L 1 KR 50/09

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 34 KR 1156/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 50/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. Juli 2009 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. &8195;

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Zahlungsansprüche für erbrachte Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts.

Die Klägerin betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Zwischen ihr und der Beklagten bestand ein Vertrag über die Durchführung häuslicher Pflege- und Versorgungsleistungen, den die Beklagte zum Jahresende 1998 kündigte. Sie räumte der Klägerin allerdings ein, während der laufenden Verhandlungen über einen neuen Vertrag zunächst bis zum 31. März 2001 zu den bisherigen Bedingungen weiterhin tätig zu werden und abzurechnen. Nachdem es zu einer Einigung für die Zeit ab 1. April 2001 nicht kam, entzog der die Beklagte und andere Betriebskrankenkassen vertretende BKK-Landesverband Nord der Klägerin diese Abrechnungsmöglichkeit zum 31. Mai 2000 und wies darauf hin, dass der Sicherstellungsauftrag der Hamburger Betriebskrankenkassen auch ohne die Mitwirkung der Klägerin an der häuslichen Krankenpflege erfüllt werden könne. Außerdem informierte die Beklagte ihre Versicherten darüber, dass für Pflegeleistungen der Klägerin keine Kosten mehr übernommen würden. Die Klägerin erhielt jeweils eine Kopie dieser an die Versicherten gerichteten Schreiben. Der Beklagten standen seinerzeit für die Versorgung ihrer Versicherten etwa 240 Pflegebetriebe zur Verfügung.

Die Klägerin erbrachte in der Folgezeit dennoch weiterhin Pflegeleistungen an Versicherte der Beklagten und beantragte zunächst vor dem Sozialgericht Hamburg die Verurteilung der Beklagten zur Bewilligung und Abrechnung der ab Juni 2000 eingereichten Verordnungen nach den Bedingungen des gekündigten Vertrages. Das Sozialgericht wies die Klage durch Urteil vom 2. August 2002 (S 21 KR 372/00) ab. Die dagegen eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht durch Urteil vom 22. September 2004 (L 1 KR 1/03) zurück mit der Begründung, dass vertragliche Vergütungsansprüche nicht gegeben seien, da ein Vertragsverhältnis zwischen den Beteiligten nicht bestehe und insbesondere der frühere Vertrag nicht fortgelte.

Am 30. Dezember 2005 hat die Klägerin erneut Klage erhoben und die Vergütung von in der Zeit von Mai 2001 bis August 2002 erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege für drei Versicherte der Beklagten nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts gefordert. Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 17. Juli 2009 – der Klägerin zugestellt am 18. August 2009 – abgewiesen und ausgeführt, einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung stehe entgegen, dass es sich um eine aufgedrängte Bereicherung gehandelt habe. Die Beklagte habe keinerlei Interesse daran gehabt, dass die Klägerin Pflegeleistungen für ihre Versicherten erbracht habe. Die Leistungsansprüche ihrer Versicherten habe sie mit Hilfe der Pflegedienste erfüllen können, mit denen Versorgungsverträge bestanden hätten. Sie habe der Klägerin auch mitgeteilt, dass sie mit der Erbringung von Leistungen an Versicherte ohne vertragliche Grundlage nicht mehr einverstanden sei. Ebenso seien die Versicherten darüber informiert worden. Darüber hinaus habe die Beklagte auch deshalb kein Interesse an einer Leistungserbringung durch die Klägerin gehabt, weil für diese dann kein Anreiz mehr für eine vertragliche Einigung bestanden hätte.

Mit ihrer am 16. September 2009 eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1, § 818 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sei gegeben und nicht durch eine sogenannte aufgedrängte Bereicherung ausgeschlossen. Das Sozialgericht habe insoweit verkannt, dass der Rechtsgedanke der aufgedrängten Bereicherung ausschließlich zu Sachverhalten im Zusammenhang mit den §§ 946 bis 950 BGB entwickelt worden sei, also nur Abwehrrechte von Eigentümern betroffen seien. Im vorliegenden Fall handele es sich jedoch nicht um Abwehrrechte eines Eigentümers, der durch die Wertersatzpflicht unangemessen benachteiligt wäre, sondern um die Erfüllung von Vergütungsansprüchen eines Dienstleisters auf der Basis der ortsüblichen Vergütung, welche die Beklagte jedem anderen Vertragspartner in gleicher Höhe zu zahlen hätte. Für derartige Fälle sei die Rechtslage abschließend in § 814 BGB geregelt, weshalb richterrechtlich entwickelte Grundsätze mangels gesetzlicher Lücke nicht zur Anwendung kommen könnten. Der Kondiktionsausschluss nach § 814 BGB greife aber nur bei positiver Kenntnis vom Fehlen der Leistungsverpflichtung, die hier nicht gegeben sei. Vielmehr sei die Klägerin zum Zeitpunkt der Leistung von einem fortbestehenden Vertragsverhältnis ausgegangen, was sich schon daraus ergebe, dass sie ein entsprechendes Klagverfahren geführt habe. Erst mit dem Urteil des Landessozialgerichts vom 22. September 2004 (L 1 KR 1/03) sei das Nichtbestehen eines Vertragsverhältnisses festgestellt worden, sodass die Klägerin vor diesem Zeitpunkt keine positive Kenntnis gehabt haben könne.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. Juli 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 6.390,96 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2002 zu zahlen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und trägt vor, die Klägerin habe im Zeitraum der Leistungserbringung nicht von einem fortbestehenden Vertragsverhältnis ausgehen können. Sie möge die entsprechende Hoffnung gehabt haben, tatsächlich sei im streitigen Zeitraum aber für alle Beteiligten klar gewesen, dass ein Vertragsverhältnis nicht bestehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch sonst zulässig (§§ 143, 144 und 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Passivlegitimation der Beklagten ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Die Berufung ist aber nicht begründet, da das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.

Die Klägerin kann Zahlungen für die in der Zeit von Mai 2001 bis August 2002 erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege für Versicherte der Beklagten nicht beanspruchen. Bereits durch Urteil des Senats vom 22. September 2004 (L 1 KR 1/03) ist rechtskräftig festgestellt worden, dass vertragliche Ansprüche insoweit nicht in Betracht kommen. Auch die von der Klägerin allein noch geltend gemachten bereicherungsrechtlichen Ansprüche bestehen nicht.

Nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, § 818 Abs. 2 BGB ist, wer durch die Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat, ihm zum Ersatz des Wertes verpflichtet. Diese Vorschriften sind auf die öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V entsprechend anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 13.05.2004 – B 3 KR 2/03 R – Juris). Ihre Voraussetzungen liegen auch vor, denn die Beklagte hat im Rahmen des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses die Befreiung von den ihr gegenüber bestehenden Sachleistungsansprüchen (§ 2 Abs. 2 SGB V) ihrer Versicherten auf Gewährung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege (§ 37 SGB V) erlangt, denen gegenüber die Klägerin ärztlich verordnete Leistungen der häuslichen Krankenpflege erbracht und so den Anspruch erfüllt und zum Erlöschen gebracht hat. Dies geschah mangels bestehenden Vertragsverhältnisses mit der Beklagten ohne rechtlichen Grund.

Die Verpflichtung der Beklagten zum Wertersatz ist auch nicht nach § 814 BGB ausgeschlossen. Hiernach kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit, die im Zeitpunkt der Leistung in Wirklichkeit nicht bestand, Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Erforderlich ist die positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre; ein bloßes Kennenmüssen genügt nicht (Martinek in jurisPK-BGB, 3. Aufl. 2010, § 814 Rn. 13). Eine positive Kenntnis ihrer Nichtschuld dürfte bei der Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens L 1 KR 1/03 am 22. September 2004 nicht vorgelegen haben. Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an, denn das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass bereicherungsrechtliche Ansprüche der Klägerin nach den Grundsätzen einer aufgedrängten Bereicherung ausgeschlossen sind. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (LSG Hamburg, Urteile vom 24.01.2007 – L 1 KR 19/06 – und vom 31.10.2007 – L 1 KR 21/07; beide Juris).

Eine aufgedrängte Bereicherung liegt nach dem Grundgedanken dieser durch Rechtsfortbildung entwickelten Konstruktion vor, wenn für den Erwerbenden die ohne seine Zustimmung erfolgte objektive Wertsteigerung subjektiv kein Interesse hat; dann kollidiert sein Selbstbestimmungsrecht mit dem Bereicherungsrecht (LSG Hamburg, Urteile vom 24.01.2007 und 31.10.2007, a.a.O., m.w.N.). Ein solches Interesse an den von der Klägerin erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege bestand für die Beklagte im streitigen Zeitraum nicht. Zwar war sie nach § 37 SGB V verpflichtet, ihre Versicherten mit diesen Leistungen zu versorgen, sie hatte jedoch kein Interesse daran, dass diese Leistungen durch die Klägerin erbracht wurden. Sie hatte sich in diesem Zeitraum mit dem Tätigwerden der Klägerin auch ausdrücklich nicht einverstanden erklärt, worüber sowohl die Klägerin als auch die Versicherten informiert waren. Die Erfüllung ihres Versorgungsauftrages war nicht gefährdet, da sie seinerzeit mit etwa 240 Pflegebetrieben in vertraglichen Beziehungen stand, die die Pflegeleistungen hätten erbringen können.

Der dem Institut der aufgedrängten Bereicherung zugrundeliegende Gedanke ist entgegen der Auffassung der Klägerin hier auch anwendbar. § 814 BGB ist insoweit keine abschließende Regelung, sondern es sind daneben auch weitere Ausschlussgründe unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) möglich (Martinek, a.a.O., § 814 Rn. 10). Es trifft zwar zu, dass die Grundsätze der aufgedrängten Bereicherung für die Fälle eines Rechtserwerbs nach den §§ 946 bis 950 BGB entwickelt wurden. Vorliegend ist jedoch die Interessenlage – die objektive Wertsteigerung erfolgte gegen die Interessen und sogar gegen den ausdrücklich geäußerten Willen des Bereicherten – die gleiche, sodass der Schutz des Selbstbestimmungsrechts unter Berücksichtigung von Treu und Glauben in gleicher Weise geboten ist (ausdrücklich für zulässig gehalten in: BSG, Urteil vom 13.05.2004, a.a.O.).

Hinzu kommt, dass die Zahlung für ohne Vertrag erbrachte Leistungen das in § 132a SGB V normierte Vertragskonzept des Gesetzgebers konterkarieren würde. Dieses Konzept könnte seine insbesondere wettbewerbliche und qualitätssichernde Funktion nicht erfüllen, wenn Leistungserbringer, die keine vertraglichen Beziehungen zu der Krankenkasse haben und deren Leistungen daher nicht auf die Einhaltung vertraglich zu regelnder Qualitätsanforderungen überprüfbar sind, ihre dennoch erbrachten Leistungen über einen Wertersatzanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung vergütet bekämen (LSG Hamburg, Urteile vom 24.01.2007 und 31.10.2007, a.a.O., unter Bezugnahme auf BSG, Urteile vom 17.03.2005 – B 3 KR 2/05 R – und vom 08.09.2004 – B 6 KA 14/03 R; beide Juris).

Die Klägerin hat gemäß § 197a SGG in Verbindung mit 154 Abs. 1 und 2 VwGO auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) oder Nr. 2 (Divergenz) SGG liegen nicht vor. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 13.05.2004 (a.a.O.) bereits darauf hingewiesen, dass eine aufgedrängte Bereicherung vorliegen kann, wenn der Krankenkasse im streitigen Zeitraum zur Sicherstellung ihres Versorgungsauftrages weitere Pflegedienste zur Verfügung standen, mit denen sie Versorgungsverträge abgeschlossen hatte.
Rechtskraft
Aus
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