90 Abs. 1 SGB XII, wonach (nur) das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen ist. Nach telefonischer Auskunft von Rechtsanwältin Steinberg am 19. Juli 2011 gegenüber dem Antragsgegner kann zwar der an die Enkeltochter übertragene Miteigentumsanteil auch einzeln veräußert werden. Aus dem vom Antragsgegner vorgelegten Gutachten der Vereinigung von Gesellschaften zur Erstellung von Wertgutachten für Immobilien vom 16. August 2011 ist ferner zu ersehen, dass der Wert eines Drittel-Anteils an der in St. P. befindlichen Wohnung ca. 1.200.000,00 Russische Rubel, entspricht ca. 28.000,00 Euro, beträgt. Aufgrund dieses Gutachtens geht der Senat davon aus, dass der Miteigentumsanteil an der in St. P. befindlichen Wohnung durchaus einen Marktwert besitzt und wirtschaftlich verwertet werden kann. Allerdings ist bislang unklar, ob und wie der Miteigentumsanteil nach russischem Recht verwertet werden kann. Unklar ist insbesondere, ob eine Veräußerung des Miteigentumsanteils erst nach Zustimmung der anderen Miteigentümer erfolgen kann. Sollte dies der Fall sein, ist aufgrund des Vorbringens der Antragstellerin davon auszugehen, dass jedenfalls ihre Tochter einer Veräußerung des Miteigentumsanteils nicht zustimmen wird. Ob bei Verweigerung der erforderlichen Zustimmung diese in einem Gerichtsverfahren ersetzt werden kann, erschließt sich dem Senat ebenfalls nicht. Soweit das SG in seinem Beschluss ausführt, ein Einverständnis der übrigen Miteigentümer dürfte entbehrlich sein, ist diese Auffassung nicht belegt.

Selbst wenn die Anfechtung des Schenkungsvertrages erfolgreich sein sollte und nach Rückübertragung des Miteigentumsanteils auf die Antragstellerin dieser veräußert werden könnte, benötigt das gesamte Verfahren sicherlich erhebliche Zeit. In dieser Zeit verfügt die Antragstellerin jedoch über keine Mittel, um ihren Lebensunterhalt sicherzustellen. Sie ist daher auf die Hilfe des Sozialhilfeträgers angewiesen.

Einem Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung steht nach Auffassung des Antragsgegners § 41 Abs. 4 SGB XII entgegen, wonach keinen Anspruch auf Leistungen nach diesem Kapitel hat, wer in den letzten 10 Jahren die Bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Ob diese negative Anspruchsvoraussetzung (Niewald in LPK-SGB XII, 8. Auflage, § 41 Rdnr. 18) vorliegend gegeben ist, unterliegt im Hinblick auf die hierfür erforderliche Kausalität zwischen dem Verhalten des Leistungsberechtigten und seiner hierdurch eingetretenen Bedürftigkeit (W. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage, § 41 SGB XII Rdnr. 31; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Auflage, § 41 Rdnr. 28), für die der Träger der Sozialhilfe die Beweislast trägt (W. Schellhorn, a. a. O.), durchaus Zweifeln. Diese Zweifel ergeben sich aus der oben bereits dargestellten Unklarheit, ob und wie Miteigentumsanteile nach russischem Recht übertragen werden können, insbesondere ob es hierzu der Zustimmung der übrigen Miteigentümer bedarf und wie - bejahendenfalls - eine verweigerte Zustimmung ersetzt werden kann. Im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bedarf es keiner abschließenden Klärung, ob dem Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung § 41 Abs. 4 SGB XII entgegensteht. Eine Klärung hat vielmehr in dem gegen den Bescheid vom 8. Juli 2011 gerichteten Widerspruchsverfahren, evtl. in einem daran anschließenden Klageverfahren zu erfolgen. In jedem Fall hat die Antragstellerin vorliegend Anspruch auf Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (vgl. W. Schellhorn, a. a. O., Rdnr. 32; Niewald, a. a. O., Rdnr. 18). Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe und Umfang deckungsgleich mit den Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sind, wie aus § 42 SGB XII zu ersehen ist.

Entgegen der Ansicht des SG ist vorliegend auch der für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erforderliche Anordnungsgrund gegeben. Die Antragstellerin verfügt - wie ausgeführt - über keine ausreichenden finanziellen Mittel, um ihren Lebensunterhalt sicherzustellen. Ihr droht daher erneut - wie bereits am 19. Juli 2011 erfolgt - die fristlose Kündigung ihres Mietverhältnisses aufgrund von Mietrückständen. Das SG hat die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes unter Hinweis auf das Angebot des Antragsgegners, der Antragstellerin Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII zu gewähren, verneint. Hierbei hat das SG jedoch übersehen, dass dieses Angebot, mit der Auflage versehen war, den Miteigentumsanteil an der Wohnung in St. P. zurückzuverlangen. Wie oben dargestellt bestehen jedoch erhebliche Zweifel daran, dass der Antragstellerin ein gerichtliches Vorgehen gegen ihre Enkeltochter in Russland zur Geltendmachung ihres Rückforderungsanspruches zugemutet werden kann.

Im Rahmen des ihm bei seiner Entscheidung eingeräumten Ermessens (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 938 Abs. 1 ZPO) hält es der Senat unter Berücksichtigung der Interessen der Antragstellerin und des Antragsgegners für erforderlich, aber auch für ausreichend, die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen bis zum 31. Januar 2012, längstens jedoch bis zum bestandskräftigen Abschluss des gegen den Bescheid vom 8. Juli 2011 gerichteten Widerspruchsverfahrens zu begrenzen. Die Antragstellerin erhält in diesem Zeitraum die zur Sicherstellung des Lebensunterhalts erforderlichen Leistungen. Für den Antragsgegner besteht in diesem Zeitraum ausreichend Gelegenheit zur Prüfung, ob beispielsweise eine verbindliche Zusicherung zur Übernahme aller mit einem Gerichtsverfahren in Russland verbundenen Kosten oder die Abgabe einer Überleitungsanzeige nach § 93 SGB XII als (erfolgversprechende) Maßnahmen zur gerichtlichen Geltendmachung eines etwaigen Rückforderungsanspruches aus der Schenkung ergriffen werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).

Der Antragstellerin war für das Beschwerdeverfahren gemäß § 73a Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 114, 115 und 121 Abs. 2 ZPO ab 12. September 2011 nach Vorliegen der vollständigen Unterlagen Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung unter Beiordnung von Rechtsanwalt K., F., zu bewilligen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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