L 9 AY 54/11 B

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 23 Ay 3/11 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AY 54/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die 48-Monatsfrist des § 2 Abs. 1 AsylbLG wird bei Wiedereinreise nur dann neu in Gang gesetzt, wenn zuvor eine endgültige Ausreise erfolgt war.
2. Eine endgültige Ausreise liegt nicht vor, wenn die Ausländerbehörde eine Erlaubnis zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nach § 12 Abs. 5 AufentHG erteilt hat oder hätte erteilen können oder müssen.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 25. Februar 2011 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellerinnen Leistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen auch im Beschwerdeverfahren zu tragen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin G.-S. , K-,wird abgelehnt. &8195;

Gründe:

I.

Die am -. - 1981 geborene Antragstellerin zu 1) und die am -. - 2002 geborene Antragstellerin zu 2) sind irakische Staatsangehörige. Sie haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufentHG) und beziehen seit Langem so genannte Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG. Mit Bescheid vom 31. Mai 2010 wurden den Antragstellerinnen entsprechende Leistungen gewährt. In diesem Bescheid heißt es u. a.: "Nach dieser Berechnung haben Sie nunmehr bis auf weiteres Anspruch auf folgende Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz: für den Monat 6/2010: 1.029,18 EUR. Den Betrag für den laufenden Monat werden wir, soweit noch nicht erfolgt, heute an die aufgeführten Zahlungsempfänger überweisen. Die Beträge für die Folgemonate werden wir jeweils monatlich im voraus auszahlen, solange sich Ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert haben." In dem Bescheid sind sodann "wichtige rechtliche Hinweise" aufgeführt. Darin heißt es u. a.: "Die vorstehend genannte(n) Leistung(en) wird/werden nur für einen Monat und unter dem Vorbehalt des Widerrufs für den Fall bewilligt, dass sich die der Bewilligung zugrunde liegenden Verhältnisse nicht ändern. Sie wird/werden unter der stillschweigenden Voraussetzung unveränderter Verhältnisse weitergezahlt, längstens bis zum Ablauf des vorstehenden genannten Monats. Die Angabe dieses Monats bedeutet keine Bewilligung der Hilfe bis dahin, sondern soll lediglich sicherstellen, dass die Zahlung spätestens mit Ablauf des angegebenen Zeitraums endet. Entfallen die Anspruchsvoraussetzungen ganz oder teilweise, kann die Hilfe eingestellt bzw. gekürzt werden, ohne dass es eines besonderen Widerrufs bedarf. Ändern sich vor Ablauf des vorstehend genannten Monats die der Bewilligung und der Zahlung zugrunde liegenden Verhältnisse, können Überzahlungen aufgrund des in Satz 1 vorbehaltenen Widerrufs sowie im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften zurückgefordert werden."

Nach einem Vermerk vom 1. Dezember 2010 waren die Antragstellerinnen vom 7. bis zum 25. April 2010 im Irak. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2010 wurden ihnen für Dezember 2010 lediglich Leistungen in Höhe von 756,41 EUR nach § 3 AsylbLG unter Hinweis darauf gewährt, dass die Antragstellerinnen am 7. April 2010 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgereist seien und daher für 48 Monate die geringeren Leistungen nach § 3 AsylbLG anzusetzen seien. Dagegen legten die Antragstellerinnen am 8. Dezem¬ber 2010 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 2011 zurückgewiesen wurde. Die Antragstellerinnen haben Klage erhoben am 4. Februar 2011 (S 23 AY 23/11).

Ebenfalls am 4. Februar 2011 haben die Antragstellerinnen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Nachdem das Sozialgericht Kiel darauf hingewiesen hatte, dass es sich insoweit um einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung handeln könnte und nach entsprechender Zustimmung zur Antragsumdeutung hat das Sozialgericht Kiel mit Beschluss vom 25. Februar 2011 festgestellt, dass die unter dem Aktenzeichen S 23 AY 23/11 anhängige Klage der Antragstel-lerinnen aufschiebende Wirkung habe und die Antragsgegnerin verpflichtet sei, den Antragstellerinnen Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit dem SGB XII einschließlich Krankenhilfe zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat am 3. März 2010 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 25. Februar 2011 erhobenen mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 25. Februar 2011 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

II. Die Beschwerde ist zulässig. Sie hat aber nur aus dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Im Ergebnis hat das Sozialgericht Kiel in dem angegriffenen Beschluss zutreffend entschieden, dass die Antragsteller Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit dem SGB XII haben.

Zwar erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG nach ihrer Einreise grundsätzlich Leistungen nach § 3 AsylbLG. Dabei handelt es sich um die so genannten "Grundleistungen", die lediglich den notwendigen Grundbedarf für diejenigen gewährleisten sollen, die sich nur vorübergehend im Gebiet der Bundesrepublik aufhalten. Gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG erhalten die Leistungsberechtigten erst nach einer Dauer von insgesamt 48 Monaten die Leistungen nach dieser Vorschrift, die denjenigen des SGB XII entsprechen. Die Leistungsberechtigung endet gemäß § 1 Abs. 3 AsylbLG mit der Ausreise, denn dadurch hält sich die jeweilige Person nicht mehr im Bundesgebiet auf, was Voraussetzung für die vorherige Leistungsberechtigung war.

Nach einer erneuten Wiedereinreise ist aber zu unterscheiden, ob dann wieder für die Dauer von 48 Monaten lediglich die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG gewährt werden können oder ob bei Betrachtung des Einzelfalles hiervon Abweichungen vorzunehmen sind.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden (Urteil vom 24. März 2009 – B 8 AY 10/07 R -), dass grundsätzlich nach Ausreise und Wiedereinreise die Grundleistungen für den in § 2 Abs. 1 AsylbLG geregelten Zeitraum gewährt werden. Das gelte insbesondere dann, wenn ein Ausländer den Geltungsbereich des AsylbLG verlässt und in einem Drittstaat einen Asylantrag stellt. Jedenfalls bei einer endgültigen Ausreise wird die Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG somit neu in Gang gesetzt (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, Komm. zum AsylbLG, 3. Aufl. 2010, § 2, Rdn. 6). Das BSG hat in seiner Entscheidung aber ausdrücklich offen gelassen, ob sich in Einzelfällen bei kurzfristiger, ihrer Natur nach nur vorübergehende Ausreise (z. B. bei einer Klassenfahrt ins Ausland) ausnahmsweise eine andere Rechtsfolge ergeben könne.

Hier ist ein solcher Einzelfall gegeben, der eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 2 Abs. 1 AsylbLG gebietet. Die Antragstellerinnen haben unwidersprochen vorgetragen, dass Grund für ihren kurzfristigen Aufenthalt im Irak gewesen sei, dass ihre Mutter bzw. Großmutter schwer erkrankt und kurz danach gestorben sei und dass sie bei der Ausländerbehörde vorgesprochen hätten, um dort die Fahrt in den Irak abzustimmen. Liegt ein solcher – berechtigter – Grund für die Ausreise vor, und der Senat hat keine Bedenken, dass das in diesem Falle zutrifft, handelt es sich nicht um eine endgültige Ausreise im Sinne des § 1 Abs. 3 AsylbLG, mit der die Aufenthaltserlaubnis erlischt mit der Folge, dass bei Wiedereinreise die Wartefrist von 48 Monaten des § 2 Abs. 1 AsylbLG erneut einzuhalten ist.

Der Senat ist der Auffassung, dass der grundsätzliche Neubeginn einer Gewährung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG dann nicht eingreift, wenn in entsprechender Anwendung von § 12 Abs. 5 AufentHG von der Ausländerbehörde eine Erlaubnis zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist oder hätte erteilt werden können oder müssen. Nach § 12 Abs. 5 AufentHG kann die Ausländerbehörde dem Ausländer das Verlassen des auf der Grundlage dieses Gesetzes beschränkten Aufenthaltsbereichs erlauben. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu erteilen, wenn hieran ein dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe es erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würden. Hier hat die Ausländerbehörde offenbar mündlich die Zustimmung zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland und zur Wiedereinreise erteilt. Hierzu ist sie auch verpflichtet gewesen. Zwingende Gründe im Sinne des § 12 Abs. 5 Satz 2 AufentHG sind solche von erheblichem Gewicht; sie können auch familiärer Natur sein, wie z. B. der Besuch schwerkranker Familienmitglieder, oder die Wahrnehmung des Umgangsrechts nach § 1684 Abs. 1 BGB (Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18. März 2008 – 2 O 48/08 -). Der Besuch der schwerkranken Mutter bzw. Großmutter stellt einen solchen familiären Grund dar, der gemäß § 12 Abs. 5 Satz 2 AufentHG der Ausländerbehörde aufgibt, eine Erlaubnis zum Verlassen eines beschränkten Aufenthaltsbereiches zu erteilen. Eine entsprechende Erlaubniserteilung erscheint aber ebenfalls – wie das BSG in seinem Urteil vom 24. März 2003 (Az.: B 8 AY 10/07 R, recherchiert bei juris, Rdn. 17) bereits angedeutet hat – bei einer Klassenfahrt ins Ausland oder ähnlichen Gründen geboten. Bei einer Ausreise zwecks eines nur vorübergehenden kurzfristigen Aufenthalts im Ausland wegen eines Grundes nach § 12 Abs. 5 Satz 2 AufentHG behält der betreffende Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland; er verzichtet durch die Ausreise nicht auf die Rechte, die ihm aufgrund seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik zukommen, denn er verlässt das Gebiet der Bundesrepublik in der Absicht, innerhalb kürzerer Zeit wieder zurückzukommen und seine hier gefestigten Rechte und auch Aufenthaltsrechte weiter wahrnehmen zu können. Daher kann eine solche Ausreise die Leistungsberechtigung nicht nach § 1 Abs. 3 AsylbLG beenden; bei Wiedereinreise gilt die 48 Monatsfrist des § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht erneut.

Der Beschluss des Sozialgerichts Kiel ist aber dahingehend zu ändern, dass nicht die aufschiebende Wirkung festzustellen ist, sondern dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung zu ergehen hatte. Das Sozialgericht ist davon ausgegangen, dass der leistungsgewährende Bescheid vom 31. Mai 2010 ein Dauerverwaltungsakt ist. Folgerichtig hätten Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung, die das Sozialgericht in dem angegriffenen Beschluss auch angenommen hat. Dies ist jedoch nicht zutreffend.

Der Senat ist nach wie vor der Auffassung, dass Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII und auch Leistungen nach dem AsylbLG zeitabschnittsweise – verwaltungsver¬einfachend – monatlich gewährt werden. Allerdings hat es der Leistungsträger in der Hand, die Formulierung eines Bescheides so zu gestalten, dass nach dem Empfängerhorizont ein Dauerverwaltungsakt anzunehmen ist. Hier ist die Antragsgegnerin aber erkennbar von einer monatlichen Leistungsgewährung ausgegangen und hat ihren Bescheid auch entsprechend formuliert. Laut Bescheid vom 31. Mai 2010 werden Leistungen für den Monat Juni 2010 gewährt. Es wurde darauf hingewiesen, dass für die Folgemonate eine Auszahlung oder Überweisung ohne Bescheiderteilung erfolgen solle. Es ergibt sich insbesondere auch durch die "wichtigen rechtlichen Hinweise", dass die Leistungen nur für einen Monat gewährt werden und dass dann, wenn die Anspruchsvoraussetzungen entfallen, die Hilfe eingestellt oder gekürzt wird, ohne dass es eines besonderen Widerrufs bedarf. Daher konnten und mussten die Antragstellerinnen davon ausgehen, dass jeweils nur für einen Monat Leistungen gewährt werden und dass erkennbar nicht gewollt war, Leistungen für mehrere Monate zu gewähren. Das folgt auch daraus, dass keine zeitliche Begrenzung für die Leistungen genannt ist. Ein langfristiger Bindungswille, Leistungen über mehrere Jahre zu gewähren, widerspricht dem Sinn und Zweck des AsylbLG und dem Dritten Kapitel des SGB XII. Demnach hat der Bescheid vom 1. Dezember 2010 für den Monat Dezember 2010 eine neue Regelung getroffen und geringere Leistungen gewährt. Daher ist der richtige Rechtsbehelf dagegen die einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, ‚Beschluss vom 6. September 2005 – L 9 B 186/05 SO ER), die auch tatsächlich von den Antragstellerinnen beantragt war.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren sind nicht gegeben. Nach § 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung kann Prozesskostenhilfe u. a. dann gewährt werden, wenn eine Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Hier fehlt es an der danach erforderlichen Bedürftigkeit der Antragstellerinnen, weil sie aufgrund der – unanfechtbaren – Kostenentscheidung dieses Beschlusses einen Erstattungsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin haben und daher die Kosten für das Beschwerdeverfahren aus eigenen Mitteln aufbringen können (vgl. Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. März 2010 – L 11 AS 26/11 B ER – und – B 11 AS 26/11 B ER PKH -).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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