L 3 AL 2518/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AL 413/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 2518/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. Mai 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der in dem Verfahren S 9 AL 2608/04 vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) geschlossene Vergleich unwirksam und das Verfahren fortzuführen ist.

Der am 18.01.1975 geborene Kläger stand mit Unterbrechungen im langjährigen Bezug von Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch. Er führte und führt deswegen vor dem Sozialgericht Karlsruhe und dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) zahlreiche Rechtsstreitigkeiten gegen die Beklagte. Mit Bescheid vom 13.05.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 15.04.2004 i.H.v. 172,83 EUR wöchentlich. Mit Änderungsbescheid vom 15.06.2004 änderte die Beklagte - auf einen Widerspruch des Klägers hin - die Bewilligung ab und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 15.04.2004 für 148 Kalendertag i.H.v. 197,68 EUR wöchentlich. Den Widerspruch des Klägers wies sie sodann mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2004 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 29.06.2004 Klage zum SG - S 9 AL 2608/04 -. Mit der Klage machte der Kläger die Gewährung eines höheren Arbeitslosengeldes geltend. Dem, der Arbeitslosengeldbemessung zu Grunde liegenden Arbeitsentgelt seien die Lohngruppe 8 zzgl. 10 %, vermögenswirksame Leistungen, sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld nach dem Tarifvertrag für die Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden zu Grunde zu legen.

Anlässlich einer persönlichen Vorsprache des Klägers bei der Beklagten unterbreitete diese dem Kläger ein schriftliches Vergleichsangebot des Inhalts, dass die Beklagte eine neue fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes auf der Basis eines monatlichen Arbeitsentgelts von 2.500,- EUR (brutto) vornimmt und auf der Basis des Ergebnisses alle Berechnungen des Arbeitslosengeldes seit 2004 nochmals überprüft. Ferner beinhaltete der Vergleichsvorschlag eine Regelung, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt und sich die Beteiligten darüber einig sind, dass damit der Rechtsstreit S 9 AL 2608/04 in vollem Umfang erledigt ist. Das Vergleichsangebot der Beklagten war zur Zeit der Übergabe des Schriftstücks an den Kläger bereits durch den zeichnungsberechtigten Mitarbeiter der Beklagten unterzeichnet. Der Kläger änderte das Vergleichsangebot der Beklagten betreffend der Kostentragung ab, indem er die Textstelle ohne Absprache mit der Beklagten strich und sodann das schriftliche Vergleichsangebot unterzeichnete. Sodann beantragte der Kläger am 02.04.2009 beim SG den Vergleich durch Beschluss zu bestätigen sowie der Beklagten die Kosten aufzuerlegen. Mit Schreiben vom 06.04.2009 erklärte die Beklagte, mit ihrem Vergleichsvorschlag bestehe auch ohne die vom Kläger gestrichene Kostenregelung Einverständnis. Das SG stellte sodann durch Beschluss vom 06.04.2009 nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 278 Abs. 6 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) fest, dass die Beteiligten folgenden Vergleich geschlossen haben:

1. Die Beklagte nimmt eine neue fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes auf der Basis eines monatlichen Arbeitsentgelts von brutto 2.500,00 EUR vor und prüft auf der Basis des Ergebnisses alle Berechnungen des Arbeitslosengeldes seit 2004 nochmals.

2. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit der Rechtsstreit S 9 AL 2608/04 in vollem Umfang erledigt ist.

Am 03.02.2010 hat der Kläger beim SG beantragt, das Verfahren S 9 AL 2608/04 fortzuführen und festzustellen, dass der geschlossene Vergleich unwirksam/nichtig sei. Hierzu hat er vorgebracht, der Vergleich sei in der Erwartung geschlossen worden, dass damit ein jahrelanger Streit sein Ende finde und er Arbeitslosengeld in der ihm zustehenden Höhe erhalte. Tatsächlich habe die Beklagte den Vergleich aber nie erfüllt bzw. erfüllen wollen. Ihr sei es lediglich darum gegangen, den Kläger arglistig zu täuschen.

Die Beklagte ist dem Vorbringen entgegengetreten und hat hierzu vorgebracht, der Vorwurf der arglistigen Täuschung sei nicht berechtigt. Sie habe den sich aus dem Vergleich ergebenden Nachzahlungsbetrag im Hinblick auf eine ihr zustehende Erstattungsforderung gegen den Kläger einbehalten. Ein Motivirrtum des Klägers könne die Anfechtung nicht rechtfertigen. Auch ein Unwirksamkeitsgrund nach § 779 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) liege nicht vor.

Mit Gerichtsbescheid vom 25.05.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, dass das vom Kläger während des gerichtlichen Verfahrens gestellte Befangenheitsgesuch das Gericht nicht daran hindere, in der Sache zu entscheiden, da es offensichtlich rechtsmissbräuchlich sei. Gleiches gelte für den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht. Inhaltlich sei die Klage unbegründet, weil die Beteiligten das Verfahren - S 9 AL 2608/04 - durch eine übereinstimmende Erledigungserklärung, die in der Einverständniserklärung zum Vergleich vom 02.04.2009 zu erblicken sei, beendet hätten. Der vom Kläger angeführte Anfechtungsgrund der arglistigen Täuschung greife nicht durch. Der klägerische Einwand, die Beklagte habe den Vergleich nie erfüllen wollen, stelle einen unbeachtlichen Motivirrtum dar. Die Beklagte habe mit der Aufrechnung von einen gesetzlich zulässigen Mittel Gebrauch gemacht.

Gegen den am 27.05.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28.05.2010 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren fortführt. Er hat hierzu die Übersendung von Kopien der Akte beantragt. Gesetzlich zuständiger Richter für das Verfahren sei der 12. Senat des LSG. Seit dem 13.09.2011 befindet sich der Kläger in Untersuchungshaft.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. Mai 2010 aufzuheben, festzustellen, dass der zwischen den Beteiligten geschlossene Vergleich nichtig oder unwirksam ist und das Verfahren vor dem Sozialgericht Karlsruhe - S 9 AL 2608/04- fortzuführen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, sowie die bei der Beklagten für den streitgegenständlichen Vorgang geführte Akte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2011 wurden, sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung führt für den Kläger nicht zum Erfolg.

Aufgrund des Geschäftsverteilungsplans des LSG ist der erkennende Senat zur Entscheidung über das Verfahren berufen. Der unsubstantiierte Einwand des Klägers, der 12. Senat sei für die Entscheidung zuständig, geht fehl.

Der Senat konnte über die Berufung entscheiden, obschon der Kläger zu der mündlichen Verhandlung am 09.11.2011 nicht erschienen ist. Der Kläger wurde ordnungsgemäß durch Übergabe der Ladung in der Justizvollzugsanstalt geladen und auf die Möglichkeit einer Entscheidung in seiner Abwesenheit hingewiesen. Der Umstand, dass sich der Kläger seit dem 13.09.2011 in Untersuchungshaft befindet, ändert hieran, wie der Senat bereits in seinen Urteilen vom 21.09.2011 u.a. in den Verfahren - L 3 AL 2514/10 -, - L 3 AL 2521/10 -, - L 3 AL 2641/10 - und vom 19.10.2011 u.a. in den Verfahren - L 3 AL 3913/11 -, - L 3 AL 3819/11 -, L 3 AL 3917/11 - entschieden hat, nichts. Der Senat war auch nicht verpflichtet, dem Kläger, wie von ihm beantragt, eine Kopie der Verfahrens- und Verwaltungsakte zu fertigen und zur Verfügung zu stellen. Der Antrag ist, da der Kläger eine Kopie der gesamten Akte begehrt hat, ohne ihn auf konkrete Aktenteile zu begrenzen, rechtsmissbräuchlich (Beschluss des erkennenden Senats vom 29.06.2011 - L 3 AL 1928/11 B -; Urteile des erkennenden Senats vom 21.09.2011, a.a.O.).

Die statthafte Berufung (§ 143 Abs. 1 SGG) wurde form- und fristgerecht eingelegt (vgl. § 151 Abs. 1 SGG); sie ist zulässig. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Fortsetzung des Verfahrens S 9 AL 413/10, denn dieses ist durch den gerichtlichen Vergleich vom 06.04.2009 beendet.

Nach § 101 Abs. 1 SGG können die Beteiligten, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, zur Niederschrift des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen könnten. Ein gerichtlicher Vergleich kann gemäß § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen. Die Beteiligten des Verfahrens haben sich auf einen Vergleich des Inhalts, dass die Beklagte eine neue fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes auf der Basis eines monatlichen Arbeitsentgelts von 2.500,00 EUR (brutto) vornimmt und auf der Basis des Ergebnisses alle Berechnungen des Arbeitslosengeldes seit 2004 nochmals überprüft, geeinigt. Dieser Vergleich beinhaltete auch eine Klausel, dass die Beteiligten sich darüber einig sind, dass damit der Rechtsstreit S 9 AL 2608/04 in vollem Umfang erledigt ist. Hierdurch wurde das anhängige Gerichtsverfahren beendet (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 101, Rn. 10). Die Rechtsnatur eines derartigen schriftlichen Vergleichs unterscheidet sich nicht von einem protokollierten Vergleich (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl., § 278, Rn. 16). Der zwischen den Beteiligten geschlossene Vergleich, dessen Inhalt das SG mit (deklaratorischem) Beschluss vom 06.04.2009 festgestellt hat, hat mithin eine Doppelnatur, er ist einerseits materiell-rechtlicher Vertrag und andererseits eine Prozesshandlung, die den Rechtsstreit unmittelbar beendet und dessen Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Prozessrechts richtet (BSG, Urteil vom 26.04.1963 - 2 RU 228/59 -; Urteil 24.01.1991 - 2 RU 51/90 - veröffentlicht in juris; Leitherer, a.a.O., § 101, Rn. 3). Die Unwirksamkeit des Vergleichs kann sich sowohl aus materiell-rechtlichen Gründen, als auch aus prozessualen Gründen ergeben. Materiell- rechtliche Gründe führen zur Unwirksamkeit des Vergleichs, wenn der Beteiligte nicht wirksam zugestimmt hat, wenn der Vergleich als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach §§ 116 ff BGB nichtig oder wirksam angefochten ist oder wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden wäre (vgl. BSG, Urteil vom 24.01.1991, a.a.O.; Leitherer, a.a.O., § 101, Rn. 13). Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Prozessvergleichs, etwa nach den Bestimmungen der §§ 116 ff BGB, oder seine Unwirksamkeit nach § 779 Abs. 1 BGB liegen nicht vor. Aber auch die vom Kläger - sinngemäß - auf § 123 Abs. 1 BGB gestützte Anfechtung des Prozessvergleichs wegen arglistiger Täuschung ist nicht begründet. Soweit der Kläger diesbezüglich vorbringt, der Vergleich sei - von ihm - in der Erwartung geschlossen worden, dass damit ein jahrelanger Streit sein Ende findet und er Arbeitslosengeld in der ihm zustehenden Höhe erhalte, die Beklagte jedoch den nie erfüllt habe bzw. erfüllen wollen, er hierin eine arglistige Täuschung der Beklagten erblickt, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des gerichtlichen Vergleichs nach § 142 Abs. 1 BGB. Die Motivlage des Klägers bei Abschluss des Vergleichs und ggf. bestehende diesbezügliche Irrtümer des Klägers sind als Motivirrtum unbeachtlich. Eine arglistige Täuschung i.S.d. § 123 Abs. 1 BGB lässt sich dadurch nicht begründen. Im Übrigen hat die Beklagte den Kläger nicht getäuscht; sie hat keine Tatsachen zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums vorgespiegelt. Dass sie, nach Umsetzung des Vergleichs, den sich ergebenden Nachzahlungsbetrag mit einer Erstattungsforderung aufgerechnet hat, war nicht Gegenstand und Grundlage des Vergleichs, sondern entspringt der gesetzlichen Ermächtigung in § 51 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch. Der Beklagten kann auch nicht vorgeworfen werden, die Aufrechnung verschwiegen zu haben. Zwar kann eine Täuschung grds. auch durch Verschweigen von Tatsachen erfolgen; dies kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn der Betreffende zu einer solchen Aufklärung verpflichtet war. Eine Verpflichtung der Beklagten, den Kläger vor Abschluss des Vergleichs darüber zu informieren, dass ggf. eine Aufrechnung erfolgen wird, bestand indes nicht.

Prozessuale Gründe für die Unwirksamkeit des Vergleichs sind nicht ersichtlich.

Da mithin das Verfahren - S 9 AL 2608/04 - durch einen gerichtlichen Vergleich abgeschlossen ist, hat es das SG zu Recht abgelehnt, das Verfahren fortzuführen.

Die Berufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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