L 9 R 5671/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 R 1124/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 5671/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. November 2010 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Altersrente. Streitig ist zunächst, ob die Berufung fristgemäß eingelegt wurde und zulässig ist.

Der 1941 geborene griechische Kläger war ausweislich der Versicherungskarten der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hannover Nr. 1 bis Nr. 3 vom 18.3.1964 bis 31.12.1970 und ausweislich der Ersatz-Versicherungskarte Nr. 4, ausgestellt von der LVA Württemberg (heute Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg - Beklagte) am 8.12.1972, vom 1.1.1971 bis 31.12.1972 sowie ausweislich des Gesamtkontospiegels vom 28.3.2007 auch vom 1.1.1973 bis 30.9.1975 (mit geringen Unterbrechungen) versicherungspflichtig in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt.

Auf den Versicherungskarten Nr. 1 bis Nr. 4 finden sich unterschriebene Vermerke der LVA Württemberg vom 15.12.1975, wonach die Beiträge gemäß § 1303 Reichsversicherungsordnung (RVO) erstattet wurden; auch sind die Beiträge als ungültig abgestempelt. Ausweislich des Gesamtkontospiegels vom 28.3.2007 lag der Beitragserstattung ein Antrag vom 31.10.1975 zu Grunde. Die Beitragserstattung erfolgte danach mit Bescheid vom 28.1.1976 und umfasste die Zeit vom 18.3.1964 bis 30.9.1975. Der Erstattungsbetrag belief sich auf DM 15.264,50.

Mit Schreiben vom 22.3.2007 wandte sich der Kläger an die Beklagte und machte geltend, er sei von 1964 bis Juli 1975 in Deutschland beschäftigt gewesen.

Die Beklagte wertete das Schreiben des Klägers als Rentenantrag und lehnte mit Bescheid vom 28.3.2007 diesen Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, die Beiträge für die in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegten anrechenbaren Zeiten vom 18.3.1964 bis 30.9.1975 seien dem Kläger mit Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (damals LVA Württemberg) vom 28.1.1976 gem. § 1303 Abs. 1 RVO (Reichsversicherungsordnung), § 210 SGB VI (Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch) erstattet worden. Die Beitragserstattung schließe alle weiteren Ansprüche aus den erstatteten Beiträgen aus. Auf die Wartezeit anrechenbare Zeiten seien somit nicht vorhanden.

Hiergegen legte der Kläger am 1.6.2007 Widerspruch ein und erklärte, er habe niemals irgendwelche Dokumente oder Auszahlungen aus seiner Rentenversicherung erhalten, wie die Beklagte im Bescheid vom 28.3.2007 behaupte.

Die Beklagte zog daraufhin die Versicherungskarten Nr. 1 bis Nr. 4 sowie die Durchschrift zur Sammelüberweisung von Beitragsüberweisungen nach Griechenland bei. Daraus ist zu entnehmen, dass die LVA Württemberg die Landessparkasse Girokasse beauftragt hat, für 40 namentlich genannte Begünstigte auf die C. A. einen Betrag von DM 241.426,10 zu überweisen, darunter einen Betrag von DM 15.264,50 für D. S., T.-T. Mit Widerspruchsbescheid vom 7.1.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 8.2.2008 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben, mit der er die Gewährung von Altersrente weiter verfolgt hat. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe weder einen Bescheid vom 28.1.1976 noch einen Erstattungsbetrag erhalten. Der Beklagten obliege es nachzuweisen, dass die Beiträge tatsächlich erstattet worden seien. Die Vermerke in den Beklagten-Akten über die Beitragserstattung belegten nicht die tatsächliche Auszahlung.

Mit Gerichtsbescheid vom 4.11.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Tatbestandsvoraussetzungen der Beitragserstattung nach § 1303 Abs. 1 RVO seien erfüllt. Das SG sei davon überzeugt, dass der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Beitragserstattung gestellt habe. Diese Überzeugung stütze es auf den im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Gesamtkontospiegel der Beklagten vom 28.3.2007. Das SG sei ferner davon überzeugt, dass der Kläger den Erstattungsbetrag in Höhe von DM 15.264,50 tatsächlich erhalten habe. Die Durchführung der Beitragserstattung sei durch die im Versicherungskonto gespeicherten Daten, die mit Erstattungsvermerk versehenen und ungültig gestempelten Versicherungskarten der LVA H. und durch die Kassenunterlagen vom 17.2.1976 über die Anweisung des Erstattungsbetrages in Höhe von DM 15.264,50 für den durch Name, Wohnsitz und Versicherungsnummer ausgewiesenen Kläger an die C. nachgewiesen. Dieser Sachverhalt deute nach der Lebenserfahrung darauf hin, dass die Beitragserstattung dem Kläger auch tatsächlich zugegangen sei. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen. Der Gerichtsbescheid ist dem Bevollmächtigten des Klägers, einem im Inland - U. - ansässigen Rechtsanwalt am 8.11.2010 zugestellt worden.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Schreiben vom 9.12.2010, eingegangen beim Landessozialgericht (LSG) Stuttgart am 13.12.2010, Berufung eingelegt und zugleich vorgetragen, der Gerichtsbescheid sei zwar am 8.11.2010 ausgestellt worden, aber erst am 12.11.2010 in Griechenland angekommen. Er verlange, dass die Beklagte ihm mit seiner Unterschrift beweise, dass er die Beitragserstattung erhalten habe. Ansonsten sei sie verpflichtet, ihm die Altersrente zu gewähren.

Nach Hinweis des Senats, dass die Berufung nicht fristgemäß eingelegt worden sei, hat der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines Vortrags erklärt, er nehme die Berufung nicht zurück und bitte in der Sache zu entscheiden. Am 24.10.2011 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und vorgetragen, er sei griechischer Staatsangehöriger und in Griechenland wohnhaft. Sein Bevollmächtigter habe ihm den Gerichtsbescheid mit Schreiben vom 9.11.2010 übersandt und er habe diesen am 12.10.2010 erhalten. Nachdem er der deutschen Sprache nicht mächtig sei, habe er den Gerichtsbescheid ordnungsgemäß übersetzen lassen, wobei er ein Dolmetscherbüro mit der Übersetzung beauftragt habe. Diese habe einige Zeit in Anspruch genommen. Unmittelbar nach der Übersetzung habe er über das Dolmetscherbüro am 9.12.2010, nur einen Tag nach Fristablauf, die Berufung eingelegt. Ein Verschulden sei ihm deswegen nicht vorzuwerfen.

Der Kläger beantragt,

unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. November 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Altersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.

Sie erwidert, die Berufung sei nicht fristgemäß eingelegt worden. Aus der Berufungsbegründung ergäben sich auch keine neuen Gesichtspunkte, so dass eine Änderung ihres bisherigen Standpunktes nicht gerechtfertigt sei.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unzulässig, weil sie verspätet eingelegt worden ist.

Gem. § 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt ist.

Gem. § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung beim LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bzw. Gerichtsbescheids schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim SG eingelegt wird (§ 151 Abs. 2 Satz 1 SGG). Bei Zustellung im Ausland beträgt die Frist gem. §§ 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG drei Monate. Es gilt die Ein-Monats-Frist und nicht die Drei-Monate-Frist, wenn die angefochtene Entscheidung eines im Ausland lebenden Beteiligten seinem Prozessbevollmächtigten im Inland zugestellt wurde. Die Berufungsfrist gem. § 151 Abs. 1 SGG ist hier versäumt.

Die Berechnung der Berufungsfrist richtet sich nach § 64 SGG. Die Frist beginnt mit dem Tage nach der Zustellung (des Gerichtsbescheids) zu laufen (§ 64 Abs. 1 SGG) und endet mit dem Ablauf desjenigen Tages, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt (§ 64 Abs. 2 SGG). Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (§ 64 Abs. 3 SGG).

Der angefochtene Gerichtsbescheid enthält eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung. Sowohl die Frist für die Berufung, die Form der Berufungseinlegung und die Stellen, bei denen die Berufung eingelegt werden kann, sind zutreffend benannt (§ 66 Abs. 1 SGG).

Da der Gerichtsbescheid dem im Inland ansässigen Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt worden ist, ist zutreffend die Berufungsfrist mit einem Monat angegeben worden (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Aufl. § 151 Anm. 6).

Der Gerichtsbescheid des SG vom 4.11.2010 ist dem im Inland ansässigen Bevollmächtigten des Klägers am 8.11.2010 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Nach § 64 Abs. 2 SGG hat der Lauf der Berufungsfrist mit dem Tage nach der Zustellung, also am 9.11.2010, begonnen und endete nach § 64 Abs. 2 SGG mit Ablauf des 8.12.2010 (Mittwoch). Die im Gerichtsbescheid enthaltene Rechtsmittelbelehrung ist vollständig und weist insbesondere auf die Monatsfrist des § 151 SGG hin. Die am 13.12.2010 beim LSG eingegangene Berufung ist daher verspätet eingelegt worden. Unerheblich hierfür ist auch, dass der Kläger den Gerichtsbescheid von seinem Bevollmächtigten nach seinen Angaben erst am 12.11.2010 in Griechenland erhalten hat.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 67 Abs. 1 SGG. Nach dieser Vorschrift ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 67 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Tatsachen zur Begründung der Wiedereinsetzung sollen glaubhaft gemacht werden (§ 67 Abs. 2 Satz 2 SGG). Unabhängig davon, dass der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers, dem die Versäumung der Berufungsfrist bereits mit Verfügung vom 27.12.2010 mitgeteilt wurde, erst am 24.10.2011 und damit nicht binnen Monatsfrist (§ 67 Abs. 2 Satz 1 SGG) gestellt worden ist, war der Kläger jedenfalls nicht ohne Verschulden gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten.

Die Berufungsfrist ist nur dann ohne Verschulden nicht eingehalten, wenn diejenige Sorgfalt angewandt wird, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist, so dass auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft Prozessführenden die Versäumnis der Verfahrensfrist nicht vermeidbar gewesen ist (BSG, Urteil vom 27.5.2008 - B 2 U 5/07 R in SozR 4-1500 § 67 Nr. 7 und in Juris, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Auflage § 67 Rn. 3 m.w.N.).

Ausgehend hiervon hat der Kläger keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sollte der Kläger den Gerichtsbescheid bzw. die Rechtsmittelbelehrung nicht verstanden haben - obwohl er über Deutschkenntnisse verfügt, wie der Senat am 25.10.2011 feststellen konnte, als sich der Kläger bereit erklärte, in einem vorhergehenden Verfahren einer griechischen Klägerin (9:30 Uhr) als Dolmetscher zu fungieren -, so hätte er sich bezüglich der einzuleitenden Schritte bei dem ihn im erstinstanzlichen Verfahren vertretenen Rechtsanwalt informieren können, der ihm den Gerichtsbescheid zugesandt und nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 25.10.2011 auch über die Berufungsfrist unterrichtet hat.

Darüber hinaus war es Sache des Klägers, sich umgehend eine Übersetzung zu besorgen und dafür Sorge zu tragen, dass er sie umgehend erhält bzw. ihm vorab der wesentliche Inhalt des Gerichtsbescheids mitgeteilt wird. Wenn sich der Kläger wegen der Einlegung der Berufung nicht an seinen bevollmächtigten Rechtsanwalt aus erster Instanz, sondern - bei schon verzögerter Übersetzung - an ein Dolmetscherinstitut in Griechenland wendet, war er nicht ohne Verschulden gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten. Darüber hinaus hat er nicht einmal substantiiert vorgetragen, an welchem Tag er welches Dolmetscherinstitut mit der Übersetzung beauftragt hat, was er angesichts einer länger dauernden Übersetzung unternommen hat, um gegebenenfalls vorliegende - und bei gerichtlichen Entscheidungen zu erwartende - Fristen einzuhalten und wann er das Dolmetscherinstitut mit der Fertigung der Berufungsschrift beauftragt hat. Eine Glaubhaftmachung ist erst recht nicht erfolgt.

Der vorliegende Sachverhalt ist auch nicht mit den Sachverhalten vergleichbar, die den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs - BGH - (Beschluss vom 14.7.1981-1 StR 815/80 - NJW 1982, 532) und des Bayerischen Oberlandesgerichts - BayOLG - (Beschluss vom 23.12.1986 - BReg 3 Z 179/86 in MDR 1987, 416) zu Grunde lagen, bei denen die Rechtsmittelschriften in fremder Sprache jeweils rechtzeitig eingingen, die Übersetzung aber verspätet nachgereicht wurde.

Die mit dem unbegründeten Wiedereinsetzungsantrag verbundene Berufung war deshalb als unzulässig zu verwerfen. Unabhängig davon ist auch nicht erkennbar, dass der Gerichtsbescheid des SG in der Sache zu beanstanden sein könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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