L 8 R 733/11 B ER RG

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 29 R 190/11 ER
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 733/11 B ER RG
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Anhörungsrüge des Antragstellers gegen den Beschluss des Senats vom 13.7.2011 wird als unzulässig verworfen. Der Antragsteller trägt auch die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrte in einem Verfahren auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 1.10.2010 gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 20.9.2010, mit dem diese die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zuzüglich Säumniszuschläge in Höhe von 86.134,41 Euro verlangt. Der Antragsteller habe auf Zahlungen an seine Lebensgefährtin keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet, obwohl es sich dabei um Arbeitsentgelt gehandelt habe.

Dem Begehren des Antragstellers hat das Sozialgericht (SG) Duisburg entsprochen (Beschluss v. 14.3.2011). Das SG hat die Auffassung vertreten, die Antragsgegnerin habe die Voraussetzungen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nur unzureichend ermittelt. Es sei bereits zweifelhaft, ob sie überhaupt für den Antragsteller tätig geworden sei. Daher stelle die Vollziehung des Beitragsbescheides für den Antragsteller auch eine unzumutbare Härte dar.

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hat der Senat den Beschluss des SG geändert und den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt (Beschluss v. 13.7.2011, L 8 R 290/11 B ER, veröffentlicht in juris und sozialgerichtsbarkeit.de). Der Senat ist u.a. dem Vortrag des Antragstellers nicht gefolgt, er habe mit den geleisteten Zahlungen Unterhaltsverbindlichkeiten gegenüber seiner Lebensgefährtin erfüllen wollen. Bereits die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs seien nicht dargelegt. Demgegenüber sei es von erheblichem Gewicht, dass der Antragsteller noch im Anhörungsverfahren den Sachverhalt völlig anders dargestellt und ausgeführt habe, seine Lebensgefährtin habe das Entgelt für Arbeitsleistung und sonstige Gefälligkeiten erhalten. Der Senat hat es darüber hinaus nicht als glaubhaft gemacht angesehen, dass mit der Vollziehung des angefochtenen Bescheides eine besondere Härte für den Antragsteller verbunden sei. Denn dieser habe schon nicht glaubhaft gemacht, dass er außerstande sei, den geforderten Betrag zu begleichen. Er habe lediglich behauptet, dass er bei Beitreiben der Forderung gezwungen sei, die eidesstattliche Versicherung abzugeben, hierzu jedoch keinerlei Anknüpfungstatsachen vorgetragen.

Gegen den Beschluss, der ihm am Samstag, dem 16.7.2011 zugestellt worden ist, hat der Antragsteller am 1.8.2011 Anhörungsrüge erhoben. Er trägt vor: Der offensichtlichste Fehler der Entscheidung und die wesentlichste Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör stelle der Umstand dar, dass der Senat den Sachverhalt trotz umfänglichen, eidesstattlich versicherten Vortrags insgesamt missverstanden habe. Der Senat habe sein rechtliches Gehör auch dadurch verletzt, dass er den Unterhaltsanspruch seiner Lebensgefährtin aufgrund überzogener Anforderungen an die Substantiierungspflicht als nicht glaubhaft gemacht angesehen habe, ohne ihm zuvor einen entsprechenden Hinweis zu erteilen. Schließlich liege eine Verletzung rechtlichen Gehörs darin, dass der Senat im Gegensatz zum SG eine unbillige Härte durch die Vollziehung des Beitragsbescheides als nicht gegeben angesehen habe, ohne ihm, dem Antragsteller, zuvor Gelegenheit zu geben, seine finanzielle Situation darzustellen und glaubhaft zu machen.

II.

Die Anhörungsrüge ist unzulässig.

Für die Zulässigkeit einer Anhörungsrüge ist erforderlich, dass ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die angegriffene Entscheidung nicht gegeben ist (§ 178a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), dass die Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis einer Verletzung des rechtlichen Gehörs erhoben (§ 178a Abs. 2 Satz 1 SGG) und dass das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Gehörsverletzung dargelegt wird (§ 178a Abs. 2 Satz 5 SGG). Die ersten beiden Voraussetzungen sind hinsichtlich der vom Antragsteller erhobenen Anhörungsrüge erfüllt, welche er auf die Erwägungen des Senats in den Gründen des ihm am 16.7.2011 bekannt gewordenen Beschlusses über die Ablehnung seines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz stützt. Anders verhält es sich mit der dritten Voraussetzung; denn der Kläger hat mit seinem Vorbringen die Möglichkeit einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz [GG], § 62 SGG) durch diesen Beschluss nicht hinreichend dargetan.

Art 103 Abs. 1 GG verpflichtet ebenso wie § 62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (BSG, Beschluss v. 11.9.2009, B 6 KA 1/09 C; Beschluss v. 4.3.2009, B 4 AS 1/09 C). Art. 103 Abs. 1 GG begründet demgegenüber keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts (vgl. zum Folgenden BSG, Urteil v. 2.9.2009, B 6 KA 44/08 R, SozR 4-2500 § 103 Nr. 6 mit umfangreichen Nachweisen auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Auch der in § 62 SGG verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht nicht generell, darauf hinzuweisen, dass es einem bestimmten rechtlichen oder tatsächlichen Vorbringen eines Beteiligten nicht folgen will. Prozessbeteiligte - insbesondere anwaltlich vertretene - müssen grundsätzlich von sich aus alle vertretbaren Gesichtspunkte in Betracht ziehen und sich in ihrem Vortrag darauf einstellen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll lediglich verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten. Die für die Zulässigkeit des außerordentlichen Rechtsbehelfs einer Anhörungsrüge erforderliche Darlegung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör muss diesen Gehalt des Gebots berücksichtigen; es bedarf mithin einer in sich schlüssigen Darstellung, dass trotz der genannten Grenzen des Prozessgrundrechts eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise vorliegt. Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Antragstellers nicht gerecht.

Der Antragsteller macht zunächst geltend, der Senat habe den entscheidungserheblichen Sachverhalt trotz umfangreichen, eidesstattlich versicherten Sachvortrags missverstanden. Mit diesen Ausführungen hat er keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör dargetan. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte nicht, der Rechtsansicht oder dem Tatsachenvortrag eines Prozessbeteiligten zu folgen. Vielmehr entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§§ 128 Abs. 1, 142 Abs. 1 SGG). Die Behauptung, eine richterliche Entscheidung sei - am einfachen Recht gemessen - objektiv fehlerhaft, vermag deshalb grundsätzlich keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu begründen. Denn das Verfahren der Anhörungsrüge dient nicht dazu, das Gericht unabhängig vom Vorliegen eines Gehörsverstoßes zur Überprüfung einer für den Beteiligten ungünstigen rechtlichen Beurteilung zu veranlassen. Genau hierauf zielt der Vortrag des Antragstellers indessen ab.

Ebenso wenig hat der Antragsteller eine Verletzung des rechtlichen Gehörs schlüssig dargelegt, soweit er sich auf die Voraussetzungen des - von ihm vorgetragenen - Unterhaltsanspruchs seiner Lebensgefährtin bezieht. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 13.7.2011 ausgeführt, warum er den Vortrag des Antragstellers, dieser habe seiner Lebensgefährtin Unterhalt statt Arbeitsentgelt geleistet, wegen widersprüchlicher Angaben nicht für glaubhaft gemacht hält. Auf das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs kommt es daher nicht tragend an.

Die Gehörsrüge ist schließlich auch nicht schlüssig erhoben, soweit der Antragsteller eine unbillige Härte der Vollziehung des Beitragsbescheides geltend macht. Insofern verkennt der Antragsteller den Gehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Für einen anwaltlich vertretenen Beteiligten versteht es sich von selbst, dass der Vortrag, im Falle einer Vollstreckung die eidesstattliche Versicherung abgeben zu müssen, nicht ausreicht, um eine unbillige Härte der Vollziehung des Beitragsbescheides darzulegen. Denn die eidesstattliche Versicherung setzt als Vollstreckungsinstrument des Gläubigers (§ 900 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung [ZPO]) lediglich voraus, dass dessen Forderung durch eine Pfändung (voraussichtlich) nicht in vollem Umfang befriedigt werden kann (§ 807 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO). Dies ist nicht gleich bedeutend mit einer besonderen Härte der Vollstreckung für den Schuldner. Vielmehr bedarf es hierzu der Darlegung konkreter Tatsachen, aus denen das Gericht sich selbst einen zuverlässigen Eindruck von der Einkommens- und Vermögenslage des Antragstellers verschaffen kann (vgl. hierzu bereits die veröffentlichten Senatsbeschlüsse v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, und v. 21.5.2010, L 8 R 213/10 B ER, sowie der vom SG in seiner Entscheidung zitierte Beschluss v. 24.6.2009, L 8 B 4/09 R ER, jeweils juris und sozialgerichtsbarkeit.de). Der Antragsteller hat nicht schlüssig dargelegt, aus welchen Gründen sein Vortrag ohne rechtlichen Hinweis des Senates hinter diesen Anforderungen zurückbleiben durfte. Zu Unrecht bezieht er sich insoweit auf den Beschluss des SG. Denn dieses hat für seine Beurteilung, die Vollziehung des angefochtenen Bescheides stelle für ihn eine unzumutbare Härte dar, nicht in erster Linie auf die finanziellen Verhältnisse des Antragstellers, sondern auf die seiner Ansicht nach unzureichende Sachaufklärung seitens der Antragsgegnerin abgestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung eines gesonderten Streitwerts für das Anhörungsrügeverfahren ist entbehrlich, da als Gerichtsgebühr ein fester Betrag anfällt, der nicht nach dem Streitwert bemessen wird (Nr. 7400 des Kostenverzeichnisses - Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 178a Abs. 4 Satz 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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