L 9 KR 179/11 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 15 KR 122/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 179/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zum Einsatz von Immunglobulinen bei einem Stiff-Man-Syndrom
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 16. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 16. Mai 2011 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat rechtsfehlerfrei den Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, sie mit dem Immunglobulin Gamunex 10% zur Behandlung des Stiff-Man-Syndroms (SMS) zu versorgen, abgelehnt.

Den Anspruch der Antragstellerin, sie mit dem Immunglobulin Gamunex 10% zur Behandlung ihrer Erkrankung an SMS zu versorgen, hat das Sozialgericht zutreffend wegen Fehlens eines Anordnungsanspruchs abgelehnt, ohne den der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG nicht möglich ist. Der Senat nimmt insoweit zur weiteren Begründung seiner Entscheidung zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des angefochtenen sozialgerichtlichen Beschlusses Bezug und macht sich diese Begründung für das Beschwerdeverfahren zu eigen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Denn mit der Begründung der Beschwerde werden keine Gesichtspunkte vorgetragen, die eine andere Entscheidung gebieten würden.

Insbesondere scheitert ein Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung des bei der Antragstellerin diagnostizierten SMS im Rahmen eines ausnahmsweise zulässigen Off-Label-Use schon daran, dass auf Grund der Datenlage keine begründete Aussicht besteht, dass mit dem der Klägerin verordneten Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.

Die Richtigkeit dieser Einschätzung wird nicht zuletzt durch die von den behandelnden Ärzten der Antragstellerin zur Begründung eines Anspruchs auf Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung ihrer Erkrankung vorgelegten Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Behandlung des SMS (Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie; 4. überarbeitete Auflage 2008, S. 654 ff, ISBN 978-3-13-132414-6; Georg Thieme Verlag Stuttgart) bestätigt, in der es zur Therapie des SMS u.a. heißt: Therapie (Immuntherapie) " I.v. Immunglobuline (i. v. IgG; 2 × 1 g/kg an 2 aufeinanderfolgenden Tagen pro Monat) sind nach einer kleinen kontrollierten Studie therapeutisch wirksam. Die Wirkung setzt nach der Infusion rasch ein und hält 2– 3 Monate an. Nach eigener Erfahrung nachlassende Wirkung bei länger dauernder Therapie". Der Hinweis auf "eine kleine kontrollierte Studie" und "eigene Erfahrungen" des Verfassers des Artikels belegen, dass aufgrund der Datenlage jedenfalls derzeit keine begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.

Damit Letzteres angenommen werden könnte, müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten ließen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könnte. Davon kann nur dann ausgegangen werden, wenn entweder

- die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen, was hier nicht der Fall ist, oder

- außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. (BSG, Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R "Sandoglobulin", zitiert nach juris).

Dies ist bei Vorliegen der genannten "kleinen Studie" und einer Expertenmeinung nicht der Fall. So ist mangels Angaben über das Studiendesign schon nicht zu erkennen, welche medizinisch-wissenschaftliche Aussagekraft der genannten "kleinen Studie" zugebilligt werden könnte und auf welche Erfahrungen in einer wie großen Zahl von Fällen die Expertenmeinung gestützt ist. Damit fehlt es an zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen über den Einsatz von Immunglobulinen bei SMS. Darüber hinaus ist eine klinisch relevante Wirksamkeit bzw. ein klinisch relevanter Nutzen nicht belegt, wenn in der Leitlinie darauf hingewiesen wird, dass "die Wirkung bei länger dauernder Therapie nachlasse", weil unklar bleibt, was der Verfasser unter einer "länger dauernden Therapie" und "nachlassender Wirkung" versteht.

Davon unabhängig fehlt ein Anordnungsanspruch auch deshalb, weil die Antragstellerin keine in die Zukunft reichende ärztliche Verordnung vorgelegt hat. Diese Voraussetzungen sind schlechthin konstituierend für einen krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel aus § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V). Fehlt eine (gültige) ärztliche Verordnung für den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und für die Zukunft, besteht kein materiell-rechtlicher Anspruch auf das begehrte Medikament.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB V wird die ärztliche Behandlung von Ärzten erbracht. Sind Hilfeleistungen anderer Personen erforderlich, dürfen sie grundsätzlich nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V nur erbracht werden, wenn sie vom Arzt angeordnet und von ihm verantwortet werden. Nach § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V umfasst die (vertrags-)ärztliche Versorgung auch die Verordnung von Arzneimitteln; schon nach dem Wortlaut der Vorschrift ist danach eine ärztliche Verordnungen auch für die Versorgung mit Arzneimitteln erforderlich. Erst durch diese ärztliche Verordnung wird das dem Versicherten durch §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V gewährte Rahmenrecht auf Versorgung mit Arzneimitteln zu einem Anspruch auf die vom Vertragsarzt bestimmten Arzneimittel konkretisiert. Die Verordnung ist deshalb keine formelle Leistungsvoraussetzung, sondern materielle Anspruchvoraussetzung. Daraus folgt, dass dem Versicherten ohne eine (ordnungsgemäße) ärztliche Verordnung (noch) kein Anspruch auf das begehrte Medikament zusteht (so allgemein zum Anspruch des Versicherten für alle krankenversicherungsrechtlichen Leistungen: BSG, 1. Senat, Urteil vom 9. Juni 1998, B 1 KR 18/96 R [Kunsthoden] sowie für die Arzneimittelversorgung auch 3. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 13/08 R, jeweils zitiert nach juris).

Der Senat hatte die Antragstellerin mit Schreiben vom 17. Oktober 2011 aufgefordert, eine ärztliche Verordnung eines niedergelassenen Vertragsarztes vorzulegen. Dem ist die Antragstellerin nicht nachgekommen. Der Senat hat davon abgesehen, ihr nochmals Gelegenheit zur Vorlage einer ärztlichen Verordnung zu geben, weil die Beschwerde - unabhängig davon - schon aus den anderen oben dargelegten Gründen erfolglos bleiben musste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundssozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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