L 9 U 46/10

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 89/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 46/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt vom 13. Januar 2010 sowie der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2008 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheids vom 8. September 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2004 das Unfallereignis vom 10. Juli 2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen sowie in gesetzlichem Umfang zu entschädigen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) die Anerkennung eines Unfallereignisses vom 10. Juli 2003 als Arbeitsunfall sowie die Zahlung von Entschädigungsleistungen streitig.

Der Kläger ist 1982 geboren und war zu diesem Zeitpunkt serbischer Staatsangehöriger. Im Dezember 2002 reiste er mittels eines Visums der Deutschen Botschaft in C., welches vom 12. Dezember 2002 bis zum 10. Januar 2003 Gültigkeit hatte, nach Deutschland ein. Das Visum enthielt den Zusatz: "Nur für Besuchs-/Geschäftsreise. Erwerbstätigkeit nicht gestattet". Der Kläger lebte zunächst bei seinem Onkel in Deutschland. Am 10. Juli 2003 fuhr sein Onkel – Herr D. - mit ihm auf die Brückenbaustelle in der E-Straße in F-Stadt. Dort verlegte er zusammen mit dem Zeugen C. auf der Brücke Armierungsstahl. Dabei geriet der Kläger in Kontakt mit der Oberleitung der unter der Brücke durchlaufenden Linie der Deutschen Bahn AG, als ein Eisenteil der Brücke hiermit in Kontakt kam, wobei der Kläger eine Stromverletzung mit Eintritt an der rechten Hand und Stromaustritt am rechten Fuß sowie am linken Sprunggelenk erlitt. Laut Durchgangsarztbericht vom 14. Juli 2003 von Dr. G. wies das rechte Bein zweit- und drittgradige Verbrennungen über der ventralen und lateralen Seite auf. Am rechten Fußrücken fanden sich drittgradige Verbrennungen mit Strommarken, am linken Sprunggelenk zeigte sich ein Armierungseisen, welches sich durch Strom- und Hitzeeinwirkung in Höhe des dorsales Sprunggelenkes in die Achillessehne eingebrannt hatte und ca. 3 cm tief steckte. Infolge der Verletzungen wurden dem Kläger Gliedmaßen amputiert.

Die Beklagte zog die Ermittlungsergebnisse der zuständigen Ordnungsbehörden bei. Laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft beim Landgericht O. vom 19. August 2003 wurde der Zeuge C. wegen Beihilfe zu einem Vergehen gegen das Ausländergesetz zu 120 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt, wobei hierbei der Unfall bei den Brückenbauarbeiten zwar berücksichtigt wurde, sich aber nicht beträchtlich straferhöhend auswirkte.

Durch Bescheid vom 8. September 2003 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab; der Bescheid wurde durch öffentlichen Aushang bekannt gemacht. Die wesentliche Begründung lautete, es sei lediglich bekannt, dass der Kläger auf der Baustelle Bewehrungsarbeiten durchgeführt habe; da er aber alle Angaben bis auf seinen Namen und sein Geburtsdatum verweigert habe und der Zeuge C. keine Arbeitnehmer beschäftigte, müsse die Beklagte davon ausgehen, dass er die Arbeiten als Selbständiger zusammen mit dem Zeugen C. durchgeführt habe und daher ein Versicherungsschutz weder kraft Gesetzes noch nach Satzung der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe.

Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde seitens der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 12. August 2004 als unbegründet zurückgewiesen mit der wesentlichen Begründung, dass weder ein schriftlicher Arbeitsvertrag noch Lohnabrechnungen und Belege von Lohnzahlungen, Mitgliedschaftsbestätigungen einer Krankenkasse, eine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis hätten vorgelegt werden können. Die seitens des Klägers genannten Zeugen Frau H. und Herr D. seien ebenso wie Herr C. zu dem angeblichen Beschäftigungsverhältnis befragt worden und die Beklagte habe Einsicht in die Unterlagen der Staatsanwaltschaft genommen. Der genannte Herr J. habe nicht gefragt werden können, da dieser trotz entsprechender Nachfrage die Anschrift nicht mitgeteilt habe. Frau K. habe zur Sache überhaupt keine Angaben machen können, weil sie erst nach dem Unfall von der Angelegenheit erfahren habe. Der Zeuge D. habe angegeben, dass er selbst gehört habe, dass der Zeuge C. ihn angestellt und er den Kläger am Morgen des Unfalls zur Baustelle gefahren habe, wo er über ein Jahr zu einem Stundenlohn von 10 Euro habe arbeiten sollen. Der Zeuge C. selbst habe in der Verwaltung der Beklagten vorgesprochen und mitgeteilt, dass der 10. Juli 2003 der erste Tag der Aushilfe gewesen sei. Er habe durch einen jugoslawischen Bekannten, dessen Namen und Anschrift er nicht wisse, am Dienstag vor dem Unfall erst von der Existenz des Klägers gehört und habe mit seinem Bekannten vereinbart, dass dieser den Kläger am Tag des Unfalls mit zur Baustelle nehme. Es seien keine Absprachen über die tägliche oder wöchentliche Arbeit getroffen worden. Ebenso wenig seien Vereinbarungen über den zu zahlenden Lohn getroffen worden. Bezüglich der Dauer der Arbeiten auf der Baustelle habe der Zeuge C. mitgeteilt, dass zunächst nur der eine Tag geplant gewesen sei, später habe er angegeben, die Arbeiten hätten ca. drei Tage dauern sollen. Aus den Unterlagen der Staatsanwaltschaft gehe hervor, dass der Zeuge C. seinem Auftraggeber Unbedenklichkeitsbescheinigungen der AOK Hessen und anderer Berufsgenossenschaften vorgelegt habe, in denen bestätigt würde, dass keine Beitragsrückstände bestünden, weil er keine Arbeitnehmer beschäftige. Da die Angaben des Klägers und von Herrn D. denen des Herrn C. widersprächen, insbesondere im Hinblick auf eine angebliche Barzahlung bzw. eine Vereinbarung der Lohnhöhe, seien weder die Angaben des Klägers noch die des Zeugen C. glaubhaft. Es sei weiterhin möglich, dass der Kläger auf der Baustelle als Selbständiger tätig gewesen sei, zum Beispiel als Subunternehmer des Herrn C ... Dies sei auch nachvollziehbar und im Interesse des Zeugen C., wenn er den Kläger im Nachhinein als Aushilfe bezeichne, weil dadurch eine weitergehende Haftungsfreistellung bezüglich seines Mitverschuldens an dem Unfall zu erlangen sei.

Auf die hiergegen beim Sozialgericht Frankfurt am Main am 1. September 2004 erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt (S 16 U 2150/04) Beweis erhoben durch Vernehmung des Onkels des Klägers, Herrn D., sowie des Herrn C. als Zeugen. Durch Urteil vom 18. Dezember 2006 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage als unbegründet abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Sozialgerichts Frankfurt am Main zwar auch ein "illegaler" Arbeitnehmer unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehe, sofern er als Arbeitnehmer und nicht Selbständiger tätig gewesen sei. Das Sozialgericht sei zur Auffassung gelangt, dass nach den Auskünften des Zeugen D. und des Klägers sowie Aussagen der anderen Personen der Zeuge C. der Chef des Klägers und damit sein Arbeitgeber gewesen sei und somit der Kläger abhängig beschäftigt gewesen sei. Er habe den Werkvertrag hinsichtlich des Verlegens des Eisens als Subunternehmer abgeschlossen, und dann jemanden für die Arbeit gesucht; er habe den Kläger mitgenommen und angewiesen. Dennoch sei die Klage abzuweisen, weil der Kläger die Illegalität durchaus gekannt habe, was sein Verhalten nach dem Unfall belege, da er dort keinerlei Angaben außer seinem Namen gemacht habe.

Dieses Urteil wurde dem Kläger durch Postzustellungsurkunde vom 23. Januar 2007 zugestellt. Am 3. Juli 2007 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers beim Sozialgericht Frankfurt am Main im Hinblick auf die eingelegte Berufung um Sachstandsmitteilung. Woraufhin ihm mitgeteilt wurde, dass von einer Berufungseinlegung nichts bekannt sei. Durch per Fax am 11. Juli 2007 an das Sozialgericht gesandten Schriftsatz teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dass der Berufungsschriftsatz vom 22. Januar 2007 offensichtlich bei Gericht nicht vorliege, weshalb er Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand begehre. Mit am 23. Oktober 2007 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangenem Schriftsatz teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers nach entsprechendem Hinweis des Berichterstatters mit, eine sachliche Überprüfung der Angelegenheit im Rahmen des § 44 SGB X durch die Beklagte beantragen zu wollen. Auf eine Fortführung des Berufungsverfahrens (L 3 U 143/07) werde angesichts dessen verzichtet.

Durch Bescheid vom 11. Dezember 2007 wurde die Rücknahme des Bescheids vom 8. September 2003 nach § 44 SGB X seitens der Beklagten abgelehnt mit der Begründung, dass der Kläger nachzuweisen habe, dass er zum Zeitpunkt des Unfalls Arbeitnehmer gewesen sei. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung könne die Beklagte der Aussage des Zeugen C. keinen derartigen Beweiswert zumessen, der ausreichen würde, die Arbeitnehmereigenschaft als bewiesen anzusehen. Aufgrund des festgestellten Sachverhalts, insbesondere auf Grund des eigenen Verhaltens nach dem Unfall, indem er bis auf seinen Namen sämtliche Angaben verweigert habe, stehe für die Beklagte im Einklang mit der Bewertung durch das Sozialgericht fest, dass er die Rechtswidrigkeit seines Handelns erkannt und selbst versucht habe, den wahren Sachverhalt zu verschleiern. Gerade in der Baubranche seien Kleinstunternehmen, die im Wesentlichen als Subunternehmer für andere Unternehmen tätig sind, weit verbreitet. Die Abgrenzungskriterien zwischen abhängiger und selbständiger Beschäftigung seien minimal und immer anhand des tatsächlichen Umstands zu beurteilen. Gerade die tatsächlichen Umstände halte die Beklagte bei dem festgestellten Sachverhalt nicht für aufgeklärt und auch nicht für aufklärbar. Aufgrund des gesamten Ermittlungsergebnisses sei es mindestens genau so wahrscheinlich, dass der Kläger als Selbständiger zusammen mit dem Zeugen C. auf der Baustelle gearbeitet habe oder auch von Herrn D. als Arbeitnehmer an Herrn C. verliehen worden sei. Hierfür spreche u. a. dass die angeblichen Lohnverhandlungen nicht zwischen ihm und Herrn C. geführt worden seien, sondern zwischen Herrn D. und Herrn C ... Offenbar habe Herr D. bereits früher Schwarzarbeiter Herrn C. vermittelt oder ausgeliehen, denn er habe bei seiner Aussage vor dem Sozialgericht eingeräumt, hierfür noch Geld von Herrn C. bekommen zu haben. Alle Angaben der Zeugen seien davon geprägt, die tatsächlichen Verhältnisse der kriminell geprägten Geschäftsbeziehungen zu verschleiern. Da sich der Kläger selbst bereits längere Zeit illegal und ohne Arbeitsgenehmigung in Deutschland aufgehalten habe, gehe die Beklagte zudem davon aus, dass auch er im größeren Umfang hierin verstrickt sei, als er bisher eingeräumt habe. Nach Ausschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten sei der notwendige Vollbeweis nicht dafür erbracht, dass der Kläger als abhängiger Beschäftigter des Herrn C. tätig gewesen sei.

Durch Widerspruchsbescheid vom 13. März 2008 wurde der dagegen erhobene Widerspruch ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen mit der Begründung, dass das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage gegen den Bescheid vom 8. September 2003 abgewiesen habe. Neue Gesichtspunkte gebe es nicht.

Hiergegen richtet sich die Klage, die der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte am 16. April 2008 vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben hat. Dieses wies durch Gerichtsbescheid vom 13. Januar 2010 die Klage ab und führte zur Begründung aus, dass die Klage nicht begründet sei. Durch die Berufungsrücknahme im vorherigen Gerichtsverfahren habe sich der Kläger mit dem bestehenden Zustand abgefunden und auf eine Überprüfung des Streitfalles durch das Gericht bzw. durch das Berufungsgericht verzichtet, weshalb er im Ergebnis so stehe, als ob über seine Klage sachlich zu ungunsten entschieden worden sei. Der prozessuale Anspruch sei damit verbraucht und eine neue Klage sei unzulässig. Vor diesem Hintergrund sei das Antragsrecht des Klägers nach § 44 Abs. 4 SGB X eingeschränkt.

Gegen das am 13. Februar 2010 der Beklagten zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, die diese durch seine Prozessbevollmächtigte per Telefax am 1. März 2010 erhoben hat.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass er im Rahmen einer Überprüfung nach § 44 SGB X nicht davon ausgeschlossen sei, dass auch die bereits im vorherigen Verfahren vorgetragenen Tatsachen neu überprüft würden. Gerade aufgrund des Hinweises des Hessischen Landessozialgerichts, in dem angeregt wurde, das Berufungsverfahren nicht fortzusetzen und stattdessen einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu stellen, sei dieser Weg beschritten worden, weil die Berufung nicht zurückgenommen werde, sondern mitgeteilt worden sei, dass das Berufungsverfahren angesichts der mitgeteilten Alternative nicht weiter fortgeführt werde. Der Kläger sei zu keinem Zeitpunkt mit der erstinstanzlichen Entscheidung einverstanden gewesen, sondern habe diese vielmehr zur Überprüfung stellen wollen.

Zum Unfall selbst hat der Kläger im Erörterungstermin vom 15. November 2010 persönlich erklärt, dass er nach der Einreise nach Deutschland im Jahre 2002 praktisch ein halbes Jahr ausschließlich bei seinem Onkel, dem Zeugen D., gelebt habe und der damaligen Tochter des Zeugen Nachhilfeunterricht erteilt habe. Gleichzeitig habe er durch das Kind die deutsche Sprache besser erlernt. Bis zum Unfall habe er letztlich die Zeit in der Wohnung des Onkels verbracht und die Tätigkeit habe darin bestanden, die Tochter in den Kindergarten zu bringen. Er habe kein Geld verdient, er habe allerdings ein paar Euro dabei gehabt, als er nach Deutschland eingereist sei und habe davon seinem Onkel etwas geliehen. Irgendwann habe er kein Geld mehr gehabt um zurückzureisen. Am Abend vor dem streitgegenständlichen Unfall sei die Frau seines Onkels gekommen und habe ihn gefragt, ob er nicht etwas dazuverdienen wolle und so sei es gekommen, dass er morgens um 06.00 Uhr mit seinem Onkel zu dieser Baustelle gefahren sei. Bis zum streitgegenständlichen Unfall habe er nicht gearbeitet. Am
Unfalltag habe er erstmals den Zeugen C. kennengelernt. Dieser habe ihm direkt die Anweisung gegeben, auf der Brücke die unfallbringenden Tätigkeiten zu verrichten, als sodann der Unfall passierte.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. Januar 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 8. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2004 aufzuheben sowie das Unfallereignis vom 10. Juli 2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen sowie in gesetzlichem Umfang zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung des Sozialgerichts Frankfurt. Sie vertritt die Auffassung, das § 44 SGB X alleine dazu diene, rechtswidrige Verwaltungsentscheidungen einem Überprüfungsverfahren unterziehen zu können, weshalb auch nachvollziehbar sei, dass sich diese Vorschrift innerhalb des SGB X befände. Es könne nicht Sinn und Zweck des § 44 SGB X sein, bereits im gerichtlichen Verfahren überprüfte Verwaltungsakte und die in freier richterlicher Beweiswürdigung entstandenen rechtskräftig gewordene Gerichtsentscheidungen erneut zu überprüfen. Außerdem kenne das Sozialgerichtsgesetz eine dem § 44 SGB X entsprechende Vorschrift nicht. Zudem nehme § 44 Abs 1 Satz 2 SGB X gerade die Fälle aus, in denen der zu überprüfende Verwaltungsakt auf falschen oder unvollständigen Angaben beruhe. Darüber hinaus vertritt sie noch einmal die Auffassung, dass Voraussetzung einer Versicherungspflicht nach den immer noch gültigen Beweisanforderungen der gesetzlichen Unfallversicherung der Vollbeweis einer abhängigen Beschäftigung sei, der jedoch aufgrund zahlreicher widersprüchlicher Angaben des Klägers sowie der gehörten Zeugen nicht erbracht sei.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Anhörung des Zeugen C. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30. September 2011 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie auf die Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung ist auch begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt vom 13. Januar 2010 kann keinen Bestand haben. Im Ergebnis war die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2008 zu verpflichten, unter Aufhebung der bestandskräftigen Bescheide vom 8. September 2003 und 12. August 2004 das Ereignis vom 10. Juli 2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen und entsprechend zu entschädigen.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Entgegen der Auffassung der Beklagten sind weder diese noch das Gericht bereits deshalb an einer vollständigen rechtlichen und tatsächlichen Überprüfung des Rechtsstreits gehindert, weil bestandskräftige Ablehnungen der Anerkennung des streitgegenständlichen Unfallereignisses als Arbeitsunfall vorliegen. Insbesondere ist § 44 SGB X nicht als Präklusionsnorm des Inhaltes zu verstehen, dass nur neu vorgetragene Tatsachen eine solche Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes rechtfertigen. Zwar postuliert der Wortlaut des § 44 Abs. 1 Halbsatz 1 SGB X, dass sich eine Entscheidung als fehlerhaft "ergibt" bzw. "erweist", jedoch wird damit nur festgelegt, dass zur Beurteilung der Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes nicht auf den Stand der Erkenntnis bei Erlass, sondern bei Überprüfung abzustellen ist, weshalb stets eine Rückschau unter Beachtung einer evtl. geläuterten Rechtsauffassung auf die zum Zeitpunkt des Erlasses des zu überprüfenden Verwaltungsakts geltenden Sach- Rechtslage erforderlich ist (siehe BSGE 63,18 sowie BSGE 57,209 als auch BSGE 90,136). Die Rechtswidrigkeit beurteilt sich demnach nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht. Eine Beschränkung der Überprüfung auf neuen Sachvortrag enthält die Norm de lege lata nicht. Eine solche Beschränkung in die Norm hinein zu interpretieren würde demnach gegen das Amtsermittlungsprinzip (§ 103 SGG, § 20 f. SGB X) verstoßen, da sowohl das erkennende Gericht als auch die Beklagte gemäß Art. 1 Abs.3 Grundgesetz (GG) an die bestehenden Gesetze gebunden sind. Dies ergibt sich auch daraus, dass der Umfang der durch einen Zugunstenantrag des Bürgers veranlassten Überprüfung nicht durch die vom Betroffenen vorgebrachten Einwände begrenzt ist (s. BSGE 79,297, 299 sowie BSG, Beschluss vom 9. September 1995, 9 BVg 5/95). Ergeben sich zwar im Einzelfall keine Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit des früheren Verwaltungsakts, so kann sich auch die Entscheidung auf das Vorbringen beschränken; dies gilt insbesondere dann, wenn ein Überprüfungsantrag nicht substantiiert ist und die frühere Entscheidung nicht ersichtlich unrichtig ist, dann darf sich die Verwaltung und im Klageverfahren das Gericht mit entsprechender Begründung ohne jede weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung der bestandskräftigen Bescheide berufen (§ 77 SGG; vgl. Steinwedel in: Kasseler Kommentar, § 44 SGB X Rdnr. 34 m.w.N.). An dieser Stelle unterscheidet sich der Regelungskontext des SGB X bewusst von demjenigen des Verwaltungsverfahrensgesetzes, welches eine Rücknahmemöglichkeit für rechtswidrige Verwaltungsakte, aufgrund welcher eine Leistung versagt wurde, nicht kennt bzw. allenfalls eine Möglichkeit des Wiederaufgreifens des Verfahrens bei Vorliegen neuer Beweismittel oder Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO oder aber bei Änderung der dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Sach- oder Rechtslage nachträglich in § 51 VwVfG kennt (vgl. dazu Steinwedel in Festschrift 50 Jahre BSG, 2004, S. 783 ff.). Schließlich ist auch unerheblich, ob der Verwaltungsakt, der zurückgenommen werden soll, durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51,139, 142).

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht einer Überprüfung und Rücknahme auch nicht die Ausnahmevorschrift § 44 Abs 1 Satz 2 SGB X entgegen, wonach Satz 1 nicht gilt, wenn der zu überprüfende Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Vorliegend hat der Kläger auch nach dem Vortrag der Beklagten weder unrichtige noch unvollständige Angaben gemacht, sondern zunächst Angaben bis auf Namen und Geburtsdatum verweigert. Insoweit entspricht es bereits der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass ein solches vollständiges Schweigen nicht mit unrichtigen oder unvollständigen Angaben gleichgesetzt werden kann, da die Norm keinen Sanktionscharakter hat (BSGE 63, 214; vgl. BSGE 68, 264; Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 44 Rn 19; vgl. Steinwedel in KassKomm § 44 Rn 37). Auch nach der Gegenansicht ist ein solches Schweigen nur gleichzustellen, wenn die Verhaltensformen vergleichbar sind, was bedeutet, dass im Einzelfall unter Anwendung von Ermessen zu entscheiden ist, ob und inwieweit trotz der von dem Betroffenen zu vertretenden fehlerhaften oder unvollständigen Angaben ein Verwaltungsakt für die Vergangenheit zurückgenommen wird (Vogelsang in Hauck/Noftz, SGB X § 44 Rn 27; Waschull in LPK-SGB X, § 44 Rn 38). Vorliegend ist bereits zweifelhaft, ob der Kläger, der zum Zeitpunkt des Ausgangs-Verwaltungsaktes am 8. September 2003 aufgrund seiner schweren Verletzungen noch im Krankenhaus lag, überhaupt sein Schweigen zu vertreten hat. Sofern man trotz eines angesichts der Verstöße gegen das Ausländergesetz bestehenden Aussageverweigerungsrechts eine Rechtspflicht gegenüber der Beklagten zur vollständigen Sachverhaltsdarlegung annimmt, ist es fraglich, ob der Kläger in der Lage war, diese zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten.

Spätestens im Widerspruchsverfahren hat der Kläger zudem die Umstände des streitgegenständlichen Unfalls dargelegt; da der Widerspruchsbescheid den Ausgangs-VA ersetzt, erscheint es rechtlich nicht haltbar, eine Ablehnung der Überprüfung auf unvollständige Mitteilungen vor der Verwaltungserstentscheidung zu stützen, selbst wenn der Kläger sein anfängliches Schweigen zu vertreten gehabt hätte. Darüber hinaus weicht die Darstellung des Klägers im Widerspruchsverfahren nicht in entscheidenden Gesichtspunkten vom bis zur letzten Tatsachenverhandlung vor dem LSG gehaltenen Sachvortrag ab. Weder die Unrichtigkeit noch die Unvollständigkeit des klägerseitigen Vorbringens mit der Rechtsfolge des § 44 Abs 1 Satz 2 SGB X lassen sich daher begründen.

War somit die vollständige Überprüfung der die Anerkennung und Entschädigung als Arbeitsunfall des angeschuldigten Ereignisses ablehnenden bestandskräftigen Bescheide eröffnet, hatte der Senat zu entscheiden, ob die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls vorliegen und dies sowie die Entschädigungspflicht der Beklagten im Ergebnis bejaht.

Nach § 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten erleidet. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sind Beschäftigte kraft Gesetzes versichert.

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass das Unfallereignis selbst sowie die versicherte Tätigkeit als auch die Erkrankung mit dem sog. Vollbeweis nachgewiesen sein müssen. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSGE 45, 19; BSGE 7, 103, 106 sowie 19, 52, 53). Nur für die Kausalbeziehungen zwischen dem unfallbringenden Verhalten und der Krankheit genügt nach herrschender Meinung der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, der dann gegeben ist, wenn mehr für als gegen Ursachenzusammenhang spricht bzw. wenn bei der Berücksichtigung aller Umstände die für den Ursachenzusammenhang sprechenden Umstände so stark überwiegen, dass die Entscheidung darauf gegründet werden kann, wobei die bloße Möglichkeit allerdings nicht ausreicht (s. BSGE 19, 5, 53; BSGE 32, 203, 209, BSG, Urteil vom 2. Juni 1959 SozR § 542 RVO a.F. Nr. 120).

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Unter einem Arbeitsverhältnis wird insbesondere der wirksame Arbeitsvertrag verstanden, wobei dieser keine konstitutive Bedeutung hat, sondern es auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt (BSG, Urt. v. 04.12.1958 - 3 RK 3/56 - BSGE 8, 278, 282; BSG, Urt. v. 29.09.1965 - 2 RU 169/63 - BSGE 24, 29, 30 = SozR Nr. 1 zu § 539 RVO). Der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses ist daher weiter als derjenige des arbeitsrechtlichen Arbeitsvertrages, wenn auch eine Beschäftigung stets anzunehmen ist, wenn nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen ein Arbeitsverhältnis besteht. Es kommt daher für das Vorliegen einer Beschäftigung nicht auf den Abschluss eines wirksamen Arbeitsvertrages, sondern auf den Augenblick der Aufnahme der Tätigkeit und die Herstellung der Verfügungsgewalt des Unternehmers über die Arbeitskraft des Beschäftigten an (BSG, Urt. v. 9.12.1976 - 2 RU 6/76 - BSGE 43, 60, 61 = SozR 2200 § 539 Nr. 30). Entscheidendes Kriterium für das Vorliegen nichtselbständiger Arbeit ist nach § 7 Abs. 1 SGB IV zunächst die persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten vom Arbeitgeber, die in aller Regel, aber nicht wesensnotwendig, mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit verbunden ist (Schlegel in: Schulin, HS-UV, § 14 Rn. 14; Bieresborn in jurisPK-SGB VII Rn 19 ff). Vielmehr ist entscheidend die persönliche Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers, insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer und Art der Arbeitsausführung (BSG, Urt. v. 29.01.1981 - 12 RK 63/79 - BSGE 51, 164, 167; BSG, Urt. v. 28.11.1990 5 RJ 87/89 - BSGE 68, 24, 27 = SozR 3-2200 § 1251 a Nr. 11; BSG, Urt. v. 14.12.1999 - B 2 U 38/98 R - BSGE 85, 214, 216 = SozR 3-2200 § 539 Nr. 48; BSG, Urt. v. 10.08.2000 - B 12 KR 21/98 - BSGE 87, 53, 55 = SozR 3-2400 § 7 Nr. 15).

Für die Beurteilung der Frage nach der Arbeitnehmereigenschaft kommt es auf das Gesamtbild der Tätigkeit an (BSG, Urt. v. 24.04.1987 - 2 RU 45/86 – juris). Es muss sich aber nicht um eine andauernde Tätigkeit für ein bestimmtes Unternehmen handeln (BSG, Urt. v. 26.06.2007 - B 2 U 17/06 R – juris). Ebenso wenig ist eine Mindestbeschäftigungszeit oder ein Mindestverdienst Voraussetzung (Vgl. BSG, Urt. v. 30.01.2007 - B 2 U 6/06 R – juris). Entscheidend für die rechtliche Einordnung ist, welche Merkmale im Einzelnen überwiegen (BSG, Urt. v. 31.07.1974 - 12 RK 26/72 - BSGE 38, 53, 57). Als typusbildende Merkmale, die charakteristisch für eine abhängige Beschäftigung sind, gelten z.B. das Bestehen von Anordnungsrechten des Arbeitgebers bezüglich Art, Zeit und Ort der Arbeitsausführung (BSG, Urt. v. 08.08.1990 - 11 Rar 77/89 - SozR 3-2400 § 7 SGB IV Nr. 4 S. 13), die Überwachung oder Qualitätskontrolle der Arbeit durch den Arbeitgeber oder dessen Hilfspersonen, die bei Mängeln zu weiteren Arbeitsanweisungen oder Abmahnungen führt, die sich u.U. auch auf die Entlohnung auswirken können (Schlegel in: Schulin, HS-UV, § 14 Rn. 20 m.w.N.). Charakteristisch für abhängige Arbeit ist ferner, dass diese nicht mit dem Material oder Werkzeug des Arbeitnehmers verrichtet wird, sondern dieses vom Arbeitgeber bzw. Unternehmer gestellt wird. Unschädlich ist, wenn der Arbeitnehmer Kleidung oder bestimmte kleinere Utensilien selbst beschafft, und hierfür eine Nutzungsentschädigung verlangen kann (BSG, Urt. v. 30.01.2007 - B 2 U 6/06 R - juris - ZfS 2007, 90-91; BSG, Urt. v. 19.08.2003 - B 2 U 38/02 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 1; BSG, Urt. v. 22.06.2005 - B 12 KR 28/03 R - SozR 4-2400 § 7 Nr. 5 Rn. 8; BSG, Urt. v. 04.06.1998 - B 12 KR 5/97 R - SozR 3-2400 § 7 Nr. 13 S. 33).

Die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses verlangt nicht zwingend die Gewährung einer Vergütung. Die Zahlung eines festen, nicht leistungsabhängigen risikofreien Arbeitsentgeltes nach Stunden, Wochen oder Monaten, welches im Krankheitsfall fortgezahlt wird, ist zwar ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung (BSG, Urt. v. 17.03.1992 - 2 RU 22/91 - SozR 3-2200 § 539 Nr. 16). Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist aber keine Bedingung für die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (BSG, Urt. v. 22.06.2005 B 12 KR 28/03 R - SozR 4-2400 § 7 Nr. 5 Rn. 9; BSG, Urt. v. 30.01.2007 - B 2 U 6/06 R - juris - ZfS 2007, 90-91). Ein Mindestverdienst ist ebenfalls nicht erforderlich (vgl. BSG, Urt. v. 30.01.2007 - B 2 U 6/06 R – juris).

Typisch für eine selbständige Tätigkeit, wovon die Beschäftigung abzugrenzen ist, ist hingegen das Tragen eines eigenen Unternehmerrisikos (BSG, Urt. v. 13.07.1978 12 RK 14/78 - SozR 2200 § 1227 Nr. 17), die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit (BSG, Urt. v. 17.03.1992 - 2 RU 22/91 - SozR 3-2200 § 539 Nr. 16). Das Unternehmerrisiko liegt vor, wenn der Erfolg eigenen wirtschaftlichen Einsatzes ungewiss ist (BSG, Urt. v. 31.10.1972 - 2 RU 186/69 - BSGE 35, 20, 25 = SozR Nr. 34 zu § 539 RVO). Charakteristisch ist die Vergütung im Rahmen einer Gewinn- und Verlustbeteiligung oder die Erfolgsvergütung (Schlegel in: Schulin, HS-UV, § 14 Rn. 29; s. aber auch BSG, Urt. v. 23.07.1978 - 12 RK 14/78 - SozR 2200 § 1227 Nr. 17; BSG, Urt. v. 04.06.1998 - B 12 KR 5/97 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 13; BSG, Urt. v. 19.08.2003 - B 2 U 38/02 R - Breithaupt 2004, 136, 141). Für den Status einer selbständigen Beschäftigung spricht des Weiteren die selbständige Rechnungsstellung, ggf. mit Mehrwertsteuer oder die Berechnung eines Honorars nach festen Gebührenvorschriften (BSG, Urt. v. 22.02.1973 - 2 RU 110/71 - BSGE 35, 212, 214). Weitere Abgrenzungskriterien sind die Vereinbarung eines bestimmten Erfolges sowie die Übernahme einer Gewährleistung und des Risikos, da dann ein Werkvertrag vorliegt (BSG, Urt. v. 28.02.1980 - 8a RU 88/78 - SozR 2200 § 539 Nr. 64; Vgl. LSG Niedersachsen v. 26.02.1986 - L 4 Kr 25/84 - SozVers. 1987, 82; LSG Rheinland-Pfalz v. 09.12.1981 - L 3 U 48/81 - Breithaupt 1982, 288). Auch die Tatsache, dass kein Geld für eine Tätigkeit gezahlt wird, sondern es sich um eine geldwerte Gegenseitigkeit handelt, spricht nicht zwingend gegen eine unternehmerähnliche Tätigkeit (BSG, Urt. v. 17.03.1992 – 2 RU 22/91 - SozR 3-2200 § 539 Nr. 16 S. 60).

Vorliegend steht unter Anwendung der obigen Kriterien zur Überzeugung des erkennenden Senats fest, dass der Kläger zum Zeitpunkt des unfallbringenden Verhaltens im Rahmen einer Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII für den Zeugen C. handelte.

Dies folgt entgegen der Auffassung des Klägers nicht bereits aus dem rechtskräftige Urteil vom 18. Dezember 2006, durch das die Klage zwar als unbegründet abgewiesen, aber in den Entscheidungsgründen ausgeführt wurde, dass nach den Auskünften des Zeugen D. und des Klägers sowie Aussagen der anderen Personen der Zeuge C. der Chef des Klägers und damit sein Arbeitgeber gewesen und somit der Kläger abhängig beschäftigt gewesen sei. Die Bindungswirkung der Rechtskraft umfasst indes nur den Urteilstenor (BSG SozR 3-1500 § 75 Nr. 31; BSGE 35, 228, 231; BSGE 47, 241, 243), die Gründe sind nur ergänzend zur Bestimmung der Tragweite heranzuziehen. Da hier ein klageabweisender Tenor erlassen wurde, kann sich die Rechtskraft nur darauf beziehen, dass der angeschuldigte Unfall kein Arbeitsunfall war (vgl. Meyer-Ladewig, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 141, Rn 7a).

Jedoch steht aufgrund der Beweisaufnahme sowie der Anhörung des Klägers unzweifelhaft das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses fest. Zwar wurde zwischen dem Kläger und dem Zeugen C. kein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen; dies ist aber auch nicht erforderlich. Vielmehr hat der im Berufungsverfahen erneut vernommene Zeuge C. widerspruchsfrei und schlüssig die Angaben des Klägers, dass dieser am fraglichen Unfalltag von ihm mit der Erledigung der Brückenarbeiten angewiesen worden sei, bestätigt. Aus der Zeugenaussage ergibt sich, dass eine Entgeltabrede in Höhe von 10,- EUR zwischen ihm und dem Kläger getroffen worden ist. Auch hatte er – der Zeuge - sowohl das Werkzeug als auch das Material gestellt. Des Weiteren hatte er dem Kläger gezeigt, wie er die konkrete unfallbringende Tätigkeit zu verrichten habe, insbesondere unter anderem mittels Kreidezeichnungen wo und wie er die Armierungseisen zu verlegen habe.

Der Senat hat keinerlei Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen des Zeugen; insbesondere hat dieser kein Eigeninteresse an einer diesbezüglichen Falschaussage. Gerade im Hinblick auf die Vorstrafen des Zeugen ist darauf hinzuweisen, dass damit auch das Geschehen um die hier streitgegenständlichen Brückenbauarbeiten bereits erfasst und er keine erneute Strafe zu erwarten hätte. Der Zeuge selbst hat keinerlei wirtschaftlichen Vorteil aus einer Falschaussage.

Die Aussage des Zeugen steht im Einklang mit den Einlassungen des Klägers, aus denen sich der ebenfalls die Weisungsgebundenheit gegenüber dem Zeugen ergibt. Dafür spricht auch seine Angabe, keinerlei eigenes Werkzeug zur Baustelle mitgebracht zu haben, sondern ausschließlich mit gestelltem Material sowie seinen Händen gearbeitet zu haben. Selbst die Schutzhandschuhe seien ihm gestellt worden.

Der Senat vermochte auch keine wesentlichen Widersprüche zu den Aussagen des Klägers bzw. des Zeugen C. in der Verhandlung vor dem SG Frankfurt am 18. Dezember 2006 zu erkennen. Dort ergibt zwar die protokollierte Aussage des Zeugen, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, dass es nur "Arbeit für einen Tag" gewesen sei. Zugleich findet sich dort aber die Bemerkung des Zeugen, über das "Morgen und Übermorgen" sei nicht gesprochen worden. In der Verhandlung vor dem LSG bekundete der Zeuge, dass die Brückenbauarbeiten mehrere Wochen hätten dauern sollen, was dem Senat plausibel erscheint. Ebenso schlüssig ist die Erklärung des Zeugen, der Kläger habe zunächst nur einen Tag und sodann, wenn er mit ihm zufrieden gewesen wäre, auch länger für ihn arbeiten dürfen. Dies erscheint auch dem Senat in Anbetracht der "inoffiziellen" Beschäftigung des Klägers plausibel.

In diesem Zusammenhang ist beachtlich, dass auch Probearbeitsverhältnisse unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen, sofern ein durch Antritt der Arbeit wirksam gewordenes Beschäftigungsverhältnis vorliegt (Sozialgericht Aachen, Urteil vom 16.09.2009 - S 8 U 26/09; LSG München, Urt. v. 25.1.2011 - L 3 U 5/09 – juris; vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.01.2007 - L 14 U 70/05). Vorliegend kann nach den übereinstimmenden Angaben des Klägers und des Zeugen nicht davon ausgegangen werden, dass die unfallbringende Tätigkeit erst im Rahmen der Anbahnung eines späteren potentiellen Beschäftigungsverhältnisses erfolgte, in der das arbeitgeberische Direktionsrecht nur eingeschränkt gilt, weil der Arbeitgeber ihm weder quantitativ oder qualitativ eine bestimmte Arbeitsleistung abverlangen kann, und damit als eigenwirtschaftliche Handlungstendenz die Erlangung eines Arbeitsplatzes weit im Vordergrund gestanden hätte (LSG München, Urt.v. 25.1.2011 - L 3 U 5/09 – juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.01.2007, a.a.O.).

Des weiteren vermag angesichts der verstrichenen Zeit der Senat keinen wesentlichen, die Glaubhaftigkeit der Aussagen im Ganzen erschütternden Widerspruch darin zu erkennen, dass in der Verhandlung vor dem SG Frankfurt eine Entgeltabrede nur mit dem Onkel des Klägers nicht aber gegenüber dem Kläger behauptet wurde, nun aber vor dem LSG die Zusage eines Stundenlohnes i.H.v. 10,- EUR gegenüber dem Kläger angegeben wurde. Im Kerngehalt der Aussagen stimmen diese jedenfalls darin überein, dass zugunsten des Klägers 10,- EUR Stundenlohn zugesagt wurden. Soweit der Zeuge ursprünglich im Verwaltungsverfahren eine Lohnabrede gänzlich geleugnet hat, wertet der Senat dies als Schutzbehauptung, da der Zeuge zu diesem Zeitpunkt noch ein Strafverfahren wegen der illegalen Beschäftigung von Ausländern zu gewärtigen hatte.

Abgesehen davon, dass für die Bejahung einer Beschäftigung die konkrete Entgeltabrede nicht Voraussetzung, sondern lediglich ein Indiz darstellt, spricht der Gesamteindruck des seitens des Klägers und Zeugen geschilderten Geschehensablaufs mehr für als gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Auch ohne schriftlichen Arbeitsvertrag wirkt es geradezu als lebensfremd, davon auszugehen, dass der Kläger am fraglichen Tag als selbständiger Unternehmer die fraglichen Arbeiten auf der Brücke erledigen sollte. Durch die Zeugenaussage wird darüber hinaus für den Senat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen, dass der Kläger zum konkreten Unfallzeitpunkt dem Direktionsrecht des Zeugen unterstand und im Rahmen einer Beschäftigung tätig wurde. Eine seitens der Beklagten angenommene selbständige Tätigkeit hätte sich nur dann plausibel annehmen lassen, wenn Hinweise darauf vorgelegen hätten, dass Zeuge und Kläger die Brückenbauarbeiten als gemeinsames Projekt angesehen und entsprechend auf eigene und gemeinsame Rechnung angeboten sowie ausgeführt hätten. Nach der gesamten Darstellung des Klägers sowie des vom Senat gehörten Zeugen kann nur der Schluss gezogen werden, dass der Kläger unselbständig war und am fraglichen Tag in das Unternehmen des Zeugen eingegliedert von diesen Arbeitsanweisungen erhielt.

Insgesamt ist damit für den Senat nachgewiesen, dass der Kläger am Unfalltag sich mit der Option der Fortsetzung in den kommenden Tagen und Wochen dem Direktionsrecht des Zeugen C. unterstellte und damit in dessen Betrieb eingegliedert war, als er die unfallbringende Tätigkeit auf der Brücke verrichtete.

Auch wenn es sich um Schwarzarbeit handelte, steht dies der Versicherung nicht im Wege, weil § 7 Abs 2 SGB VII auch bei verbotswidrigem Handeln den Versicherungsschutz nicht ausschließt (Ricke in Kasseler Kommentar, § 2 SGB VII Rdnr 6b).

Da somit von einem Beschäftigungsverhältnis gem § 2 Abs.1 Nr. 1 SGB VII auszugehen ist, bedarf es keiner Ausführungen zum Vorliegen einer "Wie"- Beschäftigung i.S.v. § 2 Abs. 2 SGB VII.

Ist das Bestehen einer Beschäftigung zwischen Kläger und Zeugen damit nachgewiesen, besteht ferner kein Zweifel, dass die konkrete unfallbringende Verrichtung der Beschäftigung zugerechnet werden kann. Bei der Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten ist der erforderliche innere Zusammenhang immer bei Tätigkeiten, die Ausfluss eines Beschäftigungsverhältnisses sind, gegeben, wenn sie generell Zwecken des Unternehmens zu dienen bestimmt sind (s. Wagner in: Juris Praxis, Kommentar SGB VII, § 8 Rdnr. 31; vgl. Krasney VSSR 1993, 81, 113; s. auch Schulin in: Handbuch des Sozialversicherungsrechts, § 29 Rdnr. 8 und § 32 Rdnr. 12).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war mangels Vorliegens der Voraussetzungen von § 160 Abs 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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