Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 R 103/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 170/10 ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein überwiegendes Interesse des Rentenversicherungsträgers an der Aussetzung eines eine Rente zusprechenden Urteils ist nicht schon deshalb zu bejahen, weil die Rückforderung so genannter Urteilsrenten allgemein risikobehaftet ist.
Maßgebend ist, ob der Versicherte aufgrund der vom Rentenversicherungsträger darzulegenden besonderen Umstände des Einzelfalles voraussichtlich nicht zur- ggf. ratenweisen - Rückzahlung in der Lage sein wird.
Maßgebend ist, ob der Versicherte aufgrund der vom Rentenversicherungsträger darzulegenden besonderen Umstände des Einzelfalles voraussichtlich nicht zur- ggf. ratenweisen - Rückzahlung in der Lage sein wird.
Der Antrag der Beklagten, die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11. Dezember 2009 auszusetzen, wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten aufgrund eines Antrags vom 26. September 2007 die Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte hat diesen Antrag mit Bescheid vom 15. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
14. Januar 2008 abgelehnt mit der Begründung, beim Kläger liege keine volle oder teilweise Erwerbsminderung vor.
Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Regensburg (SG) die Beklagte verurteilt, an den Kläger aufgrund einer am 19. März 2009 eingetretenen vollen Erwerbsminderung bis zum 31. Dezember 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zu leisten.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 2. März 2010 (Eingang bei Gericht) Berufung eingelegt und beantragt, die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil auszusetzen. Sie hat zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, das Gericht stützte seine Entscheidung auf ein Gutachten des Nervenarztes Dr. F. vom 15. Juni 2009. Der von diesem Sachverständigen getroffenen Leistungsbeurteilung (Leistungsvermögen von täglich 4-6 h) habe der Sozialärztliche Dienst der Beklagten in einer Stellungnahme an das SG widersprochen. Diese Stellungnahme sei in der Urteilsbegründung nicht gewürdigt worden. Die Beklagte halte die Leistungsbeurteilung des Sachverständigen weiterhin für unzutreffend und gehe von einem mehr als sechsstündigem Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes aus.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil sei begründet, weil das Vollstreckungsbedürfnis des Klägers vom Interesse der Beklagten auf Schutz vor einer Vollstreckung überlagert werde. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Rückforderung von Urteilsrenten erscheine eine eventuelle Rückforderung gegen den Kläger nicht Erfolg versprechend, da sie wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse nur schwer zu verwirklichen wäre. Der Beklagten würde damit als Verwalterin des Vermögens der Versichertengemeinschaft ein erheblicher Schaden zugefügt, der nur durch eine Aussetzung der Vollstreckung vermieden werden könne. Ausführungen zur Höhe der zu erbringenden Leistung und zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers hat die Beklagte nicht gemacht.
Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG sowie die Berufungsakte (L 14 R 172/10) beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Aktenbezug genommen.
II.
Der Antrag, die Vollstreckung aus dem Urteil des SG vom 11. Dezember 2009 auszusetzen, ist statthaft und zulässig (§ 199 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Danach kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Eine aufschiebende Wirkung kommt der von der Beklagten erhobenen Berufung gemäß § 154 Abs. 2 SGG nur zu, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen.
Der Antrag der Beklagten ist jedoch unbegründet. Eine Aussetzung der Vollstreckung kommt im Rahmen des nach herrschender Meinung auszuübenden Ermessens (vgl. nur Leitherer in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 199 Rn. 8) unter Abwägung der Interessen des Klägers und der Beklagten hier nicht in Betracht. Dabei ist zu beachten, dass eine solche Aussetzung nach der gesetzlichen Wertung des § 154 Abs. 2 SGG, der die aufschiebende Wirkung der Berufung eines Versicherungsträgers auf Leistungen für Zeiträume vor Erlass des angefochtenen Urteils beschränkt, nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Ob ein solcher Ausnahmefall nur anzunehmen ist, wenn das Rechtsmittel offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat (so Leitherer, a.a.O., § 199 Rn. 8a mit weiteren Nachweisen), oder eine Aussetzung auch erfolgen kann, wenn - wie hier - der Erfolg der Berufung im Hinblick auf die unterschiedliche medizinische Beurteilung des Leistungsvermögens offen erscheint, kann hier dahinstehen, da jedenfalls kein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Aussetzung der Vollstreckung gegeben ist.
Die dem Kläger vom SG zugesprochene Leistung dient ihrer Zweckbestimmung nach dem Bestreiten des Lebensunterhalts für Versicherte, die aufgrund eines geminderten oder aufgehobenen beruflichen Leistungsvermögens nicht mehr in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Aufgrund dieser Zweckbestimmung ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die laufende Rentengewährung auch für den Kläger eine den Lebensunterhalt sichernde Leistung darstellt. Die Beklagte macht demgegenüber geltend, bei Erfolg der Berufung sei eine Rückforderung der an den Kläger ausgezahlten Leistungen möglicherweise nur schwer zu verwirklichen. Konkrete Tatsachen, auf die sich diese Befürchtung stützt, hat die Beklagte jedoch nicht vorgetragen. Auch den Akten ist nicht zu entnehmen, warum der Kläger, der bereits eine private Berufsunfähigkeitsrente bezieht, zukünftig nicht in der Lage sein sollte, einen eventuellen Rückforderungsanspruch der Beklagten zu erfüllen. Allein die - nicht substantiierte - Befürchtung der Beklagten rechtfertigt eine Aussetzung der Vollstreckung nicht. Anderenfalls käme entgegen der gesetzlichen Wertung des § 154 Abs. 2 SGG eine Vollstreckung von Urteilen in der Regel nur noch bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Berufung in Betracht.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei (§ 183 SGG) und ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten aufgrund eines Antrags vom 26. September 2007 die Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte hat diesen Antrag mit Bescheid vom 15. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
14. Januar 2008 abgelehnt mit der Begründung, beim Kläger liege keine volle oder teilweise Erwerbsminderung vor.
Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Regensburg (SG) die Beklagte verurteilt, an den Kläger aufgrund einer am 19. März 2009 eingetretenen vollen Erwerbsminderung bis zum 31. Dezember 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zu leisten.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 2. März 2010 (Eingang bei Gericht) Berufung eingelegt und beantragt, die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil auszusetzen. Sie hat zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, das Gericht stützte seine Entscheidung auf ein Gutachten des Nervenarztes Dr. F. vom 15. Juni 2009. Der von diesem Sachverständigen getroffenen Leistungsbeurteilung (Leistungsvermögen von täglich 4-6 h) habe der Sozialärztliche Dienst der Beklagten in einer Stellungnahme an das SG widersprochen. Diese Stellungnahme sei in der Urteilsbegründung nicht gewürdigt worden. Die Beklagte halte die Leistungsbeurteilung des Sachverständigen weiterhin für unzutreffend und gehe von einem mehr als sechsstündigem Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes aus.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil sei begründet, weil das Vollstreckungsbedürfnis des Klägers vom Interesse der Beklagten auf Schutz vor einer Vollstreckung überlagert werde. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Rückforderung von Urteilsrenten erscheine eine eventuelle Rückforderung gegen den Kläger nicht Erfolg versprechend, da sie wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse nur schwer zu verwirklichen wäre. Der Beklagten würde damit als Verwalterin des Vermögens der Versichertengemeinschaft ein erheblicher Schaden zugefügt, der nur durch eine Aussetzung der Vollstreckung vermieden werden könne. Ausführungen zur Höhe der zu erbringenden Leistung und zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers hat die Beklagte nicht gemacht.
Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG sowie die Berufungsakte (L 14 R 172/10) beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Aktenbezug genommen.
II.
Der Antrag, die Vollstreckung aus dem Urteil des SG vom 11. Dezember 2009 auszusetzen, ist statthaft und zulässig (§ 199 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Danach kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Eine aufschiebende Wirkung kommt der von der Beklagten erhobenen Berufung gemäß § 154 Abs. 2 SGG nur zu, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen.
Der Antrag der Beklagten ist jedoch unbegründet. Eine Aussetzung der Vollstreckung kommt im Rahmen des nach herrschender Meinung auszuübenden Ermessens (vgl. nur Leitherer in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 199 Rn. 8) unter Abwägung der Interessen des Klägers und der Beklagten hier nicht in Betracht. Dabei ist zu beachten, dass eine solche Aussetzung nach der gesetzlichen Wertung des § 154 Abs. 2 SGG, der die aufschiebende Wirkung der Berufung eines Versicherungsträgers auf Leistungen für Zeiträume vor Erlass des angefochtenen Urteils beschränkt, nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Ob ein solcher Ausnahmefall nur anzunehmen ist, wenn das Rechtsmittel offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat (so Leitherer, a.a.O., § 199 Rn. 8a mit weiteren Nachweisen), oder eine Aussetzung auch erfolgen kann, wenn - wie hier - der Erfolg der Berufung im Hinblick auf die unterschiedliche medizinische Beurteilung des Leistungsvermögens offen erscheint, kann hier dahinstehen, da jedenfalls kein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Aussetzung der Vollstreckung gegeben ist.
Die dem Kläger vom SG zugesprochene Leistung dient ihrer Zweckbestimmung nach dem Bestreiten des Lebensunterhalts für Versicherte, die aufgrund eines geminderten oder aufgehobenen beruflichen Leistungsvermögens nicht mehr in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Aufgrund dieser Zweckbestimmung ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die laufende Rentengewährung auch für den Kläger eine den Lebensunterhalt sichernde Leistung darstellt. Die Beklagte macht demgegenüber geltend, bei Erfolg der Berufung sei eine Rückforderung der an den Kläger ausgezahlten Leistungen möglicherweise nur schwer zu verwirklichen. Konkrete Tatsachen, auf die sich diese Befürchtung stützt, hat die Beklagte jedoch nicht vorgetragen. Auch den Akten ist nicht zu entnehmen, warum der Kläger, der bereits eine private Berufsunfähigkeitsrente bezieht, zukünftig nicht in der Lage sein sollte, einen eventuellen Rückforderungsanspruch der Beklagten zu erfüllen. Allein die - nicht substantiierte - Befürchtung der Beklagten rechtfertigt eine Aussetzung der Vollstreckung nicht. Anderenfalls käme entgegen der gesetzlichen Wertung des § 154 Abs. 2 SGG eine Vollstreckung von Urteilen in der Regel nur noch bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Berufung in Betracht.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei (§ 183 SGG) und ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
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