L 9 R 2359/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 1556/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2359/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. April 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1953 geborene Klägerin ist 1995 aus T. in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt und gab an, zwischen 1973 und 1976 den Beruf der Erzieherin erlernt zu haben. Zuvor habe sie eine Ausbildung zur Postangestellten durchlaufen. Zuletzt war sie bis März 2003 als Produktionshelferin beschäftigt. Im Anschluss daran bezog sie Arbeitslosengeld und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.

Am 24.07.2008 beantragte die Klägerin unter Vorlage von ärztlichen Attesten und Befundberichten sowie eines Bescheides des Landratsamtes K. vom 14.07.2008 (Grad der Behinderung 20 seit 19.06.2008 unter Berücksichtigung einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, einer Polyarthrose, einer somatoformen Schmerzstörung, einer Allergie und einer chronischen Magenschleimhautentzündung) die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.10.2008 und dem Widerspruchsbescheid vom 30.09.2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Grundlage dieser Entscheidung waren das chirurgisch-orthopädische Gutachten von Dr. S. vom 25.09.2008 (Diagnosen: hohlrunder Rücken, Zervikal- und Lumbalsyndrom bei leichten degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, leichte Gonarthrose rechts, beginnende Arthrose der Großzehengrundgelenke; Beurteilung: unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen sei die tägliche Arbeitszeit nicht auf unter 6 Stunden herabgesetzt), das nervenärztliche Zusatzgutachten von Dr. S. vom 08.09.2008 (D: Dysthymia, Somatisierungstendenzen; vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen) sowie das fachübergreifende Gutachten des Internisten Dr. M. vom 10.10.2008 (zusätzliche D: Bluthochdruckerkrankung, unbehandelt, ohne Hinweise auf Sekundärschäden, Asthma bronchiale ohne Hinweise auf derzeit bestehende Atmungsstörung, Z.n. Gastritis und Ulcus ventriculi; das Leistungsvermögen sei quantitativ nicht eingeschränkt).

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Karlsruhe die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. K., die Nervenärztin Dr. S., den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. E., den Internisten Dr. Z. und die Dipl.-Psych. Z. als sachverständige Zeugen gehört. Dr. K., Dr. E. und Dr. Z. hielten die Klägerin noch für in der Lage, einer körperlich leichten und nervlich wenig belastenden Tätigkeit im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche mindestens 6 Stunden täglich nachzugehen. Wegen der weiteren Einzelheiten der gemachten Aussagen wird auf die Seiten 41f., 45f. und 69f. der Akten des SG verweisen. Dr. S. hat diese Auffassung (Auskunft vom 30.09.2009, S. 43 d. SG-Akten) ebenso wie die gehörte Dipl. Psychologin Z. (Auskunft v. 05.11.2009 aufgrund eines zweimaligen Kontaktes mit der Klägerin) zunächst nicht geteilt, auf erneute Anfrage unter dem 04.01.2010 dann aber ebenfalls ein entsprechendes Leistungsvermögen bestätigt (Seite 89 der SG-Akten). Desweiteren hat das SG ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei Dr. W. eingeholt (Diagnosen: Dysthymie, Sozialphobie und Somatisierungsstörung; unter Beachtung qualitativer Einschränkungen [keine schweren und mittelschweren Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, mit Wirbelsäulenzwangshaltungen, mit Überkopfarbeiten sowie unter Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeitsbedingungen, ohne überwiegenden Publikumsverkehr und mit erhöhter Verantwortung] seien körperlich leichte und nervlich wenig belastende Tätigkeiten möglich, vgl. Gutachten vom 09.03.2010).

Mit Urteil vom 28.04.2011 hat das SG die Klage abgewiesen, weil die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes und unter Berücksichtigung näher ausgeführter qualitativer Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne.

Gegen das am 05.05.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23.05.2011 Berufung eingelegt.

Unter Vorlage einer Bescheinigung von Dr. S. für die Agentur für Arbeit vom 29.04.2011, eines Bescheides des Landratsamtes K. vom 09.11.2009 (Grad der Behinderung ab 19.06.2008 mit 50 festgestellt) und eines Gutachtens des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit Karlsruhe vom 10.03.2011 (voraussichtlich bis zu 6 Monaten nicht leistungsfähig wegen Kreislaufregulationsstörungen mit erhöhtem Blutdruck, weswegen eine fachärztliche Behandlung und regelmäßige Medikamenteneinnahme erforderlich sei) sowie weiterer Berichte wie die des Orthopäden Dr. B., des Internisten Dr. P. und der Internistin Dr. B. hält die Klägerin an dem geltend gemachten Anspruch fest.

Die Klägerin beantragt - sachdienlich gefasst -,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. April 2011 und den Bescheid vom 17. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01. Juli 2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Neue Gesichtspunkte, die eine Änderung des bisher vertretenen Standpunktes zuließen, ergäben sich nach Auffassung der Beklagten aus der Berufungsbegründung nicht.

Mit Beschluss vom 06.09.2011 hat der Senat den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abgelehnt.

Mit Verfügung des Berichterstatters vom 20.09.2011 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt seien und eine Entscheidung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Betracht gezogen werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 20.09.2011 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte und das SG haben zu Recht entschieden, dass der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zusteht. Maßstab für die Beurteilung der hier streitigen Rechtsfrage sind die von der Beklagten in den von der Klägerin angefochtenen Bescheiden zutreffend wiedergegebenen Rechtsgrundlagen - §§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden macht sich der Senat diese Ausführungen in vollem Umfang zu Eigen und verweist gemäß § 153 Abs. 1 iVm. § 136 Abs. 3 SGG auf die in den Bescheiden gemachten Ausführungen zu den genannten Rechtsgrundlagen und deren Auslegung.

Auch nach Überzeugung des Senats sind die Beklagte und das SG zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen der beanspruchten Rente nicht erfüllt sind. Dies gilt zunächst auch insoweit, als die Antragstellerin ausgehend von ihrer letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung als Produktionshelferin keinen Berufsschutz im Sinne des § 240 SGB VI genießt und deshalb auf sämtliche ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar ist, also nicht berufsunfähig ist, wie die Beklagte zu Recht in den angefochtenen Bescheiden darlegt hat.

Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 06.09.2011 ausgeführt hat, kann die Klägerin, ihr zumutbare Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch zumindest sechs Stunden täglich verrichten. Dies ergibt sich schlüssig und überzeugend aus dem vorliegenden Beweisergebnis.

Insoweit verweist der Senat zunächst auf das Ergebnis der im Verwaltungs- bzw. Vorverfahren eingeholten Gutachten. Die Auswirkungen der dort gestellten Diagnosen rechtfertigen nicht die Annahme einer bereits bestehenden zeitlichen Leistungsminderung (orthopädisch: hohlrunder Rücken, Zervikal- und Lumbalsyndrom bei leichten degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, leichte Gonarthrose rechts, beginnende Arthrose der Großzehengrundgelenke; neurologisch/psychiatrisch: Dysthymia, Somatisierungstendenzen; internistisch: Bluthochdruckerkrankung, unbehandelt, ohne Hinweise auf Sekundärschäden, Asthmabronchiale, anamnestisch, derzeit ohne Hinweis auf Atmungsstörung sowie Z.n. Gastritis und Ulcus ventriculi). Denn diese Gesundheitseinschränkungen zwingen lediglich zur Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen, weshalb der Klägerin körperlich schwere Arbeiten, Arbeiten in längeren Zwangshaltungen des Kopfes und Rumpfes, mit häufigen und vollen Bückanforderungen, mit häufigem Steigen auf Leitern und Gerüste sowie in ausschließlicher Steh- und Gehbelastung nicht mehr zumutbar sind. Auch Tätigkeiten mit vermehrt geistig-psychischen Belastungen und unter Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeitsbedingungen sind zu vermeiden. Die genannten Gesundheitseinschränkungen schließen jedoch körperlich leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche nicht aus, wie die Sachverständigen angesichts der geschilderten Befunde und Einschränkungen schlüssig und überzeugend dargelegt haben. Dabei wurde die als fehlend gerügte fachübergreifende Beurteilung von Dr. M., einem Arzt für Innere Medizin, Sportmedizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen vorgenommen, ohne dass sich auch in der Zusammenschau der Befunde eine Begründung für eine zeitliche Leistungseinschränkung ergeben hätte.

Die Ermittlungen des SG haben dieses Ergebnis weitgehend bestätigt. Abgesehen von der Stellungnahme der Dipl. Psych. Z. haben letztlich alle vom SG als sachverständige Zeugen gehörten behandelnden Ärzte ein noch wenigstens sechsstündiges Leistungsvermögen bestätigt. Auf die sich aufgrund der Stellungnahme Z. ergebenden Zweifel hat das SG zur weiteren Aufklärung das neuropsychiatrische Gutachten von Dr. W. erhoben, der ebenfalls zu dem Ergebnis gelangte, dass aufgrund der von ihm diagnostizierten Dysthymie, einer Sozialphobie und einer Somatisierungsstörung neben den bereits erwähnten qualitativen Leistungseinschränkungen auch Arbeiten mit überwiegendem Publikumsverkehr und Arbeiten mit erhöhter Verantwortung nicht mehr zumutbar sind. Ohne Gefährdung der Gesundheit sind danach aber weiterhin körperlich leichte und nervlich wenig belastende Tätigkeiten sechs Stunden täglich möglich und zumutbar.

Eine Grundlage für eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, worauf der Senat ebenfalls bereits in seinem Beschluss vom 06.09.2011 hingewiesen hat, auch nicht aus den im Berufungsverfahren vorgelegten weiteren Unterlagen. Das Attest ("zur Vorlage bei der Arbeitsagentur") der Dr. S. und deren Bericht an Dr. E. geben deren bereits aktenkundige Diagnosen wieder, ein vom Landratsamt Karlsruhe festgestellter Grad der Behinderung von 50 gibt keinen Aufschluss über das noch vorhandene Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, und den Berichten des Orthopäden Dr. B., des Internisten Dr. P., der Internistin Dr. B. vermag der Senat eine rentenrechtlich relevante Befundänderung nicht zu entnehmen. Schließlich ergibt sich aufgrund des für die Agentur für Arbeit von Dr. R. erstellten Gutachtens vom 10.03.2011 keine andere Beurteilung, nachdem diese auch weiterhin von einer erhaltenen Erwerbsfähigkeit ausgegangen war und eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf unter drei Stunden nicht für längere Zeit sondern nur für die Dauer von "voraussichtlich bis zu sechs Monaten" wegen Kreislaufregulationsstörungen mit erhöhtem Bluthochdruck beschrieben sowie auf eine fachärztliche Behandlung diesbezüglich und die Notwendigkeit regelmäßiger Medikamenteneinnahme verwiesen hat. Anhaltspunkte für ein Fortbestehen des akuten Erkrankungsbildes, welches behandlungsbedürftig ist und dessen Behandlung bereits eingeleitet war und der wegen dieser Erkrankung beschriebenen Leistungseinschränkung hat der Senat nicht. Anderes wurde von der Klägerin auch nachdem der von Dr. R. genannte sechs Monatszeitraum zwischenzeitlich abgelaufen ist und auch im Hinblick auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 06.09.2011 nicht vorgebracht. Weiterer Ermittlungen von Amts wegen ohne konkreten Anlass trotz Hinweises im ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss bedurfte es daher nicht. Einen konkreten Beweisantrag oder einen Antrag nach § 109 SGG hat die Klägerin nicht gestellt.

Schließlich besteht auch keine Notwendigkeit, eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen, weil die wesentlichen Einschränkungen bereits durch die Begrenzung auf leichte Arbeiten Berücksichtigung finden.

Darüber hinaus ist die Gehfähigkeit der Klägerin nach übereinstimmender Auffassung der Gutachter und zur Überzeugung des Senats auch nicht derart eingeschränkt, dass sie nicht in der Lage wäre, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Sie ist vielmehr in der Lage, wenigstens viermal arbeitstäglich Wegstrecken von 500 m in weniger als 20 Minuten zurückzulegen.

Damit ist die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weshalb die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen ist.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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