Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 2 R 234/07 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 884/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 107/11 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Fortgeltung des Abkommens vom 12.10.1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der sozialistischen Förderation Republik Jugoslawien über soziale Sicherheit (Abk. Jugoslawisches. Soz. Sich) in der Republik Kosovo.
I. Auf die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 15. Oktober 2008 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 6. Dezember 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2007 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger die zur Deutschen Rentenversicherung geleisteten Arbeitnehmerbeiträge zu erstatten hat.
Der 1967 an seinem jetzigen Wohnort in der Republik Kosovo geborene Kläger und Berufungsbeklagter war ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 09.02.2007 in der Zeit vom 05.08.1991 bis 31.12.1999 - mit Unterbrechungen - in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Insgesamt sind hierfür 82 Monate an Pflichtbeiträgen im Versicherungskonto gespeichert.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 06.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2007 lehnte die Beklagte und Berufungsklägerin den Antrag vom 03.07.2006 auf Erstattung der zur gesetzlichen Rentenversicherung geleisteten Beiträge im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Kläger sei zur freiwilligen Versicherung nach deutschen Rechtsvorschriften berechtigt. Denn er sei Staatsangehöriger von Serbien und habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Kosovo, damit staatsrechtlich noch im Hoheitsgebiet von Serbien, so dass er nach Art.3 Abs.1 des Abkommens Jugoslawien SozSich einem deutschen Staatsangehörigen hinsichtlich der Berechtigung zur freiwilligen Versicherung gleichgestellt sei.
Gegen diese Ablehnung erhob der Kläger - vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten - ohne weitere Begründung am 20.02.2007 Klage zum Sozialgericht Landshut (SG).
Das SG hat mit Schreiben vom 11.03.2008 die Beklagte um Stellungnahme gebeten, ob der Klage abgeholfen werden könne, da der Kosovo mittlerweile selbständig sei und ein Sozialversicherungsabkommen nicht bestehe. Mit weiteren Schreiben vom 13.02.2008 hat das SG die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört. Mit Gerichtsbescheid vom 15.10.2008 hat das SG die angefochtene Verwaltungsentscheidung "abgeändert" und die Beklagte dazu verurteilt, die in der Zeit vom 05.08.1991 bis 31.12.1999 geleisteten Beiträge zu erstatten sowie die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu übernehmen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass aufgrund der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17.02.2008 und der Anerkennung seitens der Bundesrepublik Deutschland am 20.02.2008 als eigenständiger Staat das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen vom 12.10.1968 nicht mehr angewandt werden könne. Ein Recht zur freiwilligen Beitragsleistung in die deutsche Rentenversicherung bestehe damit nicht mehr. Der Gerichtsbescheid ist den Beteiligten jeweils am 20.10.2008 zugestellt worden.
Die hiergegen am 17.11.2008 beim Bayer. LSG eingelegte Berufung hat die Beklagte und Berufungsklägerin (am 21.07.2009) im Wesentlichen damit begründet, dass nach einheitlicher Rechtsauslegung der deutschen Rentenversicherung das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen vom 12.10.1968 weiterhin auch im Verhältnis zu dem nunmehr unabhängigen Staat Kosovo Anwendung finde. Grundlage der Feststellung sei eine entsprechende Entscheidung durch das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die auf der von der Bundesregierung vertretenen Auffassung beruhe, dass der Staat Kosovo infolge einer Staatensukzession in die Rechte und Pflichten der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien eingetreten sei. Damit habe der Kläger (gemäß § 7 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch - SGB VI) das Recht zur freiwilligen Versicherung, das den Anspruch auf Beitragserstattung gemäß § 210 Abs.1 Nr.1 SGB VI ausschließe.
Auf Anfrage des erkennenden Senats hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 21.04.2010 ergänzend ausgeführt, eine offizielle Verlautbarung des "kosovarischen Arbeitsministeriums" zur Anwendung des deutsch/jugoslawischen Abkommens gebe es ihrer Erkenntnis nach nicht. Der Senat hat mit Schreiben vom 08.06.2010 an das Sozialministerium und an den Sozialversicherungsträger im Kosovo Anfragen zur weiteren Anwendung des deutsch/jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens gerichtet. Nach erneuter Rückfrage vom 31.03.2011 an die Botschaft in P. hat der Leiter des dortigen Rechts- und Konsularreferats zunächst angekündigt, dass sich die Bundesregierung bemühe, auch die Anwendung des Abkommens von Oktober 1968 über Soziale Sicherheit durch das völkerrechtliche Instrument des Verbalnoten-Wechsels fortzuschreiben. Mit Verbalnote vom 10.06.2011 schließlich hat das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland mitgeteilt, dass die Regierung der Bundesrepublik Deutschland mit den Vorschlägen der Regierung der Republik Kosovo (ebenfalls vom 10.06.2011) einverstanden sei: Nach Ziffer 1 der Verbalnote gelten die in der Anlage 1 zum Notenwechsel aufgeführten Übereinkünfte zwischen der Republik Kosovo und der Bundesrepublik Deutschland fort; demgemäß auch das Abkommen vom 12.10.1968 über Soziale Sicherheit (vgl. Anlage 1 Nr.6 zur Verbalnote), unter der Maßgabe, dass sich beide Seiten hinsichtlich der konkreten Durchführung des Abkommens weiter konsultieren würden.
Die Berufungsklägerin macht geltend, hierdurch dürfte "den Zweifeln an der Weitergeltung des deutsch-jugoslawischen Abkommens im Verhältnis zum Kosovo die Grundlage entzogen sein".
Die Berufungsklägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 15.10.2008 aufzuheben und die Klage gegen ihren Bescheid vom 06.12.2006 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 14.02.2007 abzuweisen.
Der Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Gerichtsentscheidung nach wie vor für zutreffend und macht geltend, aus der Formulierung der Verbalnote ergebe sich, dass es sich hierbei um einen reinen Vorschlag und nicht um eine völkerrechtlich wirksame Vereinbarung handele.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie auf den Inhalt der Akten des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz
- SGG) ist auch im Übrigen zulässig und sachlich begründet. Denn entgegen der Entscheidung des SG ist der Kläger gemäß §§ 7, 232 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch, SGB VI i.V.m. Art.3 Abs.1 des Abkommens vom 12.10.1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit (Abk Jugoslawien SozSich) auch weiterhin zur freiwilligen Versicherung berechtigt, so dass ihm gemäß § 210 Abs.1 Nrn.1 und 2, Abs.2 und Abs.3 Satz 1 SGB VI in der zum Antragszeitpunkt maßgebenden Fassung Beiträge nicht erstattet werden.
Keinesfalls war es hier angezeigt, dass das SG ohne mündliche Verhandlung und ohne ehrenamtliche Richter durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Denn eine einfache Rechtsfrage im Sinne des § 105 SGG, die eine entsprechende Entscheidung ermöglicht hätte, war hier nicht zu entscheiden. Dieser Verfahrensfehler hat gleichwohl keine Zurückverweisung an das SG zur Folge, da der Senat in der Sache umfassend entscheiden kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. A. § 159 Rdnr.5b).
Zu der entscheidungserheblichen Frage der Fortgeltung zweiseitiger Verträge bei Staatennachfolge (konkret: Jugoslawien) im Verhältnis zu den Folgestaaten hat der 13. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits im Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vom 23.05.2006 (B 13 RJ 17/05 R) die Komplexität der Rechtsproblematik dargelegt. Entgegen der im angefochtenen Gerichtsbescheid dargelegten Rechtsansicht des SG endet die Geltung des Sozialversicherungsabkommens nicht automatisch durch die Unabhängigkeitserklärung bzw. durch die Anerkennung der Republik Kosovo durch die Bundesrepublik Deutschland im Februar 2008: Entscheidend sind vielmehr die konkreten Vereinbarungen der Vertragsstaaten, unter Beachtung verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Bestimmungen und Grundsätze (vgl. hierzu Vorlagebeschluss des BSG vom 23.05.2006, a.a.O.).
Nach Überzeugung des erkennenden Senats gilt das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) geschlossene Abkommen über Soziale Sicherheit (Abkommen Jugoslawien SozSich; BGBl. II 1969, 1438 mit Zustimmungsgesetz vom 29.07.1969, BGBl. II, 1969, 1437) - und damit auch die Personengleichstellung des Art.3 dieses Abkommens - für die Republik Kosovo unabhängig davon fort, dass die entsprechenden Vereinbarungen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kosovo (noch) nicht im Verfahren nach Art.59 Abs.2 Satz 1 Grundgesetz (GG) in innerstaatliches Recht transformiert worden sind (vgl. Vorlagebeschluss). Mittlerweile haben die Regierungen beider Staaten durch den Notenwechsel vom 10.06.2011 (vgl. Ziffer 1 der Verbalnote) die Fortgeltung der (in der Anlage 1 zu dem Notenwechsel) aufgeführten Übereinkünfte, also auch des Abkommens vom 12.10.1968 über Soziale Sicherheit (Anlage 1 Nr.6), unter der Maßgabe vereinbart, dass sich beide Seiten hinsichtlich der konkreten Durchführung weiter konsultieren würden. Der rechtliche Geltungsbereich steht damit also unstreitig fest; lediglich hinsichtlich der Durchführung (also hinsichtlich der Frage des "Wie") besteht weiterer Klärungsbedarf.
Dass ein in Deutschland anzuwendender "völkerrechtlicher Vertrag" gegebenenfalls noch nicht vorliegt, solange diese Vereinbarung vom 10.06.2011 nicht in dem Verfahren nach Art.59 Abs.2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht transformiert worden ist (vgl. hierzu Vorlagebeschluss vom 23.05.2006, a.a.O.), schließt nach Überzeugung des erkennenden Senats die Fortgeltung des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens nicht aus. Dies gilt auch unter Beachtung des verfassungsrechtlich geregelten Gesetzesvorbehaltes (Art.20 Abs.3 Grundgesetz- GG) in seiner konkreten Ausgestaltung durch § 31 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch, SGB I. Denn bereits im Zeitpunkt der Antragstellung auf Beitragserstattung im Juli 2006, jedenfalls aber zum Zeitpunkt der Anerkennung der Republik Kosovo durch die Bundesrepublik Deutschland im Februar 2008, hatte sich für die abgespaltenen Nachfolgestaaten der ehemaligen Föderativen Republik Jugoslawien ein entsprechendes Völkergewohnheitsrecht (vgl. hierzu Vorlagebeschluss, a.a.O.) herausgebildet, wonach das hier entscheidungserhebliche Sozialversicherungsabkommen - gegebenenfalls bis zum Abschluss eines neuen Sozialversicherungsabkommens (wie z.B. mit Slowenien, Kroatien und Mazedonien) - Fortgeltung finden sollte. Die konkrete Verbalnote vom 10.06.2011 hat angesichts dieses Völkergewohnheitsrechts im Wesentlichen deklaratorische (nicht konstitutive) Bedeutung.
Der Senat hat keine verfassungsrechtlich (bzw. völkerrechtlich) begründeten Bedenken, eine entsprechende Fortgeltung des Sozialversicherungsabkommens anzuerkennen. Denn die Grundsätze der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Berechenbarkeit erfordern gleichsam die sozialrechtliche Kontinuität auch nach erfolgter Separation bzw. Dismembration (vgl. hierzu: Vorlagebeschluss). Sowohl im Interesse der Vertragsstaaten als auch ihrer Angehörigen ist die Fortgeltung der Vertragsbeziehungen und der entsprechenden innerstaatlichen Sozialgesetze unerlässlich: Ein Automatismus dergestalt, dass durch eine Änderung der Verhältnisse eo ipso ein Gesetz obsolet würde, ist unserer Rechtsordnung fremd. Rechtsstaatliche Grundsätze erfordern in der Regel einen Aufhebungsakt ("actus contrarius"), der unter Beachtung der entsprechenden Formvorschriften - hier also des formellen Gesetzgebungsverfahrens - die bisherige Rechtslage rückgängig macht bzw. den geänderten Verhältnissen anpasst. Insofern kann auch aus der Regelung des Art.59 Abs.2 Satz 1 GG nicht unmittelbar abgeleitet werden, dass die Fortgeltung eines verfassungsrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes nur dann anzunehmen sei, wenn es nach Änderung der Sachlage durch ein neues formelles Gesetz bestätigt oder ersetzt werde.
Darüber hinaus gebieten die Funktionsfähigkeit der neuen Teilstaaten, aber auch die Interessen der betroffenen Versicherten, die kontinuierliche Fortgeltung der bisherigen Anspruchsgrundlagen: Entsprechende Eingriffe in (eigentumsrechtlich geschützte) Anwartschaften sind wiederum nur unter dem Vorbehalt des Gesetzes möglich. Der Kläger verkennt hierbei, dass das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen in aller Regel rechtliche und wirtschaftliche Vorteile für die betroffenen Versicherten bzw. Anspruchsberechtigten begründet. Dies gilt im Übrigen auch hinsichtlich des erhobenen Anspruchs (§ 123 SGG) auf Erstattung der Beiträge, die er selbst getragen hat (also nur der Arbeitnehmeranteile). Denn durch die Erstattung der Arbeitnehmeranteile erlischt der Rentenanspruch insgesamt, also auch die Anwartschaft aus den Arbeitgeberanteilen (vgl. § 210 Abs.6 Sätze 2 und 3 SGB VI).Diese "Verfallswirkung" verstößt nicht gegen das Grundgesetz (Entscheidung des BVerfG v.16.06.1981,1 BvR 445/81 - in SozR 2200 § 1303 Nr. 19). Dementsprechend können auch die Vertragsstaaten nicht daran interessiert sein, dass ihre Angehörigen sich im Ausland erworbene Rentenanwartschaften abgelten lassen. Denn mittel- und längerfristig entlasten die vollen Ansprüche ihrer Bürger (d.h. aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen) gegenüber dem ausländischen Versicherungsträger die Sozialkassen der neu gegründeten Staaten. Die Höhe der Rentenanwartschaften- und Leistungen werden versicherungsmathematisch (u.a. unter Beachtung der durchschnittlichen Lebenserwartung) auf der Basis der entrichteten Beiträge ermittelt, so dass naturgemäß künftige Leistungen aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen sowohl für den Einzelnen als auch für den Staat günstiger sind, als die gegenwärtige
- zum gänzlichen Verlust der Rentenanwartschaft führende - Erstattung nur des halben Beitragswertes.
Aufgrund der fort geltenden Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen gemäß Art.3 Abs.1 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens ist der Kläger mithin zur freiwilligen Beitragsentrichtung nach wie vor berechtigt und die Voraussetzungen für die Beitragserstattung gemäß § 210 SGB VI sind somit nicht erfüllt.
Nach alledem ist der Berufung der Beklagten zu entsprechen und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger im Berufungsverfahren unterlegen ist.
Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist die Revision gem.
§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger die zur Deutschen Rentenversicherung geleisteten Arbeitnehmerbeiträge zu erstatten hat.
Der 1967 an seinem jetzigen Wohnort in der Republik Kosovo geborene Kläger und Berufungsbeklagter war ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 09.02.2007 in der Zeit vom 05.08.1991 bis 31.12.1999 - mit Unterbrechungen - in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Insgesamt sind hierfür 82 Monate an Pflichtbeiträgen im Versicherungskonto gespeichert.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 06.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2007 lehnte die Beklagte und Berufungsklägerin den Antrag vom 03.07.2006 auf Erstattung der zur gesetzlichen Rentenversicherung geleisteten Beiträge im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Kläger sei zur freiwilligen Versicherung nach deutschen Rechtsvorschriften berechtigt. Denn er sei Staatsangehöriger von Serbien und habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Kosovo, damit staatsrechtlich noch im Hoheitsgebiet von Serbien, so dass er nach Art.3 Abs.1 des Abkommens Jugoslawien SozSich einem deutschen Staatsangehörigen hinsichtlich der Berechtigung zur freiwilligen Versicherung gleichgestellt sei.
Gegen diese Ablehnung erhob der Kläger - vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten - ohne weitere Begründung am 20.02.2007 Klage zum Sozialgericht Landshut (SG).
Das SG hat mit Schreiben vom 11.03.2008 die Beklagte um Stellungnahme gebeten, ob der Klage abgeholfen werden könne, da der Kosovo mittlerweile selbständig sei und ein Sozialversicherungsabkommen nicht bestehe. Mit weiteren Schreiben vom 13.02.2008 hat das SG die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört. Mit Gerichtsbescheid vom 15.10.2008 hat das SG die angefochtene Verwaltungsentscheidung "abgeändert" und die Beklagte dazu verurteilt, die in der Zeit vom 05.08.1991 bis 31.12.1999 geleisteten Beiträge zu erstatten sowie die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu übernehmen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass aufgrund der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17.02.2008 und der Anerkennung seitens der Bundesrepublik Deutschland am 20.02.2008 als eigenständiger Staat das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen vom 12.10.1968 nicht mehr angewandt werden könne. Ein Recht zur freiwilligen Beitragsleistung in die deutsche Rentenversicherung bestehe damit nicht mehr. Der Gerichtsbescheid ist den Beteiligten jeweils am 20.10.2008 zugestellt worden.
Die hiergegen am 17.11.2008 beim Bayer. LSG eingelegte Berufung hat die Beklagte und Berufungsklägerin (am 21.07.2009) im Wesentlichen damit begründet, dass nach einheitlicher Rechtsauslegung der deutschen Rentenversicherung das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen vom 12.10.1968 weiterhin auch im Verhältnis zu dem nunmehr unabhängigen Staat Kosovo Anwendung finde. Grundlage der Feststellung sei eine entsprechende Entscheidung durch das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die auf der von der Bundesregierung vertretenen Auffassung beruhe, dass der Staat Kosovo infolge einer Staatensukzession in die Rechte und Pflichten der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien eingetreten sei. Damit habe der Kläger (gemäß § 7 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch - SGB VI) das Recht zur freiwilligen Versicherung, das den Anspruch auf Beitragserstattung gemäß § 210 Abs.1 Nr.1 SGB VI ausschließe.
Auf Anfrage des erkennenden Senats hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 21.04.2010 ergänzend ausgeführt, eine offizielle Verlautbarung des "kosovarischen Arbeitsministeriums" zur Anwendung des deutsch/jugoslawischen Abkommens gebe es ihrer Erkenntnis nach nicht. Der Senat hat mit Schreiben vom 08.06.2010 an das Sozialministerium und an den Sozialversicherungsträger im Kosovo Anfragen zur weiteren Anwendung des deutsch/jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens gerichtet. Nach erneuter Rückfrage vom 31.03.2011 an die Botschaft in P. hat der Leiter des dortigen Rechts- und Konsularreferats zunächst angekündigt, dass sich die Bundesregierung bemühe, auch die Anwendung des Abkommens von Oktober 1968 über Soziale Sicherheit durch das völkerrechtliche Instrument des Verbalnoten-Wechsels fortzuschreiben. Mit Verbalnote vom 10.06.2011 schließlich hat das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland mitgeteilt, dass die Regierung der Bundesrepublik Deutschland mit den Vorschlägen der Regierung der Republik Kosovo (ebenfalls vom 10.06.2011) einverstanden sei: Nach Ziffer 1 der Verbalnote gelten die in der Anlage 1 zum Notenwechsel aufgeführten Übereinkünfte zwischen der Republik Kosovo und der Bundesrepublik Deutschland fort; demgemäß auch das Abkommen vom 12.10.1968 über Soziale Sicherheit (vgl. Anlage 1 Nr.6 zur Verbalnote), unter der Maßgabe, dass sich beide Seiten hinsichtlich der konkreten Durchführung des Abkommens weiter konsultieren würden.
Die Berufungsklägerin macht geltend, hierdurch dürfte "den Zweifeln an der Weitergeltung des deutsch-jugoslawischen Abkommens im Verhältnis zum Kosovo die Grundlage entzogen sein".
Die Berufungsklägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 15.10.2008 aufzuheben und die Klage gegen ihren Bescheid vom 06.12.2006 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 14.02.2007 abzuweisen.
Der Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Gerichtsentscheidung nach wie vor für zutreffend und macht geltend, aus der Formulierung der Verbalnote ergebe sich, dass es sich hierbei um einen reinen Vorschlag und nicht um eine völkerrechtlich wirksame Vereinbarung handele.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie auf den Inhalt der Akten des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz
- SGG) ist auch im Übrigen zulässig und sachlich begründet. Denn entgegen der Entscheidung des SG ist der Kläger gemäß §§ 7, 232 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch, SGB VI i.V.m. Art.3 Abs.1 des Abkommens vom 12.10.1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit (Abk Jugoslawien SozSich) auch weiterhin zur freiwilligen Versicherung berechtigt, so dass ihm gemäß § 210 Abs.1 Nrn.1 und 2, Abs.2 und Abs.3 Satz 1 SGB VI in der zum Antragszeitpunkt maßgebenden Fassung Beiträge nicht erstattet werden.
Keinesfalls war es hier angezeigt, dass das SG ohne mündliche Verhandlung und ohne ehrenamtliche Richter durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Denn eine einfache Rechtsfrage im Sinne des § 105 SGG, die eine entsprechende Entscheidung ermöglicht hätte, war hier nicht zu entscheiden. Dieser Verfahrensfehler hat gleichwohl keine Zurückverweisung an das SG zur Folge, da der Senat in der Sache umfassend entscheiden kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. A. § 159 Rdnr.5b).
Zu der entscheidungserheblichen Frage der Fortgeltung zweiseitiger Verträge bei Staatennachfolge (konkret: Jugoslawien) im Verhältnis zu den Folgestaaten hat der 13. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits im Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vom 23.05.2006 (B 13 RJ 17/05 R) die Komplexität der Rechtsproblematik dargelegt. Entgegen der im angefochtenen Gerichtsbescheid dargelegten Rechtsansicht des SG endet die Geltung des Sozialversicherungsabkommens nicht automatisch durch die Unabhängigkeitserklärung bzw. durch die Anerkennung der Republik Kosovo durch die Bundesrepublik Deutschland im Februar 2008: Entscheidend sind vielmehr die konkreten Vereinbarungen der Vertragsstaaten, unter Beachtung verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Bestimmungen und Grundsätze (vgl. hierzu Vorlagebeschluss des BSG vom 23.05.2006, a.a.O.).
Nach Überzeugung des erkennenden Senats gilt das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) geschlossene Abkommen über Soziale Sicherheit (Abkommen Jugoslawien SozSich; BGBl. II 1969, 1438 mit Zustimmungsgesetz vom 29.07.1969, BGBl. II, 1969, 1437) - und damit auch die Personengleichstellung des Art.3 dieses Abkommens - für die Republik Kosovo unabhängig davon fort, dass die entsprechenden Vereinbarungen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kosovo (noch) nicht im Verfahren nach Art.59 Abs.2 Satz 1 Grundgesetz (GG) in innerstaatliches Recht transformiert worden sind (vgl. Vorlagebeschluss). Mittlerweile haben die Regierungen beider Staaten durch den Notenwechsel vom 10.06.2011 (vgl. Ziffer 1 der Verbalnote) die Fortgeltung der (in der Anlage 1 zu dem Notenwechsel) aufgeführten Übereinkünfte, also auch des Abkommens vom 12.10.1968 über Soziale Sicherheit (Anlage 1 Nr.6), unter der Maßgabe vereinbart, dass sich beide Seiten hinsichtlich der konkreten Durchführung weiter konsultieren würden. Der rechtliche Geltungsbereich steht damit also unstreitig fest; lediglich hinsichtlich der Durchführung (also hinsichtlich der Frage des "Wie") besteht weiterer Klärungsbedarf.
Dass ein in Deutschland anzuwendender "völkerrechtlicher Vertrag" gegebenenfalls noch nicht vorliegt, solange diese Vereinbarung vom 10.06.2011 nicht in dem Verfahren nach Art.59 Abs.2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht transformiert worden ist (vgl. hierzu Vorlagebeschluss vom 23.05.2006, a.a.O.), schließt nach Überzeugung des erkennenden Senats die Fortgeltung des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens nicht aus. Dies gilt auch unter Beachtung des verfassungsrechtlich geregelten Gesetzesvorbehaltes (Art.20 Abs.3 Grundgesetz- GG) in seiner konkreten Ausgestaltung durch § 31 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch, SGB I. Denn bereits im Zeitpunkt der Antragstellung auf Beitragserstattung im Juli 2006, jedenfalls aber zum Zeitpunkt der Anerkennung der Republik Kosovo durch die Bundesrepublik Deutschland im Februar 2008, hatte sich für die abgespaltenen Nachfolgestaaten der ehemaligen Föderativen Republik Jugoslawien ein entsprechendes Völkergewohnheitsrecht (vgl. hierzu Vorlagebeschluss, a.a.O.) herausgebildet, wonach das hier entscheidungserhebliche Sozialversicherungsabkommen - gegebenenfalls bis zum Abschluss eines neuen Sozialversicherungsabkommens (wie z.B. mit Slowenien, Kroatien und Mazedonien) - Fortgeltung finden sollte. Die konkrete Verbalnote vom 10.06.2011 hat angesichts dieses Völkergewohnheitsrechts im Wesentlichen deklaratorische (nicht konstitutive) Bedeutung.
Der Senat hat keine verfassungsrechtlich (bzw. völkerrechtlich) begründeten Bedenken, eine entsprechende Fortgeltung des Sozialversicherungsabkommens anzuerkennen. Denn die Grundsätze der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Berechenbarkeit erfordern gleichsam die sozialrechtliche Kontinuität auch nach erfolgter Separation bzw. Dismembration (vgl. hierzu: Vorlagebeschluss). Sowohl im Interesse der Vertragsstaaten als auch ihrer Angehörigen ist die Fortgeltung der Vertragsbeziehungen und der entsprechenden innerstaatlichen Sozialgesetze unerlässlich: Ein Automatismus dergestalt, dass durch eine Änderung der Verhältnisse eo ipso ein Gesetz obsolet würde, ist unserer Rechtsordnung fremd. Rechtsstaatliche Grundsätze erfordern in der Regel einen Aufhebungsakt ("actus contrarius"), der unter Beachtung der entsprechenden Formvorschriften - hier also des formellen Gesetzgebungsverfahrens - die bisherige Rechtslage rückgängig macht bzw. den geänderten Verhältnissen anpasst. Insofern kann auch aus der Regelung des Art.59 Abs.2 Satz 1 GG nicht unmittelbar abgeleitet werden, dass die Fortgeltung eines verfassungsrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes nur dann anzunehmen sei, wenn es nach Änderung der Sachlage durch ein neues formelles Gesetz bestätigt oder ersetzt werde.
Darüber hinaus gebieten die Funktionsfähigkeit der neuen Teilstaaten, aber auch die Interessen der betroffenen Versicherten, die kontinuierliche Fortgeltung der bisherigen Anspruchsgrundlagen: Entsprechende Eingriffe in (eigentumsrechtlich geschützte) Anwartschaften sind wiederum nur unter dem Vorbehalt des Gesetzes möglich. Der Kläger verkennt hierbei, dass das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen in aller Regel rechtliche und wirtschaftliche Vorteile für die betroffenen Versicherten bzw. Anspruchsberechtigten begründet. Dies gilt im Übrigen auch hinsichtlich des erhobenen Anspruchs (§ 123 SGG) auf Erstattung der Beiträge, die er selbst getragen hat (also nur der Arbeitnehmeranteile). Denn durch die Erstattung der Arbeitnehmeranteile erlischt der Rentenanspruch insgesamt, also auch die Anwartschaft aus den Arbeitgeberanteilen (vgl. § 210 Abs.6 Sätze 2 und 3 SGB VI).Diese "Verfallswirkung" verstößt nicht gegen das Grundgesetz (Entscheidung des BVerfG v.16.06.1981,1 BvR 445/81 - in SozR 2200 § 1303 Nr. 19). Dementsprechend können auch die Vertragsstaaten nicht daran interessiert sein, dass ihre Angehörigen sich im Ausland erworbene Rentenanwartschaften abgelten lassen. Denn mittel- und längerfristig entlasten die vollen Ansprüche ihrer Bürger (d.h. aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen) gegenüber dem ausländischen Versicherungsträger die Sozialkassen der neu gegründeten Staaten. Die Höhe der Rentenanwartschaften- und Leistungen werden versicherungsmathematisch (u.a. unter Beachtung der durchschnittlichen Lebenserwartung) auf der Basis der entrichteten Beiträge ermittelt, so dass naturgemäß künftige Leistungen aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen sowohl für den Einzelnen als auch für den Staat günstiger sind, als die gegenwärtige
- zum gänzlichen Verlust der Rentenanwartschaft führende - Erstattung nur des halben Beitragswertes.
Aufgrund der fort geltenden Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen gemäß Art.3 Abs.1 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens ist der Kläger mithin zur freiwilligen Beitragsentrichtung nach wie vor berechtigt und die Voraussetzungen für die Beitragserstattung gemäß § 210 SGB VI sind somit nicht erfüllt.
Nach alledem ist der Berufung der Beklagten zu entsprechen und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger im Berufungsverfahren unterlegen ist.
Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist die Revision gem.
§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
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