Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 EG 1/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird in entsprechender Abänderung des Bescheides vom 23.09.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2010 verurteilt, dem Kläger Elterngeld für den 1. bis 14. Lebensmonat des Kindes B. in Höhe von monatlich 789,82 EUR zu bewilligen und das Elterngeld in 28 Monaten (Zeitraum: 17.08.2010 bis 16.12.2012) in monatlichen Beträgen von 394,91 EUR ohne Anrechnung der von der Mutter in der nachgeburtlichen Mutterschutzfrist erhaltenen Bezüge auszuzahlen. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt der Beklagte.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Umfang des Elterngeldzeitraums und des dem Kläger zustehenden Elterngeldes, konkret um eine Mehrleistung von 2.369,46 EUR.
Der 0000 geborene Kläger ist verheiratet und war zuletzt als Lagerarbeiter beschäftigt. Seine Ehefrau ist als beamtete Diplomverwaltungswirtin bei der Bundesagentur für Arbeit beschäftigt. Sie ist aufgrund einer seit Geburt bestehenden spastischen Halbseitenlähmung schwerbehindert. Am 17.08.2010 gebar sie das gemeinsame Kind B ... Die Ehefrau des Klägers bezog während der Mutterschutzfrist bis 01.11.2010 ihre Dienstbezüge weiter. Ab 02.11.2010 ist sie wieder im Dienst und – 40 Stunden wöchentlich – vollzeitbeschäftigt. Aufgrund ihrer Schwerbehinderung kann die Ehefrau des Klägers – ärztlich bescheinigt – das Kind nicht tragen und umfassend betreuen. Der Kläger nimmt seit der Geburt des Kindes Elternzeit und betreut die Tochter ständig.
Am 31.08.2010 beantragte der Kläger für sich Elterngeld für den 1. bis 14. Lebensmonat des Kindes B ... Zur Begründung gab er an, die Betreuung der Tochter sei dem anderen Elternteil unmöglich oder gefährde das Kindeswohl. Er legte hierzu eine ärztliche Bescheinigung des Hausarztes vor. Als Elterngeldauszahlvariante wählte er den halben Monatsbetrag bei doppeltem Auszahlungszeitraum, und zwar ab Beginn seiner Elternzeit, d.h. ab der Geburt des Kindes.
Auf der Grundlage des in den zwölf Monaten vor der Geburt erzielten und nachgewiesenen Einkommens aus der Erwerbstätigkeit des Klägers errechnete der Beklagte einen Elterngeldmonatsbetrag von 789,82 EUR. Durch Bescheid vom 23.09.2010 bewilligte er für den 1. bis 22. Lebensmonat des Kindes (Zeitraum: 17.08.2010 bis 16.06.2012) Elterngeld in Auszahlbeträgen von 394,91 EUR. Zur Begründung führte er aus, Elterngeld bestehe nur für elf Monate bzw. 22 Auszahlmonate, weil die (drei) Lebensmonate des Kindes, in denen Mutterschutzleistungen zustünden, als Monate gelten würden, in denen die berechtigte Person Elterngeld beziehe.
Dagegen erhob der Kläger am 13.10.2010 Widerspruch. Er trug vor, die Mutterschutzzeit nach der Geburt habe nicht drei Monate, sondern elf Wochen gedauert. Da seine Ehefrau einerseits nicht vor Ablauf der Mutterschutzfrist wieder arbeiten dürfe, andererseits aus gesundheitlichen Gründen sich nicht allein um das Kind kümmern könne, habe er Elternzeit genommen und beanspruche Elterngeld für vierzehn Monate.
Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 09.12.2010 als unbegründet zurück; dem Antrag auf vierzehn Monate Elterngeld könne nicht entsprochen werden, da seine Ehefrau im ersten bis dritten Lebensmonat des Kindes Leistungen, die nach § 3 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) anzurechnen seien, bezogen habe; dadurch seien drei Elterngeldmonate verbraucht, sodass ihm nur für elf Monate Elterngeld habe bewilligt werden können.
Dagegen hat der Kläger am 05.01.2011 Klage erhoben.
Das Gericht hat die Beteiligten auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26.05.2011 (B 10 EG 11/10 R) aufmerksam gemacht und bei dem Beklagten angeregt, ein Anerkenntnis abzugeben. Der in der mündlichen Verhandlung nicht vertretene Beklagte hat zuletzt eine Entscheidung des Gerichts im streitigen Verfahren beantragt.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten in entsprechender Abänderung des Bescheides vom 23.09.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2010 zu verurteilen, ihm Elterngeld für den 1. bis 14. Lebensmonat des Kindes B. in Höhe von monatlich 789,82 EUR zu bewilligen und das Elterngeld in 28 Monaten (Zeitraum 17.08.2010 bis 16.12.2012) in monatlichen Beträgen von 394,91 EUR auszuzahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Obwohl für den Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung – unentschuldigt – niemand erschienen ist (die schriftliche Mitteilung vom 22.08.2011, auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten, ist keine Entschuldigung für das Fernbleiben), konnte die Kammer verhandeln und entscheiden, weil der Beklagte in der ihm ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, da sie insoweit rechtswidrig sind, als ihm für drei Monate (sechs Auszahlmonate) kein Elterngeld zuerkannt worden ist. Der Kläger hat Anspruch auf Elterngeld für vierzehn Lebensmonate des Kindes B. und – entsprechend seiner Wahl – Auszahlung des halben Elterngeldbetrages für den doppelten Anspruchszeitraum (28 Monate vom 17.08.2010 bis 16.12.2012), und zwar ohne Anrechnung der von seiner Ehefrau in der nachgeburtlichen Mutterschutzfrist erhaltenen Bezüge.
Nach § 1 Abs. 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer 1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, 2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, 3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und 4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Der Kläger erfüllt diese Anspruchsvoraussetzungen seit der Geburt des Kindes B. am 17.08.2010. Davon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus.
Der Beklagte hat auf Grundlage von § 2 BEEG die Höhe des monatlichen Elterngeldbetrages nach dem in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens des Klägers aus Erwerbstätigkeit mit 789,82 EUR zutreffend errechnet. Da der Kläger von der Auszahlungsvariante des § 6 Satz 2 BEEG, wonach die einer Person zustehenden Monatsbeträge auf Antrag in jeweils zwei halben Monatsbeträgen ausgezahlt werden, sodass sich der Auszahlungszeitraum verdoppelt, Gebrauch gemacht hat, beträgt der monatliche Elterngeldauszahlbetrag im verlängerten Anspruchszeitraum 394,91 EUR. Auch dies ist unter den Beteiligten unstreitig.
Die – hier allein streitige – Bezugsdauer des Elterngeldes bestimmt sich nach § 4 BEEG. Elterngeld kann in der Zeit vom Tag der Geburt bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats des Kindes bezogen werden (Abs. 1 Satz 1). Ein Elternteil kann mindestens für zwei höchstens für zwölf Monate Elterngeld beziehen (Abs. 3 Satz 1). Lebensmonate des Kindes, in denen nach § 3 Abs. 1 oder 3 anzurechnende Leistungen zustehen, gelten als Monate, für die die berechtigte Person Elterngeld bezieht (Abs. 3 Satz 2). Schließlich bestimmt § 4 Abs. 3 Satz 3 BEEG, dass ein Elternteil für vierzehn Monate Elterngeld beziehen kann, wenn eine Minderung des Einkommens aus einer Erwerbstätigkeit erfolgt und die Betreuung durch den anderen Elternteil unmöglich ist, insbesondere weil er wegen einer schweren Krankheit oder Schwerbehinderung sein Kind nicht betreuen kann (2. Alternative).
Durch die gesetzliche Fiktion von Elterngeldbezugsmonaten gem. § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG werden die Lebensmonate des Kindes mit zeitlich kongruenten anzurechnenden Leistungen, wie das nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BEEG anzurechnende Mutterschaftsgeld oder die nach § 3 Abs. 1 Satz 3 BEEG anzurechnenden Dienstbezüge während der Zeit des nachgeburtlichen Beschäftigungsverbotes (Mutterschutzfrist), wie sie die Ehefrau des Klägers erhalten hat, kraft Gesetzes zwingend der Person zugeordnet, die Anspruch auf die anzurechnende Leistung hat. Dies ist beim Mutterschaftsgeld bzw. nach in der Mutterschutzfrist bezogenen Bezügen die Mutter, also die Ehefrau des Klägers. Im Hinblick auf das im Elterngeld geltende Lebensmonatsprinzip (§ 4 Abs. 2 Satz 1 BEEG) erfasst die Fiktion des § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG jeweils auch dann den ganzen Lebensmonat des Kindes, wenn – wie hier – nur für die ersten sechzehn Tage des dritten Lebensmonats Mutterschutzleistungen zustehen (in diesem Sinne: BSG, Urteile vom 26.05.2011 – B 10 EG 11/10 R und B 10 EG 12/10 R).
Allerdings hat das BSG die Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz BEEG auch in einer weiteren Hinsicht für auslegungsbedürftig gehalten. Es ist mit ausführlicher Begründung zu einer engen Auslegung der Vorschrift dahingehend gelangt, dass der Begriff "anzurechnende Leistung" so aufzufassen ist, dass in dem betreffenden Lebensmonat jedenfalls eine Anrechnung der Leistung auf das Elterngeld rechtlich konkret möglich sein muss, also die Person, der die anzurechnende Leistung zusteht, aufgrund objektiver Gegebenheiten auch zum elterngeldberechtigten Personenkreis im Sinne des BEEG gehört (vgl. BSG, a.a.O., Rnrn. 20 bis 24).
Ist somit Grundvoraussetzung für den Eintritt der Fiktion von Bezugsmonaten nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG, dass in den betreffenden Lebensmonaten diejenige Person, der die anzurechnende Leistung zusteht, hier also die Ehefrau des Klägers, nach objektiven Gegebenheiten die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 BEEG erfüllt, also zum anspruchsberechtigten Personenkreis im Sinne dieser Vorschrift gehört, so ist dies im ersten, zweiten und dritten Lebensmonat des Kindes, in denen die Ehefrau des Klägers Leistungen nach § 3 Abs. 1 BEEG erhalten hat, nicht der Fall.
Für den dritten Lebensmonat des Kindes ergibt sich dies bereits daraus, dass die Klägerin am 02.11.2010, dem 17. Tag dieses Lebensmonats, ihren Dienst bei der Bundesagentur für Arbeit wieder aufgenommen hat und seitdem wieder in Vollzeit – 40 Stunden pro Woche – beschäftigt ist. Sie hat damit bereits im dritten Lebensmonat des Kindes wieder eine Erwerbstätigkeit ausgeübt, die eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats überschritten hat (vgl. § 1 Abs. 6, 1. Alternative BEEG), erfüllte daher nicht die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BEEG ("keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt") und hatte also für diesen Zeitraum keinen Anspruch auf Elterngeld, auf den nach § 3 Abs. 1 Satz 3 BEEG ihre in der nachgeburtlichen Mutterschutzfrist erhaltenen Dienstbezüge anzurechnen gewesen wären. Die Anwendung der Fiktion des § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG ist demnach für den dritten Lebensmonat des Kindes bereits aus diesem Grunde ausgeschlossen (vgl. hierzu ausführlich: BSG, Urteil vom 26.05.2011 – B 10 EG 11/10 R).
Die vom BSG vorgenommene Auslegung der Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG führt aber im Fall der Klägerin darüber hinaus dazu, dass auch ein Elterngeldanspruch für die ersten zwei Lebensmonate des Kindes nicht durch anzurechnende Leistungen als verbraucht gilt. Denn die Ehefrau des Klägers gehörte aufgrund objektiver Gegebenheiten auch im ersten und zweiten und auch dritten Lebensmonat des Kindes nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis im Sinne des § 1 BEEG. Sie erfüllte nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 BEEG. Sie leidet seit ihrer Geburt an einer spastischen Hemiparese; deshalb kommt es bei ihr immer wieder zu Stürzen aufgrund von Koordinationsstörungen; aus Sicherheitsgründen darf sie daher ihre Tochter nicht umhertragen. Aufgrund ihrer körperlichen Behinderung kann die Ehefrau des Klägers auf Dauer die Tochter B. nicht allein versorgen. Dies hat deren Hausarzt am 30.08.2010 ärztlich bescheinigt. Gerade in der Säuglingsphase, in der ein Kind sehr viel getragen wird, fällt die Mutter als Betreuungsperson im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 BEEG aus. War (und ist) somit die Ehefrau des Klägers und Mutter des Kindes aus gesundheitlichen Gründen objektiv gehindert, das Kind B. selbst – allein und umfassend – zu betreuen, so hat sie keinen Anspruch auf Elterngeld. Dies führt dazu, dass die Fiktion des § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG vorliegend nicht zum Zuge kommt (vgl. in diesem Sinne auch das Schreiben der Bezirksregierung Münster an die Fachbereichsleitungen der Fachbereiche BEEG der Kreise und kreisfreien Städte NRW vom 29.06.2011, Az. 28.1.3 – 6709.3/6709.13.1 A – 68/2011 – Sa.Nr. 65/2011).
Gerade der Umstand, dass der Ehefrau des Klägers wegen ihrer Schwerbehinderung die Betreuung des gemeinsamen Kindes nicht möglich ist, begründet gem. § 4 Abs. 3 Satz 3 BEEG einen Anspruch des Klägers auf Elterngeld für vierzehn Monate. Davon geht auch der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden aus, indem er nach dem – wie vorstehend dargelegt unzulässigen – Abzug von drei Bezugsmonaten Elterngeld für noch elf Monate (bzw. 22 Auszahlmonate) bewilligt hat, nicht aber für nur noch neun Lebensmonate (bzw. 18 Auszahlmonate), wie es konsequent gewesen wäre, wenn dem Kläger nur der Regelhöchstanspruch von zwölf Elterngeldmonaten (bzw. 24 Auszahlmonaten) zugestanden hätte.
Kommt es somit aus den dargelegten Gründen für den Elterngeldanspruch des Klägers nicht zu einer Fiktion von Bezugsmonaten nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG und steht ihm der erweiterte Elterngeldanspruch von vierzehn Elterngeldmonaten zu, so ist ihm entsprechend seinem Antrag gem. § 6 Satz 2 BEEG der halbe Monatsbetrag in 28 Monaten (Zeitraum: 17.08.2010 bis 16.12.2012) ohne Anrechnung der von seiner Ehefrau in der nachgeburtlichen Mutterschutzfrist erhaltenen Bezüge auszuzahlen. Dies sind über die im Bescheid vom 23.09.2010 bewilligten Beträge für den ersten bis 22. Lebensmonat des Kindes weitere sechs Auszahlbeträge von jeweils 394,91 EUR für den 23. bis 28. Lebensmonat des Kindes (17.06.2012 bis 16.12.2012).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Umfang des Elterngeldzeitraums und des dem Kläger zustehenden Elterngeldes, konkret um eine Mehrleistung von 2.369,46 EUR.
Der 0000 geborene Kläger ist verheiratet und war zuletzt als Lagerarbeiter beschäftigt. Seine Ehefrau ist als beamtete Diplomverwaltungswirtin bei der Bundesagentur für Arbeit beschäftigt. Sie ist aufgrund einer seit Geburt bestehenden spastischen Halbseitenlähmung schwerbehindert. Am 17.08.2010 gebar sie das gemeinsame Kind B ... Die Ehefrau des Klägers bezog während der Mutterschutzfrist bis 01.11.2010 ihre Dienstbezüge weiter. Ab 02.11.2010 ist sie wieder im Dienst und – 40 Stunden wöchentlich – vollzeitbeschäftigt. Aufgrund ihrer Schwerbehinderung kann die Ehefrau des Klägers – ärztlich bescheinigt – das Kind nicht tragen und umfassend betreuen. Der Kläger nimmt seit der Geburt des Kindes Elternzeit und betreut die Tochter ständig.
Am 31.08.2010 beantragte der Kläger für sich Elterngeld für den 1. bis 14. Lebensmonat des Kindes B ... Zur Begründung gab er an, die Betreuung der Tochter sei dem anderen Elternteil unmöglich oder gefährde das Kindeswohl. Er legte hierzu eine ärztliche Bescheinigung des Hausarztes vor. Als Elterngeldauszahlvariante wählte er den halben Monatsbetrag bei doppeltem Auszahlungszeitraum, und zwar ab Beginn seiner Elternzeit, d.h. ab der Geburt des Kindes.
Auf der Grundlage des in den zwölf Monaten vor der Geburt erzielten und nachgewiesenen Einkommens aus der Erwerbstätigkeit des Klägers errechnete der Beklagte einen Elterngeldmonatsbetrag von 789,82 EUR. Durch Bescheid vom 23.09.2010 bewilligte er für den 1. bis 22. Lebensmonat des Kindes (Zeitraum: 17.08.2010 bis 16.06.2012) Elterngeld in Auszahlbeträgen von 394,91 EUR. Zur Begründung führte er aus, Elterngeld bestehe nur für elf Monate bzw. 22 Auszahlmonate, weil die (drei) Lebensmonate des Kindes, in denen Mutterschutzleistungen zustünden, als Monate gelten würden, in denen die berechtigte Person Elterngeld beziehe.
Dagegen erhob der Kläger am 13.10.2010 Widerspruch. Er trug vor, die Mutterschutzzeit nach der Geburt habe nicht drei Monate, sondern elf Wochen gedauert. Da seine Ehefrau einerseits nicht vor Ablauf der Mutterschutzfrist wieder arbeiten dürfe, andererseits aus gesundheitlichen Gründen sich nicht allein um das Kind kümmern könne, habe er Elternzeit genommen und beanspruche Elterngeld für vierzehn Monate.
Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 09.12.2010 als unbegründet zurück; dem Antrag auf vierzehn Monate Elterngeld könne nicht entsprochen werden, da seine Ehefrau im ersten bis dritten Lebensmonat des Kindes Leistungen, die nach § 3 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) anzurechnen seien, bezogen habe; dadurch seien drei Elterngeldmonate verbraucht, sodass ihm nur für elf Monate Elterngeld habe bewilligt werden können.
Dagegen hat der Kläger am 05.01.2011 Klage erhoben.
Das Gericht hat die Beteiligten auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26.05.2011 (B 10 EG 11/10 R) aufmerksam gemacht und bei dem Beklagten angeregt, ein Anerkenntnis abzugeben. Der in der mündlichen Verhandlung nicht vertretene Beklagte hat zuletzt eine Entscheidung des Gerichts im streitigen Verfahren beantragt.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten in entsprechender Abänderung des Bescheides vom 23.09.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2010 zu verurteilen, ihm Elterngeld für den 1. bis 14. Lebensmonat des Kindes B. in Höhe von monatlich 789,82 EUR zu bewilligen und das Elterngeld in 28 Monaten (Zeitraum 17.08.2010 bis 16.12.2012) in monatlichen Beträgen von 394,91 EUR auszuzahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Obwohl für den Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung – unentschuldigt – niemand erschienen ist (die schriftliche Mitteilung vom 22.08.2011, auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten, ist keine Entschuldigung für das Fernbleiben), konnte die Kammer verhandeln und entscheiden, weil der Beklagte in der ihm ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, da sie insoweit rechtswidrig sind, als ihm für drei Monate (sechs Auszahlmonate) kein Elterngeld zuerkannt worden ist. Der Kläger hat Anspruch auf Elterngeld für vierzehn Lebensmonate des Kindes B. und – entsprechend seiner Wahl – Auszahlung des halben Elterngeldbetrages für den doppelten Anspruchszeitraum (28 Monate vom 17.08.2010 bis 16.12.2012), und zwar ohne Anrechnung der von seiner Ehefrau in der nachgeburtlichen Mutterschutzfrist erhaltenen Bezüge.
Nach § 1 Abs. 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer 1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, 2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, 3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und 4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Der Kläger erfüllt diese Anspruchsvoraussetzungen seit der Geburt des Kindes B. am 17.08.2010. Davon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus.
Der Beklagte hat auf Grundlage von § 2 BEEG die Höhe des monatlichen Elterngeldbetrages nach dem in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens des Klägers aus Erwerbstätigkeit mit 789,82 EUR zutreffend errechnet. Da der Kläger von der Auszahlungsvariante des § 6 Satz 2 BEEG, wonach die einer Person zustehenden Monatsbeträge auf Antrag in jeweils zwei halben Monatsbeträgen ausgezahlt werden, sodass sich der Auszahlungszeitraum verdoppelt, Gebrauch gemacht hat, beträgt der monatliche Elterngeldauszahlbetrag im verlängerten Anspruchszeitraum 394,91 EUR. Auch dies ist unter den Beteiligten unstreitig.
Die – hier allein streitige – Bezugsdauer des Elterngeldes bestimmt sich nach § 4 BEEG. Elterngeld kann in der Zeit vom Tag der Geburt bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats des Kindes bezogen werden (Abs. 1 Satz 1). Ein Elternteil kann mindestens für zwei höchstens für zwölf Monate Elterngeld beziehen (Abs. 3 Satz 1). Lebensmonate des Kindes, in denen nach § 3 Abs. 1 oder 3 anzurechnende Leistungen zustehen, gelten als Monate, für die die berechtigte Person Elterngeld bezieht (Abs. 3 Satz 2). Schließlich bestimmt § 4 Abs. 3 Satz 3 BEEG, dass ein Elternteil für vierzehn Monate Elterngeld beziehen kann, wenn eine Minderung des Einkommens aus einer Erwerbstätigkeit erfolgt und die Betreuung durch den anderen Elternteil unmöglich ist, insbesondere weil er wegen einer schweren Krankheit oder Schwerbehinderung sein Kind nicht betreuen kann (2. Alternative).
Durch die gesetzliche Fiktion von Elterngeldbezugsmonaten gem. § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG werden die Lebensmonate des Kindes mit zeitlich kongruenten anzurechnenden Leistungen, wie das nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BEEG anzurechnende Mutterschaftsgeld oder die nach § 3 Abs. 1 Satz 3 BEEG anzurechnenden Dienstbezüge während der Zeit des nachgeburtlichen Beschäftigungsverbotes (Mutterschutzfrist), wie sie die Ehefrau des Klägers erhalten hat, kraft Gesetzes zwingend der Person zugeordnet, die Anspruch auf die anzurechnende Leistung hat. Dies ist beim Mutterschaftsgeld bzw. nach in der Mutterschutzfrist bezogenen Bezügen die Mutter, also die Ehefrau des Klägers. Im Hinblick auf das im Elterngeld geltende Lebensmonatsprinzip (§ 4 Abs. 2 Satz 1 BEEG) erfasst die Fiktion des § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG jeweils auch dann den ganzen Lebensmonat des Kindes, wenn – wie hier – nur für die ersten sechzehn Tage des dritten Lebensmonats Mutterschutzleistungen zustehen (in diesem Sinne: BSG, Urteile vom 26.05.2011 – B 10 EG 11/10 R und B 10 EG 12/10 R).
Allerdings hat das BSG die Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz BEEG auch in einer weiteren Hinsicht für auslegungsbedürftig gehalten. Es ist mit ausführlicher Begründung zu einer engen Auslegung der Vorschrift dahingehend gelangt, dass der Begriff "anzurechnende Leistung" so aufzufassen ist, dass in dem betreffenden Lebensmonat jedenfalls eine Anrechnung der Leistung auf das Elterngeld rechtlich konkret möglich sein muss, also die Person, der die anzurechnende Leistung zusteht, aufgrund objektiver Gegebenheiten auch zum elterngeldberechtigten Personenkreis im Sinne des BEEG gehört (vgl. BSG, a.a.O., Rnrn. 20 bis 24).
Ist somit Grundvoraussetzung für den Eintritt der Fiktion von Bezugsmonaten nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG, dass in den betreffenden Lebensmonaten diejenige Person, der die anzurechnende Leistung zusteht, hier also die Ehefrau des Klägers, nach objektiven Gegebenheiten die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 BEEG erfüllt, also zum anspruchsberechtigten Personenkreis im Sinne dieser Vorschrift gehört, so ist dies im ersten, zweiten und dritten Lebensmonat des Kindes, in denen die Ehefrau des Klägers Leistungen nach § 3 Abs. 1 BEEG erhalten hat, nicht der Fall.
Für den dritten Lebensmonat des Kindes ergibt sich dies bereits daraus, dass die Klägerin am 02.11.2010, dem 17. Tag dieses Lebensmonats, ihren Dienst bei der Bundesagentur für Arbeit wieder aufgenommen hat und seitdem wieder in Vollzeit – 40 Stunden pro Woche – beschäftigt ist. Sie hat damit bereits im dritten Lebensmonat des Kindes wieder eine Erwerbstätigkeit ausgeübt, die eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats überschritten hat (vgl. § 1 Abs. 6, 1. Alternative BEEG), erfüllte daher nicht die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BEEG ("keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt") und hatte also für diesen Zeitraum keinen Anspruch auf Elterngeld, auf den nach § 3 Abs. 1 Satz 3 BEEG ihre in der nachgeburtlichen Mutterschutzfrist erhaltenen Dienstbezüge anzurechnen gewesen wären. Die Anwendung der Fiktion des § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG ist demnach für den dritten Lebensmonat des Kindes bereits aus diesem Grunde ausgeschlossen (vgl. hierzu ausführlich: BSG, Urteil vom 26.05.2011 – B 10 EG 11/10 R).
Die vom BSG vorgenommene Auslegung der Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG führt aber im Fall der Klägerin darüber hinaus dazu, dass auch ein Elterngeldanspruch für die ersten zwei Lebensmonate des Kindes nicht durch anzurechnende Leistungen als verbraucht gilt. Denn die Ehefrau des Klägers gehörte aufgrund objektiver Gegebenheiten auch im ersten und zweiten und auch dritten Lebensmonat des Kindes nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis im Sinne des § 1 BEEG. Sie erfüllte nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 BEEG. Sie leidet seit ihrer Geburt an einer spastischen Hemiparese; deshalb kommt es bei ihr immer wieder zu Stürzen aufgrund von Koordinationsstörungen; aus Sicherheitsgründen darf sie daher ihre Tochter nicht umhertragen. Aufgrund ihrer körperlichen Behinderung kann die Ehefrau des Klägers auf Dauer die Tochter B. nicht allein versorgen. Dies hat deren Hausarzt am 30.08.2010 ärztlich bescheinigt. Gerade in der Säuglingsphase, in der ein Kind sehr viel getragen wird, fällt die Mutter als Betreuungsperson im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 BEEG aus. War (und ist) somit die Ehefrau des Klägers und Mutter des Kindes aus gesundheitlichen Gründen objektiv gehindert, das Kind B. selbst – allein und umfassend – zu betreuen, so hat sie keinen Anspruch auf Elterngeld. Dies führt dazu, dass die Fiktion des § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG vorliegend nicht zum Zuge kommt (vgl. in diesem Sinne auch das Schreiben der Bezirksregierung Münster an die Fachbereichsleitungen der Fachbereiche BEEG der Kreise und kreisfreien Städte NRW vom 29.06.2011, Az. 28.1.3 – 6709.3/6709.13.1 A – 68/2011 – Sa.Nr. 65/2011).
Gerade der Umstand, dass der Ehefrau des Klägers wegen ihrer Schwerbehinderung die Betreuung des gemeinsamen Kindes nicht möglich ist, begründet gem. § 4 Abs. 3 Satz 3 BEEG einen Anspruch des Klägers auf Elterngeld für vierzehn Monate. Davon geht auch der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden aus, indem er nach dem – wie vorstehend dargelegt unzulässigen – Abzug von drei Bezugsmonaten Elterngeld für noch elf Monate (bzw. 22 Auszahlmonate) bewilligt hat, nicht aber für nur noch neun Lebensmonate (bzw. 18 Auszahlmonate), wie es konsequent gewesen wäre, wenn dem Kläger nur der Regelhöchstanspruch von zwölf Elterngeldmonaten (bzw. 24 Auszahlmonaten) zugestanden hätte.
Kommt es somit aus den dargelegten Gründen für den Elterngeldanspruch des Klägers nicht zu einer Fiktion von Bezugsmonaten nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG und steht ihm der erweiterte Elterngeldanspruch von vierzehn Elterngeldmonaten zu, so ist ihm entsprechend seinem Antrag gem. § 6 Satz 2 BEEG der halbe Monatsbetrag in 28 Monaten (Zeitraum: 17.08.2010 bis 16.12.2012) ohne Anrechnung der von seiner Ehefrau in der nachgeburtlichen Mutterschutzfrist erhaltenen Bezüge auszuzahlen. Dies sind über die im Bescheid vom 23.09.2010 bewilligten Beträge für den ersten bis 22. Lebensmonat des Kindes weitere sechs Auszahlbeträge von jeweils 394,91 EUR für den 23. bis 28. Lebensmonat des Kindes (17.06.2012 bis 16.12.2012).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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