L 11 R 1657/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 2576/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1657/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 22.03.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.

Die 1970 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Nach ihren eigenen Angaben bei Rentenantragstellung absolvierte sie von 1987 bis 1989 erfolgreich eine Ausbildung zur Gärtnerin für Gemüse- und Zierpflanzenbau. Nach kurzer Tätigkeit in diesem Beruf, diversen Hilfstätigkeiten und einer begonnenen Umschulung zur Floristin bezieht sie seit 01.01.2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 02.06.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Zur Begründung gab sie an, seit November 2008 an Depressionen, zahlreichen Beschwerden ausgelöst durch "das einzunehmende Medikament" sowie an einem unklaren Hauttumor am linken Finger zu leiden und hieraus resultierend keinerlei Arbeitstätigkeit mehr nachgehen zu können. Die Beklagte zog zunächst einen Reha-Entlassungsbericht der Fachklinik Sch. aus F. bei. Vom 15.07.2008 bis 04.11.2008 hatte die Klägerin dort eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme absolviert. Der leitende Arzt und Facharzt für Allgemeinmedizin H. und die therapeutische Leiterin St. gaben im Entlassungsbericht vom 26.11.2008 an, die Klägerin leide an einem Alkoholabhängigkeitssyndrom, rezidivierenden depressiven Störungen bei gegenwärtig leichter Episode sowie einer abhängigen Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-vermeidenden Anteilen. Zudem bestehe anamnestisch eine Epilepsie, die neurologischerseits als "alkoholentzugsbedingte Gelegenheitsanfälle" eingestuft werde sowie ein alkoholtoxischer Leberparenchymschaden. Im Ergebnis könne die Klägerin sowohl ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Erntehelferin als auch mittelschwere Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen, auch in Früh-/Spätschicht sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Zur weiteren Stabilisierung der Verhaltensänderung und als Rückfallprophylaxe sei eine ambulante Weiterbehandlung durch suchtspezifische Nachsorge zur weiteren Rückfallprävention dringend angezeigt. Wegen der Depressionen sei es empfehlenswert, dass sich die Klägerin in psychiatrische Mitbehandlung begebe, um sich zum Zweck der Vermeidung von Alkoholrückfällen auf ein Antidepressivum einstellen zu lassen. Ausweislich des Berichts über die Nachsorgebehandlung vom Sozialtherapeuten Baumgartner vom 03.04.2009 begann die Nachsorge im November 2008 und endete im April 2009. Abschließend habe sich der Eindruck ergeben, dass die Klägerin glaubhaft Abstinenz lebe. Dennoch sei ihre Erwerbsfähigkeit aufgrund der depressiven Problematik sicherlich eingeschränkt und solle nochmals gutachterlich abgeklärt werden. Die Beklagte veranlasste im Anschluss daran die Untersuchung und Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr Ste ... Im Rahmen der Untersuchung am 20.11.2009 gab die Klägerin an, sie fühle sich müde und schlapp, ihr sei schwindelig und sie könne sich nur schlecht konzentrieren. Hinzu kämen Kopfschmerzen, Nervosität und Herzrasen. An allem habe sie das Interesse verloren. Schließlich leide sie am ganzen Körper an Juckreiz und schwitze. In seinem Gutachten vom 23.11.2009 legte Dr Ste. dar, die Klägerin leide an einem Zustand nach epileptischen Anfällen sowie schädlichem Gebrauch von Alkohol. Ferner bestehe bei ihr ein Zustand nach depressiver Episode bei grenzwertiger intellektueller Leistungsfähigkeit. Die klinisch-neurologische Untersuchung habe einen regelrechten Status gezeigt. Im EEG habe sich eine leichte Dysrhythmie gezeigt, die aber nicht pathologisch gewertet werden könne. Eventuell sei dies ein Hinweis auf eine herabgesetzte Krampfschwelle. Psychiatrischerseits hätten sich führend leichte kognitive Einschränkungen und eine intellektuelle Leistungsfähigkeit im unteren Norm- bis Grenzbereich gefunden. Tätigkeiten auf Anlernebene, die klar strukturiert seien und bei welchen eindeutige Handlungsanweisungen erteilt würden, seien ihr sechs Stunden und mehr täglich möglich. Wegen der früheren Anfälle solle die Klägerin keine Tätigkeiten mit Verletzungsgefahr (an laufenden Maschinen etc) ausüben. Nach Stellungnahme von Dr V. vom beratungsärztlichen Dienst der Beklagten vom 30.11.2009 (Diagnosen: Zustand nach epileptischen Anfällen, Zustand nach schädlichem Gebrauch von Alkohol, Zustand nach depressiver Episode, grenzwertige intellektuelle Leistungsfähigkeit) und dessen Empfehlung, die Klägerin solle Tätigkeiten mit Absturzgefahr, Arbeiten an laufenden Maschinen und Tätigkeiten, die mit der Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge verbunden seien, vermeiden, lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin mit Bescheid vom 16.12.2009 ab.

Hiergegen erhob die Klägerin am 30.12.20009 Widerspruch mit der Begründung, die Beklagte habe die bei ihr vorhandenen Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht in ausreichendem Umfang gewürdigt. Ihre letzte Tätigkeit übe sie nicht lediglich aus gesundheitlichen, sondern vielmehr auch aus privaten Gründen nicht mehr aus. Derzeit sei sie überhaupt nicht mehr belastbar. Die Beklagte zog daraufhin einen Befundbericht der die Klägerin behandelnde Fachärztin für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. W. bei. Diese legte (Auskunft vom 28.01.2010) dar, die Klägerin befinde sich seit November 2003 in ihrer regelmäßigen Behandlung. Sie leide an einer Anpassungsstörung mit depressiven Symptomen und einer Somatisierungsstörung sowie an einer Alkoholkrankheit. Derzeit stünden als Beschwerden eine Schlafstörung, am Tag dann innere Unruhe sowie Schmerzen wechselnder Lokalisation im Vordergrund. Hieraus ergäben sich allerdings keine Funktionseinschränkungen. Seit Januar 2009 befinde sie sich wegen der Anpassungsstörung mit Depression und Somatisierungsstörung in ihrer Behandlung. Als Therapie würden unterstützende Gespräche geführt. Antidepressiva würden nicht eingenommen. Unter Seroquel habe die Klägerin am Abend keine körperlichen Beschwerden. Eine Befundänderung sei in den letzten zwölf Monaten nicht eingetreten. Die Klägerin sei derzeit nicht arbeitsunfähig. Mit einer Besserung der Leistungsfähigkeit sei nicht zu rechnen. Nachdem die Klägerin mitgeteilt hatte, der sie behandelnde Hausarzt werde keinen Befundbericht übersenden, da er sie sowieso zu einem Facharzt überweise, holte die Beklagte ein weiteres Mal eine Stellungnahme ihres sozialmedizinischen Dienstes ein. Die beratende Ärztin E. (Auskunft vom 22.03.2010) attestierte der Klägerin ein über sechsstündiges Leistungsvermögen für ihre letzte berufliche Tätigkeit sowie für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung gewisser qualitativer Leistungseinschränkungen. Anschließend wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2010 zurück. Die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weil sie Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch in einem vollschichtigen Umfang verrichten könne.

Die Klägerin hat am 17.05.2010 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und vorgetragen, aufgrund persönlicher Schicksalsschläge (Tod der Mutter im Februar 2010 und Auszug ihres Sohnes 2008) werde ihr alles zu viel. Sie habe Suizidgedanken. Nachts finde sie keinen ausreichenden Schlaf und sei sehr nervös. Seit einiger Zeit habe sie Wadenkrämpfe und ihre Beine schmerzten. Auch die Kopfschmerzen nähmen zu. Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Dr W. als sachverständige Zeugin vernommen. Sie hat mitgeteilt (Auskunft vom 25.01.2011), seit Januar 2009 sei die Klägerin in vier bis sechswöchigen Abständen in ihrer Behandlung. Sie klage über Vergesslichkeit, Konzentrationsstörung, Nervosität, Reizbarkeit, innere Unruhe, gequält durch Sorgen und Schlafstörungen. Seit Mai 2009 bestünden Schmerzen am ganzen Körper. Unter der Anwendung von Seroquel hätten sich die Beschwerden gebessert. Ab Ende August 2009 habe sie wieder über Unruhe, Depressivität geklagt, so dass die Dosis von Seroquel am Abend erhöht worden sei. Im Februar 2010 seien von der Klägerin Wadenkrämpfe geschildert worden, im März 2010 vorübergehend Karpaltunnelsyndrom-Beschwerden rechts. Eine Behandlung sei nicht erforderlich gewesen. Im Mai 2010 hätten brennende Schmerzen im gesamten Körper bestanden und im September 2010 seien Klagen über Kopfdruck und Schwindelgefühl ohne neurologischen pathologischen Befund geschildert worden. Durch Einnahme eines weiteren Medikaments seien die Einschlafschwierigkeiten zu beseitigen gewesen. Ferner sei über eine wechselhafte Stimmung berichtet worden. Neurologischerseits habe sie keinen pathologischen Befund erhoben. Im Kontakt- und Affektverhalten sei die Klägerin psychisch unauffällig. Krampfpotenziale seien keine vorhanden. Im Laufe ihrer Behandlung habe sie keine Änderung im Gesundheitszustand bei der Klägerin feststellen können. Aufgrund der von ihr während der Behandlung der Klägerin gewonnenen Erkenntnisse schließe sie die Verrichtung auch einer körperlich leichten Berufstätigkeit in einem Umfang von sechs Stunden arbeitstäglich nicht aus. Eine Überweisung zur ergänzenden Untersuchung oder zur stationären Behandlung sei nicht erfolgt. Auf Nachfrage des SG, ob die Klage aufgrund der sachverständigen Zeugenaussage von Dr W. zurückgenommen werde, legte die Klägerin dar, die Klage fortführen zu wollen. Sie gehe davon aus, dass bei ihr ein psychosomatisches Krankheitsbild vorliege. Insbesondere habe sie erst kürzlich wieder Schmerzen im ganzen Körper gehabt. Sie habe sie mit Wärme, Ruhe und ein paar Ibuprofen "soweit wegbekommen". Auch seien die anderen, von ihr seit längerem geschilderten Beschwerden weiterhin vorhanden. Mit Gerichtsbescheid vom 22.03.2011, der Klägerin am 01.04.2011 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt, hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert, da sie ausweislich der Auskunft von Dr W. noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.

Die Klägerin hat am 21.04.2011 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie wiederholt im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und weist ergänzend darauf hin, ihr Hausarzt habe zusätzlich noch Migräne-Kopfschmerz festgestellt. Als zusätzliche Symptome zeigten sich damit Schwindel, Übelkeit und Lichtempfindlichkeit.

Nachdem die Klägerin die Durchführung eines Erörterungstermins abgelehnt und zum Ausdruck gebracht hat, auf ein erneutes Gutachten zu verzichten, beantragt sie sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 22.03.2011 sowie den Bescheid vom 16.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, ab 01.06.2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG entscheidet, ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 16.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2010 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder ab 01.06.2009 noch ab einem späteren Zeitpunkt Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung (auch nicht bei Berufsunfähigkeit), da sie noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben nach § 240 Abs 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01.01.2008 geändert durch Art 1 Nr 61 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.04.2007, BGBl I, 554) auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Nach dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin noch in der Lage ist, zumindest leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als sechs Stunden pro Arbeitstag zu verrichten. Der Senat entnimmt dies dem Reha-Entlassungsbericht der Fachklinik Sch. vom 26.11.2008 und dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Nervenfacharztes Dr Ste. vom 23.11.2009, die im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden können, sowie der Sachverständigenzeugenauskunft der die Klägerin behandelnden Neurologin und Psychiaterin Dr. W. vom 25.01.2011.

Die Klägerin leidet im Wesentlichen an Gesundheitsbeeinträchtigungen aus dem neurologisch-psychiatrischen Formenkreis. Der Senat stützt sich hinsichtlich dieser Beeinträchtigungen insoweit auf das Gutachten von Dr Ste. Dieser hat bei der Klägerin einen Zustand nach epileptischen Anfällen, einen Zustand nach schädlichem Gebrauch von Alkohol sowie einen solchen nach depressiver Episode diagnostiziert. Die klinisch-neurologische Untersuchung zeigte einen regelrechten Status, psychiatrisch bestanden bei der Klägerin leichte kognitive Einschränkungen und eine intellektuelle Leistungsfähigkeit im unteren Norm- bis Grenzbereich. Aus den von ihm erhobenen Befunden hat Dr Ste. schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei gefolgert, dass sich hieraus lediglich qualitative Leistungseinschränkungen ergeben. Wegen der früheren Anfälle sollte die Klägerin Tätigkeiten mit Verletzungsgefahr (an laufenden Maschinen etc) vermeiden. Dies gilt ausweislich der Stellungnahme der beratenden Ärztin der Beklagten Dr. V. vom 30.11.2009 auch für Tätigkeiten mit Absturzgefahr und solche, die mit der Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge verbunden sind. Eine abweichende Beurteilung des klägerischen Leistungsvermögens ergibt sich auch nicht aus der sachverständigen Zeugenauskunft der die Klägerin behandelnden Nervenfachärztin Dr W. vom 25.01.2011. Bei ihr befindet sich die Klägerin seit Januar 2009 in vier- bis sechswöchigen Abständen in neurologisch-psychiatrischer Behandlung. In Übereinstimmung mit dem eigenen Vortrag der Klägerin über die bei ihr vorhandenen Beschwerden schildert auch Dr W. gleichartige, von der Klägerin dargelegte Beschwerdebilder über den Zeitraum von Januar 2009 bis zu ihrem zuletzt dokumentierten Kontakt im November 2010. Auch in dieser Zeit klagte die Klägerin bereits über Schmerzen am gesamten Körper, über Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, Nervosität, Reizbarkeit, innere Unruhe, Depressivität, Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Wadenkrämpfe. All dies entnimmt der Senat der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr W. vom 25.01.2011. Trotz Berücksichtigung dieser Beschwerden hat Dr W. nachvollziehbar und schlüssig ausgeführt, dass sich neurologischerseits kein pathologischer Befund ergeben habe und die Klägerin psychisch in Kontakt und Affektverhalten unauffällig sei. Im Ergebnis hält auch sie die Klägerin für in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Aufgrund der Tatsache, dass ihre Leistungsbeurteilung mit derjenigen der zuvor tätigen Gutachter übereinstimmt, gibt es für den Senat keinen Zweifel daran, an dieser Leistungseinschätzung Zweifel zu hegen. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass während des gesamten Verfahrens keine abweichenden Leistungseinschätzungen medizinischer Sachverständiger abgegeben wurden.

Bei der noch vorhandenen Leistungsfähigkeit der Klägerin - leichte Arbeiten mindestens 6-stündig - muss ihr eine konkrete Tätigkeit, die sie noch verrichten kann, nicht benannt werden. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit, die der Versicherte mit seinem Leistungsvermögen noch auszuüben vermag, wird von der Rechtsprechung des BSG in den Fällen für erforderlich gehalten, in denen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG Großer Senat (GS) BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8). Für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, gibt es keinen konkreten Beurteilungsmaßstab. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Daher ist eine genaue Untersuchung erforderlich, welche Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen durch die beim Versicherten vorliegenden Gesundheitsstörungen im Einzelnen ausgeschlossen sind (BSG 19. 08.1997, 13 RJ 55/96, und BSG 30.10.1997, 13 RJ 49/97). Die Pflicht zur konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit hängt von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss dargelegt werden, welche Tätigkeiten der Versicherte noch verrichten kann.

Die Klägerin kann zwar - wie oben ausgeführt - bestimmte Tätigkeiten nicht mehr durchführen. Diese sog qualitativen Einschränkungen gehen aber kaum über das hinaus, was bereits mit der Begrenzung des Leistungsvermögens auf nur noch leichte Arbeiten erfasst wird; sie führen nicht dazu, dass die auf nur noch leichte körperliche Tätigkeiten begrenzte berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin zusätzlich eingeschränkt wird. Daher besteht keine Pflicht, der Klägerin konkrete Tätigkeiten, die sie mit ihrem Leistungsvermögen noch verrichten kann, zu benennen. Das Restleistungsvermögen der Klägerin erlaubt ihr weiterhin noch körperliche Verrichtungen, die in leichten einfachen Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen.

Die Klägerin ist auch nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI), da sie nach dem 01.01.1961 geboren ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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