S 2 KA 155/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 155/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 138/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Unter Abänderung des Bescheides vom 20.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2009 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Genehmigung zu erteilen, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung Verhaltenstherapie bei Erwachsenen als Einzelbehandlung durchführen und abrechnen zu können. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.

Tatbestand:

Streitig ist die Erteilung einer Genehmigung.

Die Klägerin ist Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten und verfügt über die Zusatzbezeichnungen Allergologie und Psychotherapie. Sie ist in F niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Am 29.01.2009 (Eingang bei der Beklagten) beantragte sie die Genehmigung zur Durchführung von tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie und Verhaltenstherapie als Einzel- und Gruppenbehandlung bei Erwachsenen gemäß den Psychotherapie-Vereinbarungen. Dabei legte sie u.a. ein Zeugnis des F Weiterbildungsinstituts für Psychotherapie vom 15.09.2006 über ihre psychia-trische und psychotherapeutische Weiterbildung als Assistenzärztin in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Rheinischen Kliniken F in der Zeit vom 01.01.2003 bis 31.01.2006 vor.

Mit Bescheid vom 20.03.2009 genehmigte die Beklagte die Durchführung tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie bei Erwachsenen als Einzel- und Gruppenbehandlung, lehnte den Antrag auf Genehmigung zur Durchführung von Verhaltenstherapie bei Erwachsenen als Einzel- und Gruppenbehandlung indes ab. Anhand der eingereichten Zeugnisse könnten die erforderlichen Qualifikationen nicht nachgewiesen werden. Einen hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2009 zurück. Es seien keine weiteren Unterlagen eingereicht worden, daher hätten sich keine neuen Gesichtspunkte ergeben.

Hiergegen richtet sich die am 24.07.2009 erhobene Klage.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Voraussetzungen des § 5 der Psychotherapie-Vereinbarungen zu erfüllen. Sie verfüge über die Zusatzbezeichnung "Psychotherapie" und habe Weiterbildungszeugnisse vorgelegt, aus denen sich ergebe, dass sie eingehende Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Verhaltenstherapie erworben habe. Maßgeblich seien insofern nicht die zeitlichen Vorgaben der landesrechtlichen Weiterbildungsordnung für den Erwerb der Zusatzbezeichnung "Psychotherapie". Zeitliche Vorgaben in den bundesrechtlichen Psychotherapie-Vereinbarungen fänden sich allein in § 5 Abs. 5 zur Verhaltenstherapie in Gruppenbehandlung, nicht jedoch in § 5 Abs. 3 zur Verhaltenstherapie in Einzelbehandlung. Zumindest die Genehmigung zur Erbringung von Leistungen der Verhaltenstherapie bei Erwachsenen im Rahmen der Einzelbehandlung sei daher zu erteilen.

Zur Stützung ihres Klagebegehrens hat die Klägerin Teilnahmebescheinigungen des D vom 15.10.2003 (12 Doppelstunden Fallseminar zu Kognitiver Verhaltenstherapie von Depressionen) und vom 06.07.2004 (15 Stunden Fallseminar zu Kognitiver Verhaltenstherapie) sowie ein Zeugnis der Rheinischen Kliniken F vom 30.06.2006 über ihre dortige Tätigkeit als Assistenzärztin vorgelegt. Ferner hat sie ein Schreiben des D vom 04.04.2011 zu den Akten gereicht, in welchem dieser bestätigt, dass er persönlich seine Ausbildung in Verhaltenstherapie abgeschlossen habe und sein Ausbildungsschwerpunkt während seiner Tätigkeit als Oberarzt der Psychotherapiestationen an den Rheinischen Kliniken F in den Jahren 2001 bis 2004 in der Verhaltenstherapie gelegen habe.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2009 aufzuheben, soweit der Antrag auf Durchführung und Abrechnung von Verhaltenstherapie bei Erwachsenen als Einzel- und Gruppenbehandlung abgelehnt worden ist, und ihr die Genehmigung zu erteilen, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung Verhaltenstherapie bei Erwachsenen als Einzel- und Gruppenbehandlungen durchführen und abrechnen zu können.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen seien nicht ausreichend, den geforderten Nachweis in der Verhaltenstherapie zu erbringen. Zwar würden in dem Weiterbildungszeugnis vom 15.09.2006 fundierte Erfahrungen in der Verhaltenstherapie bestätigt, allerdings seien die Therapien nur als Co-Therapien und nicht - wie in der Zusatz-Weiterbildung Psychotherapie gefordert - in einem Umfang von 120 Stunden selbstständig unter Supervision erfolgt. Auch die geforderten 120 Stunden im Bereich der theoretischen Weiterbildung seien nicht belegt. Ebensowenig seien 100 Stunden Selbsterfahrung in der Verhaltenstherapie dokumentiert. Für die Erfüllung der Voraussetzungen für eine Genehmigung im Bereich der Verhaltenstherapie seien daher zusätzliche Nachqualifikationen erforderlich.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Auskunft der Ärztekammer Nordrhein vom 24.03.2011, sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Ärztekammer Nordrhein Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide insoweit beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), als die Beklagte es abgelehnt hat, der Klägerin die Genehmigung zu erteilen, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung Verhaltenstherapie bei Erwachsenen als Einzelbehandlung durchführen und abrechnen zu können. Insoweit sind die Bescheide rechtswidrig.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 2 Satz 2 der Psychotherapie-Vereinbarungen. Die Klägerin hatte die streitige Genehmigung "gemäß den Psychotherapie-Vereinbarungen" beantragt. Nur die in diesen Vereinbarungen - und nicht die in der Weiterbildungsordnung für die Zusatz-Weiterbildung Psychotherapie (Ziffer 16 der Weiterbildungsordnung) - normierten Qualifikationsvoraussetzungen bilden den rechtlichen Prüfungsmaßstab. Danach ist die Genehmigung zu erteilen, wenn der Arzt die Voraussetzungen der fachlichen Befähigung (§§ 5,6,7) erfüllt. Für ärztliche Psychotherapeuten wie die Klägerin regelt § 5 die fachliche Befähigung. Diese gilt gemäß Abs. 5 als nachgewiesen für die Ausführung und Abrechnung von

Psychotherapie als Gruppenbehandlung nach dem Leistungsinhalt der Nrn. 35202, 35203, 35211 und 35222-35225 BMÄ/E-GO:

- durch Nachweis der Erfüllung der Voraussetzungen nach Abs. 1 (tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie) oder nach Abs. 2 (analytische und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie) oder nach Abs. 3 (Verhaltenstherapie) und bei Kindern und Jugendlichen nach Abs. 4

und

- durch die Vorlage von Zeugnissen und Bescheinigungen, aus denen sich ergibt, daß Kenntnisse und Erfahrungen in der Gruppentherapie erworben wurden. Aus den entsprechenden Zeugnissen und Bescheinigungen muß hervorgehen, daß eingehende Kenntnisse und praktische Erfahrungen in der tiefenpsychologisch fundierten und analytischen Gruppen-Psychotherapie oder der Verhaltenstherapie in Gruppen erworben wurden. Ist im Rahmen der Weiterbildung diese Qualifikation nicht erworben worden, ist nachzuweisen, daß in mindestens 40 Doppelstunden analytische oder tiefenpsychologisch fundierte bzw. verhaltenstherapeutische Selbsterfahrung in der Gruppe, in mindestens 24 Doppelstunden eingehende Kenntnisse in der Theorie der Gruppen-Psychotherapie und Gruppen-Dynamik erworben wurden und mindestens 60 Doppelstunden kontinuierlicher Gruppenbehandlung - auch in mehreren Gruppen unter Supervision von mindestens 40 Stunden - mit tiefenpsychologisch fundierter oder analytischer Psychotherapie oder mit Verhaltenstherapie durchgeführt wurde.

Die Genehmigung zur Gruppenbehandlung wird für das Verfahren erteilt, für das die Erfüllung der in diesem Absatz geforderten Voraussetzungen an die Qualifikation nachgewiesen wurde.

Auf der Grundlage dieser Vorgaben hat die Beklagte rechtsfehlerfrei die Genehmigung für Verhaltenstherapie als Gruppentherapie abgelehnt. Zum Erwerb von Kenntnissen und Erfahrungen in der Gruppentherapie beschränken sich die von der Klägerin vorgelegten Zeugnisse vom 15.09.2006 und 30.06.2006 auf die Aussage, sie habe qualifizierte Erfahrungen durch Co-Therapie in verhaltenstherapeutischer Einzel- und Gruppentherapie mit deutlich über 100 Stunden erworben. Das reicht nicht aus. Maßstab für die Beurteilung, ob die erforderliche Qualifikation für die Psychotherapie als Gruppenbehandlung erworben wurde, sind die zeitlichen Mindestanforderungen des § 5 Abs. 5 Satz 2 der Psychotherapie-Vereinbarungen. Das sind mindestens 40 Doppelstunden verhaltenstherapeutische Selbsterfahrung in der Gruppe, mindestens 24 Doppelstunden Theorie der Gruppen-Psychotherapie und Gruppen-Dynamik sowie mindestens 60 Doppelstunden kontinuierlicher Gruppenbehandlung mit Verhaltenstherapie, d.h. (umgerechnet) mindestens 80 Einzelstunden Selbsterfahrung, 48 Einzelstunden Theorie und 120 Einzelstunden Behandlung. Bereits dieser Stundennachweis lässt sich mit den vorgelegten Unterlagen nicht führen, ohne dass es auf deren Inhalte noch näher ankäme.

Anders verhält es sich jedoch mit der Genehmigung für Verhaltenstherapie als Einzeltherapie. Insofern gilt die fachliche Befähigung gemäß § 5 Abs. 3 der Psychotherapie-Vereinbarungen als nachgewiesen für die Ausführung und Abrechnung von

Verhaltenstherapie nach dem Leistungsinhalt der Nrn. 35130-35142, 35150, 35220 und 35221 BMÄ/E-GO:

- durch die Berechtigung zum Führen der Gebietsbezeichnung Psychotherapeutische Medizin oder Psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder der Gebietsbezeichnung Psychiatrie und Psychotherapie oder der Zusatzbezeichnung "Psychotherapie" oder "Psychoanalyse"

und

- durch Vorlage von Weiterbildungszeugnissen, aus denen sich ergibt, daß eingehende Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Verhaltenstherapie erworben wurden.

Die Klägerin verfügt ausweislich der Urkunde der Ärztekammer Nordrhein vom 21.02.2008 über die Anerkennung zum Führen der Zusatzbezeichnung Psychotherapie. Zur Überzeugung der Kammer hat sie auch eingehende Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Verhaltenstherapie nachgewiesen.

In dem Zeugnis des F Weiterbildungsinstituts für Psychotherapie vom 15.09.2006 wird u.a. ausgeführt: "Während ihrer Tätigkeit auf einer offenen Station mit psychotherapeutischem Behandlungsschwerpunkt erwarb Frau C fundierte Erfahrungen in Verhaltenstherapie, sodass sie dieses Verfahren ebenfalls selbstständig anwenden kann. Neben einem erfahrungsgeleiteten Seminar zur Verhaltenstherapie über 50 Stunden (D) erwarb sie qualifizierte Erfahrungen durch Co-Therapie in verhaltenstherapeutischer Einzel- und Gruppentherapie mit deutlich über 100 Stunden. Im Hinblick auf die formalen Bestimmungen der Weiterbildung zur Zusatzbezeichnung "Psychotherapie" sind folgende Leistungen von Frau C zu nennen: - theoretische Grundlagen der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Psychotherapie durch Teilnahme an Seminaren, Kursen und Praktika über 50 Stunden, sowie therapeutische Anwendung der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Psychotherapie mit über 100 Stunden Co-Therapie in verhaltenstherapeutischer Einzel- und Gruppentherapie. Entsprechend den formalen Voraussetzungen der Weiterbildungsrichtlinien erfüllt Frau C nicht nur die Kriterien einer umfassenden Ausbildung in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie, sondern erwarb darüber hinaus vergleichbar umfassende Kenntnisse und Erfahrungen in Klienten-Zentrierter Gesprächspsychotherapie wie auch in kognitiv verhaltenstherapeutischer Psychotherapie. ". Die erste Passage dieses Zeugnisses wird wörtlich wiederholt in dem Zeugnis der Rheinischen Kliniken F vom 30.06.2006.

Diese Aussagen reichen nach Ansicht der Kammer für den Nachweis eingehender Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Verhaltenstherapie aus. Nähere zeitliche Vorgaben wie zur Psychotherapie als Gruppenbehandlung macht § 5 Abs. 3 der Psychotherapie-Vereinbarungen zur Psychotherapie als Einzelbehandlung nicht. Es gibt ferner keine inhaltlichen Vorgaben, auf welche Weise die eingehenden Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Verhaltenstherapie zu erwerben sind. Insofern kann, wenn es wissenschaftlichen Standards genügt, auch die hier bescheinigte "Co-Therapie" durchaus ein geeignetes Instrument sein. Zwar ist hier nicht zu übersehen, dass beide Zeugnisse in der Beschreibung des Tätigkeitsumfangs der Klägerin zur Weiterbildung in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie sehr viel detaillierter und aussagekräftiger gefasst sind. Gleichwohl geben die knapp formulierten Aussagen zur Weiterbildung der Klägerin in Verhaltenstherapie keinen Anlass, die Bewertung der Unterzeichner des Zeugnisses vom 15.09.2006 anzuzweifeln, die Klägerin habe nicht nur die Kriterien einer umfassenden Ausbildung in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie erfüllt, sondern darüber hinaus vergleichbar umfassende Kenntnisse und Erfahrungen auch in kognitiv verhaltenstherapeutischer Psychotherapie erworben. Beide Unterzeichner, H und D, sind gemeinsam weiterbildungsbefugt gewesen für die Zusatzbezeichnung Psychotherapie. Nach Auskunft der Ärztekammer Nordrhein vom 24.03.2011 bedeutet dies, dass beide Herren gemeinsam die Verantwortung für die qualitative Weiterbildung der Assistenten übernommen und auch die notwendigen Weiterbildungsinhalte in Abstimmung untereinander vermittelt hatten. Zwar wird nach dieser Auskunft bei der Erteilung der Weiterbildungsbefugnis nicht nach den Therapieverfahren differenziert. Gleichwohl ist vorliegend ausgeschlossen, dass zwei Weiterbildungsbefugte, deren Tätigkeit auf tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie konzentriert gewesen wäre, möglicherweise "fachfremde" Weiterbildungen auf dem Gebiet der Verhaltenstherapie durchgeführt hätten. Denn nach der Bestätigung des D vom 04.04.2011, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Grund besteht, hatte dieser persönlich seine Ausbildung in Verhaltenstherapie abgeschlossen und seinen Ausbildungsschwerpunkt während seiner Tätigkeit als Oberarzt der Psychotherapiestationen an den Rheinischen Kliniken F in den Jahren 2001 bis 2004 auf die Verhaltenstherapie gelegt. Das spricht für eine zwischen beiden Weiterbildendern abgestimmte verantwortliche Weiterbildung der Klägerin auch in der Verhaltenstherapie. Demgemäß weist auch die Ärztekammer Nordrhein ihrer Auskunft darauf hin, dass die geforderten Inhalte in der Verhaltenstherapie ebenfalls bestätigt und nachgewiesen worden seien.

Nach alledem sind die Genehmigungsvoraussetzungen für die Durchführung von Verhaltenstherapie bei Erwachsenen als Einzelbehandlung als erfüllt anzusehen. Die angefochtenen Bescheide stellen sich insofern als rechtswidrig dar. Die Beklagte wird eine entsprechende Genehmigung zu erteilen haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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