Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 11 KA 725/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KA 2/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Verordnung von Oxaliplatin bei inoperablem Pankreaskarzinom
Zu einem Ausnahmefall, in dem die von der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht gedeckte Behandlung
eines inoperablen Pankreaskarzinoms mit Oxaliplatin aufgrund grundrechtsorientierter Erweiterung des
Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zulässig ist.
Zu einem Ausnahmefall, in dem die von der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht gedeckte Behandlung
eines inoperablen Pankreaskarzinoms mit Oxaliplatin aufgrund grundrechtsorientierter Erweiterung des
Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zulässig ist.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 26. November 2009 und der Bescheid des Beklagten vom 06. Oktober 2006 aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.272,62 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Arzneikostenregresses.
Der Kläger ist Direktor des Zentrums für Innere Medizin des Universitätsklinikums L. Durch Beschluss des Zulassungsausschusses Ärzte L vom 11.03.2003 war er für die Zeit vom 01.04.2003 bis zum 31.03.2005 zur ambulanten Therapie des gesicherten Pankreaskarzinoms in der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt.
Ein am 1947 geborener Versicherter der beigeladenen Krankenkasse befand sich vom 12.08.2004 bis zum 27.08.2004 zur stationären Krankenhausbehandlung im Universitätsklinikum L. Während dieses Krankenhausaufenthalts wurde bei ihm ein fortgeschrittenes inoperables Pankreaskarzinom diagnostiziert und am 25.08.2004 eine palliative Chemotherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin begonnen, die nach der Krankenhausentlassung fortgesetzt wurde. In diesem Zusammenhang ließ der Kläger dem Versicherten am 30.09.2004 durch Dr. Sch auf einem Kassenrezept Gemcitabin und Oxaliplatin verordnen.
Wegen der Verordnung von Oxaliplatin beantragte die Beigeladene mit Schreiben vom 27.06.2005 unter Vorlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 04.08.2005 die Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 12 der Prüfvereinbarung. Oxaliplatin sei für die Behandlung von Pankreaskarzinomen nicht zugelassen. Die Voraussetzungen für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz (Off-Label-Use) seien nicht erfüllt. Nach einer kürzlich veröffentlichten Phase III-Studie (Louvet et al., Journal of Clinical Oncology, 23 [2005], 3.509-3.516) zeige die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin gegenüber der Monotherapie mit Gemcitabin keinen statistisch signifikanten Vorteil im Hinblick auf das Überleben (over all survival); nur klinisch (clinical benefit) habe ein Vorteil nachgewiesen werden können, der jedoch mit einer höheren Toxizität verbunden gewesen sei. Der Kläger erwiderte, im Zeitpunkt der Behandlung habe für die Kombinationstherapie in Abstract-Form der Nachweis eines verlängerten progressionsfreien Überlebens und infolge dessen einer Verbesserung des Allgemeinbefindens (clinical benefit) vorgelegen; die Ergebnisse seien 2005 voll publiziert worden (Louvet et al., a.a.O.). Dem Versicherten gehe es ein Jahr nach der Diagnosestellung weiterhin gut. Daher könne der individuelle Heilversuch als erfolgreich angesehen werden. Mit Prüfbescheid vom 13.02.2006 setzte der Prüfungsausschuss wegen der Verordnung von Oxaliplatin einen Regress in Höhe von 2.272,62 EUR fest. Die Verordnung sei außerhalb der zugelassenen Indikation erfolgt. Oxaliplatin sei nur zur Behandlung des metastasierenden kolorektalen Karzinoms zugelassen. Eine Wirksamkeit bei Pankreaskarzinom sei nicht nachgewiesen.
Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, das Pankreaskarzinom gehöre zu den bösartigsten Tumoren. Bei inoperablem Zustand überlebten die meisten Patienten nicht länger als 6 Monate. Auch für das in der Palliativtherapie zugelassene Gemcitabin sei nur eine Lebensqualitätsverbesserung dokumentiert, aber keine eindeutige Lebensverlängerung. Der Krankheitsverlauf des Versicherten habe gezeigt, dass die Invididualentscheidung für eine Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin richtig gewesen sei. Unter dieser Kombinationstherapie sei es gelungen, dass der Versicherte bei relativ guter Lebensqualität nach Diagnosestellung fast noch 2 Jahre gelebt habe (gestorben am 17.06.2006). Der beklagte Beschwerdeausschuss wies mit Bescheid vom 06.10.2006 den Widerspruch zurück. Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use lägen nicht vor. Die wissenschaftliche Datenlage sei zum Zeitpunkt der Behandlung nicht gesichert gewesen. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) sei erst nach der Behandlung ergangen und könne daher nicht berücksichtigt werden.
Der Kläger hat am 06.11.2006 beim Sozialgericht Dresden (SG) Klage erhoben. Der Off-Label-Use sei sehr wohl zulässig gewesen. Die Phase III-Studie von Louvet et al. sei bereits 2004 auf der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) vorgestellt worden. Darauf dass die Studie keinen statistisch signifikanten Überlebensvorteil habe nachweisen können, komme es nicht an; es reiche der palliative Effekt (clinical benefit). Darüber hinaus seien auch die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach der Rechtsprechung des BVerfG erfüllt. Mit Blick auf die Veröffentlichungen in der Fachpresse habe eine auf Indizien gestützte Aussicht auf einen verbesserten klinischen Benefit mit einer spürbaren positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden. Die Monotherapie mit Gemcitabin habe keine Alternative dargestellt, da sie der Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens und des Überlebens insgesamt unterlegen gewesen sei. Für die Subgruppe der Patienten, die sich – wie der Versicherte – noch in einem hervorragenden Allgemeinzustand befänden, habe in der Studie von Louvet et al. eine Lebensverlängerung (von 9,0 zu 7,1 Monaten) festgestellt werden können. Die Beigeladene hat erwidert, die Behandlung mit Gemcitabin sei nicht kontraindiziert gewesen, da beim Versicherten dieser Wirkstoff – wenn auch in Kombination mit Oxaliplatin – eingesetzt worden sei. Ein Einsatz der Monotherapie vor dem Beginn der Kombinationstherapie sei nicht dargetan. Die Ergebnisse der Studie von Louvet et al. reichten nicht aus, um einen neuen Therapiestandard zu definieren.
Mit Urteil vom 26.11.2009 hat das SG die Klage abgewiesen Zu Recht habe der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid einen Regress wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln festgesetzt. Die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin gehöre beim Pankreaskarzinom nicht zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Oxaliplatin sei arzneimittelrechtlich zugelassen zur Behandlung des Kolonkarzinoms und des kolorektalen Karzinoms, nicht aber zur Behandlung des Pankreaskarzinoms. Der Versicherte habe Oxaliplatin auch nicht nach den Grundsätzen des Off-Label-Use beanspruchen können, da aufgrund der Datenlage keine hinreichend begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestanden habe. Bei der Behandlung im Quartal III/2004 seien die Ergebnisse der Studie von Louvet et al. noch nicht veröffentlicht gewesen. Vielmehr habe lediglich ein Abstract vorgelegen. Die Veröffentlichung sei erst 2005 erfolgt. Eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sei ferner nicht im Wege der verfassungskonformen Auslegung nach den Maßstäben in dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) zu begründen. Dabei könne offenbleiben, ob dem Schutz des Versicherten und seinem Selbstbestimmungsrecht bei der Therapie durch eine ausreichende ärztliche Information Rechnung getragen worden sei. Denn für das palliative Behandlungsziel – Veränderung eines progressionsfreien Überlebens und Verbesserung des klinischen Benefit (Verbesserung des Allgemeinzustandes und der Lebensqualität, Verminderung von Schmerzen) – habe mit der Monotherapie mit Gemcitabin eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Therapie zur Verfügung gestanden. Es sei nicht ersichtlich, dass diese Behandlung kontraindiziert gewesen oder wegen schwerer Nebenwirkungen nicht in Betracht gekommen sei. Damit habe abstrakt und konkret eine hinreichend abgesicherte Erfolgswahrscheinlichkeit der Standardtherapie bestanden. Dagegen sei ohne Belang, ob die Arzneitherapie bei einem Versicherten nach seiner eigenen Ansicht oder derjenigen seiner Ärzte positiv gewirkt habe und gegebenenfalls herkömmlichen Arzneimitteln vorzuziehen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich der Kläger mit seiner am 05.02.2010 eingelegten Berufung. Für die Zulässigkeit eines Off-Label-Use sei nicht die Veröffentlichung von Phase III-Studien unabdingbar; vielmehr genügten andere veröffentlichte Erkenntnisse wissenschaftlicher Art. Die Ergebnisse der Phase III-Studie von Louvet et al. sei bereits im Juni 2004 auf der ASCO-Jahrestagung vorgestellt sowie am 14.06.2004 auf der ONKODIN-(Onkologie, Hämatologie – Daten und Informationen-)Webseite veröffentlicht worden und danach in der Fachpresse positiv aufgenommen worden. Außerdem habe nach den Maßstäben des BVerfG in dessen Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden. Es habe keine Standardtherapie gegeben, die bei inoperablem Pankreaskarzinom Überlebenschancen von über 6 Monaten gewährleistet habe. Nach der Studie von Louvet et al. weise die Kombinationstherapie gegenüber der Monotherapie höhere Überlebenschancen auf. Dem Versicherten sei auch nicht mit einer zweifelhaften Therapie eine naheliegende, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung vorenthalten worden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 26. November 2009 und den Bescheid des Beklagten vom 06. Oktober 2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Eine Verordnungsfähigkeit nach den Grundsätzen des Off-Label-Use scheitere schon daran, dass mit der Monotherapie mit Gemcitabin eine Standardtherapie zur Verfügung gestanden habe. Darüber hinaus habe im Behandlungszeitpunkt weder eine Phase III-Studie vorgelegen noch Konsens in den Fachkreisen über den Nutzen bestanden. Die Qualität einer Veröffentlichung müsse genügen, um das weitere (gegebenenfalls neue) therapeutische Handeln daran ausrichten zu können; dem genüge das auf der ONKODIN-Webseite veröffentlichte Abstract nicht. Dem Abstract lasse sich auch nicht entnehmen, ob es möglicherweise Subgruppen gebe, die besonders von der Kombinationstherapie profitierten. Eine Verordnungsfähigkeit nach den vom BVerfG entwickelten Maßstäben scheide schon deshalb aus, weil die Patientenakte keine Dokumentation der Abwägung hinsichtlich Nutzen und Risiken erkennen lasse und eine Einwilligung des Patienten in die Behandlung mithin nicht auf eine derartige Erläuterung habe gestützt sein können.
Die Beigeladene hat sich nicht zur Sache geäußert.
Dem Senat haben die Verwaltungsakten des Beklagten, die Kranken- und Patientenakten über den Versicherten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Hierauf und auf die in den Gerichtsakten enthaltenen Schriftsätze der Beteiligten sowie den übrigen Akteninhalt wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Denn der Kläger ist durch den Bescheid des Beklagten vom 06.10.2006 in rechtswidriger Weise beschwert.
1. Gegenstand der sozialgerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen im Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren ist grundsätzlich nur der das Verwaltungsverfahren abschließende Bescheid des Beschwerdeausschusses. Eine gerichtliche Anfechtung eines Bescheids des Prüfungsausschusses kommt nur in bestimmten Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 14.05.1997 - 6 RKa 63/95 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 39 S. 216; Urteil vom 19.06.1996 - 6 RKa 40/95 - BSGE 78, 278, 279 f. = SozR 3-2500 § 106 Nr. 35). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
2. Rechtsgrundlage des Arzneikostenregresses ist § 106 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der hier maßgeblichen Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I S. 2190). Nach dieser Vorschrift wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreiten von Richtgrößenvolumen (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V) oder nach Stichproben (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V) geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen Prüfungen ärztlicher oder ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§ 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V). § 12 Abs. 1 der Prüfungsvereinbarung für den Freistaat Sachsen ermächtigt in der hier maßgeblichen Fassung vom 14.04.2005 (in Kraft ab 01.01.2004) die Prüfgremien zu Einzelfallprüfungen. Dort ist bestimmt: "Die Krankenkassen können Anträge auf Feststellung eines sonstigen Schadens über die Geschäftsstelle beim Prüfungsausschuss geltend machen, - für Schäden, die aus der unzulässigen Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln entstanden sind, - für sonstigen Schaden, der entstanden ist durch a) unzulässige Verordnungen von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sind, b) fehlerhafte Ausstellung von Bescheinigungen." Einzelfallprüfungen stehen in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben in § 106 SGB V und sind daher in der Rechtsprechung seit langem anerkannt (vgl. nur BSG, Urteil vom 27.06.2007 - B 6 KA 44/06 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 17 Rn. 12).
Obwohl § 12 der Prüfungsvereinbarung von einer "Prüfung zur Feststellung eines sonstigen Schadens" spricht, geht es zumindest bei seiner Anwendung im vorliegenden Fall nicht um einen Regress wegen eines "sonstigen Schadens" im Sinne der Rechtsprechung des BSG. Bei Arzneikostenregressen, die – wie hier – auf der Verordnung eines nicht verordnungsfähigen Arzneimittels beruhen (§ 12 Abs. 1 Spiegelstrich 2 Buchst. a der Prüfungsvereinbarung), handelt sich nicht um einen Fall des "sonstigen Schadens" im Sinne dieser Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R - juris Rn. 11; Urteil vom 18.08.2010 - B 6 KA 14/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 29 Rn. 25; Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 28 Rn. 21 ff.). Denn bei solchen Regressen steht ein Fehler in Frage, der der Verordnung selbst anhaftet, nicht aber ein Fehler, der sich aus der Art und Weise der Ausstellung der Verordnung ergibt (zu dieser Differenzierung BSG, Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 28 Rn. 25 und dem folgend BSG, Urteil vom 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R - juris Rn. 11; Urteil vom 18.08.2010 - B 6 KA 14/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 29 Rn. 25). Letzteres ist etwa der Fall, wenn ein ermächtigter Krankenhausarzt Arzneiverordnungen im Rahmen seiner Ermächtigungstätigkeit durch einen insoweit nicht vertretungsbefugten anderen Krankenhausarzt unterzeichnen lässt (BSG, Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 28 Rn. 25). In einem solchen Fall ist im Wege des Schadensregresses vorzugehen, dessen Rechtmäßigkeit ein Verschulden und die Einhaltung der vierjährigen Verjährungsfrist voraussetzt. Ein solcher Schadensregress wäre hier nur denkbar, wenn der Arzt (Dr. Sch ), der die streitige Verordnung ausgestellt hat, nicht zur Vertretung des Klägers befugt gewesen wäre. Dies hat indessen weder ein Beteiligter behauptet noch gibt es dafür Anhaltspunkte.
Rechtsfehlerhaft ist der Beklagte aufgrund der von ihm durchgeführten Einzelfallprüfung zum Ergebnis der Unwirtschaftlichkeit gelangt. Zwar stand der Arzneitherapie mit Oxaliplatin bei Patienten mit Pankreaskarzinom das Fehlen der erforderlichen arzneimittelrechtlichen Zulassung entgegen, die bei diesem Patientenkollektiv auch nicht wegen eines Seltenheitsfalles oder nach den Grundsätzen des sogenannten Off-Label-Use entbehrlich war; insoweit folgt der Senat dem SG (3.). Im Gegensatz zum SG ist der Senat aber zu der Überzeugung gelangt, dass im konkreten Einzelfall des Versicherten die zulassungsüberschreitende Anwendung von Oxaliplatin aufgrund der gebotenen grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung ausnahmsweise zulässig war (4.).
3. Arzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (BSG, Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 Rn. 21; Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 16/07 R - BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 9, jeweils Rn. 29; Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 15/07 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 16 Rn. 20; Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 1/06 R - BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 5, jeweils Rn. 15; 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4, jeweils Rn. 15; Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/04 R - BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 7, jeweils Rn. 22). Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn das Arzneimittel überhaupt nicht zugelassen ist, sondern auch, wenn es für ein Indikationsgebiet verordnet wird, auf die sich seine Zulassung nicht erstreckt (BSG, Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 Rn. 21; Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R - BSGE 89, 184, 186 = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8).
Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Oxaliplatin hatten im Behandlungszeitpunkt weder in Deutschland noch in der Europäischen Union die erforderliche Arzneimittelzulassung für das Indikationsgebiet, für das es beim Versicherten eingesetzt wurde. Wie sich aus dem MDK-Gutachten vom 04.08.2005 ergibt, war Oxaliplatin arzneimittelrechtlich zugelassen zur adjuvanten Behandlung von Patienten mit Kolonkarzinom des Stadiums III (Dukes C) nach vollständiger Entfernung des primären Tumors und zur Behandlung von Patienten mit metastasierendem kolorektalen Karzinom. Dagegen war Oxaliplatin arzneimittelrechtlich nicht zur Behandlung von Patienten mit Pankreaskarzinom zugelassen. War demnach bei diesen Patienten die Arzneitherapie mit Oxaliplation von der arzneimittelrechtlichen Zulassung dieses Wirkstoffs nicht gedeckt, lag bei ihnen – und damit auch beim Versicherten – eine zulassungsüberschreitende Anwendung vor, die grundsätzlich nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen darf. Diese zulassungsüberschreitende Anwendung war weder wegen eines Seltenheitsfalls einer Krankheit (a) noch nach den Grundsätzen des Off-Label-Use ausnahmsweise zulässig (b).
a) Für einen Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von dem für die Leistungspflicht nach dem SGB V maßgeblichen Erfordernis einer in Deutschland wirksamen arzneimittelrechtlichen Zulassung bzw. einer positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses erwogen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2009 - B 1 KR 15/08 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 16 Rn. 12; Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12, jeweils Rn. 16; Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1, jeweils Rn. 21 ff.), ist nichts ersichtlich. Ein Seltenheitsfall, bei dem eine erweiterte Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht zu ziehen ist, liegt bei einer Krankheit vor, die weltweit nur extrem selten auftritt und die deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1, jeweils Rn. 21). Um einen solchen Seltenheitsfall einer Krankheit, der sich der systematischen wissenschaftlichen Erforschung durch nationale und internationale Studien entzieht und bei der daher für den Wirksamkeitsnachweis positive Forschungsergebnisse bzw. einem bestimmten Standard entsprechende wissenschaftliche Fachveröffentlichungen nicht verlangt werden können, handelt es sich beim Pankreaskarzinom nicht. Allein in Deutschland erkranken jährlich etwa 12.800 Menschen am Pankreaskarzinom (siehe nur S 3-Leitlinie "Exokrines Pankreaskarzinom" der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und der Deutschen Krebsgesellschaft, abrufbar unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/032-010.html). Bei jährlich mehr als 10.000 neu diagnostizierten Fällen von Pankreaskarzinomen kann nicht von einer seltenen Krankheit die Rede sein, die sich einer systematischen Erforschung entzieht. Zudem zeigt die Phase III-Studie von Louvet et al., auf die sich der Kläger beruft, dass das Pankreaskarzinom keine Erkrankung ist, die sich aufgrund ihrer Seltenheit nicht systematisch erforschen lässt. Vielmehr ist – wie sich aus der S 3-Leitlinie "Exokrines Pankreaskarzinom" der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und der Deutschen Krebsgesellschaft ergibt – die Entwicklung neuer Behandlungsformen bei Pankreaskarzinomen Gegenstand intensiver Forschung.
b) Eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Oxaliplatin war auch nicht nach den Grundsätzen des sogenannten Off-Label-Use möglich. Danach (BSG, Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R - BSGE 89, 184, 191 f. = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8; Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 1/06 R - BSGE 97, 112 = 4-2500 § 31 Nr. 5, jeweils Rn. 17 f.; Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 Rn. 31) kommt die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet grundsätzlich nur in Betracht, wenn es (1) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn (2) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn (3) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Dabei ist auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse abzustellen (BSG, Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 Rn. 31; Urteil vom 27.09.2005 - B 1 KR 6/04 R - BSGE 95, 132 Rn. 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 3 Rn. 27).
Jedenfalls die dritte Voraussetzung war nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R - BSGE 89, 184, 192 = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8; Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 1/06 R - BSGE 97, 112 = 4-2500 § 31 Nr. 5, jeweils Rn. 19; Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 14/06 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 6 Rn. 12; Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 15/07 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 16 Rn. 23; Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 Rn. 33) kann von hinreichenden Erfolgsaussichten nur dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Anwendung zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder - die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit bzw. einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder - außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Arzneitherapie auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung nachgewiesen sein muss, entspricht derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich. Sie ist während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und in das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht (BSG, Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 1/06 R - BSGE 97, 112 = 4-2500 § 31 Nr. 5, jeweils Rn. 24; Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 14/06 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 6 Rn. 16; Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 15/07 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 16 Rn. 24 f.). Deshalb müssen – entgegen der von der Klägerseite vertretenen Auffassung – auch außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens Erkenntnisse vorliegen, die denjenigen einer Phase-III-Studie gleichstehen.
Gemessen hieran fehlte es im Behandlungszeitpunkt an der erforderlichen Zulassungsreife von Oxaliplatin zur Behandlung von Patienten mit Pankreaskarzinom. Die Ergebnisse einer Phase III-Studie, die eine klinisch relevante Wirksamkeit oder einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegt, lag im Behandlungszeitpunkt nicht vor. Die Phase III-Studie von Louvet et al., auf die sich der Kläger beruft, ist erst im Jahre 2005 veröffentlicht worden (Journal of Clinical Oncology, 23 [2005], 3.509-3.516). Da die Veröffentlichung erst nach dem Beginn der hier streitigen Arzneitherapie erfolgte, ist es ohne Belang, ob sich aus den Erkenntnissen dieser Studie für Patienten mit Pankreaskarzinom insgesamt oder jedenfalls für einzelne Subgruppen davon die Zulassungsreife von Oxaliplatin – und zwar in der hier angewandten Kombination mit Gemcitabin – ergibt. Nichts anderes folgt aus der Tatsache, dass über diese Phase III-Studie Anfang Juni 2004 auf der ASCO-Jahrestagung berichtet und darüber am 14.06.2004 auf der ONKODIN-Webseite ein Abstract (http://www.onkodin.de//e20556/e20635/e27215/e27690/e27704) veröffentlicht worden war. Wie der Beklagte zutreffend bemerkt hat, entscheiden die Arzneimittelzulassungsbehörden nicht auf der Grundlage eines Abstracts, sondern fordern weitergehende Informationen an. Aus der Veröffentlichung eines Abstracts lässt sich nicht mit ausreichender Sicherheit auf die Zulassungsreife eines Arzneimittels schließen. Dies gilt auch und gerade für das erwähnte Abstract. Bereits in seiner Zusammenfassung heißt es: "Kein Überlebensvorteil für die Kombinationstherapie bei besserer Ansprechrate und progressionsfreiem Intervall gegenüber der Mono-Therapie mit Gemcitabin bei Patienten mit inoperablem Pankreaskarzinom". Zwar wird gegenüber der Monotherapie von einem höheren medianen Gesamtüberleben (9,0 gegenüber 7,1 Monaten) und einem höheren progressionsfreien Überleben (5,8 gegenüber 3,7 Monaten) bei höherer Toxizität berichtet. Doch haben die Autoren auch die Schlussfolgerung gezogen, dass die Phase III-Studie "trotz verbesserter Ansprechrate im Kombinationsarm (die auch andere Kombinationen zeigen) keinen Vorteil für die Behandlung von Patienten mit inoperablem Pankreaskarzinom mit der Kombination aus Gemcitabin und Oxaliplatin gegenüber der Gemcitabin-Monotherapie im Hinblick auf das Überleben der Patienten zeigen" konnte. Im Kommentar heißt es denn auch: "Aufgrund der Daten dieser Studie kann der Einsatz dieser Kombination als Primärtherapie nicht empfohlen werden, auch unter Berücksichtigung der hohen Grad-III- und -IV-Neuropathierate von ca 20 %. Es bleibt ungeklärt, welcher Beitrag durch Oxaliplatin bzw. durch die feste Dosis-Rate an den Remissionsergebnissen beiträgt. Die Standardtherapie in der Behandlung des inoperablen Pankreaskarzinoms bleibt auch nach dem ASCO 2004 die Mono-Therapie mit Gemcitabin." Zutreffend hat der Beklagte hierzu bemerkt, dass sich dem Abstract nicht entnehmen lässt, ob es möglicherweise Subgruppen gebe, die besonders von der Kombinationstherapie profitierten. Erst in einem Abstract über eine auf der ASCO-Jahrestagung 2006 und damit nach dem Behandlungszeitpunkt vorgestellte Metaanalyse ist von einer signifikanten Verbesserung der Überlebenszeit mit verschiedenen Regimen einer Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Platin gegenüber der Monotherapie mit Gemcitabin die Rede und diese Kombinationstherapie vor dem Hintergrund ihrer höheren Toxizität als sinnvolle Alternative für Patienten in gutem Allgemeinzustand bezeichnet worden (http://www.onkodin.de/e20556/e20635/e46034/e46089/e46150). Ob sich daraus für spätere Zeiträume Rückschlüsse auf eine Zulassungsreife von Oxaliplatin zur Behandlung von Patienten mit Pankreaskarzinom ziehen lassen, bedarf hier keiner weiteren Vertiefung (dagegen spricht, dass die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und die Deutsche Krebsgesellschaft noch immer in ihrer S 3-Leitlinie "Exokrines Pankreaskarzinom", abrufbar unter www.awmf.org/leitlinien/de¬tail/ll/032-010.html, davon ausgehen, dass die Kombination Gemcitabin/Oxaliplatin nicht als Standardtherapie eingesetzt werden sollte). Denn jedenfalls in dem hier maßgeblichen Behandlungszeitpunkt kann von einer Zulassungsreife der Arzneitherapie mit Oxaliplatin zur Behandlung von Patienten mit Pankreaskarzinom keine Rede sein.
4. Dennoch hat die Berufung Erfolg, da der Senat zu der Überzeugung gelangt ist, dass im konkreten Einzelfall des Versicherten die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Erweiterung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung vorliegen. Die nach dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25, 49 f. = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) gebotene grundrechtsorientierte Auslegung hat zur Folge, dass die generelle Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 12 Abs. 1 SGB V) eines Arzneimittels ausnahmsweise bejaht werden muss, obwohl es an sich von der Versorgung ausgeschlossen ist. Hierfür müssen folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: (1) Es muss eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliegen, (2) bezüglich dieser Krankheit darf eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehen und (3) bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten Behandlung muss eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehen. Mit Blick auf die Grenzen, die die Schutzpflichten aus Art. 2 Grundgesetz dem Leistungsbegehren der Versicherten selbst im Falle regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten ziehen, sind alle drei vom BVerfG konzipierten Voraussetzungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12, jeweils Rn. 23). Hieraus folgt speziell für die Behandlung mit dafür nicht zugelassenen Arzneimitteln, dass (a) kein Verstoß gegen das Arzneimittelrecht vorliegen darf, (b) unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bei der vor der Behandlung erforderlichen sowohl abstrakten als auch speziell auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen und Risiken der voraussichtliche Nutzen überwiegen muss und (c) die – in erster Linie fachärztliche – Behandlung auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden muss (BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4, jeweils Rn. 27; Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12, jeweils Rn. 24 ff.). Ist dem genüge getan, bietet die Arzneitherapie im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zusätzlich muss – im Sinne einer allgemeinen Voraussetzung – sichergestellt sein, dass der Versicherte nach der erforderlichen ärztlichen Aufklärung ausdrücklich in die beabsichtigte Behandlung eingewilligt hat (BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4, jeweils Rn. 28).
Diese Voraussetzungen waren bei der hier streitigen Behandlung des Versicherten erfüllt.
Bei dem inoperablen Pankreaskarzinom, unter dem der Versicherte litt, handelt es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung. Aufgrund der späten Diagnosestellung, der daraus folgenden geringen kurativen Resektionsrate und der schnellen und aggressiven Metastasisierung ist beim Pankreaskarzinom die 5-Jahresüberlebensrate mit 4 % die geringste aller Krebserkrankungen (so die S 3-Leitlinie "Exokrines Pankreaskarzinom" der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und der Deutschen Krebsgesellschaft, abrufbar unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/032-010.html). Vor diesem Hintergrund bestehen am Vorliegen einer notstandsähnlichen Situation (zu diesem Gesichtspunkt siehe nur die Zusammenfassung im BSG-Urteil vom 05.05.2009 - B 1 KR 15/08 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 16 Rn. 15 ff.) im Falle des Versicherten keine Zweifel. Auch wenn nicht bei allen Krebserkrankungen eine notstandsähnliche Situation vorliegt (verneinend BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 8 Rn. 36 für ein Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweise auf metastatische Absiedlungen), ist dies doch bei einem inoperablen Pankreaskarzinom, wie es beim Versicherten im August 2004 diagnostiziert werden musste, aufgrund der sehr ungünstigen Prognose dieser Krankheit der Fall.
Bezüglich des inoperablen Pankreaskarzinoms stand allerdings mit der Monotherapie mit Gemcitabin eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung. Entgegen dem schriftlichen Vortrag der Prozessbevollmächtigen des Klägers ist diese Standardbehandlung im Falle des Versicherten nicht einmal versucht worden. Bereits in dem in der Patientenakten enthaltenen Schreiben des Klägers an Prof. Dr. B in New York vom 23.08.2004 wird mitgeteilt, dass aufgrund des guten Gesundheitszustandes des Versicherten die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin durchgeführt werden soll ("The patient is still in good shape with no reduction of Karnovsky index. Radiotherapy or surgery are certainly not feasible due to liver metastases. Thus, we recommend a combination therapy consisting of gemcitabine and oxali-platin. This combination therapy is more aggressive as compared to mono therapy with gemcitabine and still has not clearly shown to prolong life. However, in some individual cases this therapy may be more beneficial as compared to standard gemcitabine.”). Dementsprechend ist im Krankenblatt unter dem 01.09.2004 und dem 08.09.2004 eine Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin verzeichnet. Etwas anderes ergibt sich, anders als die Prozessbevollmächtigten des Klägers meinten, nicht aus dem Krankenblatt-Eintrag vom 13.09.2004; auch wenn dort eine Besprechung mit dem Versicherten über die Umstellung der Chemotherapie auf das Louvet-Protokoll vermerkt ist, folgt daraus nicht, dass eine zunächst begonnene Monotherapie mit Gemcitabin später auf eine Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin abgeändert worden ist. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch nicht behauptet. Vielmehr hat er dort klar zum Ausdruck gebracht, dass beim Versicherten von vornherein eine Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin geplant war.
Grundsätzlich ist es auch einem an Krebs erkrankten Versicherten zumutbar, zunächst eine zur Verfügung stehende allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung in Anspruch zu nehmen. Erst wenn sich im Laufe der Standardbehandlung zeigt, dass deren Ergebnisse nicht erfolgversprechend sind, kann auf eine Zweitlinien-Therapie übergegangen werden. Gleiches gilt, wenn von vornherein feststeht, dass beim Versicherten wegen des Bestehens gravierender gesundheitlicher Risiken – wie etwa Unverträglichkeiten – die Standardbehandlung nicht angewandt werden kann (BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4, jeweils Rn. 31). Letzteres war beim Versicherten nicht der Fall. Wie das SG, vermag auch der Senat keinerlei Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass die Standardbehandlung beim Versicherten kontraindiziert oder wegen schwerer Nebenwirkungen nicht in Betracht gekommen wäre. Dagegen spricht bereits, dass auch bei der durchgeführten Kombinationstherapie der Wirkstoff Gemcitabin zum Einsatz kam.
Gleichwohl war im vorliegenden Einzelfall die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin ausnahmsweise zulässig. Denn es genügt nicht, dass bezüglich der Krankheit eine Standardbehandlung zur Verfügung steht. Vielmehr muss dies auch bezüglich des angestrebten Behandlungsziels der Fall sein, wobei die Heilung einer Krankheit erstrangiges Ziel ist, gefolgt von der Verhütung ihrer Verschlimmerung; drittrangig ist die Linderung der Krankheit, sofern eine Heilung oder Verhütung der Verschlimmerung aussichtslos ist (vgl. Padé, NZS 2007, 352, 356). Bei inoperablem Pankreaskarzinom verspricht die Standard-Monotherapie mit Gemcitabin keine Verlängerung des medianen Überlebens, sondern nur eine Verbesserung der Lebensqualität in der kurzen Zeit bis zum Tod. Dagegen gab es im Behandlungszeitpunkt für die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin Hinweise auf eine Verlängerung des Überlebens bei der Subgruppe der Patienten mit einem vergleichsweise guten Gesundheitszustand. Für das vor diesem Hintergrund vom Kläger beim Versicherten ins Auge genommene Behandlungsziel einer Überlebensverlängerung stand keine gleich geeignete Standardbehandlung zur Verfügung.
Bezüglich dieses mit der Kombinationstherapie verfolgten Behandlungsziels bestand beim Versicherten im Behandlungszeitpunkt auch eine ausreichende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Anders als nach den Grundsätzen des Off-Label-Use reichen insoweit die in dem oben (unter 3b) erwähnten Abstract veröffentlichten Ergebnisse der Phase III-Studie von Louvet et al. aus. Denn der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der zu verlangen ist, um davon ausgehen zu dürfen, dass die behaupteten Behandlungserfolge mit hinreichender Sicherheit dem Einsatz gerade der streitigen Behandlung zugerechnet werden können und das einzugehende Risiko vertretbar ist, unterliegt im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung Abstufungen je nach der Schwere und dem Stadium der Erkrankung (BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4, jeweils Rn. 39 ff.). Erkenntnisse von randomisierten klinischen Studien der Phase III sind daher nicht erforderlich; vielmehr können unter Umständen selbst Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, Meinungen anerkannter Experten, Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen in Betracht kommen. In dem diesen Anforderungen genügenden Abstract über die Phase III-Studie von Louvet et al. von Juni 2004 wird für die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin gegenüber der Monotherapie mit Gemcitabin von einem höheren medianen Gesamtüberleben (9,0 gegenüber 7,1 Monaten) und einem höheren progressionsfreien Überleben (5,8 gegenüber 3,7 Monaten) berichtet. Diesbezüglich hat der Beklagte im Berufungsverfahren eingeräumt, dass die Kombinationstherapie numerische Vorteile bei Gesamtüberleben, progressionsfreiem Überleben und in der Ansprechrate zeige, zugleich aber darauf hingewiesen, dass die Vorteile der Kombinationstherapie (trotz eines Unterschiedes von 2 Monaten) nicht statistisch hätten gesichert werden können, was für eine starke Streuung der patientenindividuellen Überlebenszeiten spreche. Die fehlende statistische Signifikanz stand jedoch im vorliegenden Einzelfalle einer Kombinationstherapie nicht entgegen. Denn Subgruppenanalysen hatten erbracht, dass bei Patienten in einem vergleichsweise guten Allgemeinzustand durch die Kombinationstherapie eine Verbesserung der Überlebenszeit erreicht werden konnte. Dass eine dahingehende Metaanalyse erst – wie oben (unter 3b) dargelegt wurde – auf der auf der ASCO-Jahrestagung 2006 vorgestellt wurde, ist unschädlich. Auch wenn sich dem Abstract über den Bericht von Louvet et al. auf der ASCO-Jahrestagung 2004 nicht entnehmen lässt, ob Subgruppen von der Kombinationstherapie profitierten, gab es diese Subgruppenanalysen bereits, auf die sich der Kläger in dem oben zitierten Schreiben vom 23.08.2004 an Prof. Dr. B offensichtlich auch bezieht. Ungeachtet der generellen Problematik der Aussagekraft von Subgruppenanalysen ist der Senat davon überzeugt, dass es im Behandlungszeitpunkt (September 2004) hinreichende Erkenntnisse dafür gab, dass bei Patienten mit einem inoperablen Pankreaskarzinom, die sich in einer guten körperlichen Konstitution befinden, mit einer Kombinationstherapie aus Gemcitabin und Oxaliplatin eine Verlängerung des Überlebens erreichbar ist. Zu dieser Subgruppe zählte der Versicherte. Wie der Kläger als behandelnder Arzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angab, befand sich der Versicherte gemessen an dem Altersdurchschnitt der Pankreaskarzinom-Erkrankten in einem noch jungen Lebensalter und verfügte außerdem über einen guten Allgemeinzustand; der Kläger hat ihn als fast arbeitsfähig eingeschätzt. Aufgrund seiner guten körperlichen Konstitution bestand beim Versicherten eine ausreichende Aussicht auf eine Überlebensverlängerung durch eine Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin – und zwar gerade bei einem frühzeitigen Beginn mit dieser Kombinationstherapie. Aufgrund dieser Aussicht war es angesichts der sehr ungünstigen Prognose bei einem inoperablen Pankreaskarzinom im Einzelfall des Versicherten ausnahmsweise zulässig, nicht zuerst die Standardbehandlung, sondern sogleich die nicht allgemein anerkannte Behandlung durchzuführen. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass nach der auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen und Risiken im vorliegenden Einzelfall der voraussichtliche Nutzen der Kombinationstherapie überwiegt; dagegen ist die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin nicht generell für gesetzlich krankenversicherte Patienten mit Pankreaskarzinom eröffnet.
Schließlich ist der Senat auch davon überzeugt, dass der Versicherte nach der erforderlichen ärztlichen Aufklärung ausdrücklich in die beabsichtigte Behandlung eingewilligt hat. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschildert hat, war der Versicherte mit einem Kollegen des Klägers an der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität L gut bekannt. Dieser Kollege hatte den Kontakt hergestellt und den Kläger gebeten, sich dem Versicherten in besonderer Weise zuzuwenden. Der Kläger fand einen sehr gut informierten Patienten an, mit dem er Telefonate und persönliche Gespräche von zum Teil über 60 Minuten Dauer führte. Dass der Versicherte gut informiert war, findet in dem bereits erwähnten Schreiben an Prof. Dr. B vom 23.08.2004 seinen Niederschlag, an den sich der Kläger, wie es darin eingangs heißt, auf Bitten des Versicherten und seiner Frau zur Einholung einer Zweitmeinung hinsichtlich der Behandlung des diagnostizierten Pankreaskarzinoms wandte. Der Senat glaubt dem Kläger, dass die Gespräche dem Versicherten über seine Erkrankung und die Möglichkeiten ihrer Therapie tatsächlich stattgefunden haben. Dass diese Gespräche in der Patientenakte kaum dokumentiert worden sind, hält der Senat demgegenüber nicht für ausschlaggebend. Zwar muss nicht nur die durchgeführte Behandlung, sondern auch die Aufklärung über sie ausreichend dokumentiert werden. Doch ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen und den glaubhaften Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass sich der Versicherte in Kenntnis der Vor- und Nachteile einer Kombinationstherapie für diese entschieden hatte.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keine Anträge gestellt hat (vgl. BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 62/04 R - BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr. 3, jeweils Rn. 16).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 2, § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz. Er ergibt sich aus dem Regressbetrag in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid.
Dr. Wietek Dr. Wahl zugleich für den versetzungsbedingt an der Unterschriftsleistung gehinderten Richter Dr. Estelmann
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.272,62 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Arzneikostenregresses.
Der Kläger ist Direktor des Zentrums für Innere Medizin des Universitätsklinikums L. Durch Beschluss des Zulassungsausschusses Ärzte L vom 11.03.2003 war er für die Zeit vom 01.04.2003 bis zum 31.03.2005 zur ambulanten Therapie des gesicherten Pankreaskarzinoms in der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt.
Ein am 1947 geborener Versicherter der beigeladenen Krankenkasse befand sich vom 12.08.2004 bis zum 27.08.2004 zur stationären Krankenhausbehandlung im Universitätsklinikum L. Während dieses Krankenhausaufenthalts wurde bei ihm ein fortgeschrittenes inoperables Pankreaskarzinom diagnostiziert und am 25.08.2004 eine palliative Chemotherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin begonnen, die nach der Krankenhausentlassung fortgesetzt wurde. In diesem Zusammenhang ließ der Kläger dem Versicherten am 30.09.2004 durch Dr. Sch auf einem Kassenrezept Gemcitabin und Oxaliplatin verordnen.
Wegen der Verordnung von Oxaliplatin beantragte die Beigeladene mit Schreiben vom 27.06.2005 unter Vorlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 04.08.2005 die Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 12 der Prüfvereinbarung. Oxaliplatin sei für die Behandlung von Pankreaskarzinomen nicht zugelassen. Die Voraussetzungen für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz (Off-Label-Use) seien nicht erfüllt. Nach einer kürzlich veröffentlichten Phase III-Studie (Louvet et al., Journal of Clinical Oncology, 23 [2005], 3.509-3.516) zeige die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin gegenüber der Monotherapie mit Gemcitabin keinen statistisch signifikanten Vorteil im Hinblick auf das Überleben (over all survival); nur klinisch (clinical benefit) habe ein Vorteil nachgewiesen werden können, der jedoch mit einer höheren Toxizität verbunden gewesen sei. Der Kläger erwiderte, im Zeitpunkt der Behandlung habe für die Kombinationstherapie in Abstract-Form der Nachweis eines verlängerten progressionsfreien Überlebens und infolge dessen einer Verbesserung des Allgemeinbefindens (clinical benefit) vorgelegen; die Ergebnisse seien 2005 voll publiziert worden (Louvet et al., a.a.O.). Dem Versicherten gehe es ein Jahr nach der Diagnosestellung weiterhin gut. Daher könne der individuelle Heilversuch als erfolgreich angesehen werden. Mit Prüfbescheid vom 13.02.2006 setzte der Prüfungsausschuss wegen der Verordnung von Oxaliplatin einen Regress in Höhe von 2.272,62 EUR fest. Die Verordnung sei außerhalb der zugelassenen Indikation erfolgt. Oxaliplatin sei nur zur Behandlung des metastasierenden kolorektalen Karzinoms zugelassen. Eine Wirksamkeit bei Pankreaskarzinom sei nicht nachgewiesen.
Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, das Pankreaskarzinom gehöre zu den bösartigsten Tumoren. Bei inoperablem Zustand überlebten die meisten Patienten nicht länger als 6 Monate. Auch für das in der Palliativtherapie zugelassene Gemcitabin sei nur eine Lebensqualitätsverbesserung dokumentiert, aber keine eindeutige Lebensverlängerung. Der Krankheitsverlauf des Versicherten habe gezeigt, dass die Invididualentscheidung für eine Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin richtig gewesen sei. Unter dieser Kombinationstherapie sei es gelungen, dass der Versicherte bei relativ guter Lebensqualität nach Diagnosestellung fast noch 2 Jahre gelebt habe (gestorben am 17.06.2006). Der beklagte Beschwerdeausschuss wies mit Bescheid vom 06.10.2006 den Widerspruch zurück. Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use lägen nicht vor. Die wissenschaftliche Datenlage sei zum Zeitpunkt der Behandlung nicht gesichert gewesen. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) sei erst nach der Behandlung ergangen und könne daher nicht berücksichtigt werden.
Der Kläger hat am 06.11.2006 beim Sozialgericht Dresden (SG) Klage erhoben. Der Off-Label-Use sei sehr wohl zulässig gewesen. Die Phase III-Studie von Louvet et al. sei bereits 2004 auf der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) vorgestellt worden. Darauf dass die Studie keinen statistisch signifikanten Überlebensvorteil habe nachweisen können, komme es nicht an; es reiche der palliative Effekt (clinical benefit). Darüber hinaus seien auch die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach der Rechtsprechung des BVerfG erfüllt. Mit Blick auf die Veröffentlichungen in der Fachpresse habe eine auf Indizien gestützte Aussicht auf einen verbesserten klinischen Benefit mit einer spürbaren positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden. Die Monotherapie mit Gemcitabin habe keine Alternative dargestellt, da sie der Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens und des Überlebens insgesamt unterlegen gewesen sei. Für die Subgruppe der Patienten, die sich – wie der Versicherte – noch in einem hervorragenden Allgemeinzustand befänden, habe in der Studie von Louvet et al. eine Lebensverlängerung (von 9,0 zu 7,1 Monaten) festgestellt werden können. Die Beigeladene hat erwidert, die Behandlung mit Gemcitabin sei nicht kontraindiziert gewesen, da beim Versicherten dieser Wirkstoff – wenn auch in Kombination mit Oxaliplatin – eingesetzt worden sei. Ein Einsatz der Monotherapie vor dem Beginn der Kombinationstherapie sei nicht dargetan. Die Ergebnisse der Studie von Louvet et al. reichten nicht aus, um einen neuen Therapiestandard zu definieren.
Mit Urteil vom 26.11.2009 hat das SG die Klage abgewiesen Zu Recht habe der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid einen Regress wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln festgesetzt. Die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin gehöre beim Pankreaskarzinom nicht zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Oxaliplatin sei arzneimittelrechtlich zugelassen zur Behandlung des Kolonkarzinoms und des kolorektalen Karzinoms, nicht aber zur Behandlung des Pankreaskarzinoms. Der Versicherte habe Oxaliplatin auch nicht nach den Grundsätzen des Off-Label-Use beanspruchen können, da aufgrund der Datenlage keine hinreichend begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestanden habe. Bei der Behandlung im Quartal III/2004 seien die Ergebnisse der Studie von Louvet et al. noch nicht veröffentlicht gewesen. Vielmehr habe lediglich ein Abstract vorgelegen. Die Veröffentlichung sei erst 2005 erfolgt. Eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sei ferner nicht im Wege der verfassungskonformen Auslegung nach den Maßstäben in dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) zu begründen. Dabei könne offenbleiben, ob dem Schutz des Versicherten und seinem Selbstbestimmungsrecht bei der Therapie durch eine ausreichende ärztliche Information Rechnung getragen worden sei. Denn für das palliative Behandlungsziel – Veränderung eines progressionsfreien Überlebens und Verbesserung des klinischen Benefit (Verbesserung des Allgemeinzustandes und der Lebensqualität, Verminderung von Schmerzen) – habe mit der Monotherapie mit Gemcitabin eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Therapie zur Verfügung gestanden. Es sei nicht ersichtlich, dass diese Behandlung kontraindiziert gewesen oder wegen schwerer Nebenwirkungen nicht in Betracht gekommen sei. Damit habe abstrakt und konkret eine hinreichend abgesicherte Erfolgswahrscheinlichkeit der Standardtherapie bestanden. Dagegen sei ohne Belang, ob die Arzneitherapie bei einem Versicherten nach seiner eigenen Ansicht oder derjenigen seiner Ärzte positiv gewirkt habe und gegebenenfalls herkömmlichen Arzneimitteln vorzuziehen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich der Kläger mit seiner am 05.02.2010 eingelegten Berufung. Für die Zulässigkeit eines Off-Label-Use sei nicht die Veröffentlichung von Phase III-Studien unabdingbar; vielmehr genügten andere veröffentlichte Erkenntnisse wissenschaftlicher Art. Die Ergebnisse der Phase III-Studie von Louvet et al. sei bereits im Juni 2004 auf der ASCO-Jahrestagung vorgestellt sowie am 14.06.2004 auf der ONKODIN-(Onkologie, Hämatologie – Daten und Informationen-)Webseite veröffentlicht worden und danach in der Fachpresse positiv aufgenommen worden. Außerdem habe nach den Maßstäben des BVerfG in dessen Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden. Es habe keine Standardtherapie gegeben, die bei inoperablem Pankreaskarzinom Überlebenschancen von über 6 Monaten gewährleistet habe. Nach der Studie von Louvet et al. weise die Kombinationstherapie gegenüber der Monotherapie höhere Überlebenschancen auf. Dem Versicherten sei auch nicht mit einer zweifelhaften Therapie eine naheliegende, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung vorenthalten worden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 26. November 2009 und den Bescheid des Beklagten vom 06. Oktober 2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Eine Verordnungsfähigkeit nach den Grundsätzen des Off-Label-Use scheitere schon daran, dass mit der Monotherapie mit Gemcitabin eine Standardtherapie zur Verfügung gestanden habe. Darüber hinaus habe im Behandlungszeitpunkt weder eine Phase III-Studie vorgelegen noch Konsens in den Fachkreisen über den Nutzen bestanden. Die Qualität einer Veröffentlichung müsse genügen, um das weitere (gegebenenfalls neue) therapeutische Handeln daran ausrichten zu können; dem genüge das auf der ONKODIN-Webseite veröffentlichte Abstract nicht. Dem Abstract lasse sich auch nicht entnehmen, ob es möglicherweise Subgruppen gebe, die besonders von der Kombinationstherapie profitierten. Eine Verordnungsfähigkeit nach den vom BVerfG entwickelten Maßstäben scheide schon deshalb aus, weil die Patientenakte keine Dokumentation der Abwägung hinsichtlich Nutzen und Risiken erkennen lasse und eine Einwilligung des Patienten in die Behandlung mithin nicht auf eine derartige Erläuterung habe gestützt sein können.
Die Beigeladene hat sich nicht zur Sache geäußert.
Dem Senat haben die Verwaltungsakten des Beklagten, die Kranken- und Patientenakten über den Versicherten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Hierauf und auf die in den Gerichtsakten enthaltenen Schriftsätze der Beteiligten sowie den übrigen Akteninhalt wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Denn der Kläger ist durch den Bescheid des Beklagten vom 06.10.2006 in rechtswidriger Weise beschwert.
1. Gegenstand der sozialgerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen im Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren ist grundsätzlich nur der das Verwaltungsverfahren abschließende Bescheid des Beschwerdeausschusses. Eine gerichtliche Anfechtung eines Bescheids des Prüfungsausschusses kommt nur in bestimmten Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 14.05.1997 - 6 RKa 63/95 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 39 S. 216; Urteil vom 19.06.1996 - 6 RKa 40/95 - BSGE 78, 278, 279 f. = SozR 3-2500 § 106 Nr. 35). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
2. Rechtsgrundlage des Arzneikostenregresses ist § 106 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der hier maßgeblichen Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I S. 2190). Nach dieser Vorschrift wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreiten von Richtgrößenvolumen (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V) oder nach Stichproben (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V) geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen Prüfungen ärztlicher oder ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§ 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V). § 12 Abs. 1 der Prüfungsvereinbarung für den Freistaat Sachsen ermächtigt in der hier maßgeblichen Fassung vom 14.04.2005 (in Kraft ab 01.01.2004) die Prüfgremien zu Einzelfallprüfungen. Dort ist bestimmt: "Die Krankenkassen können Anträge auf Feststellung eines sonstigen Schadens über die Geschäftsstelle beim Prüfungsausschuss geltend machen, - für Schäden, die aus der unzulässigen Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln entstanden sind, - für sonstigen Schaden, der entstanden ist durch a) unzulässige Verordnungen von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sind, b) fehlerhafte Ausstellung von Bescheinigungen." Einzelfallprüfungen stehen in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben in § 106 SGB V und sind daher in der Rechtsprechung seit langem anerkannt (vgl. nur BSG, Urteil vom 27.06.2007 - B 6 KA 44/06 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 17 Rn. 12).
Obwohl § 12 der Prüfungsvereinbarung von einer "Prüfung zur Feststellung eines sonstigen Schadens" spricht, geht es zumindest bei seiner Anwendung im vorliegenden Fall nicht um einen Regress wegen eines "sonstigen Schadens" im Sinne der Rechtsprechung des BSG. Bei Arzneikostenregressen, die – wie hier – auf der Verordnung eines nicht verordnungsfähigen Arzneimittels beruhen (§ 12 Abs. 1 Spiegelstrich 2 Buchst. a der Prüfungsvereinbarung), handelt sich nicht um einen Fall des "sonstigen Schadens" im Sinne dieser Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R - juris Rn. 11; Urteil vom 18.08.2010 - B 6 KA 14/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 29 Rn. 25; Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 28 Rn. 21 ff.). Denn bei solchen Regressen steht ein Fehler in Frage, der der Verordnung selbst anhaftet, nicht aber ein Fehler, der sich aus der Art und Weise der Ausstellung der Verordnung ergibt (zu dieser Differenzierung BSG, Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 28 Rn. 25 und dem folgend BSG, Urteil vom 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R - juris Rn. 11; Urteil vom 18.08.2010 - B 6 KA 14/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 29 Rn. 25). Letzteres ist etwa der Fall, wenn ein ermächtigter Krankenhausarzt Arzneiverordnungen im Rahmen seiner Ermächtigungstätigkeit durch einen insoweit nicht vertretungsbefugten anderen Krankenhausarzt unterzeichnen lässt (BSG, Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 28 Rn. 25). In einem solchen Fall ist im Wege des Schadensregresses vorzugehen, dessen Rechtmäßigkeit ein Verschulden und die Einhaltung der vierjährigen Verjährungsfrist voraussetzt. Ein solcher Schadensregress wäre hier nur denkbar, wenn der Arzt (Dr. Sch ), der die streitige Verordnung ausgestellt hat, nicht zur Vertretung des Klägers befugt gewesen wäre. Dies hat indessen weder ein Beteiligter behauptet noch gibt es dafür Anhaltspunkte.
Rechtsfehlerhaft ist der Beklagte aufgrund der von ihm durchgeführten Einzelfallprüfung zum Ergebnis der Unwirtschaftlichkeit gelangt. Zwar stand der Arzneitherapie mit Oxaliplatin bei Patienten mit Pankreaskarzinom das Fehlen der erforderlichen arzneimittelrechtlichen Zulassung entgegen, die bei diesem Patientenkollektiv auch nicht wegen eines Seltenheitsfalles oder nach den Grundsätzen des sogenannten Off-Label-Use entbehrlich war; insoweit folgt der Senat dem SG (3.). Im Gegensatz zum SG ist der Senat aber zu der Überzeugung gelangt, dass im konkreten Einzelfall des Versicherten die zulassungsüberschreitende Anwendung von Oxaliplatin aufgrund der gebotenen grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung ausnahmsweise zulässig war (4.).
3. Arzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (BSG, Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 Rn. 21; Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 16/07 R - BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 9, jeweils Rn. 29; Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 15/07 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 16 Rn. 20; Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 1/06 R - BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 5, jeweils Rn. 15; 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4, jeweils Rn. 15; Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/04 R - BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 7, jeweils Rn. 22). Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn das Arzneimittel überhaupt nicht zugelassen ist, sondern auch, wenn es für ein Indikationsgebiet verordnet wird, auf die sich seine Zulassung nicht erstreckt (BSG, Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 Rn. 21; Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R - BSGE 89, 184, 186 = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8).
Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Oxaliplatin hatten im Behandlungszeitpunkt weder in Deutschland noch in der Europäischen Union die erforderliche Arzneimittelzulassung für das Indikationsgebiet, für das es beim Versicherten eingesetzt wurde. Wie sich aus dem MDK-Gutachten vom 04.08.2005 ergibt, war Oxaliplatin arzneimittelrechtlich zugelassen zur adjuvanten Behandlung von Patienten mit Kolonkarzinom des Stadiums III (Dukes C) nach vollständiger Entfernung des primären Tumors und zur Behandlung von Patienten mit metastasierendem kolorektalen Karzinom. Dagegen war Oxaliplatin arzneimittelrechtlich nicht zur Behandlung von Patienten mit Pankreaskarzinom zugelassen. War demnach bei diesen Patienten die Arzneitherapie mit Oxaliplation von der arzneimittelrechtlichen Zulassung dieses Wirkstoffs nicht gedeckt, lag bei ihnen – und damit auch beim Versicherten – eine zulassungsüberschreitende Anwendung vor, die grundsätzlich nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen darf. Diese zulassungsüberschreitende Anwendung war weder wegen eines Seltenheitsfalls einer Krankheit (a) noch nach den Grundsätzen des Off-Label-Use ausnahmsweise zulässig (b).
a) Für einen Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von dem für die Leistungspflicht nach dem SGB V maßgeblichen Erfordernis einer in Deutschland wirksamen arzneimittelrechtlichen Zulassung bzw. einer positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses erwogen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2009 - B 1 KR 15/08 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 16 Rn. 12; Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12, jeweils Rn. 16; Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1, jeweils Rn. 21 ff.), ist nichts ersichtlich. Ein Seltenheitsfall, bei dem eine erweiterte Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht zu ziehen ist, liegt bei einer Krankheit vor, die weltweit nur extrem selten auftritt und die deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1, jeweils Rn. 21). Um einen solchen Seltenheitsfall einer Krankheit, der sich der systematischen wissenschaftlichen Erforschung durch nationale und internationale Studien entzieht und bei der daher für den Wirksamkeitsnachweis positive Forschungsergebnisse bzw. einem bestimmten Standard entsprechende wissenschaftliche Fachveröffentlichungen nicht verlangt werden können, handelt es sich beim Pankreaskarzinom nicht. Allein in Deutschland erkranken jährlich etwa 12.800 Menschen am Pankreaskarzinom (siehe nur S 3-Leitlinie "Exokrines Pankreaskarzinom" der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und der Deutschen Krebsgesellschaft, abrufbar unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/032-010.html). Bei jährlich mehr als 10.000 neu diagnostizierten Fällen von Pankreaskarzinomen kann nicht von einer seltenen Krankheit die Rede sein, die sich einer systematischen Erforschung entzieht. Zudem zeigt die Phase III-Studie von Louvet et al., auf die sich der Kläger beruft, dass das Pankreaskarzinom keine Erkrankung ist, die sich aufgrund ihrer Seltenheit nicht systematisch erforschen lässt. Vielmehr ist – wie sich aus der S 3-Leitlinie "Exokrines Pankreaskarzinom" der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und der Deutschen Krebsgesellschaft ergibt – die Entwicklung neuer Behandlungsformen bei Pankreaskarzinomen Gegenstand intensiver Forschung.
b) Eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Oxaliplatin war auch nicht nach den Grundsätzen des sogenannten Off-Label-Use möglich. Danach (BSG, Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R - BSGE 89, 184, 191 f. = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8; Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 1/06 R - BSGE 97, 112 = 4-2500 § 31 Nr. 5, jeweils Rn. 17 f.; Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 Rn. 31) kommt die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet grundsätzlich nur in Betracht, wenn es (1) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn (2) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn (3) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Dabei ist auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse abzustellen (BSG, Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 Rn. 31; Urteil vom 27.09.2005 - B 1 KR 6/04 R - BSGE 95, 132 Rn. 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 3 Rn. 27).
Jedenfalls die dritte Voraussetzung war nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R - BSGE 89, 184, 192 = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8; Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 1/06 R - BSGE 97, 112 = 4-2500 § 31 Nr. 5, jeweils Rn. 19; Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 14/06 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 6 Rn. 12; Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 15/07 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 16 Rn. 23; Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 Rn. 33) kann von hinreichenden Erfolgsaussichten nur dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Anwendung zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder - die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit bzw. einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder - außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Arzneitherapie auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung nachgewiesen sein muss, entspricht derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich. Sie ist während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und in das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht (BSG, Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 1/06 R - BSGE 97, 112 = 4-2500 § 31 Nr. 5, jeweils Rn. 24; Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 14/06 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 6 Rn. 16; Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 15/07 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 16 Rn. 24 f.). Deshalb müssen – entgegen der von der Klägerseite vertretenen Auffassung – auch außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens Erkenntnisse vorliegen, die denjenigen einer Phase-III-Studie gleichstehen.
Gemessen hieran fehlte es im Behandlungszeitpunkt an der erforderlichen Zulassungsreife von Oxaliplatin zur Behandlung von Patienten mit Pankreaskarzinom. Die Ergebnisse einer Phase III-Studie, die eine klinisch relevante Wirksamkeit oder einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegt, lag im Behandlungszeitpunkt nicht vor. Die Phase III-Studie von Louvet et al., auf die sich der Kläger beruft, ist erst im Jahre 2005 veröffentlicht worden (Journal of Clinical Oncology, 23 [2005], 3.509-3.516). Da die Veröffentlichung erst nach dem Beginn der hier streitigen Arzneitherapie erfolgte, ist es ohne Belang, ob sich aus den Erkenntnissen dieser Studie für Patienten mit Pankreaskarzinom insgesamt oder jedenfalls für einzelne Subgruppen davon die Zulassungsreife von Oxaliplatin – und zwar in der hier angewandten Kombination mit Gemcitabin – ergibt. Nichts anderes folgt aus der Tatsache, dass über diese Phase III-Studie Anfang Juni 2004 auf der ASCO-Jahrestagung berichtet und darüber am 14.06.2004 auf der ONKODIN-Webseite ein Abstract (http://www.onkodin.de//e20556/e20635/e27215/e27690/e27704) veröffentlicht worden war. Wie der Beklagte zutreffend bemerkt hat, entscheiden die Arzneimittelzulassungsbehörden nicht auf der Grundlage eines Abstracts, sondern fordern weitergehende Informationen an. Aus der Veröffentlichung eines Abstracts lässt sich nicht mit ausreichender Sicherheit auf die Zulassungsreife eines Arzneimittels schließen. Dies gilt auch und gerade für das erwähnte Abstract. Bereits in seiner Zusammenfassung heißt es: "Kein Überlebensvorteil für die Kombinationstherapie bei besserer Ansprechrate und progressionsfreiem Intervall gegenüber der Mono-Therapie mit Gemcitabin bei Patienten mit inoperablem Pankreaskarzinom". Zwar wird gegenüber der Monotherapie von einem höheren medianen Gesamtüberleben (9,0 gegenüber 7,1 Monaten) und einem höheren progressionsfreien Überleben (5,8 gegenüber 3,7 Monaten) bei höherer Toxizität berichtet. Doch haben die Autoren auch die Schlussfolgerung gezogen, dass die Phase III-Studie "trotz verbesserter Ansprechrate im Kombinationsarm (die auch andere Kombinationen zeigen) keinen Vorteil für die Behandlung von Patienten mit inoperablem Pankreaskarzinom mit der Kombination aus Gemcitabin und Oxaliplatin gegenüber der Gemcitabin-Monotherapie im Hinblick auf das Überleben der Patienten zeigen" konnte. Im Kommentar heißt es denn auch: "Aufgrund der Daten dieser Studie kann der Einsatz dieser Kombination als Primärtherapie nicht empfohlen werden, auch unter Berücksichtigung der hohen Grad-III- und -IV-Neuropathierate von ca 20 %. Es bleibt ungeklärt, welcher Beitrag durch Oxaliplatin bzw. durch die feste Dosis-Rate an den Remissionsergebnissen beiträgt. Die Standardtherapie in der Behandlung des inoperablen Pankreaskarzinoms bleibt auch nach dem ASCO 2004 die Mono-Therapie mit Gemcitabin." Zutreffend hat der Beklagte hierzu bemerkt, dass sich dem Abstract nicht entnehmen lässt, ob es möglicherweise Subgruppen gebe, die besonders von der Kombinationstherapie profitierten. Erst in einem Abstract über eine auf der ASCO-Jahrestagung 2006 und damit nach dem Behandlungszeitpunkt vorgestellte Metaanalyse ist von einer signifikanten Verbesserung der Überlebenszeit mit verschiedenen Regimen einer Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Platin gegenüber der Monotherapie mit Gemcitabin die Rede und diese Kombinationstherapie vor dem Hintergrund ihrer höheren Toxizität als sinnvolle Alternative für Patienten in gutem Allgemeinzustand bezeichnet worden (http://www.onkodin.de/e20556/e20635/e46034/e46089/e46150). Ob sich daraus für spätere Zeiträume Rückschlüsse auf eine Zulassungsreife von Oxaliplatin zur Behandlung von Patienten mit Pankreaskarzinom ziehen lassen, bedarf hier keiner weiteren Vertiefung (dagegen spricht, dass die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und die Deutsche Krebsgesellschaft noch immer in ihrer S 3-Leitlinie "Exokrines Pankreaskarzinom", abrufbar unter www.awmf.org/leitlinien/de¬tail/ll/032-010.html, davon ausgehen, dass die Kombination Gemcitabin/Oxaliplatin nicht als Standardtherapie eingesetzt werden sollte). Denn jedenfalls in dem hier maßgeblichen Behandlungszeitpunkt kann von einer Zulassungsreife der Arzneitherapie mit Oxaliplatin zur Behandlung von Patienten mit Pankreaskarzinom keine Rede sein.
4. Dennoch hat die Berufung Erfolg, da der Senat zu der Überzeugung gelangt ist, dass im konkreten Einzelfall des Versicherten die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Erweiterung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung vorliegen. Die nach dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25, 49 f. = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) gebotene grundrechtsorientierte Auslegung hat zur Folge, dass die generelle Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 12 Abs. 1 SGB V) eines Arzneimittels ausnahmsweise bejaht werden muss, obwohl es an sich von der Versorgung ausgeschlossen ist. Hierfür müssen folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: (1) Es muss eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliegen, (2) bezüglich dieser Krankheit darf eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehen und (3) bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten Behandlung muss eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehen. Mit Blick auf die Grenzen, die die Schutzpflichten aus Art. 2 Grundgesetz dem Leistungsbegehren der Versicherten selbst im Falle regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten ziehen, sind alle drei vom BVerfG konzipierten Voraussetzungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12, jeweils Rn. 23). Hieraus folgt speziell für die Behandlung mit dafür nicht zugelassenen Arzneimitteln, dass (a) kein Verstoß gegen das Arzneimittelrecht vorliegen darf, (b) unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bei der vor der Behandlung erforderlichen sowohl abstrakten als auch speziell auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen und Risiken der voraussichtliche Nutzen überwiegen muss und (c) die – in erster Linie fachärztliche – Behandlung auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden muss (BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4, jeweils Rn. 27; Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12, jeweils Rn. 24 ff.). Ist dem genüge getan, bietet die Arzneitherapie im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zusätzlich muss – im Sinne einer allgemeinen Voraussetzung – sichergestellt sein, dass der Versicherte nach der erforderlichen ärztlichen Aufklärung ausdrücklich in die beabsichtigte Behandlung eingewilligt hat (BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4, jeweils Rn. 28).
Diese Voraussetzungen waren bei der hier streitigen Behandlung des Versicherten erfüllt.
Bei dem inoperablen Pankreaskarzinom, unter dem der Versicherte litt, handelt es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung. Aufgrund der späten Diagnosestellung, der daraus folgenden geringen kurativen Resektionsrate und der schnellen und aggressiven Metastasisierung ist beim Pankreaskarzinom die 5-Jahresüberlebensrate mit 4 % die geringste aller Krebserkrankungen (so die S 3-Leitlinie "Exokrines Pankreaskarzinom" der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und der Deutschen Krebsgesellschaft, abrufbar unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/032-010.html). Vor diesem Hintergrund bestehen am Vorliegen einer notstandsähnlichen Situation (zu diesem Gesichtspunkt siehe nur die Zusammenfassung im BSG-Urteil vom 05.05.2009 - B 1 KR 15/08 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 16 Rn. 15 ff.) im Falle des Versicherten keine Zweifel. Auch wenn nicht bei allen Krebserkrankungen eine notstandsähnliche Situation vorliegt (verneinend BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 8 Rn. 36 für ein Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweise auf metastatische Absiedlungen), ist dies doch bei einem inoperablen Pankreaskarzinom, wie es beim Versicherten im August 2004 diagnostiziert werden musste, aufgrund der sehr ungünstigen Prognose dieser Krankheit der Fall.
Bezüglich des inoperablen Pankreaskarzinoms stand allerdings mit der Monotherapie mit Gemcitabin eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung. Entgegen dem schriftlichen Vortrag der Prozessbevollmächtigen des Klägers ist diese Standardbehandlung im Falle des Versicherten nicht einmal versucht worden. Bereits in dem in der Patientenakten enthaltenen Schreiben des Klägers an Prof. Dr. B in New York vom 23.08.2004 wird mitgeteilt, dass aufgrund des guten Gesundheitszustandes des Versicherten die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin durchgeführt werden soll ("The patient is still in good shape with no reduction of Karnovsky index. Radiotherapy or surgery are certainly not feasible due to liver metastases. Thus, we recommend a combination therapy consisting of gemcitabine and oxali-platin. This combination therapy is more aggressive as compared to mono therapy with gemcitabine and still has not clearly shown to prolong life. However, in some individual cases this therapy may be more beneficial as compared to standard gemcitabine.”). Dementsprechend ist im Krankenblatt unter dem 01.09.2004 und dem 08.09.2004 eine Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin verzeichnet. Etwas anderes ergibt sich, anders als die Prozessbevollmächtigten des Klägers meinten, nicht aus dem Krankenblatt-Eintrag vom 13.09.2004; auch wenn dort eine Besprechung mit dem Versicherten über die Umstellung der Chemotherapie auf das Louvet-Protokoll vermerkt ist, folgt daraus nicht, dass eine zunächst begonnene Monotherapie mit Gemcitabin später auf eine Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin abgeändert worden ist. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch nicht behauptet. Vielmehr hat er dort klar zum Ausdruck gebracht, dass beim Versicherten von vornherein eine Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin geplant war.
Grundsätzlich ist es auch einem an Krebs erkrankten Versicherten zumutbar, zunächst eine zur Verfügung stehende allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung in Anspruch zu nehmen. Erst wenn sich im Laufe der Standardbehandlung zeigt, dass deren Ergebnisse nicht erfolgversprechend sind, kann auf eine Zweitlinien-Therapie übergegangen werden. Gleiches gilt, wenn von vornherein feststeht, dass beim Versicherten wegen des Bestehens gravierender gesundheitlicher Risiken – wie etwa Unverträglichkeiten – die Standardbehandlung nicht angewandt werden kann (BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4, jeweils Rn. 31). Letzteres war beim Versicherten nicht der Fall. Wie das SG, vermag auch der Senat keinerlei Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass die Standardbehandlung beim Versicherten kontraindiziert oder wegen schwerer Nebenwirkungen nicht in Betracht gekommen wäre. Dagegen spricht bereits, dass auch bei der durchgeführten Kombinationstherapie der Wirkstoff Gemcitabin zum Einsatz kam.
Gleichwohl war im vorliegenden Einzelfall die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin ausnahmsweise zulässig. Denn es genügt nicht, dass bezüglich der Krankheit eine Standardbehandlung zur Verfügung steht. Vielmehr muss dies auch bezüglich des angestrebten Behandlungsziels der Fall sein, wobei die Heilung einer Krankheit erstrangiges Ziel ist, gefolgt von der Verhütung ihrer Verschlimmerung; drittrangig ist die Linderung der Krankheit, sofern eine Heilung oder Verhütung der Verschlimmerung aussichtslos ist (vgl. Padé, NZS 2007, 352, 356). Bei inoperablem Pankreaskarzinom verspricht die Standard-Monotherapie mit Gemcitabin keine Verlängerung des medianen Überlebens, sondern nur eine Verbesserung der Lebensqualität in der kurzen Zeit bis zum Tod. Dagegen gab es im Behandlungszeitpunkt für die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin Hinweise auf eine Verlängerung des Überlebens bei der Subgruppe der Patienten mit einem vergleichsweise guten Gesundheitszustand. Für das vor diesem Hintergrund vom Kläger beim Versicherten ins Auge genommene Behandlungsziel einer Überlebensverlängerung stand keine gleich geeignete Standardbehandlung zur Verfügung.
Bezüglich dieses mit der Kombinationstherapie verfolgten Behandlungsziels bestand beim Versicherten im Behandlungszeitpunkt auch eine ausreichende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Anders als nach den Grundsätzen des Off-Label-Use reichen insoweit die in dem oben (unter 3b) erwähnten Abstract veröffentlichten Ergebnisse der Phase III-Studie von Louvet et al. aus. Denn der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der zu verlangen ist, um davon ausgehen zu dürfen, dass die behaupteten Behandlungserfolge mit hinreichender Sicherheit dem Einsatz gerade der streitigen Behandlung zugerechnet werden können und das einzugehende Risiko vertretbar ist, unterliegt im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung Abstufungen je nach der Schwere und dem Stadium der Erkrankung (BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4, jeweils Rn. 39 ff.). Erkenntnisse von randomisierten klinischen Studien der Phase III sind daher nicht erforderlich; vielmehr können unter Umständen selbst Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, Meinungen anerkannter Experten, Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen in Betracht kommen. In dem diesen Anforderungen genügenden Abstract über die Phase III-Studie von Louvet et al. von Juni 2004 wird für die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin gegenüber der Monotherapie mit Gemcitabin von einem höheren medianen Gesamtüberleben (9,0 gegenüber 7,1 Monaten) und einem höheren progressionsfreien Überleben (5,8 gegenüber 3,7 Monaten) berichtet. Diesbezüglich hat der Beklagte im Berufungsverfahren eingeräumt, dass die Kombinationstherapie numerische Vorteile bei Gesamtüberleben, progressionsfreiem Überleben und in der Ansprechrate zeige, zugleich aber darauf hingewiesen, dass die Vorteile der Kombinationstherapie (trotz eines Unterschiedes von 2 Monaten) nicht statistisch hätten gesichert werden können, was für eine starke Streuung der patientenindividuellen Überlebenszeiten spreche. Die fehlende statistische Signifikanz stand jedoch im vorliegenden Einzelfalle einer Kombinationstherapie nicht entgegen. Denn Subgruppenanalysen hatten erbracht, dass bei Patienten in einem vergleichsweise guten Allgemeinzustand durch die Kombinationstherapie eine Verbesserung der Überlebenszeit erreicht werden konnte. Dass eine dahingehende Metaanalyse erst – wie oben (unter 3b) dargelegt wurde – auf der auf der ASCO-Jahrestagung 2006 vorgestellt wurde, ist unschädlich. Auch wenn sich dem Abstract über den Bericht von Louvet et al. auf der ASCO-Jahrestagung 2004 nicht entnehmen lässt, ob Subgruppen von der Kombinationstherapie profitierten, gab es diese Subgruppenanalysen bereits, auf die sich der Kläger in dem oben zitierten Schreiben vom 23.08.2004 an Prof. Dr. B offensichtlich auch bezieht. Ungeachtet der generellen Problematik der Aussagekraft von Subgruppenanalysen ist der Senat davon überzeugt, dass es im Behandlungszeitpunkt (September 2004) hinreichende Erkenntnisse dafür gab, dass bei Patienten mit einem inoperablen Pankreaskarzinom, die sich in einer guten körperlichen Konstitution befinden, mit einer Kombinationstherapie aus Gemcitabin und Oxaliplatin eine Verlängerung des Überlebens erreichbar ist. Zu dieser Subgruppe zählte der Versicherte. Wie der Kläger als behandelnder Arzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angab, befand sich der Versicherte gemessen an dem Altersdurchschnitt der Pankreaskarzinom-Erkrankten in einem noch jungen Lebensalter und verfügte außerdem über einen guten Allgemeinzustand; der Kläger hat ihn als fast arbeitsfähig eingeschätzt. Aufgrund seiner guten körperlichen Konstitution bestand beim Versicherten eine ausreichende Aussicht auf eine Überlebensverlängerung durch eine Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin – und zwar gerade bei einem frühzeitigen Beginn mit dieser Kombinationstherapie. Aufgrund dieser Aussicht war es angesichts der sehr ungünstigen Prognose bei einem inoperablen Pankreaskarzinom im Einzelfall des Versicherten ausnahmsweise zulässig, nicht zuerst die Standardbehandlung, sondern sogleich die nicht allgemein anerkannte Behandlung durchzuführen. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass nach der auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen und Risiken im vorliegenden Einzelfall der voraussichtliche Nutzen der Kombinationstherapie überwiegt; dagegen ist die Kombinationstherapie mit Gemcitabin und Oxaliplatin nicht generell für gesetzlich krankenversicherte Patienten mit Pankreaskarzinom eröffnet.
Schließlich ist der Senat auch davon überzeugt, dass der Versicherte nach der erforderlichen ärztlichen Aufklärung ausdrücklich in die beabsichtigte Behandlung eingewilligt hat. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschildert hat, war der Versicherte mit einem Kollegen des Klägers an der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität L gut bekannt. Dieser Kollege hatte den Kontakt hergestellt und den Kläger gebeten, sich dem Versicherten in besonderer Weise zuzuwenden. Der Kläger fand einen sehr gut informierten Patienten an, mit dem er Telefonate und persönliche Gespräche von zum Teil über 60 Minuten Dauer führte. Dass der Versicherte gut informiert war, findet in dem bereits erwähnten Schreiben an Prof. Dr. B vom 23.08.2004 seinen Niederschlag, an den sich der Kläger, wie es darin eingangs heißt, auf Bitten des Versicherten und seiner Frau zur Einholung einer Zweitmeinung hinsichtlich der Behandlung des diagnostizierten Pankreaskarzinoms wandte. Der Senat glaubt dem Kläger, dass die Gespräche dem Versicherten über seine Erkrankung und die Möglichkeiten ihrer Therapie tatsächlich stattgefunden haben. Dass diese Gespräche in der Patientenakte kaum dokumentiert worden sind, hält der Senat demgegenüber nicht für ausschlaggebend. Zwar muss nicht nur die durchgeführte Behandlung, sondern auch die Aufklärung über sie ausreichend dokumentiert werden. Doch ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen und den glaubhaften Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass sich der Versicherte in Kenntnis der Vor- und Nachteile einer Kombinationstherapie für diese entschieden hatte.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keine Anträge gestellt hat (vgl. BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 62/04 R - BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr. 3, jeweils Rn. 16).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 2, § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz. Er ergibt sich aus dem Regressbetrag in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid.
Dr. Wietek Dr. Wahl zugleich für den versetzungsbedingt an der Unterschriftsleistung gehinderten Richter Dr. Estelmann
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