Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 1232/08 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 124/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Fortgeltung des deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 12.10.1968 (Abk. Jugoslawien Soz.Sich.) in der Republik Kosovo.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 18.09.2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger seine zur deutschen Rentenversicherung geleisteten Beiträge zu erstatten hat.
Der 1976 an seinem jetzigen Wohnort in der Republik Kosovo geborene Kläger war vor seiner Abschiebung am 12.02.2008 aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hier im Zeitraum vom 01.06.1993 bis 31.07.2005 rentenversicherungspflichtig beschäftigt.
Den Antrag des Klägers vom 18.02.2008 auf Erstattung der von ihm zur Rentenversicherung entrichteten Beiträge lehnte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2008 im Wesentlichen mit der Begründung ab, nach Art. 3 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 12.10.1968 bzw. nach Art. 3 Abs. 1 Abk 1968/Kosovo habe der Kläger die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Ein Anspruch auf Beitragserstattung nach § 210 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch, SGB VI scheide daher aus. Der Widerspruchsbescheid wurde laut Angabe der Beklagten am Donnerstag den 02.10.2008 zur Post gegeben.
Gegen diesen - beim Klägerbevollmächtigten erst am Dienstag den 07.10.2008 eingegangenen - Widerspruchsbescheid wurde am Freitag den 07.11.2008 Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) im Wesentlichen mit der Begründung erhoben, die Republik Kosovo habe inzwischen die Unabhängigkeit erlangt, so dass das Abkommen vom 12.10.1968 mit der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien nicht fort gelte.
Das SG hat den Antrag der Beklagten im Schreiben vom 19.11.2008, die Klage wegen Fristversäumnisses als unzulässig - hilfsweise als sachlich unbegründet - abzuweisen, dem Klägerbevollmächtigten zur Kenntnis übersandt. Auf die mündliche Verhandlung vom 18.09.2009, zu der für den Kläger niemand erschienen ist , hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, "der formgerechte Rechtsbehelf" sei wegen Versäumung der Klagefrist nicht zulässig. Denn der Widerspruchsbescheid gelte nach § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch, SGB X am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post, damit am 05.10.2008, als bekanntgegeben. Die Klagefrist habe damit mit Ablauf den 05.11.2008 geendet, so dass die erst am 07.11.2008 eingegangene Klage verfristet sei. Das Urteil des SG ist dem Klägerbevollmächtigten am 15.01.2010 zugestellt worden.
Die hiergegen am 12.02.2010 beim BayLSG eingelegte Berufung ist damit begründet worden, dass der Widerspruchsbescheid - wie sich aus dem Einlaufstempel der Kanzlei ergebe - erst am 07.10.2008 beim Klägerbevollmächtigten eingegangen sei. Der - nach § 37 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGB X der Beklagten obliegende - Nachweis des früheren Zuganges sei nicht geführt worden. In der Sache werde auf das Vorbringen im Widerspruchs- und Klageverfahren Bezug genommen. Ein völkerrechtlicher Vertrag oder eine gesetzliche Grundlage für die Anwendung des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens existiere nicht.
Das erkennende Gericht hat die Beteiligten über den Schriftwechsel des Senats mit dem Leiter des Rechts- und Konsularreferats der Botschaft in Pristina zur streitgegenständlichen Frage in Kenntnis gesetzt und dem Klägerbevollmächtigten die Verbalnote vom 10.06.2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kosovo zugeleitet (vgl. Bl. 47 ff. ,Bl. 56 ff. LSG-Akte).
Der Kläger macht hierzu geltend, die im Notenwechsel vom 10.06.2011 aufgeführten Übereinkünfte beträfen lediglich Ansprüche, die nach dem Austausch der Verbalnote geltend gemacht worden seien. Nachdem der Kläger seinen Antrag auf Erstattung bereits am 18.02.2008 gestellt habe, könne ihm dieser Notenwechsel nicht zum Nachteil gereichen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte, unter Aufhebung des Urteils des SG Landshut vom 18.09.2009 und des Bescheides der Beklagten vom 26.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2008, zu verurteilen, die in der Zeit vom 01.06.1993 bis 31.07.2005 von ihm zur Rentenversicherung entrichteten Beiträge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt aus, sie könne die Behauptung, der Widerspruchsbescheid sei erst am 07.10.2009 eingegangen, nicht widerlegen. In der Sache könne das Rechtsschutzbegehren aus den im Widerspruchsbescheid dargelegten Gründen jedoch keinen Erfolg haben. Durch die Verbalnote werde nun bestätigt, dass die Verwaltungspraxis dem Willen beider Staaten entspreche.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie den der Akten des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz
- SGG) ist auch im Übrigen zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Die Berufung ist nicht bereits wegen Verfristung der Klage unbegründet. Die entsprechende Entscheidung des Sozialgerichts ist unzutreffend. Denn die Beklagte konnte den ihr nach § 37 Abs. 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch, SGB X obliegenden Nachweis nicht erbringen, dass der Widerspruchsbescheid dem Klägerbevollmächtigten nicht zu einem späteren Zeitpunkt als am dritten Tage nach der Absendung zugegangen ist. Es bestehen insbesondere keine Zweifel dahingehend, dass der Einlaufstempel (07.10.2008) nicht das korrekte Zugangsdatum ausweisen könnte. Die am 07.11.2008 beim Sozialgericht Landshut eingegangene Klage war damit fristgerecht erhoben.
Obgleich das Sozialgericht damit zu Unrecht in der Sache selbst nicht entschieden hat, bestand für den erkennenden Senat keine Verpflichtung, die Sache nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG an das Sozialgericht zurückzuverweisen. Denn als Berufungsgericht überprüft das LSG nicht lediglich das Urteil des Sozialgerichts, sondern prüft den Streitfall im selben Umfang wie das Sozialgericht, wobei es auch neue Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen hat (§ 157 SGG). Der Kläger hat auch keinen Rechtsanspruch darauf, dass der gesamte Sach- und Streitstand in zwei Tatsacheninstanzen vollständig geklärt und rechtlich beurteilt wird (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - 8b Senat vom 22.11.1979, 8b RK 3/79 m.w.N.).
Das Rechtsschutzbegehren hat aber keinen Erfolg, da der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der von ihm getragenen Beiträge hat. Denn der Kläger ist gemäß §§ 7, 232 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch, SGB VI i.V.m. Art. 3 Abs. 1 des Abkommens vom 12.10.1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit (Abk. Jugoslawien SozSich) auch weiterhin zur freiwilligen Versicherung berechtigt, so dass gemäß § 210 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 SGB VI in der zum Antragszeitpunkt maßgebenden Fassung Beiträge nicht erstattet werden. Nach diesen gesetzlichen Bestimmungen werden Versicherten Beiträge in der Höhe erstattet, in der sie diese getragen haben (das heißt Arbeitnehmeranteile), wenn seit dem endgültigen Ausscheiden aus der Versicherungspflicht
24 Kalendermonate abgelaufen sind und die Versicherten nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung haben oder die Regelaltersgrenze erreicht aber die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt haben.
Der Kläger (der die Regelaltersgrenze nicht erreicht und die allgemeine Wartezeit zudem erfüllt hat) ist zwar seit mehr als 24 Kalendermonaten aus der Versicherungspflicht ausgeschieden, er ist jedoch zur freiwilligen Versicherung berechtigt: Die in §§ 7, 232 SGB VI geregelte Berechtigung zur freiwilligen Versicherung wird durch die Regelungen in den einzelnen Sozialversicherungsabkommen ergänzt (KassKomm-Wehrhahn, § 210 SGB VI RdNr 6). Vorliegend ist das deutsch-jugoslawische Versicherungsabkommen von 1968 maßgebend.
Unter Berücksichtigung der im Vorlagebeschluss vom 23.05.2006 an das Bundesverfassungsgericht vom 13. Senat des Bundessozialgerichts (BSG, B 13 RJ 17/05 R) dargelegten wesentlichen völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grundsätze gilt das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) geschlossene Abkommen über Soziale Sicherheit (Abk Jugoslawien SozSich; BGBl II 1969, 1438 mit Zustimmungsgesetz vom 29.07.1969, BGBl II 1969, 1437) - und damit insbesondere die Personengleichstellung des Art. 3 dieses Abkommens - für die Republik Kosovo auch nach der Unabhängigkeitserklärung fort. Die Regierungen beider Staaten haben durch den Notenwechsel vom 10.06.2011 (vgl. Ziffer 1 der Verbalnote) die Fortgeltung der (in der Anlage 1 zu dem Notenwechsel) aufgeführten Übereinkünfte, also auch des Abkommens vom 12.10.1968 über Soziale Sicherheit (Anlage 1 Nr. 6 zum Abkommen), unter der Maßgabe vereinbart, dass sich beide Seiten hinsichtlich der konkreten Durchführung weiter konsultieren würden. Der rechtliche Geltungsbereich steht damit also unstreitig fest; lediglich hinsichtlich der Durchführung (also hinsichtlich der Frage des "Wie") besteht weiterer Klärungsbedarf.
Die Fortgeltung des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens für die Republik Kosovo wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein verbindlicher völkerrechtlicher Vertrag laut Vorlagebeschluss vom 23.05.2006 noch nicht vorliegt, solange diese Vereinbarung vom 10.06.2011 nicht in dem Verfahren nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht transformiert worden ist. Dies gilt auch unter Beachtung des verfassungsrechtlich geregelten Gesetzesvorbehaltes (Art. 20 Abs. 3 GG), in seiner konkreten Ausgestaltung durch § 31 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch, SGB I. Denn bereits im Zeitpunkt der Antragstellung auf Beitragserstattung im Februar 2008 hatte sich für alle abgespaltenen Nachfolgestaaten der ehemaligen Föderativen Republik Jugoslawien ein entsprechendes Völkergewohnheitsrecht (vgl. hierzu Vorlagebeschluss, a.a.O) herausgebildet, wonach jedenfalls das hier entscheidungserhebliche Sozialversicherungsabkommen - gegebenenfalls bis zum Abschluss eines neuen Sozialversicherungsabkommens (wie z.B. mit Slowenien, Kroatien und Mazedonien) - Fortgeltung finden soll. Die konkrete Verbalnote vom 10.06.2011 hat angesichts dieses Völkergewohnheitsrechts im Wesentlichen deklaratorische (nicht konstitutive) Bedeutung.
Der Senat hat keine verfassungsrechtlich (bzw. völkerrechtlich) begründeten Bedenken, eine entsprechende Fortgeltung des Sozialversicherungsabkommens anzuerkennen. Denn die Grundsätze der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Berechenbarkeit erfordern gleichsam die sozialrechtliche Kontinuität auch nach erfolgter Separation bzw. Dismembration (vgl. hierzu Vorlagebeschluss). Sowohl im Interesse der Vertragsstaaten als auch ihrer Angehörigen ist die Fortgeltung der Vertragsbeziehungen und der entsprechenden innerstaatlichen Sozialgesetze unerlässlich: Ein Automatismus dergestalt, dass durch eine Änderung der Verhältnisse eo ipso ein Gesetz obsolet würde ("cessante causa cessat lex") ist unserer Rechtsordnung fremd. Rechtsstaatliche Grundsätze erfordern in der Regel einen Aufhebungsakt ("actus contrarius"), der unter Beachtung der entsprechenden Formvorschriften - hier also des formellen Gesetzgebungsverfahrens - die bisherige Rechtslage rückgängig macht bzw. den geänderten Verhältnissen anpasst. Insofern kann auch aus der Regelung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht unmittelbar abgeleitet werden, dass die Fortgeltung eines verfassungsrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes nur dann anzunehmen sei, wenn es nach Änderung der Sachlage durch ein neues formelles Gesetz bestätigt oder ersetzt werde.
Darüber hinaus gebieten die Funktionsfähigkeit der neuen Teilstaaten, aber auch die Interessen der betroffenen Versicherten, die kontinuierliche Fortgeltung der bisherigen Anspruchsgrundlagen: Entsprechende Eingriffe in (eigentumsrechtlich geschützte) Anwartschaften sind wiederum nur unter dem Vorbehalt des Gesetzes möglich:
Das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen begründet in aller Regel rechtliche und wirtschaftliche Vorteile für die betroffenen Versicherten bzw. Anspruchsberechtigten. Dies gilt im Übrigen auch hinsichtlich des erhobenen Anspruchs (§ 123 SGG) auf Erstattung der Beiträge, die der Kläger selbst getragen hat (also nur der Arbeitnehmeranteile). Denn durch die Erstattung der Arbeitnehmeranteile erlischt der Rentenanspruch insgesamt, also auch die Anwartschaft aus den Arbeitgeberanteilen (vgl. § 210 Abs. 6 Sätze 2 und 3 SGB VI). Dementsprechend können insbesondere die abgespalteten Staaten nicht daran interessiert sein, dass ihre Angehörigen sich im Ausland erworbene Rentenanwartschaften abgelten lassen. Denn mittel- und längerfristig entlasten die vollen Ansprüche ihrer Bürger (d.h. aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen) gegenüber dem ausländischen Versicherungsträger die Sozialkassen der neu gegründeten Staaten. Eine zum gänzlichen Verlust der Rentenanwartschaft führende Erstattung nur des halben Beitragswertes ist letztendlich sowohl für den Staat als auch für den Einzelnen nachteilig.
Aufgrund der fort geltenden Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen gemäß Art. 3 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens ist der Kläger mithin zur freiwilligen Beitragsentrichtung nach wie vor berechtigt und die Voraussetzungen für die Beitragserstattung gemäß § 210 SGB VI sind somit nicht erfüllt.
Nach alledem ist der Berufung des Klägers der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger im Berufungsverfahren unterlegen ist.
Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist die Revision gem.
§ 160 Abs. 2 Nr.1 SGG zuzulassen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger seine zur deutschen Rentenversicherung geleisteten Beiträge zu erstatten hat.
Der 1976 an seinem jetzigen Wohnort in der Republik Kosovo geborene Kläger war vor seiner Abschiebung am 12.02.2008 aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hier im Zeitraum vom 01.06.1993 bis 31.07.2005 rentenversicherungspflichtig beschäftigt.
Den Antrag des Klägers vom 18.02.2008 auf Erstattung der von ihm zur Rentenversicherung entrichteten Beiträge lehnte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2008 im Wesentlichen mit der Begründung ab, nach Art. 3 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 12.10.1968 bzw. nach Art. 3 Abs. 1 Abk 1968/Kosovo habe der Kläger die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Ein Anspruch auf Beitragserstattung nach § 210 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch, SGB VI scheide daher aus. Der Widerspruchsbescheid wurde laut Angabe der Beklagten am Donnerstag den 02.10.2008 zur Post gegeben.
Gegen diesen - beim Klägerbevollmächtigten erst am Dienstag den 07.10.2008 eingegangenen - Widerspruchsbescheid wurde am Freitag den 07.11.2008 Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) im Wesentlichen mit der Begründung erhoben, die Republik Kosovo habe inzwischen die Unabhängigkeit erlangt, so dass das Abkommen vom 12.10.1968 mit der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien nicht fort gelte.
Das SG hat den Antrag der Beklagten im Schreiben vom 19.11.2008, die Klage wegen Fristversäumnisses als unzulässig - hilfsweise als sachlich unbegründet - abzuweisen, dem Klägerbevollmächtigten zur Kenntnis übersandt. Auf die mündliche Verhandlung vom 18.09.2009, zu der für den Kläger niemand erschienen ist , hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, "der formgerechte Rechtsbehelf" sei wegen Versäumung der Klagefrist nicht zulässig. Denn der Widerspruchsbescheid gelte nach § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch, SGB X am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post, damit am 05.10.2008, als bekanntgegeben. Die Klagefrist habe damit mit Ablauf den 05.11.2008 geendet, so dass die erst am 07.11.2008 eingegangene Klage verfristet sei. Das Urteil des SG ist dem Klägerbevollmächtigten am 15.01.2010 zugestellt worden.
Die hiergegen am 12.02.2010 beim BayLSG eingelegte Berufung ist damit begründet worden, dass der Widerspruchsbescheid - wie sich aus dem Einlaufstempel der Kanzlei ergebe - erst am 07.10.2008 beim Klägerbevollmächtigten eingegangen sei. Der - nach § 37 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGB X der Beklagten obliegende - Nachweis des früheren Zuganges sei nicht geführt worden. In der Sache werde auf das Vorbringen im Widerspruchs- und Klageverfahren Bezug genommen. Ein völkerrechtlicher Vertrag oder eine gesetzliche Grundlage für die Anwendung des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens existiere nicht.
Das erkennende Gericht hat die Beteiligten über den Schriftwechsel des Senats mit dem Leiter des Rechts- und Konsularreferats der Botschaft in Pristina zur streitgegenständlichen Frage in Kenntnis gesetzt und dem Klägerbevollmächtigten die Verbalnote vom 10.06.2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kosovo zugeleitet (vgl. Bl. 47 ff. ,Bl. 56 ff. LSG-Akte).
Der Kläger macht hierzu geltend, die im Notenwechsel vom 10.06.2011 aufgeführten Übereinkünfte beträfen lediglich Ansprüche, die nach dem Austausch der Verbalnote geltend gemacht worden seien. Nachdem der Kläger seinen Antrag auf Erstattung bereits am 18.02.2008 gestellt habe, könne ihm dieser Notenwechsel nicht zum Nachteil gereichen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte, unter Aufhebung des Urteils des SG Landshut vom 18.09.2009 und des Bescheides der Beklagten vom 26.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2008, zu verurteilen, die in der Zeit vom 01.06.1993 bis 31.07.2005 von ihm zur Rentenversicherung entrichteten Beiträge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt aus, sie könne die Behauptung, der Widerspruchsbescheid sei erst am 07.10.2009 eingegangen, nicht widerlegen. In der Sache könne das Rechtsschutzbegehren aus den im Widerspruchsbescheid dargelegten Gründen jedoch keinen Erfolg haben. Durch die Verbalnote werde nun bestätigt, dass die Verwaltungspraxis dem Willen beider Staaten entspreche.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie den der Akten des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz
- SGG) ist auch im Übrigen zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Die Berufung ist nicht bereits wegen Verfristung der Klage unbegründet. Die entsprechende Entscheidung des Sozialgerichts ist unzutreffend. Denn die Beklagte konnte den ihr nach § 37 Abs. 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch, SGB X obliegenden Nachweis nicht erbringen, dass der Widerspruchsbescheid dem Klägerbevollmächtigten nicht zu einem späteren Zeitpunkt als am dritten Tage nach der Absendung zugegangen ist. Es bestehen insbesondere keine Zweifel dahingehend, dass der Einlaufstempel (07.10.2008) nicht das korrekte Zugangsdatum ausweisen könnte. Die am 07.11.2008 beim Sozialgericht Landshut eingegangene Klage war damit fristgerecht erhoben.
Obgleich das Sozialgericht damit zu Unrecht in der Sache selbst nicht entschieden hat, bestand für den erkennenden Senat keine Verpflichtung, die Sache nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG an das Sozialgericht zurückzuverweisen. Denn als Berufungsgericht überprüft das LSG nicht lediglich das Urteil des Sozialgerichts, sondern prüft den Streitfall im selben Umfang wie das Sozialgericht, wobei es auch neue Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen hat (§ 157 SGG). Der Kläger hat auch keinen Rechtsanspruch darauf, dass der gesamte Sach- und Streitstand in zwei Tatsacheninstanzen vollständig geklärt und rechtlich beurteilt wird (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - 8b Senat vom 22.11.1979, 8b RK 3/79 m.w.N.).
Das Rechtsschutzbegehren hat aber keinen Erfolg, da der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der von ihm getragenen Beiträge hat. Denn der Kläger ist gemäß §§ 7, 232 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch, SGB VI i.V.m. Art. 3 Abs. 1 des Abkommens vom 12.10.1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit (Abk. Jugoslawien SozSich) auch weiterhin zur freiwilligen Versicherung berechtigt, so dass gemäß § 210 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 SGB VI in der zum Antragszeitpunkt maßgebenden Fassung Beiträge nicht erstattet werden. Nach diesen gesetzlichen Bestimmungen werden Versicherten Beiträge in der Höhe erstattet, in der sie diese getragen haben (das heißt Arbeitnehmeranteile), wenn seit dem endgültigen Ausscheiden aus der Versicherungspflicht
24 Kalendermonate abgelaufen sind und die Versicherten nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung haben oder die Regelaltersgrenze erreicht aber die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt haben.
Der Kläger (der die Regelaltersgrenze nicht erreicht und die allgemeine Wartezeit zudem erfüllt hat) ist zwar seit mehr als 24 Kalendermonaten aus der Versicherungspflicht ausgeschieden, er ist jedoch zur freiwilligen Versicherung berechtigt: Die in §§ 7, 232 SGB VI geregelte Berechtigung zur freiwilligen Versicherung wird durch die Regelungen in den einzelnen Sozialversicherungsabkommen ergänzt (KassKomm-Wehrhahn, § 210 SGB VI RdNr 6). Vorliegend ist das deutsch-jugoslawische Versicherungsabkommen von 1968 maßgebend.
Unter Berücksichtigung der im Vorlagebeschluss vom 23.05.2006 an das Bundesverfassungsgericht vom 13. Senat des Bundessozialgerichts (BSG, B 13 RJ 17/05 R) dargelegten wesentlichen völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grundsätze gilt das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) geschlossene Abkommen über Soziale Sicherheit (Abk Jugoslawien SozSich; BGBl II 1969, 1438 mit Zustimmungsgesetz vom 29.07.1969, BGBl II 1969, 1437) - und damit insbesondere die Personengleichstellung des Art. 3 dieses Abkommens - für die Republik Kosovo auch nach der Unabhängigkeitserklärung fort. Die Regierungen beider Staaten haben durch den Notenwechsel vom 10.06.2011 (vgl. Ziffer 1 der Verbalnote) die Fortgeltung der (in der Anlage 1 zu dem Notenwechsel) aufgeführten Übereinkünfte, also auch des Abkommens vom 12.10.1968 über Soziale Sicherheit (Anlage 1 Nr. 6 zum Abkommen), unter der Maßgabe vereinbart, dass sich beide Seiten hinsichtlich der konkreten Durchführung weiter konsultieren würden. Der rechtliche Geltungsbereich steht damit also unstreitig fest; lediglich hinsichtlich der Durchführung (also hinsichtlich der Frage des "Wie") besteht weiterer Klärungsbedarf.
Die Fortgeltung des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens für die Republik Kosovo wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein verbindlicher völkerrechtlicher Vertrag laut Vorlagebeschluss vom 23.05.2006 noch nicht vorliegt, solange diese Vereinbarung vom 10.06.2011 nicht in dem Verfahren nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht transformiert worden ist. Dies gilt auch unter Beachtung des verfassungsrechtlich geregelten Gesetzesvorbehaltes (Art. 20 Abs. 3 GG), in seiner konkreten Ausgestaltung durch § 31 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch, SGB I. Denn bereits im Zeitpunkt der Antragstellung auf Beitragserstattung im Februar 2008 hatte sich für alle abgespaltenen Nachfolgestaaten der ehemaligen Föderativen Republik Jugoslawien ein entsprechendes Völkergewohnheitsrecht (vgl. hierzu Vorlagebeschluss, a.a.O) herausgebildet, wonach jedenfalls das hier entscheidungserhebliche Sozialversicherungsabkommen - gegebenenfalls bis zum Abschluss eines neuen Sozialversicherungsabkommens (wie z.B. mit Slowenien, Kroatien und Mazedonien) - Fortgeltung finden soll. Die konkrete Verbalnote vom 10.06.2011 hat angesichts dieses Völkergewohnheitsrechts im Wesentlichen deklaratorische (nicht konstitutive) Bedeutung.
Der Senat hat keine verfassungsrechtlich (bzw. völkerrechtlich) begründeten Bedenken, eine entsprechende Fortgeltung des Sozialversicherungsabkommens anzuerkennen. Denn die Grundsätze der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Berechenbarkeit erfordern gleichsam die sozialrechtliche Kontinuität auch nach erfolgter Separation bzw. Dismembration (vgl. hierzu Vorlagebeschluss). Sowohl im Interesse der Vertragsstaaten als auch ihrer Angehörigen ist die Fortgeltung der Vertragsbeziehungen und der entsprechenden innerstaatlichen Sozialgesetze unerlässlich: Ein Automatismus dergestalt, dass durch eine Änderung der Verhältnisse eo ipso ein Gesetz obsolet würde ("cessante causa cessat lex") ist unserer Rechtsordnung fremd. Rechtsstaatliche Grundsätze erfordern in der Regel einen Aufhebungsakt ("actus contrarius"), der unter Beachtung der entsprechenden Formvorschriften - hier also des formellen Gesetzgebungsverfahrens - die bisherige Rechtslage rückgängig macht bzw. den geänderten Verhältnissen anpasst. Insofern kann auch aus der Regelung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht unmittelbar abgeleitet werden, dass die Fortgeltung eines verfassungsrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes nur dann anzunehmen sei, wenn es nach Änderung der Sachlage durch ein neues formelles Gesetz bestätigt oder ersetzt werde.
Darüber hinaus gebieten die Funktionsfähigkeit der neuen Teilstaaten, aber auch die Interessen der betroffenen Versicherten, die kontinuierliche Fortgeltung der bisherigen Anspruchsgrundlagen: Entsprechende Eingriffe in (eigentumsrechtlich geschützte) Anwartschaften sind wiederum nur unter dem Vorbehalt des Gesetzes möglich:
Das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen begründet in aller Regel rechtliche und wirtschaftliche Vorteile für die betroffenen Versicherten bzw. Anspruchsberechtigten. Dies gilt im Übrigen auch hinsichtlich des erhobenen Anspruchs (§ 123 SGG) auf Erstattung der Beiträge, die der Kläger selbst getragen hat (also nur der Arbeitnehmeranteile). Denn durch die Erstattung der Arbeitnehmeranteile erlischt der Rentenanspruch insgesamt, also auch die Anwartschaft aus den Arbeitgeberanteilen (vgl. § 210 Abs. 6 Sätze 2 und 3 SGB VI). Dementsprechend können insbesondere die abgespalteten Staaten nicht daran interessiert sein, dass ihre Angehörigen sich im Ausland erworbene Rentenanwartschaften abgelten lassen. Denn mittel- und längerfristig entlasten die vollen Ansprüche ihrer Bürger (d.h. aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen) gegenüber dem ausländischen Versicherungsträger die Sozialkassen der neu gegründeten Staaten. Eine zum gänzlichen Verlust der Rentenanwartschaft führende Erstattung nur des halben Beitragswertes ist letztendlich sowohl für den Staat als auch für den Einzelnen nachteilig.
Aufgrund der fort geltenden Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen gemäß Art. 3 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens ist der Kläger mithin zur freiwilligen Beitragsentrichtung nach wie vor berechtigt und die Voraussetzungen für die Beitragserstattung gemäß § 210 SGB VI sind somit nicht erfüllt.
Nach alledem ist der Berufung des Klägers der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger im Berufungsverfahren unterlegen ist.
Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist die Revision gem.
§ 160 Abs. 2 Nr.1 SGG zuzulassen.
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