L 7 B 10/00 KA ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 276/99 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 B 10/00 KA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2000 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller hat dem Antragsgegner auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiliger Anordnung die Erteilung einer vorläufigen Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung als Psychologischer Psychotherapeut.

Der 1958 geborene Antragsteller beendete 1983 das Studium der Germanistik und Kulturwissenschaften. Anschließend arbeitete er als freier Mitarbeiter bei wissenschaftlichen Verlagen und erhielt nach einer dreijährigen Heilpraktikerausbildung 1991 die Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung. In den Jahren 1988 bis 1992 absolvierte er eine Ausbildung in tiefenpsychologisch fundierter Körperpsychotherapie (Zertifikat des Zentrums für tiefenpsychologisch fundierte Körperpsychotherapie vom 31. Juli 1992). Hieran schloss sich das Psychologiestudium an der Freien Universität Berlin an. Bereits während des Studiums begann der Antragsteller 1995 eine zweijährige Ausbildung in der Tara-Ropka-Therapie.

Am 2. November 1996 bestand er die Prüfung als Diplom-Psychologe und ließ sich in eigener Praxis in Berlin-Charlottenburg nieder. Über eine Berechtigung zur Teilnahme am Delegationsverfahren verfügte der Antragsteller nicht. Er behandelte jedoch Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Kostenerstattungsverfahren, und zwar im sogenannten „Zeitfenster“ (25. Juni 1994 bis 24. Juni 1997) im tiefenpsychologischen Therapieverfahren zwei Mitglieder der Techniker Krankenkasse von November 1996 bis Juni 1997 für 20 bzw. 27 Stunden und ein Mitglied der Deutschen Angestellten Krankenkasse im Juni 1997 für 3 Stunden. Neben seiner Tätigkeit in eigener Praxis war der Antragsteller von November 1996 bis Oktober 1998 psychotherapeutisch bei dem eingetragenen Verein „Weg der Mitte“ tätig. In diesem Zeitraum leistete er nach einer Bescheinigung des Vereins vom 13. November 1998 mindestens 2000 Stunden psychotherapeutischer Berufstätigkeit in dem Projekt „Psychotherapeutische Betreuung von Schwer- und Chronisch-Kranken“ (Therapieverfahren: tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie). Am 4. Januar 1999 erhielt der Antragsteller die Approbation als Psychologischer Psychotherapeut.

Im Dezember 1998 stellte er den Antrag auf bedarfsunabhängige Zulassung/Ermächtigung zur vertragsärztlichen Versorgung nach Übergangsrecht in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie. Er wies u. a. daraufhin, dass er in Praxisgemeinschaft mit dem Dipl.-Psychologen J. Neuffer arbeite. Es handele sich um eine Schwerpunktpraxis für Menschen mit HIV/Aids und homosexuelle Männer. Für diesen Patientenkreis bestehe nach wie vor eine Unterversorgung an qualifizierten Therapeuten. Sein Antrag blieb erfolglos (Beschluss des Zulassungsausschusses vom 3. August 1999/Beschluss des Antragsgegners vom 23. Februar 2000).

Im Hinblick auf den gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Sozialgericht Berlin am 10. Januar 2000 einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf Befragen hat der Antragsteller erklärt, dass der Umfang seiner Tätigkeit für den Verein „Weg der Mitte“ sich auf ca. 20 Stunden in der Woche belaufen habe. Die Tätigkeit habe an Wochenenden und in der Woche stattgefunden.

Mit Beschluss vom 12. Januar 2000 hat das Sozialgericht Berlin den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung zurückgewiesen, er habe nicht glaubhaft gemacht, dass er im „Zeitfenster“ im ausreichenden Umfang zur Behandlung von Versicherten der GKV zur Verfügung gestanden habe. Er habe nur 50 Behandlungsstunden nachweisen können. Durch seine Halbtagsbeschäftigung und die Beratung und Betreuung von HIV-Infizierten bzw. Aids-Kranken sowie durch seine Weiterbildung sei er darin gehindert gewesen, seine Sprechzeiten entsprechend den Bedürfnissen einer ausreichenden und zweckmäßigen kassenärztlichen Versorgung und den Gegebenheiten eines Praxisbetriebs festzusetzen.

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Er macht im Wesentlichen geltend, die zweijährige Ausbildung in der Tara-Ropka-Therapie habe ihn an einer Praxistätigkeit nicht gehindert. Denn die Ausbildung habe lediglich zweimal wöchentlich von 19.00 bis 22.00 Uhr außerhalb der üblichen Sprechzeiten stattgefunden. Auch die auf Honorarbasis ausgeübte psychotherapeutische Tätigkeit beim Verein „Weg der Mitte“ habe sich mit seiner freiberuflichen Tätigkeit vereinbaren lassen. Er habe dort an Wochenenden gearbeitet und die restlichen 15 Stunden an Werktagen in seiner eigenen Praxis, so dass er für die übrigen Patienten erreichbar gewesen sei.

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Die Voraussetzungen, unter denen entsprechend § 123 Abs. 1 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung eine einstweilige Anordnung ergehen kann, liegen nicht vor. Auch eine vorläufige Ermächtigung als Psychologischer Psychotherapeut stellt eine Vorwegnahme der Hauptsache dar, die nur gerechtfertigt ist, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass die Interessen des Antragstellers offensichtlich höher zu bewerten sind als die des Antraggegners. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Durch das Psychotherapeutengesetz ist erstmals in der Bundesrepublik Deutschland die Berufsausübung der Psychotherapeuten gesetzlich geregelt worden. Der Gesetzgeber hat, wenn auch keine unbegrenzte, so doch eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, von welchen persönlichen und fachlichen Voraussetzungen der Zugang zu einem Beruf abhängt. Vordringliche öffentliche Interessen, denen nicht auf andere Weise ausreichend Rechnung getragen werden kann, können es unumgänglich machen, die Zulassung auf einen zahlenmäßig festgelegten Kreis von Leistungserbringern (Bedarfzulassung) zu beschränken (so bereits Bundesverfassungsgericht - BVerfGE - Band 11, S. 30, 48 - Kassenarzturteil) und eine bedarfsunabhängige Zulassung/Ermächtigung nur unter einschränkenden Voraussetzungen zu ermöglichen. Für eine Ermächtigung nach § 95 Abs. 11 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) liegen nach summarischer Prüfung nicht alle Voraussetzungen vor.

Ausgehend von der Einschätzung der Beigeladenen scheint der Antragsteller zwar die sogenannte Sockelqualifikation gemäß § 95 Abs. 11 SGB V (Schriftsatz vom 4. Januar 2000, Blatt 121 Gerichtsakte) für das Richtlinienverfahren tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie erfüllt zu haben. Nach derzeitigem Erkenntnisstand hat der Antragsteller aber in der Zeit vom 25. Juni 1994 bis zum 24. Juni 1997 nicht an der Versorgung der Versicherten der GKV im Rechtssinne teilgenommen, wie es § 95 Abs. 10 Nr. 3 und Abs. 11 Nr. 3 SGB V verlangt.

Der Senat hält zwar an seiner Rechtsprechung fest, dass die von dem Antragsgegner geforderte Mindeststundenzahl von 250 sich mit der Systematik des vertragsärztlichen Zulassungsrechts nicht vereinbaren lässt, weil sich diese Stundenzahl auf Erwägungen stützt, die für die Versicherungspflicht und Versicherungsfreiheit von abhängig Beschäftigten nach § 8 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch maßgebend sind (u. a. Beschluss des Senats vom 22. September 1999 - L 7 B 16/99 KA ER, Breithaupt 2000, Heft 2, S. 131). Aus Sinn und Zweck der genannten Vorschrift des SGB V folgt aber, dass die Bestandsschutzerwägungen, die der bedarfsunabhängigen Zulassung nach § 95 Abs. 10 SGB V sowie der Ermächtigung nach § 95 Abs. 11 SGB V zu Grunde liegen, eine Tätigkeit von nicht nur geringfügigem Umfang und von einer Mindestzahl an Patienten voraussetzt. Der Gesetzgeber hat sich in Wahrnehmung vordringlicher öffentlicher Interessen zu Recht veranlasst gesehen, auch für Psychotherapeuten eine Bedarfsplanung vorzusehen. Eine Zulassung/Ermächtigung ohne Rücksicht auf einen Bedarf lässt sich nur rechtfertigen, wenn der Psychotherapeut in dem Drei-Jahres-Zeitraum seinen Lebensunterhalt durch die Behandlung von Mitgliedern der Krankenkassen zumindest in bescheidenem Maße aus einer selbständigen psychotherapeutischen Tätigkeit erzielt hat (Beschluss des Senats vom 7. März 2000 - L 7 B 18/00 KA ER -).

Vorliegend hat der Antragsteller seine eigene Praxis nicht während der gesamten Dauer des „Zeitfensters“ geführt, sondern sie erst nach der Diplom-Prüfung im November 1996 eröffnet und anschließend bis 24. Juni 1997 lediglich drei Versicherte der GKV in einem Gesamtstundenumfang von 50, von denen ein Versicherter nur drei Therapiestunden erhielt, behandelt. Mit dieser geringen zeitlichen Behandlungstätigkeit für die GKV hat er keinen für sich schutzwürdigen Besitzstand erworben. Zudem stand in diesem Zeitraum noch seine andere psychotherapeutische Berufstätigkeit beim Verein „Weg der Mitte“ im Vordergrund, die ihn auch rechtlich hinderte, im ausreichenden Umfang den Versicherten der GKV - wie es gleichfalls ein Vertragsarzt zu tun hat - zur Verfügung zu stehen (Beschlüsse des Senats vom 4. Januar 2000 - L 7 B 21/99 KA ER und 13. Januar 2000 - L 7 B 36/99 KA ER -). Der Verein „Weg der Mitte“ bestätigte mit Schreiben vom 13. November 1998, dass der Antragsteller hauptberuflich in der Zeit vom 1. November 1996 bis 31. Oktober 1998 psychotherapeutisch tätig gewesen sei. Er habe mindestens 2000 Stunden psychotherapeutischer Berufstätigkeit geleistet. Wie der Antragsgegner in seinem Beschluss vom 23. Februar 2000 errechnet hat, ergibt sich hieraus mindestens eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 20,8 Stunden und damit eine mehr als halbschichtige Berufstätigkeit.

Ebenso sind die Voraussetzungen für eine vorläufige Ermächtigung nach § 31 Abs. 1 a) Zulassungsverordnung für Vertragsärzte wegen einer bestehenden oder unmittelbar drohenden Unterversorgung bei der Betreuung von HIV-infizierten und aidskranken Menschen und schwulen Männern nicht gegeben. Nach summarischer Prüfung lässt sich ein Versorgungsdefizit bei einem Grad der Überversorgung, der nach dem Erkenntnisstand des Antraggegners in Berlin-Charlottenburg bei 356,6 % liegt und in Gesamt-Berlin 120 % beträgt, nicht erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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