L 7 AY 4588/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 AY 4801/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 4588/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. September 2011 (Versagung einstweiligen Rechtsschutzes) werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden der Antragsteller, der Beschwerdeausschlussgründe im Sinne des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht entgegenstehen, sind zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat im angefochtenen Beschluss vom 29. September 2011 zu Recht die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Absatz 1 a. a. O., für Vornahmesachen in Absatz 2 a. a. O. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 a. a. O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a. a. O.). Die Anträge nach § 86b Abs. 1 und 2 SGG sind bereits vor Klageerhebung zulässig (Absatz 3 a. a. O.).

Vorliegend kommt, wie vom SG zutreffend erkannt, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Beides sind gleichberechtigte Voraussetzungen, die ein bewegliches System darstellen: Je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein und umgekehrt. Völlig entfallen darf hingegen keine der beiden. Dementsprechend sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind dann in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebotes der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruches auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - beide (juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 ER-B - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - beide (juris)).

Im Beschwerdeverfahren verfolgen die Antragsteller ihr erstinstanzliches Begehren weiter, die Antragsgegnerin im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihnen vom 18. August 2011, dem Eingang ihrer Anträge beim SG, längstens bis zum 31. März 2012 zusätzlich zu den bereits gewährten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) einen monatlichen Betrag in Höhe der hälftigen Differenz zu den Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren. Die Antragsteller haben ihr Begehren unter Hinweis auf den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 10. August 2011 (S 9 AY 2678/11 ER) damit begründet, sie würden durch die derzeitig gewährten Leistungen in ihrem Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz verletzt. Für dieses Begehren ist jedoch keine rechtliche Grundlage gegeben.

Ein Anspruch auf höhere Leistungen aus einfach rechtlichen Rechtsgrundlagen besteht nicht. Die Gewährung sogenannter Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG scheidet vorliegend aus. Die Antragsteller, afghanische Staatsangehörige, sind erst im November 2010 in das Bundesgebiet eingereist und haben hier am 3. Dezember 2010 (Antragsteller zu 2 und zu 3) bzw. am 2. Februar 2011 (Antragsteller zu 1) Asylanträge gestellt. Sie sind im Besitz von Aufenthaltsgestattungen zur Durchführung des Asylverfahrens und gehören damit zu dem nach dem AsylbLG leistungsberechtigten Personenkreis (vgl. § 1 Nr. 1 AsylbLG). Allerdings ist in Anbetracht des kurzen Zeitraums des Bezugs von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG die nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erforderliche Vorbezugszeit von 48 Monaten nicht erfüllt; diese Regelung begegnet im Übrigen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Bundessozialgericht (BSG), BSGE 100, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr. 2). Auch ein Anspruch auf höhere Leistungen nach § 6 Abs. 1 AsylbLG scheidet aus. Nach dieser Regelung können sonstige Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Gesundheit unterlässlich, zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind. Anhaltspunkte dafür, welcher Bedarf bei den Antragstellern ungedeckt geblieben und aus welchen Gründen eine sofortige Deckung dieses Bedarfs unerlässlich ist, sind den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. Auch wurde Entsprechendes von den Antragstellern nicht vorgebracht. Auch eine sonstige gesetzliche Grundlage für das Begehren der Antragsteller ist nicht ersichtlich. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende scheiden aus, weil die Antragsteller als Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II vom Bezug derartiger Leistungen ausgeschlossen sind (vgl. BSGE 102, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 10; BSG, Urteile vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 40/07 R - und vom 7. Mai 2009 - B 14 AS 41/07 R - (beide juris)); ohnehin wäre die Antragsgegnerin für die Gewährung derartiger Leistungen nicht zuständig. Ferner kommen Sozialhilfeleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) wegen des Leistungsausschlusses in § 23 Abs. 2 SGB XII nicht in Betracht. Dass die den Antragstellern von der Antragsgegnerin gewährten Grundleistungen den Bestimmungen in § 3 AsylbLG nicht entsprächen, machen sie selbst nicht geltend.

Soweit die Antragsteller ihr Begehren auf höhere Leistungen im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein mit verfassungsrechtlichen Erwägungen, gestützt auf Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 1 GG, begründen, führt auch dies nicht zum Erfolg. Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 27. Oktober 2011 (L 7 AY 3998/11 ER-B) bereits entschieden, dass es den Gerichten nicht gestattet ist, den zuständigen Träger allein auf der Grundlage von Verfassungsrecht, hier also des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Artikel 1 Abs. 1, Artikel 20 Abs. 1 GG), zur Leistungsgewährung zu verpflichten. Die Konkretisierung dieses Grundrechts, das als Geldleistungsanspruch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für öffentliche Haushalte verbunden sei, sei vielmehr ausschließlich dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten; wie er den Umfang der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums durch Geld-, Sach- und Dienstleistungen sichere, bleibe grundsätzlich ihm überlassen. Der Senat sei deshalb nicht befugt, den Antragstellern unmittelbar gestützt auf Normen der Verfassung die im einstweiligen Rechtsschutz erstrebten höheren Leistungen zuzusprechen. Unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsteller im Beschwerdeverfahren und nach erneuter Prüfung hält der Senat an dieser Entscheidung fest. Ein Anspruch der Antragsteller, ihnen auf der Grundlage von Verfassungsrecht im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen zu gewähren, besteht nicht. Zur Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf seinen Beschluss vom 27. Oktober 2011 Bezug, der den Beteiligten zur Kenntnis gebracht wurde.

Soweit die Antragsteller im Beschwerdeverfahren darauf verweisen, vorliegend sei nicht der Gesetzgeber, sondern der Verordnungsgeber untätig geblieben, gelten die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 27. Oktober 2011 entsprechend. Auch insoweit ist es den Gerichten nicht gestattet, am Verordnungsgeber vorbei den zuständigen Träger allein auf der Grundlage von Verfassungsrecht zur Gewährung höherer Leistungen zu verpflichten. Eine solche Verpflichtung der Antragsgegnerin würde einen Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz des Artikel 20 Abs. 2 GG darstellen.

Eine Vorlage nach Artikel 100 Abs. 1 GG kommt im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen der hier nur möglichen vorläufigen Klärung sowie der gebotenen zeitnahen Entscheidung nicht in Betracht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2010 - 1 BvR 2037/10 -(nicht veröffentlicht)).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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