S 4 R 133/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 R 133/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 R 40/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 16/09 R
Datum
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 24.07.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2007 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird endgültig auf 6.081,97 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) bis 6) in der Zeit vom 01.01.2002 bis 31.12.2005 und die Nachforderung von Beiträgen.

Die Klägerin, eine anerkannte Ausbildungsfahrschule, bildete im streitigen Zeitraum sechs Fahrlehreranwärter, die Beigeladenen zu 1) bis 6), zur Erlangung der Fahrlehrererlaubnis der Klasse BE aus. Gemäß § 5 Abs. 3 Fahrlehrergesetz (FahrlG) erfolgt die Ausbildung zum Fahrlehrer in mehreren Schritten. Zunächst besucht der Anwärter fünfeinhalb Monate eine amtlich anerkannte Fahrlehrerausbildungsstätte (hier: die staatlich anerkannte Fahrlehrer Fachschule E.) und anschließend – nach bestandener Fachkun¬deprüfung, mit der eine befristete Fahrlehrererlaubnis erteilt wird - viereinhalb Monate eine Ausbildungsfahrschule (hier: den Betrieb der Klägerin). Die Ausbildung in der Ausbildungsfahrschule wird während des dritten Monats durch einen einwöchigen Lehrgang in der Fahrlehrerausbildungsstätte unterbrochen. Die Ausbildung endet mit einem weiteren, einwöchigen Lehrgang in der Fahrlehrerausbildungsstätte. Anschließend kann der Anwärter die Fahrlehrerprüfung zum Erhalt einer unbefristeten Fahrlehrererlaubnis ablegen.

Die Klägerin schloss mit den Beigeladenen zu 1) bis 6) Praktikumsverträge, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Die Beigeladenen zu 1) bis 6) absolvierten bei der Klägerin 360 Unterrichtsstunden, aufgeteilt auf 14 Wochenstunden. In dieser Zeit nahmen sie an theoretischem und praktischem Unterricht teil. Sozialversicherungsbeiträge führte die Klägerin nicht ab.

Die Beklagte führte am 15.03.2006 und 17.07.2006 bei der Klägerin eine Betriebsprüfung gemäß § 28 p Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) durch. Mit Bescheid vom 24.07.2006 stellte die Beklagte in der Zeit vom 01.01.2002 bis 31.12.2005 die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) bis 6) fest und forderte von der Klägerin sich hieraus ergebende Beiträge in Höhe von 6.081,97 Euro. Sie führte zur Begründung aus, dass Praktikanten nur dann versicherungsfrei seien, wenn sie eine berufspraktische Tätigkeit im Sinne einer in den Betrieb verlagerten schulischen Ausbildung verrichten. Die Tätigkeit in der Fahrschule sei jedoch als integrierter Bestandteil der Berufsausbildung anzusehen und damit kein versicherungsfreies Praktikum. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 14.08.2006 Widerspruch ein. Sie machte geltend, dass es sich bei der Ausbildung in der Ausbildungsfahrschule um ein versicherungsfreies Praktikum handele. Die Anwärter seien während der Dauer der Ausbildung als Studierende in der Fahrlehrer Fachschule E. eingeschrieben gewesen. Das zu absolvierende Praktikum sei in der Prüfungsordnung hinsichtlich Inhalts und Dauer vorgeschrieben.

Die Beklagte ermittelte daraufhin bei der Fahrlehrer Fachschule E. den Umfang der Unterrichtsstunden während des fünfeinhalb monatigen Ausbildungsteils, der mit mindestens 700 angegeben wurde, und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2007 als unbegründet zurück. Bei den Praktika zur Fahrlehrerausbildung stehe die praktische Ausbildung im Vordergrund. Sie habe damit den Charakter einer praktischen Berufsausbildung, so dass Versicherungspflicht bestehe.

Hiergegen richtet sich die am 19.07.2007 erhobene Klage.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 24.07.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an der Begründung der angefochtenen Entscheidung fest und berreicht eine Stellungnahme des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V., der vom Bestehen von Versicherungspflicht für Fahrlehreranwärter ausgeht.

Die Beigeladenen zu 1) bis 16) stellen keine Anträge.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz –SGG-). Denn zu Unrecht hat die Beklagte in ihren Betriebsprüfungen festgestellt, dass die Beigeladenen zu 1) bis 6) während ihrer Ausbildung bei der Klägerin versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung und damit beitragspflichtig waren.

In der gesetzlichen Krankenversicherung, der gesetzlichen Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und im Arbeitsförderungsrecht sind solche Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), § 20 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI), § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI), § 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Dem ist gemäß § 7 Abs. 2 SGB IV der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Be¬rufsbildung gleichgestellt.

In der gesetzliche Kranken- und Pflege- sowie im der Arbeitslosenversicherung sind gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V sowie gemäß § 27 Abs. 4 Nr. 2 SGB III Personen versicherungsfrei, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind bzw. eine Beschäftigung ausüben. In der gesetzlichen Rentenversicherung sind solche Personen versicherungsfrei, die während der Dauer eines Studiums als ordentliche Studierende einer Fachschule oder Hochschule ein Praktikum ableisten, das in ihrer Studienordnung oder Prüfungsordnung vorgeschrieben ist (§ 5 Abs. 3 SGB VI).

Entscheidend für die Frage der Versicherungspflicht ist daher, ob jemand als Studierender anzusehen ist. Das hängt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) davon ab, ob die Beschäftigung neben dem Studium ausgeübt wird, d.h. ihm nach Zweck und Dauer untergeordnet, das Studium also die Haupt- und die Beschäftigung die Nebensache ist. Umgekehrt ist danach derjenige, der seinem Erscheinungsbild nach zum Kreis der Beschäftigten gehört, durch ein gleichzeitiges Studium in der Beschäftigung nicht versicherungsfrei. Versicherungsfreiheit besteht insoweit vielmehr nur für Personen, deren Zeit und Arbeitskraft überwiegend durch das Studium beansprucht werden und die nach einer Gesamtschau aller Umstände von ihrem Erscheinungsbild her Studenten sind (BSG, Urteil vom 10.12.1998, B 12 KR 22/97 R, SozR 3-2500 § 6 Nr. 16).

Ausgehend von diesen Grundsätzen waren die Beigeladenen zu 1) bis 6) auch während ihrer Tätigkeit im Betrieb der Klägerin als Studierende während eines Praktikums versicherungsfrei. Das Praktikum in der Ausbildungsfahrschule ist in das Fachstudium in der Fahrlehrerausbildungsstätte eingebettet. Nach dem FahrlG nehmen die Anwärter zunächst fünfeinhalb Monate lang am Unterricht in der Fahrlehrerausbildungsstätte teil und absolvieren dann über viereinhalb Monate den praktischen Teil in der Ausbildungsfahrschule. Das Praktikum wird zweimal unterbrochen, während des dritten Monats und am Ende geht der Anwärter zurück in die Fahrlehrerausbildungsstätte, um dort während eines jeweils einwöchigen Lehrgangs sein praktisches Wissen mitzuteilen und weiter zu vertiefen. Durch diese Verzahnung wird die Tätigkeit in der Ausbildungsfahrschule Bestandteil des Fachstudiums in der Fahrlehrerausbil¬dungsstätte. Darüber hinaus überwiegt das Fachstudium in der Fahrlehrerausbildungsstätte die Ausbildung in der Ausbildungsfahrschule stundenmäßig bei weitem. Hier stehen mindestens 700 Unterrichtsstunden in der Fachschule 360 Stunden in der Ausbildungsfahrschule gegenüber. Das zeigt, dass die Zeit und Arbeitskraft der Beigeladenen zu 1) bis 6) überwiegend durch das Fachstudium beansprucht waren. Von ihrem Erscheinungsbild waren die Beigeladenen zu 1) bis 6) daher während ihrer Tätigkeit in der Ausbildungsfahrschule als Studierende anzusehen. Da das Praktikum in der Ausbildungsfahrschule durch das FahrlG vorgeschrieben ist, sind auch die Voraussetzungen für eine Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversiche¬rung gemäß § 5 Abs. 3 SGB VI gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert entspricht der Beitragsnachforderung für die Beigeladenen zu 1) bis 6).
Rechtskraft
Aus
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