L 5 AS 413/11 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 6 AS 2263/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 413/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 31. August 2011 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller und Beschwerdeführer wenden sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg, das ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der vorläufigen Bewilligung höherer Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) abgelehnt hat.

Die Beschwerdeführer beziehen als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II. In ihrem Eigenheim vermieten sie an die Tochter eine Wohnung für 300,00 EUR/Monat. Mit Bescheid vom 11. Mai 2011 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 7. Juni 2011 bewilligte der Beschwerdegegner ihnen für die Zeit vom 1. Juni bis 30. November 2011 440,05 EUR/Monat. Als bereinigte Mieteinnahmen setzte er pro Person 59,81 EUR/Monat vom Bedarf ab.

In ihrem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 4. Juli 2011 haben die Kläger einen monatlichen Bedarf "unter Berücksichtigung der Rechtsansicht des Gerichts mindestens jedoch in Höhe von 538,24 EUR beginnend ab dem 1.06.2011 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache" geltend gemacht. Ihnen fehlten monatlich 122,54 EUR. Zu den Kosten Unterkunft und Heizung gehörten auch die Ratenzahlungen auf einen Bausparvertrag. Als Einnahmen dürften nur die vom Beschwerdegegner für ihre Tochter bewilligten KdU von 268,49 EUR/Monat berücksichtigt werden.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 31. August 2011 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Es fehlten sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund. Eine existentielle Notlage sei nicht ersichtlich. Es sei auch nicht glaubhaft gemacht, dass ein Anspruch auf höhere KdU bestehe. Es sei zumutbar, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Die Beschwerde hat das Sozialgericht für zulässig erachtet.

In ihrer Beschwerde vom 6. Oktober 2011 haben die Beschwerdeführer geltend gemacht, der Beschluss enthalte keine Ausführungen zu den KdU. Angesichts der zu erwartenden langen Verfahrensdauer und der knapp bemessenen Regelleistungen bestehe Eilbedürftigkeit. Auf den rechtlichen Hinweis, wonach Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Beschwerde bestünden, haben die Beschwerdeführer weiter ausgeführt: Nach § 172 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei die Beschwerde auch zulässig, wenn die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre. Der Gesetzgeber habe nicht beabsichtigt, die Beschwerde bei erheblichen Verfahrensmängeln auszuschließen. Eine ablehnende Entscheidung wäre verfassungswidrig und verstieße gegen den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz.

Die Beschwerdeführer beantragen,

den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 31. August 2011 aufzuheben und den Beschwerdegegner zu verpflichten, ihnen vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die Beschwerde wegen Nichterreichens des Beschwerdewerts für unzulässig.

II.

Die Beschwerde ist form- und fristgerecht gemäß § 173 Satz 1 SGG erhoben. Sie ist jedoch nicht statthaft und somit als unzulässig zu verwerfen.

Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre.

Wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr sind nicht im Streit (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die behaupteten Verfahrensmängel führen hier nicht zur Zulässigkeit der Beschwerde. Die Beschwerde ist dann unzulässig, wenn die Berufung in der Hauptsache nicht kraft Gesetzes ohne Weiteres zulässig wäre, sondern erst noch der Zulassung bedürfte (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. Beschluss vom 25. November 2008, L 5 B 341/08 AS ER, juris). Ein Zulassungsverfahren ist gesetzlich nur für die Berufung vorgesehen (§ 144 SGG). Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf Beschwerdeverfahren ist ausgeschlossen.

Eine Berufung wäre auch nicht zulässig nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da der Wert des Beschwerdegegenstands 750 EUR nicht übersteigt.

Streitgegenständlich sind nach dem erstinstanzlich gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz weitere 122,54 EUR/Monat. Offenkundig haben die Beschwerdeführer bei der Darstellung des behaupteten Fehlbetrags nicht den Änderungsbescheid vom 7. Juni 2011 berücksichtigt; danach würden ihnen nur 98,19 EUR/Monat fehlen.

Der erstinstanzlich gestellte Antrag auf vorläufige Leistungen ab dem 1. Juni 2011 "bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache" lässt nicht eindeutig erkennen, für welchen Zeitraum der Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung begehrt worden ist. Er ist daher auszulegen. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden sein. Bei der Auslegung von Prozessanträgen ist gemäß § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht der Wortlaut der Erklärung entscheidend. Es ist vielmehr der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen. Dieser kann sich nicht nur aus dem Wortlaut der Erklärung, sondern auch aus den sonstigen Umständen - etwa dem Inhalt der Verwaltungsakten - ergeben. Allerdings können nur solche Umstände bei der Ermittlung des wirklichen Willens berücksichtigt werden, die für das Gericht und die anderen Prozessbeteiligten erkennbar sind. Die Auslegung von Prozessanträgen richtet sich auch danach, welche Leistung möglich ist, wenn der verständige Antragsteller seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen. Im Zweifel wird dieser den Antrag stellen wollen, der ihm am besten zum Ziel verhilft. Dabei ist anzunehmen, dass alles beantragt wird, was dem Leistungsbezieher aufgrund des Sachverhalts zustehen kann (BSG, Urteil vom 9. Februar 2011, B 6 KA 5/10 R, (11, 12); Urteil vom 24. Februar 2011, B 14 AS 49/10 R (12,14), juris).

Hier haben die Beschwerdeführer gegen den Bescheid vom 11. Mai 2011 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 7. Juni 2011 Widerspruch eingelegt und die vorläufige Bewilligung höherer Leistungen nach dem SGB II begehrt. In diesen Bescheiden sind Regelungen über den Bewilligungsabschnitt vom 1. Juni bis 30. November 2011 getroffen worden. Weitere Bescheide über folgende Bewilligungsabschnitte sind nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Sozialgericht gewesen.

Gegenstand eines Klageverfahrens in Streitigkeiten nach dem SGB II ist auch immer nur der angefochtene Bescheid über den jeweiligen Bewilligungsabschnitt. Weitere Bescheide für künftige Bewilligungsabschnitte werden nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens (BSG, Urteil vom 13. November 2008, B 14/7b AS 2/07 R (11), juris). Eine Entscheidung des Grundsicherungsträgers über die Bewilligung von Leistungen nur für den Bewilligungsabschnitt gemäß § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II hat auch keine Bindungswirkung für künftige Zeiträume (BSG, Beschluss vom 22. Juli 2010, B 4 AS 77/10 B (7), juris). Daher kann mit der Behauptung einer fiktiven Möglichkeit, über den Bewilligungszeitraum hinaus Leistungen nach dem SGB II zu beziehen, die Berufungsfähigkeit eines Hauptsacheverfahrens nicht hergestellt werden. Diese ist jeweils auf das sachlich verfolgbare und materiellrechtlich mögliche Prozessziel beschränkt, welches von dem Bewilligungszeitraum definiert wird (BSG, Urteil vom 24. Februar 2011, a.a.O.). Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 4. Juli 2011 ist daher so auszulegen, dass das Gericht den Beschwerdegegner zur Bewilligung von höheren Leistungen für die Dauer des laufenden Bewilligungsabschnitts verpflichten sollte. Dies ist der einzige in der dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entsprechenden Hauptsache zu stellende Antrag, der zum Erfolg führen könnte.

Für die Zeit vom 1. Juni bis 30. November 2011 geht es demnach höchstens um einen behaupteten Fehlbetrag von 735,24 EUR (6 x 122,54 EUR).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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