L 10 R 1778/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 3508/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1778/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24.03.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Hinterbliebenenrente.

Die Klägerin ist die geschiedene Ehefrau des verstorbenen H. R.

Die im Jahr 1962 zwischen der Klägerin und R. geschlossene Ehe, aus der sechs Kinder hervorgegangen sind, wurde mit rechtskräftigem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 30.04.1970 aus beiderseitigem Verschulden geschieden. R. heiratete im Jahr 1975 erneut. Auch aus der zweiten Ehe gingen Kinder hervor. Nach der Scheidung leistete R. für die Kinder aus der ersten Ehe, die vom zuständigen Sozialhilfeträger - wie auch die Klägerin - u.a. Hilfe zum Lebensunterhalt erhielten, Kindesunterhalt. Die Klägerin selbst erhielt von R. nie Unterhaltszahlungen, der Sozialhilfeträger ging insoweit von fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit aus (Schreiben des Landratsamts Heidenheim vom November 1998 Bl. 59 VA).

R. bezog von der Beklagten ab März 1998 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und ab Dezember 2003 eine Regelaltersrente (Bruttorente am 01.12.2003 1.059,75 EUR, Zahlbetrag 971,79 EUR, Bl. 57 Rest-VA des R.; Zahlbetrag zuletzt vor dem Tod: 968,40 EUR, Bl. 61 VA). Die Witwe des R. bezieht von der Beklagten eine Hinterbliebenenrente.

Den im April 2010 von der Klägerin gestellten Antrag, ihr ebenfalls eine Hinterbliebenenrente (Geschiedenenwitwenrente) zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2010 ab. Die Klägerin habe im letzten Jahr vor dem Tod des R. von diesem keinen Unterhalt erhalten. Da der Zahlbetrag der dem R. zuletzt ausgezahlten Rente den ihm nach der Düsseldorfer Tabelle (2008) zustehenden Selbstbehalt in Höhe von 1.000,00 EUR nicht überschritten habe, habe sie gegen R. im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod auch keinen Unterhaltsanspruch gehabt. Einem Hinterbliebenenrentenanspruch losgelöst von einer Unterhaltsverpflichtung des R. stehe entgegen, dass dessen Witwe eine Witwenrente beziehe. Eine verschärfte Unterhaltsverpflichtung des R. gegenüber der Klägerin käme angesichts des rechtskräftigen Scheidungsurteils (beiderseitiges Verschulden) nicht in Betracht.

Deswegen hat die Klägerin am 08.10.2010 beim Sozialgericht Ulm Klage erhoben. Mit Urteil vom 24.03.2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe keine Hinterbliebenenrente zu, denn sie habe keinen Unterhalt von R. bezogen und unter Berücksichtigung des rechtskräftigen Scheidungsurteils, hinsichtlich dessen eine Bindungswirkung bestehe, gegen ihn auch keinen Unterhaltsanspruch aus Billigkeitsgründen gehabt.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 06.04.2011 zugestellte Urteil am 02.05.2011 Berufung eingelegt. Sie macht insbesondere die inhaltliche Unrichtigkeit des Scheidungsurteils geltend und hat u.a. Schriftsätze ihres früheren Bevollmächtigten, Rechtsanwalt L. aus dem Jahr 1977 vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass R. auf die Anforderung von Ehegattenunterhalt durch seine zweite Ehefrau mitteilen ließ, dass er wirtschaftlich nicht zur Zahlung in der Lage sei. Auf Nachfrage im Erörterungstermin vom 27.10.2011 hat die Klägerin gegenüber dem Berichterstatter ergänzt, R. habe ihr nichts gegeben, sie habe im Jahr 1973 versucht, wegen ihres Unterhalts Kontakt mit ihm aufzunehmen, sei aber von seiner neuen Ehefrau "abgewimmelt" worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24.03.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2010 zu verurteilen, ihr Gechiedenenwitwenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht keine Geschiedenen-witwenrente zu. Die hier zunächst in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen für eine Geschiedenenwitwenrente nach § 243 Abs. 1 und 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI, kleine bzw. große Witwenrente) hat das Sozialgericht im Urteil umfassend dargestellt, so dass zur Vermeidung von Wiederholungen darauf Bezug genommen wird. Zu Recht hat das Sozialgericht ausgeführt, dass ein Anspruch nach diesen Regelungen nicht in Betracht kommt, da die Klägerin von R. im letzten Jahr vor dessen Tod keinen Unterhalt erhielt - dies ist unstreitig und muss daher nicht weiter thematisiert werden - und auch kein Unterhaltsanspruch bestand.

Hinsichtlich eines Unterhaltsanspruchs der Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des R. kommt alleine ein Unterhaltsbeitrag nach § 60 Ehegesetz 1946 (EheG), der einen Unterhaltsanspruch in diesem Sinne darstellt, in Betracht (BSG Großer Senat, Beschluss vom 25.04.1979, GS 1/78 in SozR 2200 § 1265 Nr. 41). Die Vorschriften des EheG sind zwar mit Ablauf des 30.06.1977 außer Kraft getreten (vgl. Artikel 3 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts Erstes EheRG vom 14.06.1976, BGBl. I 1421). Hier sind aber die Vorschriften des EheG über die Scheidung der Ehe und die Folgen der Scheidung noch anwendbar, weil die Ehe vor dem In-Kraft-Treten des Ersten EheRG am 01.07.1977 (vgl. Artikel 12 Nr. 3 Abs. 2 des Gesetzes) durch Urteil vom 30.04.1970 geschieden worden ist (BSG, Urteil vom 23.05.2006, B 13 RJ 4/05 R, juris). Nach § 60 EheG kann dem Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, soweit beide Ehegatten Schuld an der Scheidung sind, aber keiner die überwiegende Schuld trägt, ein Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt werden, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Bedürftigen der Billigkeit entspricht.

Im Scheidungsurteil des Oberlandesgerichtes vom 30.04.1970 wurde festgestellt, dass beide Parteien an der Scheidung schuld sind. Dieses Urteil ist rechtskräftig. Die Versicherungsträger und die Gerichte sind bei Anwendung des § 243 SGB VI an den Schuldspruch im Scheidungsurteil gebunden (BSG, Urteil vom 24.11.1960, 10 RV 351/58 in SozR Nr. 3 zu § 42 BVG). Wegen dieser Bindungswirkung ist das umfassende Vorbringen der Klägerin zur inhaltlichen Richtigkeit des Scheidungsurteils, insbesondere zur Verschuldensfrage, unerheblich.

Der Senat kann sich nicht davon überzeugen, dass der Klägerin ein so genannter Billigkeitsunterhaltsanspruch nach § 60 EheG im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des R. zustand. Vielmehr ist nach dessen damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen davon auszugehen, dass er nicht unterhaltsverpflichtet war. R. bezog zuletzt eine Nettorente in Höhe von 968,40 EUR. Gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau stand ihm nicht nur der im Jahr 2008 nach der Düsseldorfer Tabelle geltende monatliche Eigenbedarf (Selbstbehalt) in Höhe von 1.000,00 EUR, sondern nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 23.05.2006, B 13 RJ 4/05 R, a.a.O.), der sich der Senat anschließt, der "angemessene Eigenbedarf" nach der Düsseldorfer Tabelle (Anmerkung 5 Alternative 2) in Höhe von im Jahr 2008 1.100,00 EUR zu. Die Nettorente des R. unterschritt schon diese beiden Beträge. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit des R. darüber hinaus ein zusätzlicher monatlicher Eigenbedarf seiner zweiten Ehefrau zu berücksichtigen gewesen wäre.

Mithin war R. gegenüber der Klägerin unterhaltsrechtlich nicht leistungsfähig. Dies entspricht dem Umstand, dass die Klägerin selbst einräumt, im Jahr 1973 nur ein Mal versucht zu haben, direkt mit ihrem Mann wegen ihres Unterhalts Kontakt aufzunehmen und auch ein im Jahr 1977 über einen Bevollmächtigten vorgenommener Versuch, Ehegattenunterhalt einzufordern, im Sande verlief. Die Klägerin hat sich mit diesem Zustand (mangelnde Leistungsfähigkeit ihres geschiedenen Ehegatten) über Jahrzehnte hinweg - zu Recht - abgefunden. Zwangsläufig hat sie auch gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf eine Geschiedenenwitwenrente.

Der Klägerin steht auch kein Anspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI zu. Die Beklagte hat im Bescheid vom 12.07.2010 diese Anspruchsgrundlage umfassend dargestellt, so dass zur Vermeidung von Wiederholungen darauf Bezug genommen wird. Zwar kommt nach dieser Regelung eine Geschiedenenwitwenrente in Betracht, wenn ein Unterhaltsanspruch gegenüber dem verstorbenen Versicherten - wie hier - an dessen mangelnder Leistungsfähigkeit scheiterte. Die Vorschrift sieht dies jedoch nur dann vor, wenn der Versicherte keine Witwe hinterlässt, die eine Witwenrente bezieht. Letzteres ist jedoch bei R., der zum Todeszeitpunkt in zweiter Ehe verheiratet war und dessen Ehefrau eine Witwenrente von der Beklagten erhält, der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved