L 7 AS 4659/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 5894/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 4659/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die nach § 173 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen. Die beiden Voraussetzungen stellen ein bewegliches System dar: Je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

Vorliegend ist bereits ein Anordnungsanspruch i.S.e. materiell-rechtlichen Anspruches auf einen Bildungsgutschein für die begehrte Bildungsmaßnahme nicht ausreichend glaubhaft gemacht.

Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) kann die Agentur für Arbeit die übrigen u.a. im Ersten und Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) geregelten Leistungen erbringen; hierzu gehört insbesondere § 77 SGB III. Nach dessen Abs. 1 Satz 1 können Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn (1.) die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist, (2.) vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch die Agentur für Arbeit erfolgt ist und (3.) die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind. Da der Antragsteller eine ganz bestimmte Maßnahme bei einem genau bezeichneten Träger begehrt, bzw. nur die Absolvierung dieser konkreten Maßnahme den hierauf bedingt geschlossenen Arbeitsvertrag vom 12. Oktober 2011 in Kraft setzt, kann ein Anordnungsanspruch nur bestehen, wenn die Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB III gerade und nur für diese Maßnahme erfüllt sind.

Eine Weiterbildung ist nur dann notwendig i.S.d. § 77 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III, wenn sie geeignet (vgl. B. Schmidt in Eicher/Schlegel, SGB III, § 77 Rdnr. 33) ist, die dort umschriebenen Ziele zu erreichen. Demnach muss der Antragsteller auch gesundheitlich in der Lage sein, die Bildungsmaßnahme und eine Tätigkeit im angestrebten Berufsbild zu erreichen. Hieran bestehen jedoch erhebliche Zweifel, die sich auch durch die weiteren Ermittlungen des Senats - soweit sie in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit möglich waren - nicht haben beseitigen lassen.

Der Antragsteller begehrt eine "Ausbildung" zur IHK geprüften Fachkraft für Veranstaltungs- und Personenschutz beim Institut für Schutz und Sicherheit, L.-E ... Allein diese Maßnahme erfüllt die Bedingung nach § 1 Abs. 1 des Arbeitsvertrages vom 12. Oktober 2011. Nach den auf der Homepage des genannten Bildungsträgers abrufbaren Informationen umfasst die Maßnahme u.a. eine "berufsnahe Schießausbildung (Pistole und Revolver)" sowie die Waffensachkundeprüfung gem. § 7 Waffengesetz. Nach der Beschreibung der Arbeitsbedingungen einer "Fachkraft - Schutz und Sicherheit" der Bundesagentur für Arbeit (BERUFENET) ist eine solide körperliche Konstitution Voraussetzung für eine entsprechende Tätigkeit. Nach der telefonischen Auskunft eines Mitarbeiters der potentiellen Arbeitgeberin gegenüber dem Berichterstatter vom 3. November 2011 werde eine ärztliche Bescheinigung nur im Zusammenhang mit dem Bootsschein notwendig. Grundsätzlich sollten Mitarbeiter im Personenschutz körperlich fit sein; "Hochleistungssportler" würden nicht erwartet. Heutzutage würden verstärkt geistige Anforderungen gestellt. Im Bewachungsgewerbe seien die Anforderungen niedriger. Beim Einsatz in der Notrufleitzentrale könnten auch körperlich leistungsgeminderte Personen eingesetzt werden, das könne auch ein "Rollstuhlfahrer" machen. Auch bei "Doormen" seien körperliche Einschränkungen nicht per se hinderlich. Für jemanden, der z.B. wegen steifen rechten Armes bei Rechtshändigkeit eine Waffe nicht bedienen, insbesondere nicht auseinandernehmen, reinigen und zusammensetzen könne, mache bereits die Waffenkunde keinen Sinn. Einsetzbar sei so jemand dennoch, da es durchaus genügend Tätigkeiten gebe, bei denen keine Waffen nötig seien. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die angestrebte Bildungsmaßnahme die Schießausbildung zwingend umfasst. Es kommt mithin nicht darauf an, ob dem Antragsteller später Tätigkeiten im Sicherheitsgewerbe möglich sein könnten, bei denen keine Waffen mitgeführt werden. Entscheidend ist die vollumfängliche Ausbildung, da nur dann die Bedingung im Arbeitsvertrag erfüllt wird.

Nach dem vorgelegten Arztbrief der Ar.klinik (Dr. J.) vom 14. Oktober 2011 besteht beim Antragsteller jedoch eine Arthrose am rechten Handgelenk. In seinem Attest vom 17. Oktober 2011 gibt der behandelnde Arzt Sa. an, dass es sich um eine chronische Erkrankung bei Rechtshändigkeit handle. Die rechte Hand sowie der rechte Arm könnten nicht mehr belastet werden. Auf telefonische Nachfrage vom 3. November 2011 hat er gegenüber dem Berichterstatter dies insoweit konkretisiert, dass eine Belastung bis maximal 5 kg möglich sei. Derzeit bestehe eine Schwellung an der radialen Seite des Handgelenks mit einer Funktionseinschränkung in der Beweglichkeit. Die Handfunktion sei damit schmerzhaft eingeschränkt, auch in der passiven Beweglichkeit. Eine Verbesserung sei gegebenenfalls durch weitere Behandlung oder Hilfsmittel möglich. Er habe den Antragsteller zum Orthopäden überwiesen; ihm liege aber noch kein Ergebnis vor. Nach Darstellung des angestrebten Bildungsziels sowie der Arbeitsbedingungen entsprechend der Angaben der potentiellen Arbeitgeberin hat er ausgeführt, hierzu nichts mit Bestimmtheit sagen zu können, insbesondere bei einem Schub der Arthrose halte er den Beruf eines Sicherheitsmitarbeiters für bedenklich. Dies gelte vor allem in Bezug auf das Schießtraining hinsichtlich Auseinandernehmen, Zusammensetzen oder dem Gebrauch einer Schusswaffe. Näheres könne erst nach weiterer orthopädischer Abklärung gesagt werden. Der Antragsgegner hat mitgeteilt, dass die angeforderte Stellungnahme seines ärztlichen Dienstes noch nicht vorliege. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist daher für den Senat nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller körperlich in der Lage ist, zumindest die angestrebte Bildungsmaßnahme vollumfänglich zu absolvieren. Mithin fehlt es nach derzeitigem Sachstand mangels Geeignetheit der Maßnahme bereits an einer tatbestandlichen Voraussetzung des geltend gemachten Anspruches.

Darüber hinaus ist derzeit nicht ersichtlich, dass es sich bei der angestrebten Bildungsmaßnahme überhaupt um eine - grundsätzlich förderungsfähige - Maßnahme der beruflichen Weiterbildung handelt und nicht um eine von § 77 SGB III nicht umfasste "Ausbildung". Die Abgrenzung, ob es sich bei einer Maßnahme um eine solche der Berufsausbildung (vgl. §§ 59 ff. SGB III) oder der beruflichen Weiterbildung (vgl. §§ 77 ff. SGB III) handelt, ist ausschließlich unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme nach objektiven Kriterien vorzunehmen (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4200 § 7 Nr. 19 sowie Urteile vom 29. Januar 2008 - B 7/7a AL 68/06 R - und vom 17. November 2005 - B 11a AL 23/05 R - ( jeweils juris); BSG SozR 4-4300 § 77 Nr. 2; jeweils m.w.N.). Danach ist weder der erste Besuch einer Bildungsmaßnahme arbeitsförderungsrechtlich in jedem Fall eine Ausbildung, noch stellt jeder zweite Besuch einer Bildungsmaßnahme bei Vorliegen eines Berufsabschlusses eine Weiterbildung dar (so schon zu §§ 40, 41 und 42 Arbeitsförderungsgesetz BSG SozR 3-4100 § 42 Nr. 4). Maßgeblich ist nicht die Perspektive des Teilnehmers der Maßnahme, sondern vielmehr die konkrete Ausgestaltung des Bildungsangebots selbst (objektive Umstände). Nach seinem Zuschnitt, seiner Struktur und seinen Inhalten ist zu entscheiden, ob es sich um eine schulische oder berufliche Ausbildung oder um eine berufliche Weiterbildung handelt (vgl. B. Schmidt, a.a.O., Rdnrn. 2a und 2b). Es sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, etwa welche Vorkenntnisse für die erfolgreiche Teilnahme erforderlich sind, welche Unterrichtsformen geplant sind und welcher Abschluss angestrebt wird. Während die berufliche Weiterbildung nach § 77 Abs. 2 SGB III erkennbar auf eine angemessene Berufserfahrung als Grundlage einer beruflichen Weiterbildung abstellt (BSG, a.a.O.), baut eine Ausbildungsmaßnahme nicht auf bereits erworbenen beruflichen Kenntnissen auf. Zumindest nach dem Inhalt der Internetauftritts des Instituts für Schutz und Sicherheit ist nicht festzustellen, dass die Maßnahme in der Ausgestaltung in irgendeiner Hinsicht an die angemessene Berufserfahrung anknüpft.

Ob und inwieweit darüber hinaus auch der auf Rechtsfolgenseite bestehende Ermessensspielraum des Antragsgegners einem Anspruch des Antragstellers entgegensteht, worauf das SG abgestellt hatte, kann daher offenbleiben.

Auch eine Interessenabwägung verhilft dem Begehren des Antragstellers nicht zum Erfolg. Zwar wird der bedingt geschlossene Arbeitsvertrag nicht wirksam, wenn der Antragsteller nicht die Bildungsmaßnahme erfolgreich absolviert. Der nächste Kurs der Bildungsmaßnahme beginnt hingegen bereits Anfang Februar 2012, so dass - nach weiterer Abklärung - zumindest insoweit kein größerer Zeitverlust entstehen muss. Auf der anderen Seite sind die Interessen der Gemeinschaft der Steuerzahler, die die begehrte Leistung finanzieren, an einem sinnvollen Mitteleinsatz zu beachten. Die Kosten der begehrten Maßnahme belaufen sich auf ca. EUR 9.600.-. Da der Antragsteller selbst vorträgt, mehrere EUR 10.000.- Schulden zu haben, ist im Falle einer zusprechenden Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz bei späterer Erfolglosigkeit in der Hauptsache eine Rückzahlung der vorläufig gewährten Maßnahmekosten durch den Antragsteller nicht realistisch. Die Interessen des Antragstellers müssen daher zurückstehen.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Mangels ausreichender Erfolgsaussicht war gem. 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO keine Prozesskostenhilfe zu gewähren. Dem steht nicht entgegen, dass der Senat noch Ermittlungen angestellt hat. Zum einen betrafen diese allein die tatbestandliche Voraussetzung der Notwendigkeit, während es daneben außerdem am Tatbestandsmerkmal der Weiterbildung fehlt. Des Weiteren waren Antrag und Beschwerde ohne die weiteren Ermittlungen bereits unschlüssig, da eine Vereinbarkeit zwischen den dargetanen gesundheitlichen Einschränkungen und der angestrebten Maßnahme nach den vorgelegten Unterlagen nicht erkennbar war.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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