S 12 KA 882/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 882/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 61/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der sog. Nachhaltigkeitsfaktor berührt nicht den Anspruchssatz der Teilnahme an der erweiterten Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Ein im Jahr 1995 geschlossener Vergleich über die ungekürzte Erhaltung des erreichten Höchstsatzes in der EHV steht daher der Berücksichtigung des sog. Nachhaltigkeitsfaktors nicht entgegen.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Honorars aufgrund der Teilnahme an der Erweiterten Honorarverteilung der Beklagten (EHV) in den sechs Quartalen III/07 bis IV/08 und hierbei ausschließlich noch um die Frage, ob der sog. Nachhaltigkeitsfaktor wegen eines vor dem Landessozialgericht im Jahre 1995 geschlossenen Vergleichs nicht zu berücksichtigern ist.

Der 1944 geborene und jetzt 67-jährige Kläger nahm von 1977 bis zum 23.01.1996 an der vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in ZQ. als Facharzt für Radiologie teil.

In einem Rechtsstreit mit der Beklagten über die weitere Verpflichtung des Klägers zur Beitragszahlung an die EHV hatte das SG Frankfurt a. M., Urt. v. 30.03.1994 – S 28/5 Ka 471/92 die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Nach Berufung des Klägers hatten die Beteiligten zum Aktenzeichen L 7 Ka 568/94 vor dem Landessozialgericht Hessen am 29.11.1995 folgenden Vergleich geschlossen:

1. Die Beklagte sichert dem Kläger die ungekürzte Erhaltung des erreichten Höchstsatzes in der EHV auch für den Fall seines Verzichts auf die Zulassung zu, vorbehaltlich einer evtl. Anspruchsminderung bei vorzeitiger Inanspruchnahme. Die Zusicherung steht unter dem Vorbehalt, dass der Kläger keine kassenärztliche Tätigkeit in einem anderen Bundesland mehr aufnimmt.

2. Der Kläger nimmt die Berufung zurück.

3. Die Beklagte erstattet dem Kläger einen Betrag von 5.000,00 DM an außergerichtlichen Kosten.

4. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 22.08.2007 die Teilnahme an der EHV mit Wirkung vom 01.09.2007. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe zum 31.12.1995 auf die vertragsärztliche Zulassung verzichtet. Er werde mit vollendetem 63. Lebensjahr an der EHV beteiligt. Nach den EHV-Grundsätzen in § 3 (1)c Buchstabe cc werde deshalb der Anspruchshundertsatz um 15% von 18% auf 15,300% gekürzt. Die Höhe der Quartalszahlungen richteten sich nach dem erworbenen Anspruchssatz, der konstant bleibe, und dem jeweiligen durchschnittlichen Quartalsumsatz aller hessischen Vertragsärzte. Gem. § 8 Abs. 1 seien alle Ansprüche über einen Nachhaltigkeitsfaktor so zu quotieren, dass die quotenmäßige Belastung der Punktwerte der Honorarverteilung einen Wert von 5% nicht überschreite.

Im strittigen Zeitraum setzte die Beklagte den EHV-Anspruch mit Bescheid, gegen den der Kläger jeweils Widerspruch einlegte, wie folgt fest:

Quartal Bescheid v. Durchschnittshonorar in EUR Bruttohonorar in EUR Auszahlungsquote in % EHV-Anspruch in EUR Widerspruch vom
III/07 22.04.2008 41.455,40 2.114,23 85,3231 1.803,92 08.05.2008
IV/07 15.07.2008 45.455,64 6.954,71 85,2424 5.928,36 07.08.2008
I/08 13.10.2008 44.468,79 6.803,72 84,6479 5.759.21 07.11.2008
II/08 02.02.2009 45.161,78 6.909,75 83,7073 5.783,97 24.02.2009
III/08 09.04.2009 41.871,88 6.406,40 84,0176 5.382,50 05.05.2009
IV/08 09.06.2009 46.013,37 7.040,05 83,6371 5.888,09 03.07.2009

Zur Begründung seiner Widersprüche trug der Kläger vor, er verfüge über einen rechtskräftigen Bescheid in Sachen EHV aus dem Jahr 1995. In dem Vergleich vom 29.11.1995 sei ihm die ungekürzte Erhaltung des erreichten Höchstsatzes zugesichert worden, natürlich unter Abzug wegen vorzeitiger Inanspruchnahme. In dem Vergleich sei von evtl. Satzungsänderungen als Vorbehalt einer Anspruchsminderung nicht die Rede. Der neu eingeführte Nachhaltigkeitsfaktor sei jedenfalls in der 1995 geltenden Fassung noch nicht vorhanden gewesen, er habe daher einen Anspruch auf Ausschüttung ohne Reduktion durch den Nachhaltigkeitsfaktor.

Die Beklagte verband alle Widerspruchsverfahren und wies mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2010 die Widersprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, Sinn und Zweck des Vergleichs sei ausschließlich gewesen, dem Kläger den jeweils geltenden satzungsgemäßen Höchstanspruchssatz, den er bereits erworben gehabt hatte, unvermindert auch für den Fall zu garantieren, dass er zu einem früheren Zeitpunkt als dem 65. Lebensjahr auf die Zulassung als Vertragsarzt verzichte, ohne bereits die EHV in Anspruch zu nehmen. Es sei jedoch nicht Vergleichsgegenstand gewesen, dass zum einen die EHV-Ansprüche immer nach der seinerzeit gültigen Satzung errechnet würden und zum anderen aus dem vereinbarten Anspruchssatz auch ein bestimmter Anspruch auf ein festes EHV-Honorar (als Eurobetrag) resultiere. Die EHV-Bezüge seien nach den Grundsätzen der EHV vom Durchschnittshonorar wesentlich abhängig. Der Durchschnittsumsatz hänge aber wiederum von verschiedenen Faktoren ab, so dass sich bei einem feststehenden Anspruchssatz von Quartal zu Quartal ohnehin schwankende Honoraransprüche ergäben. Der im Vergleich vereinbarte Anspruchssatz gelte nach wie vor unverändert. Nach der seit Juli 2006 in Kraft getretenen Änderung der Grundsätze der EHV seien alle EHV-Ansprüche über einen Nachhaltigkeitsfaktor so zu quotieren, dass die quotenmäßige Belastungen der Punktwerte der Honorarverteilung einen Wert von 5% nicht überschritten. Im gerichtlichen Vergleich werde lediglich der Höchstanspruchsatz festgeschrieben, nicht jedoch ein bestimmter EHV-Anspruch.

Hiergegen hat der Kläger am 26.11.2010 die Klage erhoben. Er trägt vor, er habe bereits mit 51 Jahren auf seine Zulassung verzichtet. In der Zeit seiner vertragsärztlichen Tätigkeit in den Jahren 1977 bis 1994 habe er einen EHV-Anspruchssatz erworben, der weit über der Normalstaffel gelegen habe. Die normale Punktstaffel habe 6.900 Punkte betragen, er habe bis 1994 insgesamt 50.015,8 Punkte erworben gehabt. Er sei damit einverstanden gewesen, dass im Rahmen seiner vorzeitigen Zulassungsrückgabe diese Punkte zur Abschmelzung gekommen seien, allerdings nicht unter dem damals bestehenden Höchstsatz von 30%. Mit dem Vergleich sei fest vereinbart worden, dass er in jedem Falle Leistungen nach dem Anspruchssatz von 30% zu beanspruchen habe. Er habe Bestandsschutz. Er bestreite die Rechtswirksamkeit des Nachhaltigkeitsfaktors. Dieser dürfe aber keine Auswirkungen auf seine Ansprüche haben.

Der Kläger beantragt,
unter Abänderung der Bescheide über die EHV-Honorarabrechnungen für das Quartal III/07 vom 22.04.2008,
für das Quartal IV/07 vom 15.07.2008,
für das Quartal I/08 vom 13.10.2008,
für das Quartal II/08 vom 02.02.2009,
für das Quartal III/08 vom 09.04.2009 und
für das Quartal IV/08 vom 09.06.2009,
alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2010, die Beklagte zu verpflichten, ihm aufgrund des vor dem Landessozialgericht Hessen am 29.11.1995 abgeschlossenen Vergleichs zum Aktenzeichen L 7 Ka 568/94 die Leistungen aus der EHV ohne Anwendung des "Nachhaltigkeitsfaktors" gem. § 8 GEHV zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, der Nachhaltigkeitsfaktor greife nicht den Anspruchssatz ein, sondern nur in die Berechnung des EHV-Zahlbetrages.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden. Die Beteiligten haben durch Vergleich vor der Kammer in der mündlichen Verhandlung den Streitgegenstand auf die Frage begrenzt, ob allein aufgrund des Vergleichs vom 29.11.1995 der sog. Nachhaltigkeitsfaktor auf den Kläger nicht anzuwenden ist.

Die Klage ist aber unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 27.10.2010 sind, soweit sie Gegenstand dieses Verfahrens sind, rechtmäßig und waren daher nicht abzuändern. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die Teilnahme an der erweiterten Honorarverteilung ohne Berücksichtigung des sog. Nachhaltigkeitsfaktors aufgrund des Vergleichs vom 29.11.1995 zu bewilligen.

Die Beklagte hat dem Kläger im vor dem Landessozialgericht Hessen am 29.11.1995 abgeschlossenen Vergleich zum Aktenzeichen L 7 Ka 568/94 nicht zugesichert, Leistungen aus der EHV ohne Anwendung des "Nachhaltigkeitsfaktors" gem. § 8 GEHV bzw. ungekürzte Honorare zu bewilligen. Der Vergleich aus dem Jahre 1995 konnte eine solche Zusicherung nicht vornehmen, weil es seinerzeit den "Nachhaltigkeitsfaktors" nicht gab und dieser sich auch nicht in der berufspolitischen Diskussion befand. Die Diskussion und Einführung erfolgte einige Jahre später.

Im Vergleich wird dem Kläger lediglich "die ungekürzte Erhaltung des erreichten Höchstsatzes in der EHV" zugesichert. Damit wird aber kein Anspruch in einer bestimmten Höhe zugesichert. Bereits im Jahr 1995 war die Höhe des EHV-Anspruchs von dem als Berechnungsgrundlage maßgeblichen und quartalsweise zu berechnenden Durchschnittshonorar abhängig, woraus sich schon ein quartalsweise unterschiedlicher EHV-Betrag ergibt. Auch nach dem Vergleich hat der Kläger daher keinen Anspruch auf eine bestimmte Höhe des EHV-Zahlbetrages. Dies ist darin nicht vereinbart worden und wäre der Beklagten aufgrund des EHV-Systems auch nicht möglich gewesen.

Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich, dass er seinerzeit vor den Sozialgerichten um die Anerkennung eines höheren Anspruchssatzes gestritten hat. Auch vor diesem Hintergrund hat die Beklagte lediglich einen Anspruchssatz zugesichert, der – unter Berücksichtigung der Einbeziehung der Ersatzkassenabrechnungen – als Höchstsatz von 18% auf den Kläger weiterhin angewandt wird. Die Reduzierung auf 15,3% beruht, wie im Bescheid vom 22.08.2007 ausgeführt, auf der vorzeitigen Inanspruchnahme der EHV. Die weitere Reduzierung für das Quartal III/07 beruht auf dem Umstand, dass der Kläger erst seit September 2007 an der EHV teilnimmt und es sich damit um kein volles Quartal handelt. Diese beiden Reduzierungen sind im Übrigen zwischen den Beteiligten unstreitig. Ziel des Vergleichs war, wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, die Nichtanwendung der Kürzungsregelungen aufgrund einer vorzeitigen Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit. Der Kläger plante bereits damals, im Alter von 51 Jahren, auf die vertragsärztliche Zulassung zu verzichten. Nach der bereits seinerzeit geltenden Regelung war für jedes volle Jahr zwischen Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit in Hessen und dem Eintritt in die EHV eine Kürzung vorzunehmen (vgl. jetzt § 4 Abs. 2 Satz 1 GEHV). Der Kläger hat selbst in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass der damalige Vorsitzende des Berufungssenats eine Stattgabe der Klage deutlich signalisiert habe, weshalb die Beklagte zum Absehen von dieser Kürzung gegen eine Klagerücknahme bereit gewesen sei. Damit war der Vergleich auch kontextbezogen ausschließlich auf diesen Inhalt begrenzt. An diese Abrede hat sich die Beklagte dann auch bei der Bewilligung der Teilnahme an der EHV gehalten, was unstreitig zwischen den Beteiligten ist.

Der Höchstsatz wird aber durch den "Nachhaltigkeitsfaktors" gem. § 8 GEHV nicht angetastet und ist weiterhin Grundlage für den EHV-Bezug des Klägers.

Der mit Wirkung ab 01.07.2006 eingeführte "Nachhaltigkeitsfaktor" ersetzt den mit der ab 01.01.2001 geltenden Reform eingeführten Ausgleichsfonds.

Nach § 8 Abs. 1 GEHV in der ab 01.07.2006 geltenden Fassung "Finanzierung der EHV-Ansprüche" werden die für die Finanzierung der nach §§ 3 ff. festgestellten EHV-Ansprüche notwendigen Mittel durch Quotierung der im Rahmen der Honorarverteilung festgestellten Punktwerte bereitgestellt (Satz 1). Die Quote darf dabei einen Wert von 5 % nicht überschreiten (Satz 2). Die festgestellten Ansprüche beziehen sich dabei auf das jeweils anerkannte durchschnittliche Honorar aus der Behandlung von Versicherten der Primär- und Ersatzkassen gemäß § 3 in Verbindung mit § 5 Abs. 3 (Satz 4). Sollten die erforderlichen Mittel (nach Abs. 1 Satz 2) für die Finanzierung der EHV-Ansprüche nicht ausreichen, sind alle Ansprüche über einen Nachhaltigkeitsfaktor so zu quotieren, dass die quotenmäßige Belastung der Punktwerte der Honorarverteilung einen Wert von 5 % nicht überschreitet (Satz 5).

Dieser Regelungsmechanismus führt zwar im Ergebnis zu einer Verminderung des EHV-Anspruchs durch eine faktische Quotierung des EHV-Auszalungsbetrags, greift aber nicht in die Höhe des Anspruchssatzes ein.

Im Ergebnis war die Klage daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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